Gustav Leutelt
Die Könighäuser
Gustav Leutelt

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

15.

Die Schüsse vom Straßenbau waren längst verstummt. Dafür erhob sich draußen, weit nach Sonnenuntergang hin, ein Donnergeroll, von dem allerdings nicht das leiseste Gemurmel zu den Leuten von Friedrichswald hergelangte. Nur die Zeitungen brachten Nachrichten über das Unwetter, in dessen Tosen ein glanzvoller Kaiserthron zusammenbrach. 221

Die Welt ging eben durch das Jahr achtzehnhundertundsiebzig und die Menschen des kleinen Gebirgsdorfes mußten ohne alle Frage mit. Von neuem stiegen Namen aus dem Dunkel empor, anfänglich noch welche gut deutschen Klanges, später aber solche schwer auszusprechenden, fremden Gefüges; Namen, die sich nur mühsam den Spalten der Zeitung entwinden ließen. Freilich, diese Mars la Tour, Sedan, Beaune le Rolande, Montbeliard brannten sich nicht so ein in die Herzen, wie jene böhmischen Schlachtfelder und daran war wohl der letzteren zeitliche und örtliche Nähe schuld. Noch gab es Leute genug, denen die deutschen Siege patriotische Beklemmungen verursachten, aber weit zahlreicher waren doch jene, die trotz Sadowa dem Brudervolke alles Glück wünschten auf seinem Ehrengange über die blutigen Felder.

Der dies mit am aufrichtigsten getan hätte, war aber bereits jenseits aller Wünsche.

Johann Ignaz Freudenberger hatte auf dem schwarzgeränderten Blatte gestanden; denn der übermächtig einherschreitenden Kultur war auch in Friedrichswald schon der Leichenbitter zum Opfer gefallen und ein Begräbnis ohne Parte ließ sich gar nicht mehr denken.

So hatte der Johannes dem alten Schwiegervater eine »schöne Leiche« bestellt gehabt und nicht 222 seine Schuld ist es gewesen, wenn die geränderten Zettel und der feine Trauerwagen kein Aufsehen mehr im Dorfe erregen wollten. Auch die Friedrichswalder Leute gewöhnten sich eben an das Neue, zudem auf der breiten Straße immer mehr davon hereinkam: die Bierapparate, die Vereine und die k. k. Post.

Der Johann Ignaz Freudenberger hatte diesen seinen angestammten Namen zuguterletzt vergebens unter die Leute bringen wollen, es war doch nur der Pfutschhans begraben worden.

Die Leichenrede des jungen Pfarrherrn fiel just nicht lang aus, jene des Großkarl aber hörte sich noch bedeutend kürzer an:

»Der Sackermenter! Jetzt wird er wohl sein loses Maul halten müssen.«

Das war nicht bös gemeint und es nahm auch niemand ein Arg an den Worten. Im Gegenteil nickte mancher dem Großkarl seinen Beifall zu und auch das anhebende Gemurmel enthielt nichts von einem Widerspruch in sich. In diesem Gemurmel möchte wohl fürs erste das Gedenken an den Abgeschiedenen untergegangen sein, wenn die Meinung des Haslerwirtes nicht gewesen wäre.

Der Haslerwirt aber stand im Schenksims seiner Gaststube und die konnte niemand verfehlen, der im Johannesberger »blauen Stern« zur Tür hereinging; denn die Buchstaben der Aufschrift waren groß genug 223 und von wegen dem einen fehlenden st darin nahmen es weitaus die meisten der Besucher nicht so genau.

Der Haslerwirt also hatte eine Meinung, dahingehend, es sei Gastherrenpflicht, Interesse an dem zu Ende gehenden Gespräch zu heucheln. Deshalb sagte er:

»Warum hat ihn alles den Pfutschhans geheißen?«

Der Großkarl schob die Achseln hinauf, wenigstens sah es so aus, als ob er das tue; hatte aber der Haslerwirt die Meinung laut werden lassen, der graue Lästerer habe nur den Kopf zwischen die Achseln gezogen, so könnte auch dagegen kaum etwas eingewendet werden.

