Gustav Leutelt
Die Könighäuser
Gustav Leutelt

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5.

Der Pfutschhans wohnte in der Einschicht mit seinem Weibe und mit dem kleinen Mädchen. Johannes kam oft zu der Freundin und er lernte mit der Zeit alle die Fußsteige kennen, die sich unter dem Heidelbeergestrüpp herüberschlängelten.

Sie haben Mucken, diese Waldsteige. Bei irgend einer Wurzel oder irgend einem Stein hören sie auf, das heißt, die ausgetretenen Rinnen, die den Heimischen Richtung halten lassen, oder knorriges Wurzelwerk überstrickt den Boden so, daß auch diese dürftigen Merkmale schwinden. Da hebt das Suchen an und 59 es ist absonderlich, wie bald so ein Bauernjunge wieder den richtigen Pfad unter den Füßen hat.

Dann sind die Moosstellen, wo es sich so weich und so kühl an den Fuß schmiegt und wo die grün-goldenen Streifen des Sonnenlichtes liegen, und es gibt auch da und dort wieder nur die braunen, glatten Tangeln, oder der Boden ist gesprenkelt von dem gilbenden, abgefallenen Buchenlaube.

Es war nicht nötig, nach den Wipfeln zu schauen; Johannes hatte längst die Säulen in der Runde kennen gelernt. Die von weitem rötlich durchschimmernde Fichtenborke unterschied er sicher von der hellgrauen Tannenrinde, den stahlfarbenen Buchenstamm von der silberigen Ebereschenstange. Niemand hatte ihm davon gesagt, wie er auch die Unterschiede kaum hätte in Worte fassen können. Es war einfach eine Zeit, da er das konnte, und er glaubte, es immer gewußt zu haben.

Und wenn er aus dem Walde hervortrat, war das Gewimmel niedriger Halme da, wo das kurze, fadendünne Gras stand, und das wuchs um viele alte, graue Steine herum und um ein sehr altes und sehr baufälliges Haus, einen Kartoffelacker und etwa noch um einige verwahrloste Krautbeete; aber diese standen wirklich nicht erst dafür, daß man von ihnen redete.

Das Haus war das Größte unter allen, aber es schien doch recht in Kummer versunken über seinen 60 Zustand: Die Vorderwand neigte sich einwärts, der Giebel zeigte das entgegengesetzte Streben und es half nicht viel, daß die ausgemorschten Schindeln den Dachrand verzierten, wie die Fransen und Zäckchen einer Urgroßmutterhaube.

Johannes machte sich keine Gedanken darüber. Er war einmal mit dem Mädchen heraufgestiegen und kam dann oft und öfter, wie es die Mutter eben erlaubte. Nur nach dem Felsen sollte er nicht gehen; aber der lag ja weit drüben im Walde.

Zuerst war die niedrige, rauchgeschwärzte Stube gut genug und das Garnspinnen der Frau und der zahme Star. Dann ging noch eine Zeit hin über dem Anstaunen der langen Waldrücken draußen, die sich so dunkel hintereinander herschoben und auf ihren höchsten Schneiden große Steine über die Wipfel emporhielten. Am allerhöchsten aber war es ganz weit draußen, und von dort sahen die Rücken blau herüber und der größte Berg war weiß vom Schnee bis in den Sommer hinein. Die Frau wußte den Namen nicht und der Pfutschhans hieß ihn den Schneeberg; es war aber die Kesselkoppe im Riesengebirge und Johannes hat dies später wohl erfahren.

Es schienen recht schlechte, trübe Scheiben, durch die man hinaussah; aber sie leisteten doch etwas Besonderes. Wenn so ein Körnlein im Glase gegen die Waldschneide drüben rückte, dann wuchs daraus 61 jach ein Berg empor, der geheimnisvoll stieg und einsank, wie man eben den Kopf hielt und der ganz wunderseltsam und märchenhaft in die Luft hineinstand. Dem Mädchen war dieses fremd, aber der Knabe zeigte es ihr und beide stritten bald, ob der Berg breit, oder ob er spitzig sei und wie er heißen solle.

»Wer hat recht?« meinte Johannes wohl in seinem Eifer; aber die Frau hatte keine Zeit und nur der Star schnarrte:

»Marie!«

Das war aber das einzige, was er konnte, und es war der Name des kleinen Mädchens.

Draußen spielten sie miteinander ohne richtigen Kinderlärm, phantastisch zwar, aber immer mit einem gewissen, frühreifen Ernst.

