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Während der Freund und die Geliebte seiner Jugend sich in der Heimath in solcher Weise um ihn sorgten, lebte Friedrich in Rom ein Dasein voll neuer Eindrücke, voll ungeahnter Herrlichkeit.
Mit Eifer hatte er sich der Arbeit hingegeben, aber diese Arbeit war ihm ein Genuß. Je mehr er sich in das Studium der antiken Welt versenkte, um so klarer trat ihm die Umgebung entgegen, in der er sich befand. Je vertrauter er in dem Leben des gegenwärtigen Italiens wurde, um so klarer trat ihm der Sinn und die Bedeutung der alten Poesie und Kunst entgegen, um so besser lernte er das Dauernde, das Ewige in der Menschennatur erkennen und verstehen.
Eines Tages hatte er, wie immer, im Vaticane studirt und kam leichten Schrittes die große Treppe hinab, welche zur Colonnade von Sanct Peter leitet. Dann trat er aus derselben heraus und schaute mit klarem Auge umher, als suche er Jemand, und augenblicklich schwenkte ein Fremder auf der Mitte des Platzes, den Hut, zum Zeichen seiner Anwesenheit. Es war ein junger Mann. Haltung und Kleidung verriethen den Engländer. Er ging schnell auf Friedrich zu, und als dieser ihn entschuldigend fragte, ob er ihn vielleicht zu lange habe warten lassen, entgegnete Richard, denn er war es: »O! nicht allzulange! und in dieser Jahreszeit hält man die Sonne wohl aus. Ich habe übrigens im Vorbeigehen auf der Post nachgefragt und eine Menge Briefe vorgefunden, so daß ich vollauf zu lesen hatte und mir die Zeit nicht lang ward. Auch für Sie ist ein Brief dabei von Erich!«
»Und Sie haben gute Nachrichten erhalten?« fragte Friedrich, indem er den Brief betrachtete, den Jener ihm aushändigte.
»Lauter gute Nachrichten, so weit es die Unsern betrifft. Sie sind Alle wohl, auch Helene ist noch auf dem Schlosse, und sie schickt mir einen Brief für einen Maler Feldheim. Er soll in den nächsten Tagen mit seiner Familie von Neapel eintreffen, um den Winter hier zu verleben. Kennen Sie die Leute zufällig?«
»Sehr genau. Ich freue mich von Herzen ihres Kommens. Aber haben Sie nichts Neues von Georg? Sie sagten mir gestern, daß Sie Nachrichten von ihm erwarteten!«
»Sie sind auch eingetroffen, indeß ist es fast ein reiner Geschäftsbrief. Nur am Ende schreibt er mir, die Tosta sei in London gewesen, habe Furore gemacht, werde zur Saison wiederkommen, und ich darf also hoffen, sie bei meiner Rückkehr dort zu finden. Larssen war mit ihr und soll sich ihr ganz als eine Art von Major Domus geweiht haben. Es ist mir räthselhaft, wie er zu ihr und sie zu ihm gekommen ist!«
»Welche Thorheit von einem Manne seines Alters!« rief Friedrich. »Und grade jetzt, da er sich mühsam eine seinen Anlagen und Bedürfnissen gemäße Existenz gegründet hatte!«
»Es muß aber etwas Eigenthümliches um das Mädchen sein, denn auch Georg war ganz angethan von ihr, als er von Paris zurückkam, und es war offenbar nicht ihre Schönheit, die ihn so gefesselt hatte,« bemerkte Richard.
