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Neuntes Kapitel.

Kaum verbreitete sich die Nachricht im Dorfe, daß der Pfarrer eine lange Reise antreten wolle, als ein allgemeines Bedauern darüber laut ward. Wer nur irgend ein Anliegen erdenken konnte, das ihn berechtigte, nach der Pfarre zu gehen, nahm es wahr, um aus Friedrich's eigenem Munde die Bestätigung seines Vorhabens zu vernehmen, denn Niemand wollte daran glauben.

Selbst diejenigen unter der Gemeinde, welche mit seinen Predigten nicht recht zufrieden gewesen waren, schienen das jetzt vergessen zu haben, und nur an den Werth desjenigen zu denken, was der Pastor ihnen sonst geleistet hatte. Nicht ein Haus war im Dorfe, in dem man sich nicht seiner verständigen Hülfe, seines werkthätigen Rathes zu erinnern gehabt hätte. Ueberall sprach man es aus, daß die Förderung des Wohlstandes, deren man sich erfreute, hauptsächlich dem Pfarrer zuzuschreiben sei, der durch sein Beispiel viel zur vernünftigen Behandlung der kleinen Acker- und Gartenwirthschaft beigetragen, und durch seine Anleitung eine kleine Industrie eingeführt hatte, welche sich durchweg erfolgreich zeigte.

Von allen Seiten erging die Frage, wann er reisen, wann er wiederkommen werde? und obschon er versicherte, daß die Zeit seines Fortgehens noch unbestimmt sei, da sie von der Entscheidung der Behörden abhänge, sah er sich unablässig von Leuten umgeben, die sich für die Dauer seiner Abwesenheit Raths bei ihm zu erholen wünschten.

Gewohnt, diese Art der Thätigkeit für die Dorfbewohner als eine seiner natürlichsten Pflichten anzusehen, hatte Friedrich allmählich den Maßstab für ihren Werth verloren; und wie es zu geschehen pflegte, hatte er geglaubt, Nichts geleistet, Nichts erreicht zu haben, weil er nicht Alles zu leisten und zu erreichen vermocht, was er erstrebte. Jetzt, da sich ihm thatsächlich die Ueberzeugung aufdrängte, daß er den Bedürfnissen der Gemeinde entsprochen habe, wenn schon er selbst sich nicht genug gethan, jetzt gewann diese praktische Seite seines Berufes in seinen Augen wieder die alte, hohe Bedeutung. Unwillkürlich mußte er sich immer und immer wieder die Frage vorlegen, welche Erich an ihn gethan, ob er ein Recht habe, sein Amt aufzugeben, so lange er für die Bildung und den Wohlstand der Gemeinde nützlich zu sein vermöge? Indeß diese Zweifel schwanden, wenn er als Geistlicher aufzutreten hatte.

So oft er den Talar anlegte, um sich in der conventionellen Glorie des Priesteramtes als einen Mittler zwischen seinen Mitmenschen und dem Höchsten darzustellen, überkam ihn das beängstigende Gefühl der Unwahrheit. Es erhob ihn, in einfachem Verkehr als Lehrer und Berather der Gemeinde zu wirken, aber er fühlte sich gedemüthigt, wenn er genöthigt war, eine besondere priesterliche Würde und Inspiration für sich in Anspruch zu nehmen. Er vermochte nicht mehr als Priester eines Gottes, den er nicht mehr glaubte, Sacramente zu verrichten, die für ihn kaum noch eine symbolische Bedeutung hatten.

In dieser Verfassung sah er die ersten Tage des Sommers an sich vorübergehen, ehe ein Stellvertreter ihm ernannt ward, und obschon er dessen Ankunft lebhaft wünschte, fing er doch an, der Scheidestunde mit Bangen zu gedenken, wenn er auf seine Mutter und auf Auguste blickte.

Jetzt, da sie ihn für lange Zeit entbehren sollte, schien diese Letztere plötzlich zu begreifen, welch ein Glück sie in der Ehe mit einem Manne hätte finden können, der, wie Friedrich, das Leben mit seinem Idealismus verklärte.

