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Im Ascherhofe sind die Fenster verhängt trotz des trüben Taglichtes, das sich aus dem Herbsthimmel gleichsam hervorzustehlen scheint. Die junge Frau Beate ist des Morgens schreckensbleich in die Stube gekommen und hat sogleich nach dem Tischrand greifen müssen; denn ihre zitternden Knie wollten sie nicht mehr tragen. Auch dann, als die rüstige Schwägerin sie nach der Ofenbank leitet, bedarf es noch geraumer Zeit und des liebevollsten Zuredens, ehe der Atemlosen die Sprache wiederkommen will.
Endlich erfährt man alles:
Sie hat nach dem Stall gehen wollen, als die hintere Haustür ohne einen Laut herumgeworfen wird, und wie sie näher tritt, die zu schließen, ist auf einmal ein so fürchterliches Schreien draußen, wie Lachen und Weinen zugleich. Da sitzt oben auf dem Dornstfelsen ein graues Weib, das ringt die Hände nach ihr, und sein Kleid flattert weit hinaus wie ein Totentuch. Und dann weiß sie nichts mehr, denn dann ist sie in der Stube, merkend, daß man mit ihr redet, und nun 6 fühlt sie große Angst und kennt sich nicht aus, was geschehen mag.
Die Schwägerin tut alles, um die Entsetzte zu beruhigen.
»Ach was, der Nebel macht dem Menschen allerlei Dinge vor, und in den Steinen da oben heult es jedesmal so, wenn der Wind vom Riesengebirge her geht. Du kennst bloß unsere Nebel noch nicht, sonst würdest du über so was nicht erschrecken. Guck her, der Dunst leuchtet ja heute mehr, als der Tag selber.«
Damit ist sie zu den Fenstern der Bergseite getreten, von denen aus der gespenstige Fels sichtbar sein muß. Würde die Aufgeregte aber auf die Bewegungen der mutig Scheinenden achten, so könnte ihr nicht entgehen, daß diese unwillkürlich den Daumen der rechten Hand einschlägt, bevor sie ihn unter der Schürze verbirgt. Die Anwendung dieses beliebten Hexenschutzmittels aber zeigt deutlich, daß auch die Trösterin an die Sage von dem Waldweib glaubt, das oben in einer menschenunzugänglichen Höhle des Dornstfelsens hausen und dessen Erscheinen eintretendes Unglück verkünden soll.
Ein schlecht verhaltener Schrei führt die Schwägerin zu der Sitzenden zurück, und als sie deren dunkelrote Züge gewahrt, ruft sie mit lauter Stimme nach dem Bruder, der fast unmittelbar darauf in die Stube poltert. Ein Blick der Schwester genügt, den 7 Ausdruck des ungläubigen Staunens auf dem Gesicht des Bauers hervorzurufen.
»Geh! es ist Zeit.«
Da langt er, ohne ein Wort zu sagen, die Mütze vom Hirschgeweihzacken herunter und eilt fort. Nicht einmal den nahen Fußweg nimmt er, sondern hastet über die Hangwiesen, über Gräben und Rainmauern, so treibt ihn die Gewißheit, daß die Stunde seines jungen Weibes gekommen, und der derbe Mann erzittert im Grunde seines Herzens.
Über dem Kamm oben aber ist das Gewoge des Nebels, das den unheimlichen Fels ganz einhüllt.
Es war ein Knabe. Seine Ankunft hatte sich verzögert; denn die Hebmutter befand sich bereits im Hause des Richter-Friedl, als der Ascher-Bernard bei ihrer Tür anlangte. Da war er nach dem Richterhofe gerannt, und hatte in die Wochenstube Botschaft gelangen lassen, sein Weib warte mit Schmerzen auf die Muhme Therese und diese möge um Gottes willen bald kommen. Darauf war er quer über den Bergriegel gestiegen, seiner Schwester auf dem kürzesten Wege Nachricht zu geben. Diese rang einen Augenblick die Hände und tat einen scheuen Blick nach der Leidenden, dann war sie die besorgte Hilfsbereite, wie vordem. Früher schon mochte sie die Fenster verhängt haben, weil die Augen der Schwägerin immer so 8 entsetzt nach denen gegangen waren, und wirklich schien die Wimmernde darauf ruhiger geworden zu sein.