»Cornelie kann freilich keine gewöhnliche Frau durch so lange Jahre zu ihrem engsten Umgang machen!« gab Friedrich zu, und Richard sagte: »Helene schreibt sehr liebevoll und sehnsüchtig über Cornelie. Sie hat es vergebens versucht, den Onkel mit der Schwester auszusöhnen. Alles, was sie über Cornelie schreibt, ist klug und wahr und gut. Sie hat den Verstand des Herzens!«
Friedrich antwortete nicht darauf, bemerkte aber nach einer Weile: »Man spricht immer von Zaubermitteln, von Wundern! Welch ein Zauber ist es eigentlich, daß solch ein unscheinbar Blättchen Papier uns der nächsten Gegenwart entrückt!«
»Aus Angst vor diesem Zauber,« meinte Richard lachend, »mögen Sie Ihren Brief gar nicht eröffnen, wie es scheint!«
»Ehrlich gestanden, ich fühle etwas der Art!« rief Friedrich. »Hier, wo das goldene Licht der vollen Octobersonne mir das Herz erweitert, hier mag ich nicht daran erinnert werden, daß es irgendwo Herbst ist auf Erden. Inmitten in dieser lebenstrotzenden Vegetation will ich nicht daran denken, daß irgendwo die Blätter fallen, daß Regen und Wind die Luft durchkälten, daß es einen Winter giebt. Ich empfinde, seit ich in Rom aufathmete, als wäre ich zum ersten Male in der Heimath. Ich möchte vergessen, daß ich nicht immer hier lebte, daß ich nicht immer hier leben werde. Ich möchte Alles von mir weisen, was mich in die Vergangenheit zurückruft oder auf die Zukunft hinweist.«
Sie waren während dieser Unterredung rüstig vorwärts gegangen, umwogt von der fröhlichen Menge, welche die Octoberfeste vor das Thor lockten. Ueberall sah man Wagen voll von Männern oder Frauen des Volkes, die singend, Cither spielend und das Tambourin schlagend an ihnen vorüberfuhren. Die Frauen in ihren farbigen Röcken, in den knappen, weitgeöffneten Spencern von schwarzem Sammet, die spitzen Männerhüte mit Bändern und Sträußen geschmückt, Ohren und Hals mit Goldgeschmeide geziert, grüßten mit der schönen Freiheit der Italienerinnen die Vorübergehenden freundlich, und hie und da schallte mit dem Gruße für Richard, ein beifälliger Zuruf für den schönen Fremden herab.
Und einen schönen Mann mußte Jeder ihn nennen, der ihn erblickte, mit dem sichern hochaufgerichteten Gang, mit dem stolzen blauen Auge und dem blonden Lockenhaar, dessen weicher Glanz noch dem Jünglinge anzugehören schien, während die feste Körperhaltung und die Kraft der Glieder die volle Reife des fast dreißigjährigen Mannes verkündeten. Friedrich selbst erfreute sich seiner, wie er ihn neben sich herschreiten sah, in der bequemen Sommertracht, den Nacken nur lose umschlungen von dem seidenen Tuch, den Hemdekragen zurückgeschlagen, sich der Luft zu erfreuen, und jeden Zuruf, jeden Gruß der Römerinnen mit heiterer Entgegnung, mit neckendem Worte erwidernd. Er war ein Bild der ungebrochenen Lebensfülle, und als ein solches bewunderte ihn der Freund.
Plötzlich wendete sich Richard, als eben wieder eine Schöne ihm ihr » che bello forestiere!« zugerufen hatte, mit der Frage an ihn: »Könnten Sie wohl eine solche Italienerin lieben?«
»Alle!« antwortete Friedrich, heiter angeregt durch die ihn umgebende Freude.
»Sonderbar!« meinte der Andere, »diese glänzenden, brennenden Augen, dieses Rabenhaar, all die Farben- und Formenpracht dieser Frauen, so sehr ich ihre Schönheit anerkenne, lassen mich vollkommen kalt!«
»So müssen Sie irgend ein blondes Ideal im Herzen tragen, wenn ich nicht irre werden soll an Ihnen!«
»Auf mein Wort nicht!« versicherte Richard, »aber ich will gern bekennen, daß grade die feurige Schönheit, die Zwanglosigkeit und der Stolz dieser Weiber mich sehnsüchtig machen nach den Frauen des Nordens. Es ist doch mehr Seele, mehr Gemüth, mehr Tiefe in den blauen, sanften Augen, in denen man sich wie in einen Bergsee still versenken kann!«
»Richard! was kommt denn über Sie? Sie werden ja zum Dichter, Sie, der Sie sonst die Schwärmerei so hart verdammen!« scherzte Friedrich. »Nehmen Sie sich in Acht, daß Ihnen heute keine schöne Landsmännin begegnet. Sie sind heut sehr geneigt, in der ersten besten Blondine eine Helene zu sehen!«
Richard lachte und sie traten in eine der Osterien ein, aus denen ihnen der laute Jubel der Volkslust entgegenschallte. Alle Tische und Bänke unter den Veranden und an den Hecken waren von Menschen eingenommen, die beim Weine saßen und den Tanzenden zuschauten. Ohne Musik, nur nach dem Tacte des dumpfschmetternden Tambourin, tanzten Männer und Frauen mit immer steigender Lebhaftigkeit den römischen Saltarello, diesen Tanz liebenden Suchens und Findens. Je sehnsüchtiger die Blicke der Tänzer leuchteten, je begehrender der Jüngling die fliehende Jungfrau einzuholen, je leidenschaftlicher er sich ihr zu nahen, sie sich ihm zu entziehen strebte, um so lauter erschollen der enthusiastische Beifall, das jubelnde Bravo der Zuschauer, bis die Paare, vom Tanze erschöpft, rasteten, oder einer anderen Osterie zueilten, und Brod- Orangen- und Olivenverkäufer Raum gewannen, sich durchzudrängen, um den Trinkenden ihre Waaren anzubieten.