Der Haslerwirt äußerte keine Meinung über diese Streitfrage. Dafür sah der alte Lahmbauer erst nach der Tür und fragte dann:

»Kommt der Ascher-Hannis schon?«

»Nein, der ist noch auf der Pfarrei.«

»Dann hört!«

Weil der Freudenberger ein hitziger Spieler in jungen Jahren gewesen ist und bis an den Stock geraten mußte, zuletzt, ist sein Zuname aufgekommen. Er verdiente und verspielte damals alles Geld in Weisbach drüben und rein verwunschen war's, daß er keinen Groschen bis herüber tragen konnte. Hart aber ist er dabei gar nicht gewesen und hat 224 manchmal mit seinem jungen Weibe geheult, wenn er wieder mit leeren Taschen heimgekommen war. Die Lene ging damals mit ihrem ersten Kind und konnte den eigenen Unterhalt nicht mehr erarbeiten. Es half aber alles nichts, der Hans spielte doch.

Einmal kamen Portiunkelgäste von Haindorf zurück und es war meine Frau dabei mit ihrer Muhme, der Klamtbäuerin und der Helms-Heinrichen und und – die andren habe ich vergessen: lauter Weiber. Die hatten sich oben am Welz hinter die Fichtel gesetzt und vesperten. Da kommt der Hans und ist sehr in der Hitze und redet mit sich allein, als wäre er nicht bei Trost. Knapp vor den Weibern bleibt er stehen und sieht die nicht durch das Gestrüpp und sie müssen sich die Tücher in den Mund stecken, um nicht herauszuplatzen. Es ist ihnen aber später das Lachen vergangen.«

»Was hat er denn so Lächerbares gemacht, der Hans?«

»Gespielt hat er mit einem Baumstock, der dort stand, und den letzten Zwanziger auf ihn gelegt und die Karten abgeteilt für den Stock und für sich selber und – hat verloren.«

»Pfutschen hat er gespielt?«

»Ja, was man so heißt. Und dann sind ihm die Karten aus der Hand gefallen, daß die roten Blätter in dem Himbeericht wie blutige Flecken 225 geleuchtet haben; der Hans hat aber nur einmal geseufzt und ist darauf wie ein Toller davongesprungen.«

»Das Geld ist auch liegen geblieben?«

»Das Geld hat er liegen lassen und meiner Agathe ist es von der Muhme verwiesen worden, danach zu greifen; denn der Teufel werde wohl schon unbesehen seinen Schwanz darauf gelegt haben.

Laß das für den Nachtjäger, waren auch die andern in sie gefahren. Es würde dir so keinen Segen bringen.«

»Und davon hat er den Spitznamen gekriegt?«

»Ja, die Weiber konnten nicht den Mund halten und so ist es rumgekommen, was geschehen ist. Der Hans hat später schon tüchtig widerbeißen gelernt und die Neckereien der Leute mochten ihm wohl die Zunge schleifen. Nicht wahr, Karl?«

»Will's meinen.«

»Und hat der Hans das Spielen sein lassen?«

»Er hat es. Ist's gewesen, weil er nicht einmal dem Stock was abgewinnen konnte, oder war es der Schreck, wie der Mann in die Einschicht kommt und sieht, daß sein Weib allein geboren hat und bald verblutet wäre, er hat die Karten sein lassen und sich aufs Wetterverweisen und Besprechen gelegt.«

»Hätt's von dem Menschen nicht gedacht.«

. . . Beim Haslerwirt gab noch lange ein Wort das andre, ohne daß eine neue Anregung vom 226 Schenksims her nötig gewesen wäre. Johannes aber stand unterdes mit seinem Kinde auf dem Friedhofe und sah zu, wie der Totengräber den Hügel über das Grab schaufelte. Zu der Erzählung des Lahmbauers hätte er leicht den wirkungsvollen Schluß beisteuern können nach den eigenen Worten des Schwiegervaters und wie er ihn von dem vernommen. Er hätte von dem abgehetzten, jungen Menschen erzählen können, der auf dem Pfade hinter dem Dornstfelsen her eben überlegte, ob er seine Schande nicht lieber gleich ins Dorf hinuntertragen solle, bevor er heimkehre, und wie ihn da auf einmal aus dem Dickicht ein Schreckliches angesprungen sei und in tollem Hasten nach Haus gehetzt habe durch den abendlichen Wald. Er hätte fein andeuten können, was zu der späteren, abergläubischen Hantierung des Verstorbenen den Grund gelegt, aber er tat das weder, noch nahm er sich vor, es zu tun, dachte auch nur einzig und allein an die vernommene Leichenrede.