Was für graue, steinerne Ungetüme da alles in dem Grase standen oder herumlagen! Wenn der Löwe von heute morgen die Kuh war, so verschlug das nicht das mindeste, und jener hatte ebenso nur Gras zu fressen bekommen, wie seine Nachfolgerin. Der größte und ungefügeste Steinblock aber war stets die Kirche, mit welcher Einrichtung beide Kinder bisher nur vom Hörensagen bekannt geworden waren. Das Mädchen baute denn auch in ihrer Unkenntnis den Altar nebenan ins freie Feld, indes Johannes die alte Kuhschelle in die Birkengabel hing und dann 62 krampfhaft die Schnur festhielt, bis man fertig sein würde.

Es dauerte aber lange.

»Du mußt mir noch Farbe holen, Hannis. Es ist gar nicht schön genug.«

»Da kannst du den Strick halten,« meinte der Knabe, und das Mädchen tat's, bis jener die Farrenwedel aus dem Walde brachte. Dann war endlich der Altar geputzt genug, der Junge durfte läuten und tat es ernst und feierlich und schien bei der Sache.

Es war, als müßten sie arbeiten, die Kinder.

Mitunter gab es auch Unterbrechungen.

Wenn es in der Wetterecke so recht blauschwarz drohte, dann kam der Pfutschhans – sofern er daheim war – unfehlbar auf die Wiese gelaufen, schlug Kreuze in die Luft, kniete rechts und kniete links und tat das Wetter verweisen aus reiner, purer Gutmütigkeit; denn er bezog keinerlei Wettergroschen dafür.

Wer von den Leuten ihn sah, der meinte recht überlegen:

»Der Pfutschhans macht seine Sperfankel.« Aber der Lauscher ging doch etwas abseits; man konnte dem Dinge eben nicht ganz trauen.

Die Kinder aber fürchteten sich wirklich und gestanden es auch ein. Gewöhnlich war die Stube dann wieder gut genug und sie erlebten in ihr manch 63 Sommerdonnerwetter, wenn Johannes nicht schon vorher unter dem großen Tuche der Mutter heimgeholt worden war; denn das Wetterverweisen hat leider nicht immer gelingen wollen.

Das war aber lange nicht das unliebsamste.

Wenn die Jungen in die Einschicht gerieten, dann kam es ärger. Sie höhnten den kleinen Johannes, den Mädelpeter, den Schürzenkriecher, und sie neckten seine Gefährtin mit noch schlimmeren Worten. Allen andern voran tat es Richter-Friedls Ältester, der seine Schwestern daheim als Gespielen verachtete und nur die unbändigsten unter den Jungen um sich duldete.

Er meisterte sie aber auch alle. Wenn er angab, muckte nicht einer auf und, was viel heißen will, es waren Knaben darunter, die mehrere Jahre vor dem kleinen Befehlshaber voraus hatten.

Johannes stand rein hilflos gegen die Lästerbande und der Zorn der Kleinen nutzte erst recht nichts. Beide mußten immer in das alte Haus flüchten, und das konnte sie noch schützen, trotz allem.

Durch dieses Ungemach aber lernten die Kinder, achtsam zu sein, und wenn die Pfiffe und die Rufe durch den Wald heraufkamen, dann zogen sie sich beizeiten hinter die bergende Haustür zurück und schauten durch Risse und Astlöcher der Wurmstichigen hinaus, bis der wilde Jungensturm vorübergebraust war. Wie 64 es Lauschern zu gehen pflegt, fuhren sie wohl auch zusammen, wenn der junge König draußen scharf gegen die Tür herlugte und das Mädchen legte vorsorglich die Hand an den Riegel.

Er wird sie doch nicht sehen, hinter der Tür?

Er sah sie freilich nicht, aber den Kindern im Flur wollte es dünken, als tue er jedesmal noch einen schnellen Blick nach dem Hause zurück, bevor er als letzter am Waldsaume drüben abzog.

Was hatte neulich im Kretscham der alte Lehrer zu dem Bauer gesagt?

»Der Emilian ist begabt; ich wünsche nur, daß er seine Fähigkeiten einmal richtig anwenden möge, wenn kein Zwang mehr über ihm sein wird.«

»Das lassen Sie nur meine Sorge sein, Herr Lehrer,« war der Richter-Friedl ausgefallen, aber der alte Herr hatte nur die Achseln gezuckt und den Erzürnten so von unten herauf angesehen.

Der Pfutschhans war auch im Kretscham gewesen und hatte es nachher seinem Weibe erzählt, und die Kleine hatte noch nicht geschlafen.