Die rastlose Haushaltssorge, in der sie sich sonst zersplittert, ruhte jetzt. Sie hatte Muße für Friedrich, ihre Fürsorge, ihr Bestreben, ihm zu gefallen, bewiesen, wie sehr sie ihn zu halten wünschte, und schnell gewinnbar, wie alle liebebedürftigen Naturen, verbarg er es ihr nicht, wie wohl er sich in diesem Augenblicke neben ihr befinde.

»Und wer zwingt uns, uns zu trennen?« fragte sie ihn, als sie eines Abends unter dem Vordache ihres Hauses saßen, und Friedrich sinnend den Garten überblickte, der, vom Dufte der Lindenblüthen erfüllt, im hellen Mondlicht schwamm. »Wer zwingt uns, von einander zu gehen?« wiederholte sie.

»Dein eigener Wille!« antwortete er ihr. »Ich wollte Dich mit mir nehmen, Du – –«

Sie ließ ihn nicht enden. Mit einer Anwandlung jener Koketterie, die ihr einst zur Natur geworden war, lehnte sie sich an ihn. »Kann die Welt an anderem Orte noch schöner sein, als diese Gegend heute, so – – möchte ich sie auch wohl kennen lernen!« sagte sie.

Friedrich war erstaunt. »Du willst mit mir gehen?« fragte er.

»Wenn Du mich noch haben willst?«

»Und Dir bangt nicht davor, daß Du am Morgen nicht wissen wirst, wo Dein Haupt am Abend ruhen soll? Du fürchtest nicht mehr die Unsicherheit unserer Zukunft?«

Sie hielt ihm den Mund zu. »Der Abend ist so schön, die Welt so zaubervoll, sprich nicht so garstige Dinge!« bat sie schmeichelnd, indem sie ihn umarmte.

»Aber Deine Einwendungen –«

»Sind jetzt nicht mehr der Rede werth!« unterbrach sie ihn. »Denkt denn der Vogel, wenn das Feld voll Aehren steht, an die kurzen Tage des Winters? Es ist Sommer, laß uns in die Welt gehen und das Leben genießen!«

Kein Mann widersteht der Hingebung und der Zärtlichkeit einer Frau, von der er Gleichgültigkeit erfahren hat. Friedrich war hingerissen. Die Ueberraschung raubte ihm Nachdenken und Ueberlegung, und Auguste fühlte sich befriedigt und erheitert durch den Eindruck, den sie ihrem Manne machte. Der Abend verging in Reiseplanen.

Indeß schon der folgende Tag hielt nicht, was der entschwundene verheißen. Hatte Auguste in jenen guten Stunden einzig an die Genüsse der Reise gedacht, so rief der Morgen alle ihre sonst gemachten Einwendungen wach. Sie erinnerte sich der Vortheile, welche sie selbst von ihrem Zurückbleiben erwartet, sie dachte an Erich's und Sidoniens Ansicht, und wie sie am Abende voll von Reiselust gewesen war, so verdoppelte sie jetzt ihre Vorstellungen gegen ihr eigenes Mitgehen, und bot noch einmal alle ihre Mittel auf, Friedrich selbst zurückzuhalten.

Zärtlichkeit und Schmollen, Gründe der Vernunft und Bitten der Liebe, Vorwürfe, Beschwörungen, Thränen bestürmten ihn ohne Unterlaß. Sie wollte ihn nicht einsam ziehen lassen, ihn nicht begleiten. Alle Versuche, sie zu beruhigen, sie zu einem Entschlusse zu bringen, blieben ohne Erfolg. Weder Friedrich noch ihre Verwandten wußten sich die plötzliche Ueberreizung zu erklären. Niemand begriff, daß der Gedanke an die Trennung Augustens Liebe für ihren Mann erweckt hatte, und daß mit dieser spät erwachten Liebe eine leidenschaftliche Eifersucht in ihr aufgelodert war, während die Berechnung und die Sorge für die äußeren Bedingungen des Lebens ihren Sinn bereits so gewaltig eingeengt hatten, daß selbst ihre Eifersucht und Liebe sie nicht mehr zu besiegen vermochten. Ihre ganze Umgebung hatte von diesem Zwiespalte zu leiden, vor Allen aber Friedrich. Denn mit fremder Unklarheit zu kämpfen, wenn man seiner ganzen Sammlung nöthig hat, den rechten Weg für sich zu finden, das lähmt die Kraft des Stärksten.

