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Als Friedrich Abends in seiner Wohnung die Anklage vorfand, die ihn in die Heimath zurückberief, hielt er das Blatt eine Weile sinnend in der Hand. Er bedauerte es, daß er sich von der Rücksicht auf Erichs und Augustens Wünsche bewegen lassen, nicht schon vor seiner Abreise um seine Entlassung einzukommen, und daß er seinem Austritt aus dem Staatsdienste dadurch den Charakter eines freien Entschlusses geraubt habe.
Was ihm jetzt zu thun oblag, bedurfte keiner Ueberlegung. Gleich am folgenden Morgen erklärte er in seinem Antwortschreiben, daß er sich nicht zur Untersuchung stellen werde, und verlangte seinen Abschied. Zugleich schrieb er dem Freunde und Augusten, wofür er sich entschieden habe, und erbot sich, seiner Frau bis an die Alpen entgegen zu gehen, wenn sie sich zu ihm nach dem Süden begeben wollte. Er setzte ihr auseinander, daß seine Studien ihn nöthigten, noch in Italien zu bleiben, er suchte sie durch seine literarischen Erfolge über ihre äußere Lage zu beruhigen, und überließ sich dann mit Freuden dem Gefühl der wiedererrungenen Freiheit, der wiedergewonnenen Einheit zwischen seinen Ueberzeugungen und seinen Verhältnissen.
Nur bis zur Abreise seiner Freunde verweilte er noch in der Stadt, dann verließ er Rom, um in ländlicher Stille eine lang durchdachte Arbeit zu beginnen. Es war die Rechtfertigung seines Austrittes aus dem Staatsdienste, die Darlegung der Ansichten, welche ihm die Verwaltung seines Pfarramtes unmöglich machten. Seine ganze Seele war davon erfüllt. Alle Schmerzen, Kämpfe und Erfahrungen der Vergangenheit wurden ihm wieder lebendig, und so sehr er sich in den Grenzen der reinen sachlichen Darstellung dabei bewegte, ward bei seiner plastischen Begabung und bei der Klarheit seiner Erinnerungen ein Lebensbild daraus, das als Kunstwerk einen bedeutenden Anspruch zu machen hatte.
Grade als er seine Arbeit beendet hatte und sein Manuscript nach Deutschland sendete, erhielt er das Antwortschreiben seiner Frau. Sie rechnete ihm die Opfer vor, die sie ihm gebracht, von dem Aufgeben ihres Adels bis zu dem Entschlusse, um seinetwillen die Heimath zu verlassen. Sie erinnerte ihn, daß sie nur wenig Tage des Glückes mit einander genossen hätten, und daß sie nicht gesonnen sei, sich dies spärliche Glück noch durch das erneute Verhältniß zu Helene trüben zu lassen. Zu ihrem Manne zu kommen sei sie bereit, wenn er es von ihr fordere, aber nur unter der Bedingung, daß er verspreche, den Briefwechsel mit der Gräfin nicht fortzuführen und Helene niemals wiederzusehen.
Friedrich ließ mehrere Tage verfließen, ehe er ihr seine Entgegnung sendete. Mit ruhiger Klarheit setzte er ihr noch einmal auseinander, welche Hindernisse dem Glücke ihrer Ehe von Anfang an entgegengestanden hätten. Ohne sie anzuklagen oder sich um des Irrthums willen zu beschuldigen, den er begangen, als er ihre Hand begehrt, sagte er ihr, daß er Helene nicht entbehren könne, daß er ihr nicht entsagen könne, ohne sich selber aufzugeben. Er gab ihr zu, daß diese Neigung sie beeinträchtige, aber er beschwor sie, ihm dies Glück nicht rauben zu wollen, da sie nichts gewinne, wenn sie es ihm entziehe.