Johannes besaß nicht das spielende, vorausnehmende Erfassen, wie Richter-Friedls Ältester, aber er hatte den Fleiß, den jener nicht aufzuwenden vermochte, und der glich soviel aus, daß der greise Lehrer seinen Liebling nicht erst zu spornen brauchte. Der 65 Emilian König aber war trotz seiner Gaben bei dem alten Herrn nicht besonders angeschrieben.

 

Nun war das Laub welk geworden; es knisterte und wisperte in den Gesträuchen und die dürren Grashalme an den Rainen duckten sich erschrocken, wenn der Wind über sie kam. Der Wald zeigte die braunen Rostflecken des abgestorbenen Buchenlaubes und da und dort stach aus seinem Dunkel die gelbflammende Lohe der Birkenwipfel hervor.

In der Einschicht blühte die niedrige Bergheide noch und schlang ein rötlichblasses Band um den Waldsaum her, und der Pfutschhans orakelte.

Johannes war nicht aufmerksam genug, sonst hätte er vernehmen müssen, daß der viele Schnee zu Beginn des Winters kommen werde, weil die Heide erst unten geblüht hat. Geschieht das in der Mitte der Traube, so wird der entsprechende Teil des Winters schneereich sein, brechen aber die Blüten der Spitze am ehesten auf, so stöbert es gegen das Ende der Jahreszeit am ärgsten.

Der Knabe stand bis über die Knöchel in dem gelblichweißen Torfmoose, das auf der Wiese zum Trocknen ausgebreitet lag. Er war zu spät gekommen und Marie unterdes vorausgegangen; denn »er findet sie ja doch.« Der Pfutschhans gab obendrein die Richtung: 66

»Alsdann, dortzu ist sie; aber der Baumhacker da drüben läuft derseit schon den dritten Stamm ab. Du wirst müssen die Füße in die Hand nehmen, Hannis.«

Der Specht pochte noch lange hinter dem Jungen drein, als der schon zwischen den Stämmen ging. In die Schatten hinein eilte der Knabe und streifte durch die Sonnenlichter, die immer dürftiger und seltener wurden, je weiter er in den Hochwald geriet.

Er ging immer geradeaus fort, bis eine Stelle kam, wo das Moos in breiten, überschwellenden Polstern dahinstand; aber die wunderbare Ordnung desselben war zerstört und manche Lücke drein gerissen, aus der die schwärzliche, moderhauchende Erde des Waldgrundes hervorsah.

Johannes blieb stehen und schaute umher; das Mädchen war nicht zu erblicken. Er rief; es antwortete nichts.

»Sie muß nach der Sauschütte sein,« meinte er nach einer Weile halblaut und fing wieder an zu gehen. Da hemmte ihn ein Rascheln, und wie er nach der Richtung sah, war es nicht das Mädchen, das aus einem Versteck hervorschlüpfte; es war die Schlangenkönigin.

Sie glitt aus dem Heidelgestrüpp und wand ihren blauschimmernden Leib eilig zwischen den Moosen hin. Gar klug blickte sie auf den Knaben her und 67 hielt ihm die leuchtende Zierde entgegen, als wollte sie sagen:

»Siehst du sie, Johannes? Und weißt du das Wort immer noch nicht?«

Aber Johannes sah die Krone nicht mehr. Er sah nur die gelben Flecken hinter dem Kopfe, und daran waren eigentlich der alte Herr schuld und die Schule.

Da wandte die Gekränkte sich unwillig ab und verschwand.

Der Knabe stand noch immer, und es war doch kein Schlangenzauber mehr und kein Rascheln, und wie er endlich anhob, zu schreiten, so taten es nur die Füße allein; der Geist ging andre Wege. Das machte, Johannes war in Gedanken, und in Gedanken ging er irre, oder es hatte sich die Schlangenkönigin gerächt und ihm den Weg verwirrt. Zuletzt stand er auf einer kleinwinzigen Waldwiese, die noch einiges Grün hatte, und die zahlreichen niederen Distelgewächse auf ihr zeigten die weiße Unterseite der Blätter so, daß es aussah, als ob Papierschnitzel umhergestreut wären.

Er stand nur, weil er nicht weiter konnte; denn es war eine Wand junger, verkümmerter Fichten da, die wucherndes Graumoos derart überzog, daß von dem Grün ihrer Nadeln fast nichts hervorschimmerte.

Johannes kannte den Ort nicht. Er rief mehrmals tüchtig, aber es kam nicht ein Echo zurück. Da 68 entschloß er sich, umzukehren, suchte seine Spuren, fand sie nicht und wurde verwirrt.

Oder war bloß der Wald verzaubert? Man hätte es meinen sollen.