Brav war sie gewesen, die Rede, trotz ihrer Kürze, liebevoll, rühmend und tröstend zugleich; aber der Bauer konnte doch die Empfindung nicht los werden, daß die schönen Worte auf den Verstorbenen eigentlich nicht gepaßt hatten.

Der war so ganz anders gewesen und der neue Pfarrer konnte das unmöglich wissen; man hätte es ihm denn sagen müssen. 227

»Aber was?«

Johannes sann und war eifriger dabei, als der Mann mit dem Spaten; sein Werk aber förderte nicht so, wie die Arbeit am Hügel.

Nun wußte er es beinahe, wie er jedoch die Worte dazu dachte, wollten die wiederum nicht stimmen.

»Es ist schwer.«

Johannes empfand dunkel, daß diesem Manne etwas zu eigen gewesen, was ihm fehle. Trotz Belesenheit, Besitz und andern Dingen, die er voraus erhalten, meinte er, immer zu dem aufgesehen zu haben, konnte aber nicht herausbekommen, woran das gelegen hatte.

Während er noch sann, kam der Lehrer zwischen den Gräberreihen her und mahnte den Säumigen:

»Zum Haslerwirt müßt ihr noch kommen, König, den Leichentrunk zahlen und Bescheid geben.«

Johannes hätte gern eine Frage getan, aber eine Art trotzigen Schamgefühles schloß ihm den Mund und die Sprache der Augen, die sich nicht unterdrücken ließ, führte den Lehrer nur in die Irre.

»Ich habe bloß dem Kollegen hier einen kurzen Besuch abgestattet,« meinte dieser. »Wenn es Euch recht ist, gehen wir dann miteinander heim.«

Ein kurzes Verweilen noch vor dem braunen Erdaufwurf, dann gingen die Männer und das Mädchen 228 ging hinterdrein. Der eine trug seine ungelöste Frage, der andre nun doch das Bewußtsein, der Gefährte verschließe etwas in sich, das er jetzt nicht entriegeln könne. Das Mädchen trug freilich nichts als sein Leid und nur ab und zu wagten es zwei junge, braune Burschenaugen, hinter dem hervorzulachen; sie wurden aber immer gleich von dunklem Trauerflor wieder verhüllt.

Die Zeit dieser Augen war noch nicht gekommen.

Hätte der Lehrer jene stumme Frage des Ascherbauers beantworten können, so würde er wohl gesagt haben:

»Der Mann trug Sonne in sich, das war alles, und mit dem Besitz hätte er Künstler oder Pfadfinder der Wissenschaft, Missionär bei den Heiden oder auch nur ein echter, rechter Schulmeister werden können, der das Wort vom »Gotteszorn« zu schanden geschlagen hätte, wären ihm nicht die Wege verrammelt gewesen.«

Wie gesagt, so hätte der Lehrer sprechen können.

 

Die Wiesen des Klamtbauers waren um einen großen Teil ihrer Ruhe gekommen, freilich nach Waldwinkel und nicht nach Stadtbegriffen gemessen. Das breite, graue Wegband lag nun einmal auf ihnen und die Möglichkeit seiner Benutzung ließ jenes Sicherheitsgefühl der Einsamkeit dort nicht mehr aufkommen, trotzdem oft tagelang kein Rad rollte und Schritte selten genug blieben. Die Eingeborenen gingen immer 229 noch die kürzeren Fußsteige und der Verkehr von auswärts ließ alles zu wünschen übrig; wenig fehlte sogar, und die beraseten Böschungen sendeten ihre verwegensten Gräser bis in den Fahrdamm hinein.