Mitten in dieser Verwirrung fing der Gesundheitszustand der Meisterin an, bedenklich zu werden. Ohne daß sie krank war, hatten ihre Kräfte abgenommen, und schon im Frühjahr war sie häufig nicht im Stande gewesen, ihr Lager zu verlassen. Aber gewohnt, sich und ihre Wünsche nicht hoch anzuschlagen, hatte sie es immer zurückgewiesen, wenn Auguste der Mutter Uebelbefinden als einen Grund benutzen wollte, Friedrich von seiner Reise abzuhalten. Jetzt indessen, da sich zu der Abspannung Fieberanfälle gesellten, mochte der Sohn selbst nicht daran denken, die Mutter zu verlassen, und mit zufriedener Miene trat Auguste eines Abends mit ihm in das Stübchen der Meisterin, ihr zu erzählen, daß Friedrich seine Abreise noch aufgeschoben habe und noch einige Wochen bleiben werde, obschon sein Stellvertreter nun in den nächsten Tagen endlich komme.

Die Meisterin hörte ihr zu und schüttelte bedenklich das Haupt. »Kinder!« sagte sie, »das will mir nicht in den Sinn. Aufgeschoben aufgehoben! Er hat sich's sein Leben lang gewünscht, worauf soll er denn warten?«

»Auf Ihr besseres Befinden, Mutter!« meinte Auguste. »Er hätte doch keine Ruhe, wenn er an Sie dächte.«

»Ich bin ja gar nicht krank!« versicherte die Meisterin. »Es ist nur, weil ich's grade haben kann. Ich bin nicht so schwach!«

Sie wollte sich bei den Worten aufrichten, aber die Glieder versagten ihr den Dienst. Der Sohn hob sie empor, während Auguste ihr die Kissen zurecht rückte, und ein kleines Mädchen, das man ihr zur Bedienung gegeben hatte, ihr die Decken ordnete.

Als das geschehen war, und sie nun da saß in der saubern Jacke von geblümtem Kattun, die weiße Haube fest anliegend an dem schmalen, bleichen Gesichte, blickte sie heiter in dem reinlichen Stübchen umher und sagte lächelnd: »Mir geht's wie dem Caro! ich hab's zu gut!«

»Was soll das heißen?« fragte Auguste.

»Ach!« bedeutete die Meisterin, »Sie können das nicht wissen, Augustchen! der Fritz aber wird es schon verstehen.« Dann machte sie eine kleine Pause und fuhr fort: »Es war der Hund von unserem Nachbar Seifensieder, ein gutes Thier und sehr geduldig. Von Morgen bis spät Abends ging er vor dem Wasserwagen, bis der Nachbar starb. Frau und Kinder hatte der Nachbar nicht, sein Hab und Gut kam an seine Anverwandten, die es auch bald nahmen. Aber den Caro, das arme Thier, den wollte Keiner. Von früh bis spät hörte man ihn heulen und winseln, wie Alles weggeschafft war und Thür und Laden zugemacht wurden, und am andern Morgen brachte der Fritz, der damals noch ganz klein war, ihn mit in's Haus, und da ist er denn auch geblieben!«

Sie brach ab, suchte nach ihrem Taschentuch umher und trocknete sich den Schweiß von der Stirne, den das Sprechen ihr hervorgelockt hatte.

»Bei uns hat der Hund aber nicht lange mehr gelebt!« bemerkte der Sohn.

»Grade darum!« meinte die Mutter. »Er konnte das gute Leben nicht vertragen. Wie er nicht mehr zu ziehen und zu laufen brauchte, machte er's nicht lange. Wer einmal daran gewöhnt ist, der muß arbeiten, sonst ist's mit ihm zu Ende!«

»Sie haben ja hier auch immer gearbeitet!« wendete Friedrich ein.

»Ja! so wie die vornehmen Damen arbeiten, so ein Bischen mit der halben Hand. Ich war's aber doch anders gewohnt bei des Vaters Lebezeit. Wenn der sehen könnte, wie ich nun so auf der faulen Seite liege, nur weil ich nicht recht bei Kräften bin, er würde seinen eigenen Augen nicht mehr trauen. Ich habe heut', den ganzen Tag an ihn gedacht.«

»Ich ebenfalls!« sagte der Sohn. »Seit ich überhaupt die Reise vorhabe, kommt mir der Vater gar nicht aus dem Sinne. Er hat es so gewünscht, die Welt zu sehen!«

Mutter und Sohn schwiegen in Rückerinnerungen, dann hob die Meisterin an: »Mir ist's doch oft im Kopf herumgegangen, daß er so ohne Abendmahl gestorben ist, und ich habe Dir's schon lange sagen wollen, Fritz! ich möchte gern das Abendmahl genießen, eh' Du weggehst!«

»Das wird Sie angreifen!« wendete Auguste ein.