Den Bauer trieb es umher: vom Stalle auf den Heuboden, aus der Scheuer in den Schuppen, durch die Wagenlaube nach den Holzstößen, die hinter dem Hause in Reihen standen. Dort hatte er begonnen, die letztangeführten Scheiter zu klaftern, aber auch dabei war ihm kein Verweilen beschieden gewesen; denn bald darauf mußte er den Kopf in die Stube recken und die Frage tun, ob er noch einmal nach der Muhme Therese sehen solle.
Die Schwester hatte ihm trübe zugenickt und etwas später war er über die Steinrücke gestiegen, die seinen Besitz von den Gründen des Richterhofes trennte. Noch war der Nebel im Fallen und die kahlen Äste der Raingesträuche, an denen er hinschritt, verloren sich fast in dem Grau. Nur die wenigen, gelben Blättlein der Birken, die an den dünnen Zweigen haften geblieben waren, leuchteten aus den Schleiern hervor, wie ruhigstehende, dreieckige Flämmchen.
Und da, mitten auf freiem Felde, hauchte ihn die Furcht an, daß er angewurzelt stehen blieb, und die gelben Fünklein im Nebel waren Kerzenflammen, die an einem Sarge brannten, und es überschlich ihn schwer, so daß sein Atem stockte.
»Um Gottes willen!«
Wie ihm darauf das stürmende Blut ins Ohr sang, 9 hatte er die Stimme seines Weibes zu hören vermeint, das aus höchster Not nach ihm rufe und sich gewendet, als wolle er den eben gemachten Weg zurückeilen. Es war aber nicht dazu gekommen. Mit dem Handrücken strich er den kalten Schweiß von der Stirn und meinte:
»Rein zum Fürchten! Daheim könnte ich doch nicht helfen; ich muß hinunter.«
Da war er mit dem Vornehmen hinabgestiegen, der Kirche eine neue Osterkerze zu stiften, wenn der Tag seinem Weibe gnädig vorübergehe.
Darauf trug er die Nachricht heim, daß es drüben noch nicht vorüber sei. Es müsse auch ein Unglück mit dem Vieh geben, er aber habe sich nicht die Zeit genommen, es zu erfragen.
So war der Rest des Vormittages vergangen, ehe die Helferin erscheinen konnte. Dann ist es hellauf lebendig geworden in der verdüsterten Stube vor dem ersten, zarten Schrei des Kindes. Das hatte auch den Bauer in die Stube gezogen, und er sah auf das krebsrote Gesichtlein des Neugeborenen mit etlichem Stolz und dem wenigen geheimen Ärger, daß das Ding gar so klein ausgefallen sei.
Alles war gut gegangen, und in der Freude darüber würde kaum der Erscheinung des Waldweibes gedacht worden sein, wenn nicht die Muhme Therese endlich von drüben erzählt hätte: 10
»Kaum bin ich dort und seh', daß es noch Weile haben wird mit dem Helfen, so ist auch schon ein Heidenlärm draußen. Wie ich durchs Fenster guck', sind die Kühe im Hof und alle wie toll, und der Bauer und der Knecht mitten drunter, und die hauen und schreien und werden geschleift von dem wütenden Vieh. Wär' nicht auf einmal die alte Richterin dagestanden und hätte die Tür aufgerissen, würde es ein grausames Unglück gegeben haben. So aber ging es mit den Kühen in den Stall hinein, als ob sie den Bösen hinter den Schwänzen hätten. Freilich, die schwere Strieme fehlte. Da kam auch schon der Hütejunge und schrie, man solle ihn nur gleich totschlagen; die Strieme sei über die Futtermauer gesprungen und liege dort und könne nicht auf und habe die Beine gebrochen.
So war es auch. Der Friedl hat den Jungen ins Gebet genommen und der erzählte, wie er wieder auf die Brache unter dem Felsen getrieben habe, und die Kühe seien heute gar nicht hinaufzubringen gewesen und immer ausgebrochen. Dann sei lange alles gut gegangen, aber auf einmal wären die Tiere zusammengerannt und hätten laut geschnarcht und vor dem Felsen gescheut und –«
Die Erzählerin konnte nicht vollenden, denn die Katharine hatte sie plötzlich an der Hand ergriffen und nach dem Ofenwinkel gezogen. 11
»So, jetzt erzählt weiter, Muhme Therese; aber leise, daß die Beate nichts hört,« flüsterte sie der Verwunderten zu und diese gehorchte kopfschüttelnd.