Oben an der Laubbrücke war der Sammelplatz aller Fußsteige, die über den Straßenplan hin auf- und abwärts zielten. So langsam sie von unten her einander näher gerückt waren, so schnell fuhren sie jenseits des Weges wieder auseinander, über die Raine hin, in die Schluchten und unter die Wipfel des Waldes.

Wer nach der letzten Richtung ging, dem schauten die gelbgrünen, frischgemähten Wiesen noch eine Weile nach, dann lugte ebenfalls eine Zeitlang der Spiegel des Baches durch die Stämme her und zuletzt waren nur noch die Töne hinterdrein: die Geräusche vom Bache, von den Gehöften unten, von irgend woher. Wenn dann auch diese letzten Talboten den Wanderer nicht mehr ereilen mochten, dann blickte von oben schon wieder der Blauhimmel herein und es schimmerten die besonnten, weißen Wölkchen. Die Lichtinseln des Waldgrundes wurden größer und zusammenhängender und dann trat man hinaus ins volle Sonnenlicht, das den Wangen schmeichelte, in die Heidelbüsche kroch, daß sie grün flammten, Stämme erkletterte, auf Spinnenfäden tanzte und die Schmetterlinge fürwitzig machte, die leuchtende Pracht ihrer Flügel auszubreiten. 230

Man stand da auf des Helmsbauers Holzschlage; denn daß der nunmehr dem Johannes gehörte, verschlug bei den Leuten nicht viel und der Waldgrund hieß noch immer nach seinem früheren Besitzer. Wer aber, wie das der junge Bursch eben tat, zwischen den durcheinander taumelnden Graurispen der Waldgräser immer noch bergan stieg, dem hoben sich mit manchem Gesträuch auch die weißen Wolkenballen weiter über die Schneide empor und dann schoben sich graue Hausdächer nach und Mauern, und der Helmshof blickte her zwischen stehengebliebenen Ebereschenstangen und dem mit neuem Hoffnungsgrün bedeckten Buchengestrüpp.

Des Helmsbauern Sache ist die höchstgelegenste Ansiedlung von Friedrichswald und sein Hof- und Haushahn mag noch so laut krähen, er bekommt doch nie eine Antwort von der Talseite her. Heute hat der Hof seine Augenlider gegen den Wald zu aufgeschlagen, was annehmen läßt, daß er auf der Hut sein will, und der Bursch begreift das auch, wie er die beiden offenstehenden Fenster erblickt. Gleichwohl sieht er nur verstohlen gegen das Haus und wendet scheinbar alle Aufmerksamkeit einem mannshohen Steinblocke zu, der abseits vom Fußpfade liegt.

Es muß wohlbekannte Griffe und Tritte an dem Felsstück geben, denn wie der Bursch jetzt mit eins, 231 zwei oben auf ihm Platz nimmt, kann er sich beim Klettern nur der Linken bedienen; die Rechte trägt den langhalmigen Waldgrasstengel noch unversehrt, den ihr Eigner aus dem Gewimmel unten gerupft hat. Als man aber den Stengel darauf zwischen die Lippen schiebt, müssen die Hände mangels Beschäftigung natürlich in die Hosentaschen wandern.

Es ist ein anderes um die Taschen des Knaben und um jene des heranwachsenden Jünglings. Der kindische Tand ist bereits aus diesen entfernt und hat andern Dingen Platz gemacht: der Streichholzschachtel, dem Zigarrenstummel, und wenn die Säcke, wie heute, in der Sonntagshose hängen, klimpern die Finger auch wohl mit einigem Gelde darin, falls die Alten zu Haus danach sind.

Der Bursch klimpert weder in einer Tasche, noch in beiden Taschen, er schlenkert auch nicht mit den Beinen; denn diesen Zeitvertreib gestattet der Steinvorsprung nicht. Er sitzt eben nur ruhig und sieht vor sich.