»Angreifen?« wiederholte die Kranke, »was soll mich daran angreifen, wenn mir mein Sohn sagt, daß mir mein Schöpfer meine Sünden vergeben hat? Mir ist immer erst recht wohl um's Herz gewesen, wenn ich von der Communion nach Hause kam. Und mir fehlt ordentlich 'was, weil ich Pfingsten nicht hingekonnt habe!«

Sie kam dann wieder auf des Sohnes Reise zu sprechen, auf seinen Stellvertreter, auf Augustens Mitgehen oder Bleiben, und schien des Communicirens vergessen zu haben. Aber als Friedrich und seine Frau sich entfernen wollten, fragte die Mutter, ob ihr Sohn denn nun den Urlaub antreten und morgen seine Abschiedspredigt halten werde? Er bestätigte es. »Nun,« sagte sie, »da könntest Du denn wohl auch zu mir kommen mit dem Abendmahl. Ich denke, man muß es nicht aufschieben, wenn's Einen so danach verlangt, wie mich!«

Dann legte sie sich zurecht, gab dem Sohne die Hand und war eingeschlummert, noch ehe die Ihren das Pfarrhaus erreicht hatten.

Der Abend verging Friedrich am Arbeitstische. Er durchdachte seine Abschiedspredigt, und kam am andern Tage, nachdem er sie gehalten, tief erschüttert aus der Kirche heim. Am Nachmittage hatte er noch einige Taufen verrichtet und sich dann in sein Zimmer zurückgezogen, um auszuruhen.

Als er nun so am Spätnachmittage vor seinem Schreibtisch saß, und für seine bevorstehende Reise mancherlei Papiere ordnete, fiel ihm ein Päckchen in die Hände, das mit einem schwarzen Bande umwickelt war. In Gedanken versunken löste er das haltende Band, und erst als es geschehen, bemerkte er, daß es Papiere waren, welche sich auf seinen Vater bezogen, und die ihm die Mutter nach dessen Tode übergeben hatte. Es waren Reisepaß und Wanderbuch, die der Vater als Gesell geführt, ein Paar Briefe, welche er aus der Fremde nach Hause und an seine Braut geschickt, der eigene und des Sohnes Taufschein, der Meisterbrief des Vaters und die sämmtlichen Schulzeugnisse des Sohnes, welche der Alte sorgfältig numerirt und aufbewahrt hatte. Dabei lag eine starke, graue Haarlocke, von der Mutter dem geliebten Haupte abgeschnitten, und für den Sohn zu den Papieren gelegt.

Friedrich fühlte sich von tiefer Bewegung ergriffen. Je fester sich seine Blicke auf diese Reste eines entschwundenen Daseins hefteten, um so deutlicher stellte sich das Bild des Vaters in nie zuvor gekannter Lebendigkeit vor seinen Augen dar. Ohne zu wissen, wie es zuging, schien es ihm, als sehe er den herben, finstern, verschlossenen Mann vor sich, wie an dem Nachmittage, da er, auf dem Sterbebette liegend, jenen Stachel des Zweifels in des Sohnes Seele gesenkt, der nicht aufgehört hatte, ihn zu quälen bis zu dem Augenblicke, wo Friedrich nach langen, schweren Kämpfen sich an demselben Ziele angelangt sah, an dem er den Vater in der Sterbestunde angetroffen hatte.