»Und da hat es auf dem Dornst oben mit einem so abscheulich geschrien, daß dem Jungen das Fürchten angekommen, und schon ist auch das Vieh, die Schwänze oben, über die Lehne hinunter, und da sei die Strieme gestürzt, weil sie über die Mauer gesprungen; und der Junge heulte, er könne nichts dafür und müsse ins Wasser gehen, wenn man ihm nicht glaube.«
»Wie zeitig mag das wohl gewesen sein, Muhme?«
»Ich bin in der neunten Stunde daheim weg und habe mich getummelt, daß ich hinaufkam, und dann hat oben der Spektakel gleich angefangen; keine Viertelstunde später ist's gewesen.«
Die Katharine schlang die Arme ineinander, denn sie fühlte, wie ihre Hände erzitterten. Die Zeit stimmte, und wenn die Schwägerin wirklich das Gespenst gesehen hat – –
Kurz entschlossen, erzählte sie der erfahrenen Frau was sich zu derselben Zeit im Ascherhause zugetragen hatte, und fand eine aufmerksame Zuhörerin.
»Ich dachte wohl, daß es etwas gegeben hat,« meinte die Vertraute; »denn bei euch ist die Zeit noch nicht dagewesen. – Ja, das unvernünftige Vieh wußte gleich, daß es heute nicht geheuer droben ist. 12 – Und daß die Arme das Gescheuch selber hat sehen müssen, ist schlimm, ist schlimm genug; ich wollte lieber, daß ich . . .«
Die Alte brach aber mitten in der Rede ab, und die drei Kreuze, welche sie darauf über Gesicht und Brust hinschlug, ließen erkennen, daß die geplante Kühnheit ihr sühnebedürftig vorkam. Es war eine Erleichterung, als das Kind wieder sein Stimmchen erhob und so der weibliche Hilfeleistungstrieb sein Ziel fand.
Der Bauer saß am Bette seines jungen Weibes und streichelte deren willenlose Hand. Er blickte argwöhnisch auf die Bemühten, denn immer noch wollte ihm dünken, es müsse etwas Schlimmes, Schweres kommen und die beiden da wüßten bereits davon.
Es kam aber nichts Schlimmes und Schweres mehr; nur daß ihn die Alte darauf gutmütig scheltend vom Bett hinwegtrieb:
Da müsse noch wer andrer sein, als so ein Mannsbild, und er solle sich nur draußen etwas zu schaffen machen unterdessen.
Er ging darauf mit seinem schweren Schritt, aber in der Tür wandte er sich noch einmal und blickte zurück. Da war aber ein anderes Bild, als jenes düstere von der Nebelwiese und bald zog er behutsam die Tür ins Schloß. Im Dämmerlichte des Schuppens richtete er sich ein und schnitt mit Anstrengung Schindeln 13 aus den gespaltenen Fichtenscheiten. Aber oft genug blieb das Schnittemesser in währendem Zuge stecken, wenn ihm die Gedanken gar zu sehr in die Quere kamen; denn wider Mannessorge kommt auch des scharfen Stahles schärfster nicht auf.