Als die Freunde ankamen, waren alle Tische besetzt, und sie gingen suchend umher, wo sie sich niederlassen könnten, als ihnen der Zuruf eines deutschen Künstlers Plätze an einem Tische anbot, der von einer aus Männern und Frauen bestehenden Gesellschaft eingenommen war. Kaum aber hatte der Zuruf die Uebrigen auf die Kommenden aufmerksam gemacht, als ein älterer Mann sich nach ihnen umwendete, der schnell über die Bank springend auf Friedrich zueilte, von welchem er mit dem Ausrufe: »Sie hier, Feldheim!« freudig begrüßt und umarmt wurde.
Feldheim schwenkte lustig seinen grauen, zusammengedrückten Kalabreser in die Luft und jubelte: »Das ist ja die wahrhaftige Allegria! Weib! Gretchen! da ist der Candidat, da ist der Brand, da ist der Pastor, der liebe Mensch!« Dabei küßte und umarmte er ihn nochmals, und auch Frau Feldheim und die Tochter kamen freudig heran, den alten Bekannten willkommen zu heißen. Aber fast erschreckend trat Friedrich vor der Schönheit des jungen Mädchens zurück.
»Sind Sie das wirklich, Gretchen?« fragte er überrascht, und sah die Jungfrau mit so unverhohlenem Entzücken an, daß sie erröthend die Augen abwendete, und die Eltern sich lächelnd seines Wohlgefallens an ihr freuten.
»Ja!« meinte Feldheim, »sie ist's wirklich und wahrhaftig, und mir und ihrer Mutter, so gut das Mädel ist, doch ein starkes memento mori! Wir werden alt, mein lieber Freund!«
Indeß grade Feldheim und seine Frau schienen eine Ausnahme von der Regel zu machen, denn Beide waren vollkommen unverändert, die Mutter in ihrer still verständigen Weise, der Vater in der vollen Frische seines gesunden Humors. Alle Theile betrachteten die unerwartete Begegnung als einen sicheren Gewinn, und Richard sagte, nachdem Friedrich ihn den Freunden vorgestellt, daß sie die Ankunft der Feldheim'schen Familie nach den Briefen der Gräfin so bald noch nicht erwartet hätten.
»Ich wollte auch noch in Neapel bleiben,« bestätigte der Maler, »aber wie dem Mephisto die Walpurgisnacht in allen Gliedern spukt, so geht es mir mit den Octoberfesten, bin ich fern von Rom. Der verdammte Saltarello kam mir seit Tagen nicht aus dem Sinn! Nachts träumte ich mich hier vor Porta Angelica. Ich sah die Tanzenden, ich fühlte die ganze allgemeine Allegria, es ließ mir keine Ruh. Was man so beinahe an die zwanzig Jahre mitgemacht, das kann man nicht entbehren. Ich mußte von Neapel fort nach Rom. Und da meine Alte mich nun auch schon an die zwanzig Jahre gewohnt worden ist, konnte sie mich eben so wenig entbehren, wie Gretchen die Mama. Da fanden wir uns denn gestern eben wieder, ohne recht zu wissen, wie wir hergekommen waren, hier in Rom, in unserer alten, lieben Wohnung, und die Navicella plätscherte uns ihr funkelndes Willkommen entgegen!«
Er rieb sich dabei seelenfroh die Hände, man rückte an dem Tische näher zusammen, ein Brett über ein Paar leere Fäßchen gelegt, bot gleich neue Sitzplätze dar, und schon nach wenig Minuten fühlten Friedrich und Richard sich heimisch in dem Künstlerkreise. Die Stunden entflohen schnell, die Sonne sank, lange ehe die allgemeine Festluft sich genug gethan hatte. Lachend und scherzend brachen endlich auch die Künstler auf, den singenden und tanzenden Römern in die Stadt und von Osterie zu Osterie zu folgen, um die Freude auszukosten.