Die Wipfel drüben tauchen aus Wolkenschatten in die Helle des Sonnenlichtes und werden wieder dunkel; in der Weite will der Blauduft noch größere Entfernungen vortäuschen, aber nach dem allen scheint der Bursch nicht zu sehen. Es ist sogar die Frage, ob es ihn nicht weit mehr um das Hören zu tun ist. 232

Die Finken rufen von einer Waldseite zur andern und doch mag ihn auch das nicht fesseln, denn als es vom Helmshofe und dessen offenstehenden Fenstern her wie ein Lachen zu erklingen scheint, fährt er sogleich herum, bereut es natürlich schon im nächsten Augenblick und nimmt seine frühere Haltung ein. Nur der Knoten des Stengels ist währenddem von den Zähnen des Burschen zermalmt worden und es wird notwendig, den Halm bis zum nächsten Wulst zu verkürzen. Sind aber die Zähne gesund, ist das ja bald geschehen und der Bursch sitzt wieder und schaut.

Da kommen sie auch schon zu dritt, aber vom Grenzgraben an sind es nur mehr zwei, weil des Helmsbauern Jüngste bereits zurückgegangen ist. Die Zwei hüpfen über die Grabenfurche, obgleich es des gar nicht not hätte, und sind alsbald so eifrig im Zwiegespräch, daß sie unmöglich den Burschen gewahren können, der auf jenem Stein sitzt, zwar nicht ganz so groß, wie Rhamses der Dritte vor seinem ägyptischen Felsentempel, aber ebenso unbeweglich und gleichgültig blickend.

Die Gräser tun ihr möglichstes. Sie streifen gar eindringlich an den Kleidersäumen hin und einmal langt sogar eine kecke Brombeerranke nach dem weißen Strümpflein, das ihr zunächst kommt, aber das hilft nichts. Die Mädchen wollen noch immer nicht nach dem Burschen hinsehen und Rhamses-Imitator 233 bereut es schon, die tote Blindschleiche von da unten nicht den heimtückischen Dingern kunstgerecht und zu entsetzlicher Strafe in den Weg gelegt zu haben.

Die Mädchen schauen immer noch geflissentlich nach der andern Seite und da sie nur mehr wenige Schritte dahin haben, wo der Pfad gänzlich abbiegt, gerät König-Aemulator auf seinem Thron in Gefahr, die steinerne Ruhe einzubüßen. Unwillkürlich drückt der Absatz fester gegen den Fels, und niederwärts rieselnde Moosbrocken und Flechtenstückchen zeigen, daß der Dynast der dritten Folge rücksichtslos dabei ist, jahrelange Arbeit von Luft und Wasser, Wind und Keimkraft der Samen zu vernichten. Aber freilich, wo hätte je das Wort »Rücksicht« im Wörterbuche eines ägyptischen Königs gestanden.

Die Augen der Mädchen sind fröhlich über die Maßen, doch eingedenk, daß jeder gute Spaß ein Ende haben müsse, und wohl auch über die heimliche Nötigung ihrer Gefährtin beginnt das zunächst gehende Rösler-Klarl im letzten Augenblick den Kopf zu werfen und ruft mit allzu verdächtigem Erstaunen:

»Du, da sitzt einer!«

Die wenigen Worte aber bringen den Burschen zur Einsicht, daß es nun an ihm ist, entgegen zu kommen, und alsbald tut er einen Satz, der unter den Gräsern zu Füßen eine grauenhafte Verwüstung anrichtet. 234

Möglicherweise soll der plötzliche Sprung stutzig machen, oder man will sich zeigen und den Mädchen eine Anerkennung ablocken, aber boshafterweise wollen die jungen Dinger nicht darauf eingehen und Bauernbub-Rhamses erübrigt nichts, als den zerbissenen Grashalm auszuspucken und zu sagen:

»Ich denke, ihr bleibt heut über Nacht oben?«

»Hast was danach zu fragen?«

»Wär' schon notwendig, wenn einem so aufgelauert wird auf dem Heimweg.«

Das rollt so rasch und rund von den beiden Lippenpaaren, und die blendend gesunden Zahnreihen hinter ihnen erscheinen nur des Lächelns und ganz gewiß keinerlei bissiger Abwehr wegen.