Die beiden Pflegerinnen hatten noch lange um Mutter und Kind zu schaffen. Der Ascher-Bernard saß aller Unterbrechungen ungeachtet schon bis an die Knie in den Spänen, als im Hausflur sich die Muhme Therese endlich verabschiedete. Noch einmal schärfte sie das und jenes ein, wobei ihr Gegenüber einige Ungeduld zu erkennen gab. Die Katharine hatte schon mehrmals den Mund geöffnet, um eine Frage zu tun, aber in dem Befürchten, besondere Vorschriften der Pflege zu überhören, immer wieder geschwiegen. Nun meinte die Alte endlich:
»Daß ich nicht vergesse. Meinen Haussegen schicke ich dir herauf, den legst du zu unterst in der Wiege. Er hilft sicher; ich habe ihn in Haindorf weihen lassen.« Es mochte aber doch etwas wie Unglaube in den dunklen Augen vor ihr aufblitzen, denn sie beeilte sich, ein Körnlein Weltklugheit beizufügen: »Und wenn die Rede darauf kommt, sagst du ihr eben, daß es ein Anzeichen wegen dem Vieh gewesen ist; wird auch gar nicht anders sein. Meinst du nicht?«
Die Angeredete preßte einen Augenblick die Lippen wie im Verdruß aufeinander, dann antwortete sie: 14
»Ich will es versuchen.«
»Kommt gut heim,« setzte sie noch hinzu, denn die Muhme Therese hatte mit einem eilig, fortzukommen. Die Katharine trat hinaus auf den Antrittstein und sah ihr nach. Wie die behende, kleine Frau hinter der Scheuer vorkam, zog sie das Tuch über die Stirn so weit nach vorn, daß es ihr auch an der Wegwendung nicht geschehen konnte, den Felsen oben zu Gesicht zu bekommen. Die Zurückbleibende nickte mehrmals, wie zur Bekräftigung, mit dem Kopfe, dann trat sie ins Haus zurück, ohne einen Blick nach der Höhe zu tun, wo der Fels sich finster zwischen den Bäumen hervorschob. Nun war wieder die graue, wetterzernagte Tür zwischen diesem und den Menschenwesen drinnen, und wie der eingeknotete Lederzug der Holzklinke vom Winde gegen ihre Fläche gepeitscht wurde, hätte man meinen sollen, jenes Furchterregende heische nun auch Eintritt in das Haus selbst.
Als in den alten Ahorn bereits die Schatten sanken, kam der Bauer wieder herein, um bei der Beschickung des Viehes zu helfen. Die Katharine hatte den empfangenen Rat befolgen wollen, und den Vorfall von drüben erzählt, aber einmal der verständnislose Blick der Schwägerin und noch mehr ein dunkles Gefühl, als ob sie in guter Meinung leicht ein Unheil anstiften könne, ließ sie nicht zu dem beabsichtigten Ende kommen. Jetzt im Stall, während die Milchbrünnlein unter 15 ihren Händen sprangen und der Bruder im Stande nebenan das Pferd besorgte, erzählte sie diesem, was ihr von der Erscheinung bekannt war. Sie tat es ungern, denn sie fürchtete seinen Spott, aber gegen ihr Erwarten hörte er ohne Unterbrechung zu. Er machte sich sogar, wie sie meinte, mit dem alten Fuchs heute mehr zu schaffen, als sonst seine Art war, und das mochte wohl sein; fand doch bei ihm die heimlich getragene Sorge des Tages durch das Unerklärliche neue Nahrung. Gleichwohl vermochte er es über sich, ruhig zu antworten:
»Kann mir nicht denken, warum es so sein sollte. Wollen aber gut aufpassen alle beide, daß nichts geschieht.«
Die Geschwister kamen noch überein, wie sie sich fortan gegen die junge Frau verhalten wollten, dann war der Schein des Öllämpchens wieder drüben in der Stube und leuchtete zu dem einfachen Mahle der beiden. Die Katharine goß frisches Öl nach, denn das Flämmlein sollte der Pflegerin dienen und die Nacht über weiter schwelen. Dann empfahl sich der Bauer. Er hatte sein Bett an die Schwester abgetreten und suchte nun deren Kammer auf. Aber er ging nicht sogleich dorthin, sondern öffnete vorher eine Dachluke, die gegen die Dornstseite lag und blickte lange nach dieser Richtung hinaus. 16
Nur eine kleine, dunkle Anschwellung, hob sich der Fels von den um ein geringes helleren Wolken ab, und wie der Mann so auf ihn sah, schien er sich zur Höhe zu recken und im Nu wieder einzusinken. Der Schauende kannte aber diese Spiele des Dämmerdunkels und sie ängstigten ihn nicht weiter. Nach geraumer Zeit schloß er sorgfältig die Luke und ging nach seinem Lager. Das Ungewohnte desselben hielt ihn lange wach. Er hörte über sich die Äste des Ahornbaumes auf dem Dache scharren und vernahm jedes Knistern im Gebälk und das Piepen der Mäuslein und die Totenuhr.