Als Friedrich nach dem Feste spät am Abende in seiner Wohnung anlangte, als die stattliche Wirthin ihm die felicissima notte wünschte, und ihm die vierarmige römische Lampe auf den Tisch setzte, der, hell vom Strahl des Mondes beleuchtet, am offenen Fenster stand, während der Duft der Orangenblüthen aus dem Garten sein Zimmer erfüllte, athmete er tief auf vor Freude.
»Und das Alles mein!« dachte er, zündete Kerzen an vor der Marmorbüste des Belvedere'schen Apollo, welche Richard ihm geschenkt hatte, und setzte sich in dem Sessel am Fenster nieder, seines Besitzes und der glücklichen Gegenwart zu genießen.
Eine selige Ruhe war in ihm. Was er erlangt, hatte er fast Alles selbst errungen. Das gab ihm Glauben an sich und ein Gefühl der Sicherheit für seine Zukunft. Er hatte sich nicht getäuscht in den Erwartungen, die er sich von Rom gemacht. Schon jetzt nach wenig Monaten war es ihm ein Lehrer und ein Tröster geworden, wie er ihn nie zuvor gekannt. In langsamem Ueberblick ließ er seinen ganzen Entwicklungsgang an seinem innern Auge vorübergleiten, und wie man von dem Gipfel eines Berges, froh der überstandenen Mühe, froh der eigenen Kraft, in's Thal hinabschaut, so sah er in die Vergangenheit zurück, so schienen ihm aus der Entfernung alle Unebenheiten des Weges verschwunden zu sein. Wie ein stilles Thal lag sein Leben vor ihm. Kein Wehschrei, kein Schmerz, keine Kämpfe aus seinem vergangenen Dasein berührten ihn mehr. Was ihm Schweres, was ihm Gutes geworden, hatte sich eingefügt zu einem Bilde, das zu betrachten seinem Herzen wohl that. Selbst der Hinblick auf seine Ehe störte ihm den Frieden nicht. Die Entfernung wirkte auch hier mildernd und versöhnend. Ohne sich Rechenschaft darüber zu geben, ob und wie diese Seite seines Lebens sich einst befriedigend gestalten könne, überließ er sich der Ueberzeugung, daß auch hier sich das Nothwendige für ihn entwickeln werde, wenn er daran festhalte, wie bisher, dem Gotte in der eigenen Brust zu folgen.
In dieser Stimmung zog er den Brief hervor, den Richard ihm gegeben; aber kaum hatte er das Couvert erbrochen und die Blätter entfaltet, als eine plötzliche Bewegung über seine Züge glitt. Er wußte nicht, war es ein Schrecken, war es Ueberraschung oder Freude, mit der er auf den Brief in seinen Händen blickte.
Seit langen, langen Jahren hatte er die Handschrift nicht wieder gesehen, und doch kannte er sie wohl, doch kannte er das kleine Siegel. Was konnte sie ihm wollen? Was wollte sie ihm in dieser Stunde, da er so friedensvoll abgeschlossen hatte mit seinem Schicksalsloose?
Eine Art von Scheu überkam ihn. Es war ihm, als solle er einen Todten beschwören, als sei es Vermessenheit, die untergegangene Zeit lebendig in das Leben einzuführen, und doch zog es ihn, das Blatt zu lesen.
Er trat zu dem Tische, setzte sich nieder, schnitt den leichten Umschlag auf, und las wie folgt:
»Werden Sie sich wundern, wird es Ihnen willkommen sein, meine Handschrift nach so langen Jahren wieder zu sehen? Ich weiß es nicht. Das aber weiß ich, daß Nichts in unserm Leben uns verloren sein soll, daß jedes Ereigniß seine fortwirkende Kraft für uns behält, und daß Nichts und Niemand uns vergebens auf dem Wege begegnet, den wir zu durchwallen haben.
Oft, wenn ich in die Tage meiner Jugend zurückblickte, habe ich gefühlt, daß auch wir uns nicht vergebens gefunden haben können, daß das Leben eine andere Lösung für den schuldlosen Einklang unserer Herzen haben müsse, als die grelle Dissonanz, mit der wir schieden. Und doch habe ich es nicht gewagt, nach diesem sanfteren Abschlusse zu streben. Das Streben des Menschen wird so selten von dem rechten Glück belohnt, weil er dafür den rechten Augenblick nicht zu finden versteht. Wir verfrühen und verspäten so Vieles, kurzsichtig wie wir sind und von täuschender Leidenschaft geblendet!
