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Fünftes Kapitel.

Noch an demselben Nachmittage ging Friedrich auf das Schloß. Er hatte Auguste gebeten, ihn zu begleiten, weil er wünschte, daß sie bei der Auseinandersetzung, die er seinem Freunde zu machen vorhatte, gegenwärtig sein möchte.

In dem kühlen, mit altmodigem Fliesengetäfel ausgelegten Saale saß der greise Baron am Fenster. Er sah den einsamen Spielen seines Enkels zu, der auf der Terrasse über den Reif sprang. Ihm zur Seite arbeitete Sidonie an einem Filet zum Schmetterlingsnetze für den Knaben, während Erich, der Thüre gegenüber, auf der Ottomane saß und eben einen Pack von Büchern und Zeitungen durchblättert zu haben schien.

Die sonntägliche Stille, die Frische des Saales, in dem man das leise Summen einzelner Insecten hörte, welche sich aus dem sonnigen Garten in das schattige Zimmer verirrt hatten, der Duft der Blumen, die in großen chinesischen Vasen auf den Tischen standen, und vor Allem die Stattlichkeit der drei Schloßbewohner machten einen Eindruck des Friedens und der Schönheit. Auch schienen der alte Baron und seine Schwiegertochter heiter und wohl zufrieden zu sein. Nur auf Erich's Stirn lagerte unverkennbar ein Zug von Mißmuth, als er dem Freunde mit den Worten entgegentrat: »Du kommst grade recht, mir in einem Streite beizustehen, der sich über Weidewut's, über meines Sohnes Erziehung zwischen uns erhoben hat!«

»Einen Streit?« wiederholte Sidonie ablehnend, »wie magst Du eine Unterredung, in der es sich für's Erste einzig um eine theoretische Meinungsverschiedenheit handelt, nur als einen Streit bezeichnen?«

»Theoretische Auseinandersetzungen, beste Sidonie! sind bei vernünftigen Menschen die Vorläufer der praktischen Konsequenzen, und gegen diese wünsche ich bei Zeiten zu protestiren!«

Er sagte das lächelnd. Die Baronin lächelte auch, aber der oberflächlichste Beobachter konnte bemerken, daß hinter dieser lächelnden Außenseite sich ein tiefer Ernst verbarg.

»Ihr müsset dem Herrn Pfarrer wohl vor allen Dingen sagen, um was es sich hier handelt!« meinte der alte Baron, ein strenger Beobachter der Form.

»Es handelt sich einfach darum,« erklärte Erich, »daß mein Junge systematisch zum Egoisten, zu einem Sonderwesen erzogen wird, was sein Unglück machen muß in Zeiten wie die unseren. Das hat angefangen schon mit dem Tage seiner Geburt, schon mit dem Namen Weidewut, den jetzt kein Mensch mehr führt als er, und mit dem ihn zu nennen, die Bitten meiner Frau mich leider damals bestimmten.«

»Weidewut ist der schöne altpreußische Name Eures Ahnherren,« wendete die Baronin ein, »und ich fand es so erhebend, unsern Sohn sein Leben lang daran zu erinnern, in wie ferne Vorzeit sein Ursprung zurückreicht!«

»Es haben ihn auch alle Heidenbrucks geführt. Du selbst heißest Weidewut!« bekräftigte der Baron.

»Aber ich bin nicht so genannt worden, und je älter der Junge wird, je lästiger wird es ihm fallen, sich mit einem Namen rufen zu hören und zu unterzeichnen, der in unserer Welt so fremd und so auffallend ist, wie die Auerochsen, aus deren Hörnern dieser unser Ahnherr seinen Meth getrunken hat.«

Erich hielt inne, während Sidonie lächelte, und fuhr dann fort: »Das ist indeß eine Nebensache. Mag der Junge sich umtaufen, wenn es ihm einst nöthig scheint. Wogegen ich aber protestire, das ist gegen seine fortdauernde Einsamkeit. Wir Alle haben mit den Kindern im Dorfe gespielt, ich habe meine besten Stunden mit ihnen verlebt, und –«