Welche wunderbare Wandlung der Dinge knüpfte sich an diese Betrachtung! Damals hatte es ihm das Herz zerrissen, seinen Vater ohne Glauben an ein Wiedersehen, ohne Verlangen nach dem Troste der Kirche, ohne Glauben an die sündenvergebende Kraft der Beichte und des Abendmahls dahinscheiden zu sehen. Und jetzt? – Hatte nicht gestern die Mutter aus seinen Händen Leib und Blut des Herrn zu empfangen gewünscht? Hatte sie sich nicht gesehnt, in seinen Busen sich des Bekenntnisses ihrer menschlichen Sündhaftigkeit zu entladen, und von seinen Lippen, aus dem Munde des verordneten Dieners der christlichen Kirche den Trost göttlicher Vergebung und die Stärkung ihrer Hoffnung auf ein ewiges Leben zu empfangen? Von ihm, der in diesem Augenblicke ferner als jemals davon war, solchen Trost in Wahrheit aussprechen, solche Handlung mit Ueberzeugung vollziehen zu können. Tiefer als je zuvor empfand er den ungeheueren Widerspruch seines Innern mit dem ihm auferlegten Amte.

Noch immer saß er in hinbrütendes Sinnen verloren vor den Papieren, als er eine leise Berührung auf seiner Schulter fühlte.

Fast erschreckt fuhr er empor. Er hatte nicht bemerkt, daß Auguste in sein Zimmer getreten war. Sie sah ihn liebevoll und mit einem bei ihr seltenen Ausdruck von mitfühlender Trauer an.

»Wünschest Du Etwas?« fragte er.

»Erschrick nicht Friedrich!« sagte sie, .aber – die Mutter –«

»Was ist mit der Mutter?« unterbrach er sie, indem er eine Bewegung machte, sich zu erheben, aber wie von einer unsichtbaren Hand niedergezogen auf seinem Sessel sitzen blieb.

»Sie hat hergeschickt!« sagte Auguste. »Sie war die Nacht nicht wohl. Erich hat schon heute früh den Doctor durch einen Reitenden aus der Stadt holen lassen. Wir wollten Dir's nicht sagen vor der Predigt und vor den Taufen! Aber sie ist jetzt besser, und verlangt nach Dir, um das Abendmahl zu empfangen. Sie war heute wie verklärt bei dem Gedanken, daß ihr Sohn ihr die heilige Tröstung reichen soll, die labende Wegezehrung für die lange Reise. Das thut der rechte Glaube!«

Friedrich erwiderte Nichts. Der Küster, zu dem man gesendet hatte, war eingetreten. Er brachte den vergoldeten Kelch und die silberne Schale, welche der Gutsherr in die Kirche gestiftet. Mechanisch ließ sich Friedrich mit dem Talare und den Instanten des geistlichen Amtes bekleiden, und bald fand er sich, ohne zu wissen, wie er dahin gekommen, am Bette seiner Mutter.

Es war hohe Zeit. Die scheidende Abendsonne, welche durch die von grünem Laube umgitterten Fenster strahlte, vergoldete mit ihrem Glorienschein das Antlitz der sterbenden Frau, die wie durch magnetische Kraft die Gegenwart des geliebten Sohnes empfand. Sie öffnete die geschlossenen Augen, und sah den zu ihr tretenden tieferschütterten Friedrich mit einem Blicke seliger Freude an. Allein der Versuch, ihm die Hand zu reichen, war vergebens. Nur ihre Lippen bewegten sich leise und mit Rührung hörte er sie die Worte eines alten Kirchenliedes hersagen, welche lauteten:

»Und in diesem Fleisch werd' ich

Jesum sehen ewiglich!«

Er erinnerte sich, daß es dies Lied gewesen, das sie sich bei dem Begräbnisse des Vaters bestellt hatte, und seine Thränen fielen in den Kelch, den er der Sterbenden reichte.

Damit war die heilige Handlung vorüber. Friedrich schauderte in sich zusammen. Es war ihm, als habe er einen Frevel begangen, als sei sein letztes Thun, sein letztes Wort, das die Mutter vernommen, eine Lüge gewesen!

»Gott wird Dir lohnen, mein Kind!« hauchte die Sterbende, »Gott, zu dem ich gehe und der mich zu Gnaden annimmt um seines Sohnes willen, wie Du, sein Diener, mir verkündigt hast. Bei ihm – bei ihm« – ihre Stimme stockte – ein leises Röcheln durchzuckte ihre Brust – und sich mit gewaltiger Anstrengung zusammenraffend, sprach sie: – »bei ihm sehen wir uns wieder!«

Wenige Minuten später und Friedrich beugte sich schluchzend über die Leiche seiner Mutter.


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