Überall wehrten die Radschleier der Spinnennetze ihm den Weg, und wenn sie der Windhauch rührte, flimmerte es im Husch, wie Gold und Regenbogen zugleich. Der Moorboden versuchte seine Füße zu umklammern und die Brombeerranken griffen nach ihm; aber er wehrte sich tapfer und stieg schließlich aus dem Grunde empor, der Sonne entgegen.

Eine Wasserrinne war da; es konnte auch ein Steig sein, aber je weiter Johannes emporkam, desto enger und mühseliger wurde der und immer dichter wölbte sich der Jungwuchs über ihm, so daß kaum durchzuschlüpfen war.

Endlich trat der Knabe aus dem Dickicht heraus und schüttelte die Nadeln von der Hutkrempe. Er war erhitzt, seine Pulse pochten und mit Anstrengung wischte er über Stirn und Wangen, weil die Spinnenfäden noch immer dort zu hängen schienen.

Nun war auch bald eine Art von Weg da und Johannes ging ihn rascher und rascher, gespornt von der Ungewißheit und von einiger Bangigkeit, wie er sich zurechtfinden werde. Etlichemal wollte es ihm scheinen, als ob zwischen dem Grün vorn etwas Großes, 69 Graues hersehe, aber er nahm sich nicht die Zeit, das zu untersuchen und der Weg stieg noch immer bergan.

Dann war eine scharfe Biegung und da lag in den Heidelbeerbüschen sogleich der Sonnenschein. Noch zwei Schritte und der Knabe sah in die freie Luft hinaus, über den grauen, sanftansteigenden Fels hin, der jenseits jäh abzustürzen schien. In dem ungeheuren Raume, der sich vor dem Kinde auftat, war nichts als der blaue Himmel und die lichtglänzenden Wolken, und nur in jenem graubraunen Dunste, der ganz weit draußen lag, stand es schattenhaft empor wie sonderbare, spitzige Berge und noch spitzigere Felstürme, alles putzig und klein, wie aus einer Spielzeugschachtel hingestellt.

Aber das war eben nur ein Blick, der zweite galt bereits der grauen Gestalt, die seitwärts auf dem höchsten Steinblocke stand. Als wachse sie aus dem fahlen Gesteine heraus, so schmiegte sich an dieses ihr gleichfarbenes Gewand. Unheimlich regungslos, blickte das Weib hinaus gegen die Zacken und Hörner, die aus den fernen Dunstschleiern des inneren Böhmerlandes aufragten. Nun hob sie den Arm und ein fremdartiger Schrei drang in die Weite.

War es ein Jauchzen? War es eine Klage? Wer konnte das wissen. Vielleicht begrüßte eine der umherschweifenden Zigeunerinnen so ihre fernherblickende 70 Heimat, der sie sich mit dem Kommen des Winters wieder nähern mußte.

Und nun wandte das Weib dem Knaben ihr dunkles Antlitz zu und die leuchtenden Augen, und der Kleine konnte sich nicht anders schützen, als daß er die Arme vor seinem Gesicht verschränkte.

Die bösen Augen! Er fühlte, wie sie sich in ihn einbrannten, immer tiefer, und seine Angst stieg. Aber mit einem war das Schlimme ganz weg von ihm und der Knabe wußte, daß die graue Frau nicht mehr drüben sein konnte. Als er unter den Armen hervorlugte, stand der Steinblock leer in die Luft hinein.

Da fiel ihm ein, daß er keine Schritte gehört hatte und er wurde wieder bestürzt. Konnte das Weib nicht hinten in dem Walde sein, durch den er gehen mußte?

Der neue Schreck trieb ihn zur Felsplatte empor. Da sah er unter sich wie im Traume das väterliche Haus liegen und den Richterhof und die lange Steinrücke, aber die Angst riß ihn wieder herum und er starrte auf die jungen Wipfel hin, als ob aus ihnen die hellen Flammen hervorbrechen sollten. Es war aber doch nur die Abendsonne, die ihr Gold in die Tangeln gehängt hatte.

– Warten, bis jemand kommt? Wer geht da herauf?! – Er wird springen, so sehr er nur kann.

Mehrere tiefe Atemzüge noch, dann flog der Knabe wie ein geschleuderter Ball zwischen die Stämme 71 hinein. Einmal den Abhang erreicht, trieb ihn die eigene Schnelligkeit zu den gewagtesten Sprüngen, aber er hielt sich aufrecht dabei, wenngleich die Gelenke knackten. Die Luft sauste ihm in den Ohren, wie Peitschenhiebe schmerzte es an Gesicht und Händen und immer wiederholte er den Gedanken:

»Sie ist hinter dir. Sie ist hinter dir.«

Wie er endlich auf die Brache hinaussprang und wieder frei um sich blicken konnte, glaubte er sich geborgen; denn immer wandelt den Menschen die Furcht am ehesten an, wenn dem Wächterpaare der Augen Schranken gesetzt sind: sei es im tiefen Walde, sei es in Höhlen und Schluchten oder im dichten Nebel.