»Mein Sohn!« unterbrach ihn der Baron, »es ist nicht nöthig, daß die Kinder alle Irrthümer der Eltern wiederholen! Du brauchst bei der Erziehung unseres Knaben die Fehler nicht nachzumachen, zu denen meine, von mir selbst jetzt sehr beklagte Vorliebe für die französischen Encyklopädisten mich verleitete.«

»Klagen Sie sich nicht an, theurer Vater!« meinte Sidonie. »Sie theilten die Irrthümer Ihrer Zeit. Diese Art von Erziehung à la Jean Jacques Rousseau, die Erziehung zur bürgerlichen Gleichheit, galt ja damals für ein Meisterstück, als eine Wohlthat für die Menschheit!«

»Ja! sie galt dafür,« sagte der Baron, »aber sie kann nicht länger dafür gelten, seit wir die Früchte sehen, welche die Freiheit, die sie lehrte, sowohl für die Staaten, als für die Familien getragen hat. Sie ist mir auch neu und befremdlich Deine Liebe für diese Freiheit der Erziehung, Erich! Deine Liebe für die Freiheit überhaupt!«

»Meine Liebe? Ich liebe eine Feuersbrunst nicht, und doch werde ich Weidewut turnen lernen lassen, damit er sich erretten kann aus Feuersnoth!«

»Aus dem Contacte mit der sogenannten Freiheit kann man nicht unversehrt hervorgehen, wie aus einem Feuer!« meinte der Baron. »Sieh Dich in unserm eigenen Hause um, und frage Dich dann, ob Du eine sogenannte freisinnige Erziehung vor Dir und Deinen Kindern zu vertreten wagst.«

»So unbedenklich,« rief Erich, »daß, falls ich nicht eine vollständige Aenderung aller Erziehungsgrundsätze für ihn erlangen kann, ich ihn schon von seinem nächsten Geburtstage ab einem öffentlichen Institute übergebe, obschon ich ihn sehr schwer vermissen werde!«

»Du bist Herr über Dein Kind!« sagte Sidonie mit einer Ruhe, welche neben ihres Mannes Ungeduld etwas sehr Edles hatte, »aber Du wirst mich nicht hindern, es als ein Unglück zu betrachten, wenn ein Knabe mit seinem siebenten Jahre den Segen der Mutterliebe und des Vaterhauses entbehren soll!«

Der Baron schüttelte beruhigend das Haupt. »Unbesorgt, Sidonie! Erich thut das nicht!« tröstete er.

Aber gerade die Zuversichtlichkeit seines Vaters, die fast einem Verbote gleich zu kommen schien, reizte Erich. »Ich müßte nicht von Dir erzogen sein, bester Vater!« rief er, »wenn ich nicht empfände, daß jeder Mann allein verantwortlich für seine Kinder ist, daß jeder Vater Herr über sie sein und nach seiner Einsicht für sie sorgen muß!«

»Unbedenklich!« meinte der Baron, »es dünkt mich jedoch, daß der Rath und die Erfahrung des Mannes nicht unbenutzt zu bleiben brauchen, der ihren Vater zu seiner eignen Selbstherrlichkeit erzogen hat.«

»Lieber Vater!« sagte Erich mit mühsam unterdrückter Ungeduld, »Deine Erfahrungen, Sidonien's Wünsche in allen Ehren, aber sie helfen uns nicht. Schlösset Ihr Euch nicht so absichtlich, so vollständig ab gegen Alles, was unsere Tage, was die neuere Literatur von Zeichen der Zukunft in sich tragen –«

»Ich habe genug davon gesehen und gelesen«, meinte Sidonie, »um ein Entsetzen vor der Zukunft zu hegen, die dort vorbereitet wird!«