Indeß jetzt, da das Schicksal mich in die theure Heimath zurückführt, da Erich selbst mir das Bild des unvergessenen Jugendfreundes mit aller Wärme seiner Freundschaft nahe bringt, da drängt es mich, zu versuchen, ob wir einander denn verloren sein müssen? ob ich mir nicht aus jenen glücklichen Tagen, aus jener friedensvollen Zeit, einen Freund erretten könne, den ich zu schätzen und hoch zu halten um so weniger verlernen konnte, als er der Einzige gewesen ist, dem ich nur Liebe, nur Gutes zu verdanken habe, und dem ich das Höchste schulde, den Glauben an ein sittliches Ideal – wenn schon ich selbst es nicht zu erreichen vermochte!«
Die letzten Worte waren ausgestrichen, dann aber wieder hingeschrieben, und zwar mit einer Handschrift, der man es ansah, daß sich die Gräfin dazu gezwungen hatte, denn die Lettern waren groß und mit schneller Entschiedenheit auf das Papier geworfen.
»Ruhig und still nach manchem schweren Kampfe, so trete ich zu Ihnen und biete Ihnen nach langer Trennung die Hand zu neuem Leben. Ihr Dasein wie das meine ist gefesselt, aber es giebt eine Freiheit, die man uns nicht rauben kann, die tröstliche Freiheit, liebend Antheil zu nehmen an den Menschen, die man verehrt. Gönnen Sie sie mir, mein Freund! diese Theilnahme an Ihrem Leben und denken Sie, daß ich irren, fehlen, unglücklich, sehr unglücklich werden konnte, ohne daß Sie es bereuen dürfen, mir einst Ihre Neigung geweiht zu haben, mir jetzt Ihre Freundschaft zu gewähren.«
Möge Italien, das Land der Schönheit, das ich als meine zweite Heimath liebe, Ihnen seines Segens reichste Fülle spenden! Das wünsch' ich Ihnen von Herzen.
Helene.«
Friedrich hatte den Brief lange beendet, als er noch immer das Blatt in seinen Händen hielt und sinnend auf den Namen der einst so heiß Geliebten blickte. Welche Stürme mußten über sie ergangen sein, die Lebensvolle zu dieser Resignation zu bringen, die Leidenschaft, welche einst in ihr getobt, zu dieser sanften Trauer umzustimmen, die ihm das Herz zerschnitt. Er sah sie vor sich, wie in jener Nacht ihres Scheidens, in der Schönheit ihrer Jugend, in der Verzweiflung ihres Herzens. »O! hätte ich sie gehalten!« rief er aus, »hätte ich sie mir zu erhalten gewußt!« und bittere Wehmuth feuchtete seinen Blick, aber er zerdrückte die Thräne, die ihn trüben wollte.
Er empfand Zorn darüber, aus seinem Gleichmuth, aus seiner betrachtenden Ruhe herausgerissen zu sein, er wünschte, die Gräfin hätte sich nicht an ihn gewendet – und doch klopfte sein Herz mit aufwallender Freude, doch fühlte er, daß, wie Helene es nannte, Nichts in unserem Leben uns verloren gehen soll!
Jetzt schmerzte es ihn, daß er aus Scheu, sich ihr Bild zu zerstören, es stets vermieden hatte, die näheren Umstände ihres Schicksals zu erfahren. Er hätte sie wissen mögen, um der Gräfin ein Trost zu sein. Er hätte sie kennen mögen aus – er mußte es sich gestehen – aus eifersüchtigem Hasse. Wer waren die Männer gewesen, die sie geliebt? Wer konnte so elend gewesen sein, dies sanfte Weib zu verlassen, zu quälen, wenn er von ihr geliebt ward?
Er setzte sich nieder, ihr zu schreiben, und unterließ es dennoch. »Was soll ich ihr sagen?« rief er und schalt sich zugleich, daß er überlegte, daß er nicht dem Drange seines Herzens folgte und es ihr aussprach, wie unvergessen, wie geliebt sie fortlebte in ihm. Er hätte Alles darum gegeben, hätte er sie jetzt nur einen Augenblick sehen, nur ein Bild von ihr betrachten können. Und was hinderte ihn, aufzubrechen, zu ihr zu eilen, zu ihr die ihn rief? War er doch Herr seines Willens, seiner Zeit! Wenn er nicht zögerte, konnte er sie noch erreichen, da sie, wie er von Richard wußte, noch mehrere Wochen in dem Vaterhause bleiben wollte. Er malte sich es aus, wie er ankommen, wie er das Schloß, das Dorf erblicken, wie er am Pfarrhause vorüberfahren würde – am Pfarrhause!