Die Sonne ging eben unter; mit einem Ruck, meinte der Knabe und er blickte scheu unter der Hand nach oben, wo der rotangestrahlte Fels sich noch ein weniges aus den Wipfeln hob.

Es stand niemand dort oben und es regte sich auch nichts zwischen den Stämmen des Waldrandes unten, doch wollte der Schreck wiederum an den Knaben heranspringen, als die Schattengeheimnisse drüben mit seinen Sinnen ihr Spiel zu treiben begannen.

Er fing wieder an zu laufen und fühlte nun erst seine Erschöpfung. Gab es denn noch Schreckhaftes? Aus dem alten Hause stieg der Rauch so friedlich in die Abendluft, und deutlich war es zu hören, wie der Vater unten auf der Tenne die Siede schnitt. 72

Bald ging der Knabe langsam und schaute sogar mehrmals zurück, als sei er nicht mit sich im reinen, was zu tun. Endlich dachte er laut:

»Ich muß es der Mutter sagen.«

Verwirrt und geängstet hockten nach einer kleinen Viertelstunde die beiden Menschen vor dem großen Kachelofen, in dessen Innern eben die letzten Brände verknisterten. Der Knabe hatte es zweimal erzählen müssen und die Beate darüber auf die Unterhaltung des Feuers vergessen. Johannes glaubte gar, die Mutter zürne, weil sie so sonderbar dreinschaute und nach ihm tastete und meinte ängstlich:

»Aber ich bin gewiß nicht gern hingegangen, Mutter.«

Die Beate zog das Kind an sich und dieses fühlte, wie ihr Leib erzitterte.

»Hast du es schon wem gesagt?«

»Nein, ich bin gleich zu dir gelaufen.«

Da sollte er ihr versprechen, keinem Menschen je von dem zu erzählen, was er heute gesehen hatte, und er tat es.

 

Sie hatten gegessen und es war still dabei hergegangen. Dann wartete man noch auf die Katharine, die von Gablonz kommen sollte, und der Bauer ging ab und zu und schaute nach der Schwester aus.

Als der Knabe schon in seinem Bett lag, kam sie 73 endlich und brachte aus dem Dorfe die Neuigkeit herauf, die alte Richterin sei gegen den Abend gestorben.

»Frisch und gesund ist sie aus der Hütte weggegangen und hat es doch nicht mehr bis auf den Hof gebracht,« hatte die Muhme Therese erzählt. »Der Wenzel meint, sie müsse wohl geschrien haben; er hat so etwas gehört, aber die Stimme ist anders gewesen, so ganz anders, und im Hofe will niemand davon wissen.«

Die Beate kann nicht zustande kommen. – Die Schwägerin muß doch ein Essen haben und sie hat es ja zurechtgestellt.

Der Bauer räuspert sich bereits, es ist aber nicht nötig; denn die Katharine nimmt schon der Zitternden das Geschirr aus den Händen. Nun ist noch etwas zu sagen, um das Befremdende des Vorganges zu verwischen, und der Bauer tut es:

»Gott tröste sie! Sie mag noch nicht gern gegangen sein, und ihre Hand wird recht sehr fehlen drüben.«

Damit ist das letzte Wort über den Tod der alten Frau gesprochen worden und die Rede geht weiter, in Pausen, wie es eben kommt und wie es dazu Anlaß gibt. –

Johannes schläft nicht. Er sinnt darüber, ob die Richterin geschrien oder der Wenzel nur das fürchterliche, 74 graue Weib gehört haben mag. Wenn jemand vor die Lampe tritt, dann wankt an der Wand herauf der dunkle Schatten und streckt sich die Decke entlang, als sei ein graues, ungeheuerliches Gespenst im Begriffe, sich auf den Knaben herabzuneigen; er muß die Augen zutun, daß er sich nicht fürchtet. Allmählich aber schließen sich die Lider fester und die Stimmen drüben klingen leiser und leiser. Eben wollen sie ganz undeutlich werden, als er durch einen leichten Druck wieder ermuntert wird. Da sitzt am Bettrande die Mutter und flüstert vor sich und spricht Gebete. Wie sie drei Kreuze über ihn schlagen will, greift der Knabe nach ihrer Hand. Rasch aber wird ihm diese wieder entzogen und er fühlt die Finger der Mutter an seinen Lippen: eine Mahnung zum Schweigen.

 


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