Erich war schon lange aufgestanden und heftig auf und nieder gegangen. Sein Freund sah, daß die Zornader auf seiner Stirne anschwoll, daß seine Lippen zuckten. Es war ihm bei der Lebhaftigkeit des Streites bisher nicht möglich gewesen, sich beruhigend und ausgleichend in das Gespräch zu mischen, das am Rande einer häuslichen Scene schwebte. Er benutzte also jetzt das augenblickliche Schweigen Erich's, der nach Ruhe rang, zu der Bemerkung: »Ihr Entsetzen, Frau Baronin! wird die Zukunft nicht aufhalten, sich in neuen Bahnen zu entwickeln, und wo man einer gefürchteten Nothwendigkeit nicht zu entrinnen vermag, da ist es Lebensklugheit, wenn nicht mehr, sich vorbereitend für dieselbe zu erziehen, und sich ihr anzupassen!«

»Das ist es ja!« rief Erich, »das ist es ja! Sidonie denkt, es werde Alles ewig bleiben, wie es ist. Sie sieht nicht, sie will nicht sehen, wie Alles um uns anders wird, wie die Bourgeoisie uns an Intelligenz und Besitz überragt, wie der vierte Stand sich erhebt, als treibe ein inneres Feuer ihn empor. Sie sehen nicht, daß die Revolution über uns schwebt mit ihrem Vernichtungsdonner gegen die Monarchie und gegen das Privilegium! – Sie werden sich blind dagegen machen, bis er auf uns herniederschmettert – und was dann?«

Er blieb vor Sidonie fragend stehen. Sie hatte ihre Arbeit aus den Händen gelegt und ihm mit Spannung zugehört. Statt aber seiner Erregtheit zu begegnen, sagte sie mit unverändertem Gleichmuthe lächelnd: »Nun! wenn Deine schwarzen Prophezeiungen erst mit dem Untergange der Monarchien zur Wahrheit werden sollen, guter Erich! so kann unser armer Junge noch ruhig seinen alten schönen Namen behalten, und braucht vor der Hand noch nicht mit den Bauernjungen zu verkehren!«

Auguste lachte ihr Beifall zu.

»Es ist Race in ihr!« sprach der Baron kopfschüttelnd leise vor sich hin. Allein Sidonie selber erschrak vor dem Ausdruck ihres Mannes. Sie stand auf, faßte seinen Arm und meinte, sich an ihn lehnend: »Gewiß, liebes Herz! Du siehst zu schwarz! Es ist eine krankhafte Verstimmung in Dir, es ist Hypochondrie, der ich mich widersetzen muß, sonst wird sie uns zu mächtig!«

Die Freundlichkeit, mit der sich die stattliche Frau an seine Schulter schmiegte, stand ihr wohl. Sie war überhaupt äußerlich sehr vortheilhaft verändert seit ihrer Verheirathung. Ihre Farbe, die als Mädchen zu blühend gewesen, war milder geworden und stimmte dadurch mehr mit dem hellen, röthlich blonden Haar zusammen. Ohne an Wohlgestalt und Biegsamkeit zu verlieren, hatte sie an Fülle gewonnen, und man konnte keine schöneren Hände, keinen zierlicheren Nacken sehen, als die feine Hand, welche sich jetzt auf Erich's Schulter legte, als den blendenden Nacken, der Sidonien's Kopf mit seiner Lockenfülle trug.

Aber alle diese Vorzüge waren für ihren Gatten in solchem Augenblick verloren. Zu formvoll die Baronin von sich zu weisen, ließ er sie gewähren, ohne jedoch ihre Zärtlichkeit zu erwiedern, oder auch nur zu beachten.

»Ich wollte, die Monarchien wären so gesund als ich!« rief er aus, »und so ungefährdet als meine Gesundheit. Lies die Broschüren! Da liegen sie, Lamenais's Paroles d'un croyant und sein livre du peuple, die schon wieder in neuer Auflage erschienen, ein Beweis, wie sie verbreitet sind!« –

»Aber wer liest diese atheistischen Dinge?« wendete Auguste ein, die ihren Antheil an der Unterredung haben wollte.