Er schrak zusammen. »Werde ich nie verlernen, jung zu sein?« fragte er sich und hatte keine Antwort für diese Frage.
Es war tief in der Nacht. Seine Stirne brannte, er trat an's Fenster. Unten im Garten plätscherte eine der ältesten Fontainen Roms gleichmäßig herabfallend in ihr antikes Becken nieder, in dessen Fluth die Mondesstrahlen sich brachen. Unverwandten Auges sah er dem Spiele des Lichtes und des Wassers zu, das, immer wechselnd, doch stets dasselbe blieb, schwermüthig hörte er das sanfte Rauschen, das schon so vielen vorübergegangenen Geschlechtern seinen Zauber in die Seele gesenkt. »Wie vielen Herzen hat Dein Schall gerauscht, wie vielen Herzen wird Dein Schall noch rauschen!« sagte er sinnend und versank in träumende Gedanken, die er nicht zu verbannen vermochte, nicht festzuhalten wünschte, und die sich als Gaukelbilder hinüber spannen bis in seinen Schlaf.
Am Morgen, als der Tag klar und klug in seine Fenster leuchtete, war er geneigt, das ganze Erlebniß für einen Traum zu halten, aber der Brief der Gräfin lag vor seinen Augen, und die Erregung der Nacht klang noch immer in ihm nach. Seinen Gedanken eine andere Richtung zu geben, las er die Briefe seiner Frau und seines Freundes. Erich bekannte ihm offen die doppelte Absicht, welche er gehegt, als er Helene aufgefordert hatte, dem Freunde zu schreiben. Er schilderte ihm den Zustand ihres Herzens und berichtete dann, wie wohlthuend für ihn selbst der Schwester Umgang geworden sei, wie er sich verjüngt fühle durch die Jugend ihrer Seele. Auch von Geschäften, von dem stellvertretenden Candidaten, von den Angelegenheiten der Dorfbewohner war die Rede, und überall glaubte Friedrich in Erich's Aeußerungen den milden Sinn der Gräfin von günstigem Einfluß zu finden.
Anders aber lautete Augustens Urtheil über Helene. Sie rügte die Eitelkeit derselben, die sich in jugendlicher Tracht gefalle. Sie sprach von der klugen Berechnung der Gräfin, die den Charakter der Demuth und der Buße annehme, um dem Tadel zu entgehen, »und,« schrieb sie schließlich, »ich glaube, sie bedauert es noch heute, daß Du nicht hier bist, weil sie nicht genug hat an der Bewunderung Eines Mannes, an Erich's blinder Liebe und an seiner abgöttischen Verehrung. Du aber kannst wohl froh sein, daß Du fern bist, daß Du nicht zu sehen brauchst, was das Leben aus dieser Frau gemacht hat, und wie schwach Erich ist, dessen Grundsätze sie durch und durch erschüttert. Auch zählt die gute Sidonie die Tage bis zur Abreise ihrer Schwägerin, wie ich die Stunden bis zu Deiner Rückkehr. Was auch an mir auszusetzen sein mag, so wird es schließlich doch wohl besser für Dich sein, daß eine treue Hausfrau Dein geduldig in dem stillen Häuschen wartet, als wenn diese herzensunersättliche, eroberungslustige Helene Dir zu Theil geworden wäre. Gott weiß es schon am besten, was dem Menschen frommt! An dem trefflichen jungen Manne aber, an Deinem Stellvertreter, sehen wir, Sidonie und ich, es recht, welch ein Glück hier in der Begrenzung unserer Verhältnisse selbst für den zu finden ist, der, wie der Vicar, sich in den größten Zirkeln bewegt hat, vorausgesetzt, daß er sich zu bescheiden weiß. Die Gemeinde und wir Alle sind wohl mit ihm zufrieden. Du kannst in diesem Punkte unbesorgt nach Hause denken.«
Friedrich warf den Brief unmuthig zur Seite. Er glaubte der Schilderung nicht, welche seine Frau ihm von der Gräfin machte, und doch verstimmte sie ihn in solchem Grade, daß der eintretende Feldheim ihn fragen konnte, ob ihm etwas Unangenehmes widerfahren sei? Kaum aber hatte der Maler die Papiere auf dem Tische erblickt, als er hell lachend ausrief: »Sie haben Briefe bekommen! ja freilich, das ist immer eine Calamität! Jeder Brief aus Norden bringt uns ja mit dem Gepräge, jenes verengten, stumpfen Lebens eine Kälte und ein Unbehagen in das Haus, die viel schlimmer sind, als eine brave Tramontana. Folgen Sie meinem Rathe: verbitten Sie sich alle Briefe, so lange Sie in Italien sind!«