»In Fällen, wie der unsere,« schrieb er ihr, »kommt Alles darauf an, sich in die Thatsachen zu fügen, und aus dem Schiffbruche des Lebens zu erretten, was zu retten ist. Ich fühle, daß neben meiner Liebe für Helene die Ehe in ihrer wahren Bedeutung zwischen uns nicht fortbestehen kann, Du selbst kannst das nicht wünschen, und ich mache Dich zum Herrn unseres Schicksals. Willst Du neben mir leben, so werde ich mit erhöhter Theilnahme, mit unermüdlicher Sorge Dich zu entschädigen suchen für die Opfer, die Du mir gebracht hast, die ich zu fordern mich genöthigt sehe. Wir werden auf diese Weise, ich hoffe es, die Ruhe und den Frieden des Daseins gewinnen, den wir in unsrer Ehe nicht erreichen konnten, so lange wir in ihr ein Liebesglück zu finden verlangten, das die Verschiedenheit unserer Naturen und Neigungen uns unmöglich machte. Dünkt Dir das aber unausführbar, kannst und willst Du auf diese Weise Dein Loos fortan nicht an das meine knüpfen, so sprich es aus. Was Dir das Nothwendige scheint, das soll geschehen. Ich lege unsere Zukunft in Deine Hand, wie Du entscheidest, werde ich das Recht Deiner Wahl ehren.«
Friedrich glaubte mit diesem Vorschlage das Beste gethan zu haben. Er bedachte nicht, daß es keine Großmuth sei, die Verantwortung eines schweren Entschlusses auf schwache Schultern zu wälzen. Weil es ihm hart ankam, die Selbstbestimmung aufzugeben, wähnte er, es müsse Augusten wohl thun, sie in ihrer Hand zu wissen. Aber das Maß des Leidens, das er mit seinem Briefe über sie verhängte, war viel zu schwer für ihre Kraft. Sein Geständniß, daß er sie nicht liebe, seine bald darauf erfolgte Amtsentlassung, die Zeitungsberichte, welche dies Ereigniß in verschiedenster Weise besprachen, die Fragen ihrer Bekannten, das Bedauern ihrer Freunde, die Gewißheit, nun bald der sichern Heimath entsagen und das Pfarrhaus verlassen zu müssen, das Alles wuchtete sich erdrückend über sie. Herzenskränkung und Sorge um ihres Lebens Nothdurft, verletzter Stolz und empörtes Selbstgefühl, Mitleid mit sich selber, Erbitterung gegen Friedrich und Haß gegen die Gräfin, das Alles wogte in ihrem Innern auf und nieder, und die Rathschläge ihrer nächsten Angehörigen trugen nur noch dazu bei, sie zu beängstigen.
Behauptete Sidonie, es sei des Weibes Pflicht, dem Rufe des Mannes unter allen Verhältnissen zu folgen, und rieth ihr Erich zu der Reise, besorgt gemacht durch die Wendung, welche die von ihm veranlaßte Annäherung Friedrich's an die Gräfin genommen hatte, so sträubte sich Augustens Herz dagegen. Auch der Vicar warnte sie davor.
Die Selbstverleugnung und Entsagung, welche Friedrich von ihr forderte, hätte nur die großmüthigste Liebe einer starken Seele zu leisten vermocht. Augustens Selbsterhaltungstrieb empörte sich dagegen. Neben einem Manne zu leben, der sie nur ertrug, dessen ganzes Sein einer Andern angehörte, eine Andere feierte, mußte sie unaushaltbar dünken. Und doch bangte ihr davor, das Wort der Trennung auszusprechen, das immerfort auf ihren Lippen schwebte, doch konnte sie sich nicht entschließen, einsam dazustehen im Leben, Friedrich zu verlieren und ihn, der von Jugend auf gehaßten Nebenbuhlerin, freiwillig zu überlassen.
Der Vicar, auf dessen Entscheidung die Unglückliche sich zu stützen wünschte, weigerte sich, einen festen Rath zu geben, aus Mißtrauen gegen sich selber, aus Scheu vor seiner Abneigung gegen den Entfernten. Er, dem Auguste werth war, dessen Anforderungen an die Frauen und an die Ehe sie entsprach, er beurtheilte Friedrich mit unversöhnlicher Strenge. Er warf ihm Augustens Leiden vor und mißgönnte ihm den Triumph, sie wie eine Sclavin seinem Winke Folge leisten zu sehen.
So auf sich selber angewiesen, entschloß Auguste sich zu einem Schritte, den nur ihre gänzliche Hilflosigkeit ihr einzugeben vermochte. Sie wendete sich an den Baron. In einem Schreiben, in dem die tiefe Angst ihres Herzens sich aussprach, sagte sie ihm Alles, was er nicht aus Friedrich's eigenem Briefe lesen konnte, den sie dem ihrigen beifügte.
Als das geschehen war, fühlte sie sich erleichtert, und in banger Erwartung zählte sie die Stunden, die bis zum Empfange des Antwortschreibens vergehen mußten. Aber an dem festgesetzten Tage kam der Bote aus der Stadt zurück und brachte keinen Brief. Auguste traute ihren Sinnen nicht, sie wollte und konnte es nicht glauben, daß Alles sie verließ. Sie hatte keinen Freund. Alle, an die sie ihr Herz gehängt, waren abgefallen von ihr, Friedrich sowohl als Georg, Alle hatten sie verrathen und verlassen. Jene dumpfe Resignation, in der man sich gänzlich aufgiebt, kam über sie. Es war Mittag, das Essen ward gebracht, sie ließ es unberührt vom Tische nehmen. Als der Abend anbrach, blieb sie im Dunkeln sitzen. Sie mochte nicht arbeiten, sie mochte auch keinen Entschluß fassen, ihrem Manne keine Antwort geben. Es hatte ja Alles Zeit genug. Einsam oder an seiner Seite, immer war sie ihres Unglückes sicher.