»Wer sie liest? Das Volk liest, das Volk verschlingt sie, und mit Recht, denn sie sind die Offenbarung seiner Zukunft!«

»Eine Offenbarung solltest Du nicht nennen, lieber Sohn, was kein Licht, sondern nur Verwirrung bringen kann, und darum gottverlassen ist!« meinte der alte Baron abweisend.

»Nein, Herr Baron! nein!« rief Friedrich, der bis dahin schweigend dem Streite zugehört hatte. »Es ist die höchste Liebe, die höchste Tugend, der göttlichste Geist versöhnender Menschlichkeit, aus dem diese Werke geflossen sind. Das Heil der Zukunft wird darauf beruhen, daß sie zur Wahrheit werden auf der Erde und –«

Der Baron, so sehr die Erfahrungen seiner letzten Lebensjahre ihn gebeugt hatten, konnte seine eigentliche Natur doch nicht verleugnen. Dem Widerstande gegenüber fühlte er sich hier in seinem Schlosse, in dem Schlosse, das Erich nur durch des Vaters freien Willen schon jetzt als Eigenthum besaß, plötzlich wieder als den unumschränkten Herrn, und sich hoch aufrichtend in seinem Sessel, sagte er: »Wir sind abgekommen von dem Thema, von dem wir ausgegangen sind. Was ist uns Lamenais und seine Weltbeglückung? Ich mag davon nichts weiter hören!«

Die Gewalt mißbrauchend, welche sein Verhältniß zu seinem Sohne ihm über denselben, welche sein Alter und die frühere Unterordnung Friedrich's ihm über diesen gaben, zwang er sie, die Unterhaltung abzubrechen, wollten Erich und der Pfarrer den Greis nicht beleidigen, der jetzt als Gast seines Sohnes in seinem eigenen Schlosse lebte.

Indeß das plötzliche Verstummen der beiden Männer hatte für den Baron selbst etwas Quälendes. Er fühlte, daß er zu weit gegangen, daß er sich selbst zu nahe getreten war. Er empfand, daß er einzulenken habe, und in plötzlich verändertem Tone sagte er: »Welchen Zusammenhang, Erich, haben die Pläne, Deinen Sohn in einer öffentlichen Anstalt erziehen zu lassen, mit der Zukunft, die Du den Monarchien und der Menschheit nahe glaubst?«

Man muß es gewohnt sein, von tyrannischer Hand gelenkt zu werden, um wie ein leblos Instrument, nur dem Tone nachklingend zu antworten, der willkürlich erweckt wird. Erich hatte diese Gewohnheit verloren. Er war erzürnt und mochte es doch nicht zeigen. Seine Farbe wechselte mehrmals schnell. Auguste sah ihn ängstlich, Sidonie bittend an. Die Rücksicht auf die Frauen, die Schonung für den Vater trugen den Sieg davon. Er bemeisterte sich so gut er konnte und sagte kalt, wie Einer, der ein auswendig gelerntes Glaubensbekenntniß abzulegen hat: »Die Zukunft der Staaten wird in einer auf Freiheit begründeten Association der Menschheit bestehen, mögen sie constitutionelle Monarchien oder Republiken heißen. Will man aber einen Menschen zu dieser Association gewöhnen, so muß man ihn früh einer öffentlichen Erziehungsanstalt übergeben!«

»Aber weshalb das?« fragte Auguste, nur damit das Schweigen nicht wieder über sie hereinbrechen möge.

»Weil die Familie den Knaben durch ihren Partikularismus, wie Exempel zeigt, im schlimmen Sinne zum Aristokraten, zum Sonderwesen erzieht!« antwortete Erich, auf seinen Sohn hinausdeutend. »Die Familie macht das Kind von Jugend auf zum Tyrannen des Schwächern, des Dienenden, und zum Sclaven des Machthabers, des Vaters. Sie erzieht ihn für die absolute Monarchie, indem sie ihn moralisch depravirt!« Er hielt inne, denn er empfand die Anklage, welche er damit unwillkürlich gegen seinen Vater ausgesprochen hatte. Der Baron saß ruhig da, wie ein Steingebild, anscheinend unverwundbar in dem Gefühle seines guten Rechtes.