Erheitert durch des alten Freundes immer gleiche gute Laune, sagte Friedrich: »Etwas von diesem Gedanken habe ich in der That schon mehrmals gefühlt, seit ich hier lebe. Rom fordert den ganzen Menschen, seine ganze Kraft, seine ganze Liebe, und oft genug habe ich mich auf dem Wunsche betroffen, vergessen zu werden von den Meinen und sie vergessen zu können, um mich ungetheilt dem Leben in Italien und der Freude an Rom zu überlassen!«
»Der Wunsch ist nur zu richtig!« bekräftigte der Maler. »Rom darf und muß den ganzen Menschen fordern, weil es mehr zu gewähren hat, als der Einzelne erfassen kann! Sie sollen es noch kennen lernen, wenn Sie erst hier heimisch sein werden! Jetzt aber lassen Sie uns gehen!«
Er trieb damit den Freund zum Aufbruche an, da man verabredet hatte, die Antikensammlung des Vaticans zu besuchen. Als sie aber die Via Sistina durchwandert hatten und die spanische Treppe hinabstiegen, bat der Maler, Friedrich möge ihm für wenig Augenblicke in sein Studio folgen. »Ich habe einen Menschen dort,« sagte er, »der mir ein in Neapel begonnenes Bild auf den Blendrahmen spannen soll, und das läßt mir keine Ruhe!«
Friedrich war gern bereit, ihm zu folgen. Nach wenig Augenblicken hatten sie das Atelier erreicht. Man konnte es bemerken, daß der Künstler eben erst angekommen war. In allen Ecken standen die Bilderkisten noch umher, Stroh und Stricke bedeckten den Boden, die Staffeleien lehnten zusammengeschlagen in dem dunkelsten Winkel und halb untermalte Bilder und Skizzen waren gegen die Wände gestützt.
Während der Maler mit seinem Arbeiter verhandelte, versuchte Friedrich aus dem Wirrwarr eine oder die andere Farbenskizze hervorzuziehen und zu betrachten. Feldheim sah das und rief: »Was wollen Sie denn mit den Sudeleien? Die Kisten sind ja schon offen, nehmen Sie nur die Deckel herunter, da haben Sie doch Etwas für Ihre Mühe!«
Friedrich ließ sich das nicht vergebens sagen. Er trat an die nächste Kiste heran, die vor ihm gegen die Mauer gestützt war, hob den Deckel fort, und blieb wie verzaubert vor dem Bilde stehen.
Es war Helene!
Aber dies sanfte, traurige Gesicht, diese braunen Augen, auf deren langen Wimpern der feuchte Schmelz vergossener Thränen noch zu glänzen schien, das freundliche und doch so melancholische Lächeln dieses Mundes, wie anders sprachen sie zu seinem Herzen, als das stolze Abbild der königlich geschmückten Gräfin im Schlosse ihres Vaters! Diese Augen hatten einst so thränenfeucht zu ihm emporgesehen, diesen süßen Mund hatte er einst in leidenschaftlichem Schmerze geküßt, diese Züge verriethen und bestätigten die ganze Wahrheit des Briefes, der ihn so tief erschüttert hatte.
Er konnte die Blicke nicht abwenden von diesen Augen. Zum zweiten Male trat ihm das Bild Helenens in so unerwarteter Weise entgegen, und wieder war es Feldheim, der es in seine Nähe brachte.
Der Maler gewann dadurch etwas Dämonisches für ihn, und dieser Eindruck steigerte sich, als er an Friedrich herantretend mit Selbstgenügen ausrief: »Ja! sehen Sie sich's nur recht an! Diese Gräfin, wie sie hier vor uns steht, die ist mein Eigenthum!«
»Ihr Eigenthum?« fragte Friedrich zerstreut.
»Zuverlässig!« versicherte der Maler. »Denn so hat Niemand sie gemalt! Es gehört auch Courage dazu, es in sich festzuhalten, daß so viel Schönheit, so viel Güte, daß solch ein Engel von einem Weibe verloren gehen soll, weil sie keinen Mann gefunden, der sie durch seine Liebe vor dem liebefordernden eigenen Frauenherzen zu bewahren gewußt hat. Wäre ich jung und frei, die sollte nicht mehr weinen!«
Friedrich antwortete nicht. Er sah unverwandt auf das Bild, und wie in einem bösen Traume fuhr er empor, als der Maler die Kiste aufhob und sie gleichgültig in einer Ecke des Ateliers gegen die Mauer lehnte.