So saß sie, bis es völlig finster geworden war. Da hörte sie plötzlich Schritte auf dem Hofe, und einen Augenblick später stürmte das Mädchen mit dem Rufe: »der gnädige Herr!« in das Zimmer.
Auguste stand auf, befahl Licht zu bringen, und schickte sich an, Erich entgegen zu gehen, aber nicht dieser, sondern der alte Baron stand vor ihr.
Wäre ihr ein Engel vom Himmel erschienen, sie hätte sich nicht begnadigter, nicht dankbarer zu fühlen vermocht. »Onkel! Onkel!« war Alles, was sie rufen konnte, dann warf sie sich laut aufweinend an seine Brust. Der krampfhaft unterdrückte Schmerz, das einsame Sorgen und Bangen forderten ihr Recht. Der Baron selbst war erschüttert und hielt sie an sich gedrückt, während er seine Hand auf ihr gebeugtes Haupt legte.
Obschon das Alter ihn verändert hatte, war er doch derselbe feste, entschiedene Mann, sobald ein Anspruch an seine Thatkraft sich erhob. Seine Augen leuchteten hell und scharf unter den weißen Brauen hervor, der lange blaue Ueberrock, fest zugeknöpft, zeigte die aufrechte Haltung der Gestalt, und auch sein Schritt hatte noch die alte Sicherheit, als er die Nichte zu dem Sopha führte, auf dem er sich an ihrer Seite niederließ.
»Sei ruhig armes Weib! Dein Onkel lebt noch!« sagte er.
»Also doch Einer, der mich nicht verläßt!« schluchzte Auguste.
Der Baron drückte ihr tröstend die Hand. »Ich bin seit einer Stunde hier und war bei Erich!« hob er danach an. »Was ich mit ihm zu schlichten habe, das gehört nicht hieher. Dir aber soll geholfen werden!«
»O! ich bedarf der Hülfe sehr!« rief die Pfarrerin flehend.
»Darum kam ich!« entgegnete der Baron. »Kennst du dies Buch!« fragte er und legte ein solches vor Auguste nieder.
Sie schüttelte das Haupt. Es war die eben erst erschienene Arbeit Friedrich's, und so ruhig sie geschrieben war, enthielt sie doch auf jeder Seite Aussprüche, die ihn als einen Gegner der bestehenden Kirche und Verhältnisse bezeichneten.
Auguste nahm das Werk ihres Mannes mit Spannung in die Hand. Die Stellen, welche Friedrich's Gesinnungen am schlagendsten herausstellten, hatte der Baron mit Rothstein angestrichen. Sie las sie erschreckend mit flüchtigem Ueberblick. »Der Unglückselige!« rief sie, »das ruinirt ihn vollends, das ist unser Untergang!«
»Sein Untergang, doch nicht der Deine!« sprach kalt der Baron. »Der Pastor Brand beschuldigt mich in seinem Briefe an Dich, daß ich verwirrend eingegriffen habe in das Schicksal meines Hauses. That ich das, als ich Dir meine Zustimmung zu Deiner Ehe mit ihm gab, – that ich das, als ich dem Grafen St. Brezan verschwieg –« Er hielt inne und sagte dann: »Was ich verwirrt in Deinem Leben, das will ich entwirren. Das Weib eines Atheisten, eines Socialisten sollst Du nicht sein, so lange noch dies Haupt da ist Dir zu rathen, diese Hand stark genug, Dich zu stützen; und Du weißt es selbst, was Du zu thun hast!«
»Was, Onkel! was?« rief Auguste.
»Du forderst Deine Scheidung!«
Auguste sah ihm starr in's Angesicht. »Scheidung?« wiederholte sie, als hätte sie noch nie daran gedacht. Das Wort klang ihr furchtbar, jetzt da sie es von eines Andern Munde hörte.