Erich aber, plötzlich gerührt von diesem Anblick, setzte sich neben ihn nieder und sprach, viel milder geworden: »Der Hauptvortheil, den ich in einem öffentlichen Institute erblicke, besteht darin, daß es die Knaben daran gewöhnt, in der Masse aufzugehen, sich in die Gesammtheit zu verlieren, und Fügsamkeit in das allgemeine Gesetz zu lernen, von dem in keinem Falle zu seinen Gunsten eine Ausnahme gemacht wird. Und daß das nöthig ist, das wenigstens werdet Ihr Alle mir doch eingestehen!«

Indeß, außer Friedrich, der sich beifällig äußerte, antwortete ihm Niemand. Es blieb still im Zimmer, eine gleichgültige Unterhaltung, welche die beiden Freunde anzuknüpfen versuchten, scheiterte an der Verstimmung der Uebrigen und an ihrem eigenen Mißmuthe.

Endlich stand der Baron auf und schellte. »Wünschest Du Etwas, lieber Vater?« fragte Erich.

»Es scheint mir kalt hier, ich möchte ein Feuer in meinem Zimmer haben.«

»Wollen Sie nicht, bester Vater«, meinte Sidonie, »daß man hier im Saale ein Feuer mache?«

»Ja! wenn Erich Nichts dagegen hat«, sagte der Baron.

»Vater!« riefen der Sohn und die Schwiegertochter erschrocken, »Vater! Sie haben Etwas! Du bist erzürnt!« und Erich trat an ihn heran, seine Hand zu ergreifen.

»Vergieb mir, wenn ich zu heftig war!« bat er herzlich, »es riß mich fort!«

»Die Zeit reißt uns Alle fort, wie es scheint!« sagte der Baron. »Den Einen von dem festen Platze, auf dem er sich zu behaupten verstand, den Andern zu einem Punkte, auf dem er sich nicht zu halten vermögen wird. Ich muß einsehen lernen, daß die Zeit, in der ich wurzele, sogar Dir schon als eine erstorbene Vergangenheit erscheint. Du wirst ja erleben, welche Festigkeit, welche Zeugungskraft die von Euch so gepriesene Zukunft besitzen wird. Ich verlange nicht, sie zu kennen, ich beneide sie Euch nicht.«

Mit den Worten ging er auf die Terrasse zu seinem Enkel hinaus, wendete sich aber in der Thüre um und befahl: »Lassen Sie ein Feuer hier im Saale machen, liebe Sidonie, damit wir unser Piket beginnen können!«

Die Baronin schob den Kartentisch und die Sessel zurecht, Auguste nahm ihren Nähkasten vor und richtete sich ein, den Spielenden arbeitend Gesellschaft zu leisten. Seit sie im Pfarrhause lebte, empfand sie eine Genugthuung daran, so viel als möglich im Schlosse zu sein. Hatte sie früher den geringsten Vorzug, welcher ihren Cousinen eingeräumt ward, als eine schwere Kränkung angesehen, so schien es ihr jetzt natürlich, von Sidonien als eine untergeordnete Gesellschafterin behandelt zu werden, die man nach Bedürfniß aufsuchte oder mied. Vergebens hatte Friedrich ihr bemerklich gemacht, daß sie diese beleidigende Abhängigkeit durch ihre thörichte Verehrung des Reichthums und des Ranges selbst verschulde, daß sie ihm persönlich damit zu nahe trete, wenn sie sich in solcher Weise der Baronin unterordne. Vergebens hatte Erich seine Frau daran erinnert, daß Auguste seine Cousine, seine Pflegeschwester, die Frau seines besten Freundes sei, und für sie jene Rücksichten gefordert, welche Sidonie für alle diejenigen zuvorkommend zu nehmen wußte, denen sie wohlwollte und die sie als ihres Gleichen ansah. Es war kein Verhältniß zwischen den Frauen herzustellen gewesen, wie ihre Männer es für sie begehren mußten.