Die Katharine hatte den großen Krug vor das Lämpchen gestellt, damit der Schein die Kranke nicht stören sollte; aber bei jedem Widerschwunge des Perpendikels drüben leuchtete es in dem blankgeputzten Messingscheibchen auf. Wie einen springenden Funken sah die Beate zwischen den Wimpern ihrer halbgeschlossenen Augenlider den Schimmer unablässig wiederkehren; so sehr aber war die Müdigkeit noch über ihr, daß sie nicht versuchte, den Kopf zu wenden. Sie hatte die Erzählung der Schwägerin wohl gehört, aber erst nachträglich war ihr die Beziehung der Worte auf sie selbst deutlich geworden und der Schauder darüber ging in die fieberischen Träume ein, welche ihren Geist wechselnd peinigten und umschmeichelten. Sie mühte sich auch, das Ticken des Pendels zu 17 vernehmen, doch drang dieses nicht durch das Rauschen, das ihr Ohr erfüllte.
Die Pflegerin ruhte. Wohl hatte diese sich vorgenommen, heute nacht nur auf einem Ohre zu schlafen, aber sie vernahm längst nicht mehr die ängstlich-irren Laute, welche von den brennenden Lippen drüben sickerten.
Was war es doch gleich? Ja, wenn sie ihr nur das Rauschen wegnehmen wollten – vor den Ohren – aber jetzt hörte sie doch mit einem Male das Ticken – nur war es anders, war, als ob sie zu Hause unter der alten Schwarzwälderuhr säße, und – da rief auch schon der Kuckuck: daheim war sie. Und es war gar nicht wahr, daß der Vater tot sein sollte; da kam er gerade und sagte: »Es hat wieder eins zu wenig geschlagen. Ich muß doch nachsehen . . . .«
Die schöne Wiese, so voll roten Klees und blauer Stiefmuttern! Hatte sie die schon gesehen? Sie traute sich nicht, den Fuß hineinzusetzen. Aber da war drüben ein Kind, das mit den Blumen spielte und dabei so traurig sah. Sie kannte es nicht, jedoch sie begriff, daß es ihr eigenes sein müsse. Ihr Kind! – Aber das konnte ja nicht sein. War es nicht heute . . .?
Wenn sie nur hinüber könnte, dann wäre schon alles gut. 18
Was denn? – Ja so! – Es muß sein. Sie schürzte die Röcke hoch und trat zwischen die tauigen Gewächse hinein. Aber wie sie es auch lockte, das Kind glitt vor ihr her und ließ sich nicht fangen. Und da kam auch schon der Nebel herunter und das Kind lief darauf zu, als sähe es nicht, und ihre Angst stieg ins Unermeßliche.
»Nicht dort hinauf! Nur nicht in den Nebel hinein!« wollte sie rufen, aber sie vermochte es nicht; ihre Füße wurden schwer wie nasse Buchenscheite und sie konnte nichts als weinen – weinen.
Warum mochte ihr denn niemand helfen? Da standen sie ja, der Bernard und die Katharine und schauten so erschrocken her – und sie konnte doch nicht . . . .
Wenn die nur nach dem Kinde sehen wollten!
Das Fieber war doch nicht imstande gewesen, die Lebenskraft der jungen Bäuerin zu versengen. So matt war sie freilich noch, so sehr matt, und es schien, als gehörten ihr die Glieder nicht zu eigen, aber die Angstglut der Phantasmenzeit war nicht mehr über ihr und sie dachte an das Vorgefallene bereits mit einer Art müder Ergebung. Das blieb auch so, als die Frau längst wieder in Haus und Hof hantierte und nur, wenn in den Herbstnächten der Wind vom 19 Riesengebirge blies, kam es wieder über sie. Dann konnte sie stundenlang im Bette aufrecht sitzen, den Arm schützend über das kleine Wesen neben ihr haltend. Das Klirren einer losen Fensterscheibe machte sie erbeben und überall in der Finsternis waren die schleichenden Schritte und die Seufzer und die großen, großen Späheraugen. Die Geängstigte trug das schweigend, wie sie auch keine Worte darüber machte, daß sie eigentlich nie wieder recht gesund wurde; der kleine Johannes blieb ihr einziges Kind. Zuzeiten bäumte sich auch ihre mütterliche Selbstsucht auf und sie dankte Gott, daß an jenem Tage noch ein Kind geboren worden war. Konnte es nicht dem gelten? Wenn es aber wieder über sie kam, dann dachte die Schaudernde nicht daran und fürchtete alle die Jahre hin für ihr einziges Kind.