»Was erstaunst Du?« fragte der Baron. »Hast Du nicht selbst in Deinem Briefe mich gebeten, Deinem Entschluß zu Hülfe zu kommen? Hast Du die Scheidung nicht als notwendig angesehen und meine Ansicht darüber gefordert? Willst Du leben unter der Angst vor jedem Zeitungsblatte, das Deinen Gatten preist, indem es Deine Kränkung heiligt, oder ihn tadelt und vernichtet? Keines Handarbeiters Leben ist unsicher, brodlos, elend, wie das des Literaten! Willst Du, wie Du selbst es richtig nanntest, das Gnadenbrod eines Mannes essen, der es an jedem Tage erst erwerben muß? Willst Du leben vom Ertrag der Poesien, mit denen er Dich und das Weib eines Edelmannes zugleich beleidigt?«
»Nein! Nein! Nein!« rief Auguste, »lieber sterben. Fordere von mir, was Du willst, ich gehorche Dir, Onkel!« –
»So unterzeichne dies Blatt mit Deinem Namen!« sagte er und legte ihr ein Schreiben vor. Sie zögerte.
»Schreibe!« herrschte der Baron. Auguste stand noch an.
»Was soll ich unterzeichnen?« fragte sie.
»Die Vollmacht, die ich mir ausstellte und die mir das Recht giebt, Deine Ehescheidung zu betreiben.«
»Gönne mir Zeit!« bat sie, »laß mich überlegen!«
»Zeit? Bedurftest Du der Zeit, als Du mit Deinem Briefe die Brandfackel in mein Haus geschleudert hast? Bedurftest Du der Ueberlegung, als Du mir zeigtest, was einst Georg, was Erich jetzt gegen Dich verschuldet haben? Als Du von mir verlangtest, gut zu machen, was meine Söhne an Dir sündigten? Ich bin Dein Spielball nicht, Auguste! Du forderst meinen Rath, Du willst gehorchen, sagst Du. So gehorche denn!«
Damit gab er ihr die Feder in die Hand. »Schreibe!« befahl er mit dem kalten Tone, vor dem zu zittern seine ganze Umgebung gewohnt war – und Auguste schrieb.
Ruhig, als wäre hier nicht eine schwere Entscheidung getroffen, faltete er das Blatt zusammen und steckte es in seine Tasche.
Auguste saß regungslos da. Jetzt plötzlich kam es wie eine Erinnerung der Liebe über sie. Ihre Thränen brachen wieder hervor. »Onkel!« bat sie, »übereile Nichts. Du willst mein Wohl, ich weiß es. Ich fühle, ich erkenne Deine Großmuth. Schreibe ihm, sage ihm, wie elend er mich gemacht hat, fordere, daß er Helene niemals wiedersehe, daß er aufhöre für sie zu leben, und ich will –«
»Wahnsinnige! Was verlangst Du? Ich? ich soll ihn bitten, meine Nichte in Gnaden aufzunehmen, meiner Tochter – – Schweig! Die Sache ist zu Ende!«
»Aber was soll aus mir werden?« rief sie endlich.
»Du kommst zu mir. Ich werde für Dich sorgen! Ich werde mit sicherer Hand entwirren, was ich durch Nachgeben verwirrt! Sei unbekümmert!« sagte er, stand auf, nahm seinen Hut und verließ das Gemach.
Wie betäubt blieb Auguste zurück. Sie hatte nicht die Kraft, ihn zu begleiten, nicht die Fähigkeit, ihm zu widersprechen oder zu danken, nur das Gefühl einer herzbeklemmenden Angst war in ihr mächtig.
Als sie sich endlich von ihrem Platze erhob und ruhig im Zimmer auf- und niederging, steigerte sich dieser Zustand nur noch mehr. Sie konnte die Einsamkeit nicht ertragen, sie mußte einen Menschen sehen, von dem Geschehenen sprechen, sollte sie nicht aufschreien in ihrer bittern Pein. Auf das Schloß zu gehen, wagte sie nicht, sie mochte dem Onkel nicht begegnen. Da fielen ihre Augen auf das Pfarrwittwenhaus. In der Stube des Vicar brannte die Lampe. Sie schickte hinüber und ließ ihn zu sich bitten.
Ueberrascht, zu so später Stunde gerufen zu werden, folgte er der Ladung schnell. Als er eintrat, eilte Auguste ihm entgegen.
»Sie retten mich vom Wahnsinn!« rief sie. »Sprechen Sie mit mir, sagen Sie mir irgend etwas, irgend etwas, nur daß ich meine eigenen Gedanken nicht mehr höre!«
Ihre thränenmüden Augen, ihre Blässe und Leidenschaftlichkeit erschreckten ihn. »Was ist geschehen?« fragte er und nahm ihre Hände in die seinen.