Die Baronin, welche mit Augusten, nicht wie Erich, durch lange Gewohnheit und gemeinsame Erinnerungen zusammenhing, hatte sich Anfangs von den unedleren Seiten dieses Charakters abgestoßen, Auguste sich von der formvollen Zurückhaltung der jungen Frau gekränkt gefühlt, und Beide hatten einander gemieden, bis die Einsamkeit des Landlebens die Eine wie die Andere begierig nach Unterhaltung und dadurch versöhnlicher gemacht hatte. Die Baronin, schon als Mädchen an eine sehr bevorzugte Stellung gewöhnt, hatte es entbehrt, sich gesucht zu sehen und Niemand zu haben, den sie im täglichen Leben beschützen, den sie durch ihre Annäherung erfreuen konnte. Der Pfarrerin hingegen hatte ein Gegenstand gefehlt, dem sie nachstreben, mit dem sie ihre Verhältnisse vergleichen, an dem sich ihre gewohnte Unzufriedenheit mit ihrem Loose emporranken konnte. Diese Schwächen waren es gewesen, welche die Frauen zuerst zusammenführten, bis der beiderseitige Adelstolz, die beiderseitige Abneigung gegen Helene und Cornelie, die üble Meinung, welche Beide von der Unbeständigkeit der Männer hegten, festere Anknüpfungspunkte zwischen ihnen gebildet hatten. Diese Annäherung war mit der Herrschaft gewachsen, welche die Baronin über die Cousine ihres Mannes gewonnen. Ihr Einfluß auf Auguste war unverkennbar. Während sie das Selbstgefühl derselben untergrub und sie vollständig unterjochte, rühmte sie sich in ruhiger Ueberzeugung, daß sie Auguste für eine höhere Lebensauffassung erziehe. Sie behauptete, die Pfarrerin zu jener demüthigen Resignation angeleitet zu haben, ohne die kein Mensch sich glücklich fühlen, Niemand zur Zufriedenheit mit seinem Schicksale gelangen, Niemand sich neidlos denjenigen unterordnen könne, welchen der Wille Gottes bevorzugtere Verhältnisse angewiesen habe.

Erich's Vorwurf, daß sie Auguste durch Demüthigungen erniedrige, lehnte Sidonie eben so bestimmt ab, als Auguste es bestritt, wenn Friedrich die Baronin der Herrschsucht anklagte und Augusten ihre knechtische Unterwürfigkeit gegen dieselbe tadelnd vorhielt. Auguste behauptete neben der Freigeisterei ihres Mannes den sittlichen Halt nicht entbehren zu können, den die Charakterfestigkeit und Religiosität der Baronin ihr gewährten. Sie hatte in Sidonie ihren Meister gefunden, denn Frauen wie Auguste, fügen sich nur den Menschen, werden nur von denjenigen erzogen, die ihnen eine harte Hand auflegen und ein schweres Joch. Herrschsucht und Knechtessinn bedürfen, suchen und finden einander, sich gegenseitig zu verderben.

Da Sidonie gern eine Art von Hofstaat um sich sah, brachte die Pfarrerin wieder den ganzen Abend damit zu, dem Spiele des Barons und seiner Schwiegertochter beizuwohnen, das sich diesmal länger als sonst üblich ausdehnte, weil der Baron in seinem Mißmuth die Unterhaltung mit Erich und dem Pfarrer zu erneuern scheute. Die Freunde waren also, wie gewöhnlich, aufeinander angewiesen, und nachdem sie noch eine Weile an dem Büchertische zugebracht, verließen sie den Saal.


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