Der Bursch nimmt auch weder die Worte, noch das Lächeln krumm und meint nur:

»Mädelgerede! Ihr würdet euch die Hälse schön verdreht haben, wenn ich einmal nicht gekommen wäre.«

»O! Ah! Seht doch gerade! – Was sich der einbildet? – Komm! – Laß ihn stehen.«

Es ist an dieser Stelle leider nicht möglich, jeder der Schönen die zugehörenden Worte mit Sicherheit aufs Konto zu setzen, so sprudelt das hervor und durcheinander und die beiden machen wirklich Miene, zu gehen. 235

»Da will ich nur sehen, wie das ausläuft,« meint aber der Bursch ganz ungerührt. »Großkarls und Bittnerbauers und Mühlhannels seine sind schon unten und bis ihr durch die kommt, werden euch die großartigen Federn schon ausgerupft sein; ihr müßtet denn über den Dornst hinüber wollen.«

»Die?« sagen die Mädchen wie aus einem Munde und fassen einander an den Händen.

»Die!« wiederholt der Bursch spöttisch. »Sie werden sich sehr freuen.«

»Laufen wir recht,« schlägt das Klarl vor.

»Je mehr ihr lauft, je eher werden sie euch hören.«

»Nein, wir gehen über den Dornst heim,« entscheidet die Gefährtin.

»Dorthin?« klingt es aber zurück, und es ist ein sehr merkwürdiger Blick, der das Wort begleitet.

»Ja, lieber dorthin. Der Karl geht schon mit uns. Nicht wahr?«

»Wär' man jetzt wieder gut genug?« will der Bursch sagen, aber des Ascherbauern Marie stößt ihm die Worte in den Mund zurück und zwar durch einen einzigen Seitenblick, der wie von ungefähr auf den Verdrießlichen fällt.

»So kommt!« ruft er und bahnt im Voranschreiten einen Weg durch den Graswust. Zögernd folgen die Mädchen, raffen alle paar Schritte ihre Röcklein kürzer und setzen die Füße so vorsichtig 236 zwischen die harmlosen Gewächse hinein, als ob die Dorngestrüppe wären. Erst als es von den Stämmen der unteren Schlagwand her wie Menschenstimmen heraufweht, geraten sie etwas in Eile. Der Führer hat sich nur kurz umgedreht und gemeint:

»Hab' mir's gedacht. Ihr wäret auf dem Reitweg schon nicht mehr an denen vorbeigekommen.«

Und dann sind die drei an der andern Schlagwand und bestreben sich, möglichst viele Stämme zwischen ihre Personen und die freie Weite draußen zu bringen, und in dem Heidelbeergewirr gelüstet es dem Burschen, galant zu sein, so daß er manchen vieljährigen Busch aus dem Wege tritt, bis der splittert. Und es rührt alle drei nicht im mindesten, daß die so mißhandelten ihre Knie gegen den Himmel recken und ganz erbärmlich anzuschauen sind.

Schließlich hören auch die Heidelbüsche auf, es kommen die Grünmoose und dann, wie es steiler wird, die braunen, nadelbestreuten Flächen. Die drei Leutchen können jetzt nebeneinander gehen und es gibt wieder ein Gespräch.

»Hast du daheim noch nichts gesagt?«

»Gebeten hab ich schon.«

»Und darfst du?«

»Nein, er hat es mir gerade verboten, mich schon beim Tanze sehen zu lassen.« 237

»Zu dumm!« murrt der Bursch. »Es gibt Mädl genug dort, die jünger als du sind.«

»Das hilft mir nichts, ich darf einmal nicht.«

»Eins tät schon helfen.«

»Was denn?«

»Du mußt gehen, ohne daß er es merkt.«

»Das kann nicht sein.«

»Das kann sein – wenn der Alte schläft.«

»Die Kathrine hat einen zu leisen Schlaf.«

»Das wär' das geringste. Du bist ja allein oben und eine Leiter ist nicht schwer zu tragen.«

»Aber die Leute würden's doch wissen und es daheim sagen.«

»Zu dumm!« murrt der Bursch wieder und stößt mit dem Fuße nach einem daliegenden Zapfen, daß dieser am nächsten Baumstamme zerschellt.