»Ich habe meine Scheidung angenommen. Mein Onkel war hier. Ich begehrte sie nicht. Er, er zwang mich zu der Scheidung!« sagte sie mit unverminderter Erregung.
»Gott sei gelobt!« rief der Vicar.
Auguste ließ seine Hand los und sah ihn betroffen an. »Ich durfte es Ihnen nicht rathen – ich nicht!« sagte er und verstummte dann.
Die Pfarrerin schwieg ebenfalls.
»Das ist ein Sterben solche Scheidung!« sagte sie endlich verwirrt, »das ist der Tod! – und was nachher?«
»War's denn ein Leben, ein erwünschtes Leben, das Sie bisher führten? War Adel und Schönheit in dem Bunde Ihrer Ehe?« fragte der Vicar.
»Aber der Mensch soll nicht scheiden, was Gott vereinigt hat!« sprach die Pfarrerin, während ein Schauer der Ehrfurcht durch ihre Glieder flog.
»Das soll er nicht!« sagte der Vicar fest. »War aber Ihre Ehe Gottes Wille? Brachten Sie Beide, wie er es will, einander ein ungetheiltes Herz entgegen? Hegten Sie gleichen Glauben, gleiches Streben? und ist die Ehe heilig, der das fehlt?« – Die Pfarrerin schwieg und wieder entstand eine Pause.
»Wenn ich dies Haus verlassen muß, hat mein Onkel mir das seine angeboten, aber mein Leben bei ihm war stets ein trauriges!« sagte sie zerstreut.
»Ich werde Ihnen dort auch treu zur Seite stehen!« betheuerte der Freund.
»Sie!« sagte Auguste, »Sie sind ja durch Ihr Amt an diesen Ort gefesselt!«
»Heute Mittag habe ich das Anerbieten der zweiten Pfarrerstelle an dem Dome erhalten, und ich denke sie anzunehmen!«
»Welch wunderbare Fügung! rief Auguste.
Der Vicar aber drückte ihr fest die Hand und sagte: »Erinnern Sie sich des Lichtes, das uns neulich so unerwartet aufging, und lassen Sie uns festhalten an dem Wahlspruche der Prinzessin: »Je größer die Noth, je näher Gott!«
»So müßte er mir sehr nahe sein!« meinte die Pfarrerin seufzend, »denn mein Herz ist schwer beladen!«
Sie hatte die Hände gefaltet und die Augen traurig zu dem Freunde gewendet. Das gab ihr einen sanften, milden Ausdruck, der den Vicar bewegte. Seine Blicke ruhten voll Sorge und Liebe auf ihr. Es drängte ihn zu sprechen, aber die Stunde schien ihm nicht dazu gemacht.
Er stand auf und nahm Abschied. Als er in der Thüre war, wendete er um. »Auguste!« bat er, »gehen Sie zur Ruhe, schonen Sie Ihr Leben. Es ist mir theurer, als Sie wissen!« Dann ging er schnell davon.
Die Pfarrerin sah ihm lange nach. Die Gedanken zogen wolkenschnell durch ihren Sinn. Des Onkels Ankunft, die Scheidung von Friedrich, der Blick in die Zukunft, an die sie nie gedacht hatte, das Alles war so plötzlich vor ihr aufgestanden, daß sie es nicht zu übersehen, nicht zu fassen vermochte.
Bald dachte sie an Friedrich, bald an sich selber. Hatte sie ihm bisher die ganze Schuld ihrer unglücklichen Ehe aufgebürdet, so erinnerte sie sich in diesem Augenblick mit wahrer Reue an Alles, was sie gegen ihn versäumt, an die Tage und Jahre, die sie ihm verbittert hatte.
Ja sie würde ihm seine Freiheit gegönnt haben, hätte die Eifersucht gegen Helene sie zur vollen Klarheit kommen lassen, hätte sie sich eingestanden, was die Worte des Vicars in ihr erweckt. Unablässig wiederholte sie sich zu ihrer Rechtfertigung, in welcher Weise der Onkel ihr die Unterschrift abgefordert habe, wie unmöglich es ihr gewesen sei, sie nicht zu leisten, wieviel unmöglicher jetzt eine Aenderung von dem Barone zu erwirken.
»Es ist geschehen!« sagte sie sich, und die Beruhigung, welche eintritt, wenn man vor einer erfüllten Thatsache an ihre Folgen zu denken beginnt, kam allmälig über sie, bis sie, beschäftigt mit den Plänen ihrer Uebersiedlung in die Stadt, fast des Grundes vergessen hatte, der diesen Ortswechsel nothwendig für sie machte.