Die Statuen des Vaticans, die Erklärungen des kunstverständigen Malers waren für Friedrich verloren an dem Tage.
»Sie geht zu Grunde, weil sie keinen Mann gefunden hat, der sie vor sich selbst zu schützen wußte!« rief es immerfort in ihm. Er, er allein trug die Schuld ihres verfehlten Lebens. Er war der Verblendete, der sich von elenden Vorurtheilen, von noch elenderen Nahrungssorgen zu einer Resignation hatte verleiten lassen, welche auf die Geliebte zurückgefallen war. Wie oft mochte sie ihn angeklagt haben in ihrem Herzen, denn sie hatte ihn ja nicht vergessen, und doch enthielt ihr Brief kein Wort des Vorwurfs, doch glaubte sie noch an ihn, hoffte sie noch Trost von seiner Freundschaft.
»Wäre ich frei!« das war der Gedanke, der ihn nicht zur Ruhe kommen ließ, vor dem der Gleichmuth, dessen er noch am vorigen Tage so froh gewesen war, sich in die heftigste Erregung verwandelte. Er konnte es nicht ertragen in der Gesellschaft seiner Freunde, er mußte fort, nach Hause, in die Einsamkeit, zu ihr.
Den ganzen Tag verbrachte er am Schreibtisch. Was er sich seit lange nicht mehr gestanden hatte, was er selbst in sich begraben glaubte, das sprach er vor ihr aus. Er gab ihr ein Bild seines ganzen Lebens seit der Stunde ihrer Trennung. Er sagte ihr, wie unvergeßlich, wie unvergleichlich sie ihm geblieben sei. Er verbarg ihr nichts, nicht das Unglück seiner Ehe, nicht den Vorsatz, unter keinem Verhältnisse in sein Amt zurückzukehren.
»Und nun Sie Alles wissen,« sagte er ihr, »nun Sie mich kennen, wie ich selbst mich kenne, nun werden Sie mich nicht von sich weisen, wenn ich mich Ihnen angelobe für alle Zukunft, wenn ich Sie beschwöre, auf mich zu zählen, als auf einen Menschen, der fortan Ihr eigen ist.
Meine Ehe läßt mich frei. Was Sie von mir begehren, was ich Ihnen darbringe, theure Gräfin, diese verehrende Freundschaft, diese teilnehmende Huldigung, die hat Auguste nie von mir besessen, nie von mir zu fordern vermocht. Es würde sie beängstigen, solchen Empfindungen entsprechen zu müssen, wie Ihr bloßes Dasein sie gebietet. Ich werde ihr besser genügen, wenn ich nicht mehr vermissen und entbehren muß, was sie nicht zu geben hat. Und indem ich so den äußern Frieden meiner Ehe sichere, gönnen Sie mir den Trost, so weit es in meiner Macht steht, die schwere Schuld zu sühnen, deren Ihr Schicksal mich anklagt!
Unsere Trennung war ein Irrthum unserer Herzen, unserer Jugend. Unser Wiederfinden danke ich Ihnen, Ihrer Einsicht, Ihrer Güte. So überlassen Sie es mir, den heiligen Schatz zu wahren, den Sie mit Ihrem Vertrauen, mit Ihrer Freundschaft in meine Hände legen. Der Jüngling ließ sich die Geliebte rauben, der Mann wird sich die Freundin zu verdienen, zu erhalten wissen!«
Er siegelte den Brief, sobald er ihn beendet hatte, und trug ihn nach der Post. Als er ihn hinter dem Gitter des Beamten in den Postkasten fallen und verschwinden sah, ward er ruhiger.
Es war viel Leben auf der Piazza Colonna vor dem Postgebäude, das lockte ihn, und stieß ihn doch eben so schnell wieder zurück. Was hatte er mit diesen Menschen gemein? was konnte er von ihnen wollen, was erwarten? Er besaß ja Alles, mehr als er je noch zu hoffen wagen durfte. Der Gedanke, dem Maler, den Freunden zu begegnen, war ihm zur Last. Er sehnte sich nach Einsamkeit, und schnell entschieden, eilte er zurück zur Post, eine Karte für den Corriere zu lösen, der früh am andern Tage nach Neapel fahren sollte, und mit dem er in das Albaner Gebirge zu gehen beschloß.