Die drei sind bereits an eine Art Pfad, oder vielmehr an eine Gehspur gekommen, und bald von rechts und bald von links führen gleiche Fährten heran, bis endlich eine ausgetretene Rinne da ist, die sich abwärts senkt, und dann wird es licht zwischen den Stämmen zur Rechten, als ob dort hinaus die freie Luft stehe.

»Schauen wir nüber?« fragt der Jüngling über die Schulter. Er wartet aber eine Antwort nicht erst ab und folgt der Gehrinne ins Heidelgestrüpp, das wiederum da ist. Die Marie geht auch und nur 238 das Klarl zögert und schaut den beiden nach, und durch die Pfadlücke gegen das Rot des Abendhimmels, das aus ihr hervorschimmert.

Das Mädl hat Kopf und merkt es wohl, wie der Bursch gern ein Weilchen mit der Marie allein sein möchte. Es sieht daher nach den Beeren und ißt sich langsam durch die Heidelbüsche gegen den Stein hin, um beim geringsten Rufe der Freundin zur Hand zu sein.

Die Zwei da vorn haben wieder den Halbkreis vor sich von der Wucht der Grenzwaldberge an bis zu den blauverschleierten Flächen des Innenlandes und dessen nebenstehenden, putzigen Spielschachtelbergen. Ihre Augen aber wissen nichts von dem glanzreichen Bilde; das Paar muß eben Wichtigeres vornehmen, als schauen.

Der Bursch hat angefangen:

»Weil's Klarl nicht zuhört; ich wüßte dir noch was.«

»Ja?«

»Gehen wir hinaus nach Johannesberg zur Musik, oder nach Josefstal hinunter. Dort kümmern sie sich den Teufel um uns, und heim kommen wir schon immer zurecht.«

»Aber das schon gar nicht.«

»Warum denn?«

»Ich weiß nicht . . .«

»Fürchtest du dich?« 239

»Ja, aber das ist's nicht.«

»Was denn?«

»Daß du's nur weißt: Ich mag den Vater nicht betrügen.«

»Hm! Und auf mich hältst du gar nichts?«

»Rede doch nicht so.«

Es tritt nun eine jener inhaltsvollen Pausen ein, die bänglicher sind, als schwere Vorwürfe. Dann bricht der Bursch los:

»Na, wenn dir alles und jedes für mich zuviel ist, ich weiß mir schon noch was.«

Der Zornige fährt mit den Händen zur Backe und macht die Bewegung des Zielens. Er hätte das nicht tun sollen und weiß es. Wie feierlich hat er schon dem Mädchen vor ihm gelobt, jenem gefährlichen Vergnügen zu entsagen und nun macht ihn der Zorn zu seinem eigenen Verräter.

»Jesus, nur das nicht!« will die Gekränkte ausrufen, und auch das Klarl, das eben nahe genug gekommen ist, um zu hören und zu sehen, vermeint den Burschen bestürmen zu müssen; aber es geschieht nicht und die Marie kommt über einen unartikulierten Laut nicht hinaus. Dafür stehen die Drei plötzlich wie erstarrt da und blicken einander entsetzt an, als ob eines auf dem Gesichte des andern die Bestätigung des eben Erlebten ablesen wolle. 240

Ist der schreckensvolle Ton, den sie nicht kennen und von dem niemand sagen kann, was er ist, aus der abendlichen Luft herab, oder aus dem Fels unter ihren Füßen hervorgedrungen, oder kam er aus ihrem eigenen Innern? Wer kann das wissen?

Wie vom Entsetzen gepeitscht, eilen nach dem ersten Atemzug, den das Schrecknis gestattet, die Mädchen mit hocherhobenen Händen von dannen, und auch der Bursch, der gleichwohl nur zögernd folgt, wirft links und rechts scheue Blicke zwischen das Gestämme.

– Im Hohlwege spinnen schon die Schatten und verdichten sich unter dem Gezweige bereits zum Dunkel. Dann aber scheint der Mond durch die Wipfel und macht die Zweiglein glimmen von silberigem Licht.

 


 << zurück weiter >>