Gustav Leutelt
Die Könighäuser
Gustav Leutelt

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10.

Der Rieselvorhang des Regens war eben im Abziehen. Es hüpfte und kreiselte noch auf allen Lachen und die Spiegelbilder der Bäume in ihnen zeigten schwankende Umrisse. Alles sprühte, troff, spritzte. Die Dächer und die Wege glitzerten und an den Scheiben rannen die kristallhellen Tropfen nieder.

Johannes stand am Fenster und sah nach dem Walde empor, der eben jene leichten Schleier um sich zog, die verdunstendes Regenwasser in die Lüfte sendet.

Am gestrigen Abende noch hatte es sich getroffen, daß er mit der Katharine sprechen konnte. Wirklich war die Marie Krankenpflegerin im Ascherhofe gewesen und hatte die Kuh versorgt und das Geflügel, und als der Vater gestorben, ist auch der Pfutschhans aus seiner Einschicht herabgestiegen, um das Nötige zu besorgen. Die Katharine konnte erst nachher wieder zu sich kommen und dann hatte sie den Mann nach der Schwägerin gesendet; der Marie aber mußte sie damals heilig versprechen, die Pflegerin nicht zu verraten und das ist ihr schwer genug geworden.

Da hatte auch Johannes Vertrauen bewiesen und erzählt und seinen Entschluß bekannt gegeben, heute in die Einschicht hinaufzusteigen, um das Mädchen zu werben. 139

Aber die Katharine war darüber ängstlich geworden.

Er solle nichts übereilen, jung wie er sei, und dann könne er ja auch Ansprüche machen.

Johannes aber hatte beharrt.

Da war die Warnerin hin- und hergetrippelt, gegen ihre sonstige Gewohnheit, und dann nach dem Tischkasten des Vaters gegangen, um ihn aufzuschließen.

Er solle doch einmal hersehen.

Geldrollen und Schuldscheine wies sie vor, ein kleines Vermögen, das ihm gehörte.

Ihr bißchen solle er nur auch dabei lassen – damit zeigte sie auf einen verschnürten Pack hin – und den Schlüssel gebe sie nun ihm, und sie habe sich schon danach gesehnt, das tun zu können.

Klug war die Katharine und der gewiegte Menschenkenner hätte nichts besseres tun können, um den Burschen auf andre Gedanken zu bringen; aber sie wußte eben nicht, daß das Glück seinen Schutzbefohlenen heimgeleitet hatte und mit in der Stube war und nun mit seiner Hand über den Mammon hinstrich, damit der Staunende diesen geringer achte, als das liebe, gute, begehrenswerte Gesicht oben im Einschichthause.

Als Johannes darauf die Schublade schloß und für die bewiesene Fürsorge dankte, wußte die erfahrene Frau auch, daß ein Ablenken nicht mehr zu hoffen sei und ergab sich in das Unvermeidliche. Nur auf 140 ihrem Lager wandte sie sich noch an die Himmlischen, dem Bruderssohne doch ja gute Gedanken zu verleihen, und die Kügelchen des Rosenkranzes glitten zwischen ihren Fingern bis sie endlich entschlief.

Auch Johannes konnte schwer die Ruhe finden. Hatte das Glück gemeint, ihn schon verlassen zu können, und war der Zweifel aus irgend einem dunklen Stubenwinkel aufgestanden und ihm zu Häupten getreten? In dem Schlaflosen stieg es empor, daß sein Freuen einer Lieblosigkeit und sein Vorhaben einem Treubruche an den verstorbenen Eltern gleichkomme, über deren Leibern sich doch kaum der Rasen geschlossen hatte. Wie die Vorwürfe auf ihn eindrangen, glaubte er anfangs, ihnen erliegen zu müssen, aber er faßte sich und hub an mit Gründen in ihr Gewimmel zu streiten, und setzte gegen sie die Dankbarkeit und die Notwendigkeit, und geriet dabei in Eifer, so daß ihm heiß wurde und er sich in den Kissen aufsetzen mußte. Aber die kräftigste Hilfe gaben ihm doch die lieben Bilder der Verstorbenen, die zur rechten Zeit vor seinem geistigen Auge erstanden, und die ihn gütig und vorwurfsfrei anblickten, als seien sie mit dem Vorhaben des Sohnes so recht vom Herzen einverstanden.

Heute war ihm wieder wohl und er sah hoffnungsfreudig in das Regenwetter hinaus. Eifrig sann er dabei nach, wie es ihm wohl ergehen mag, wenn er 141 jetzt durch den tropfnassen Wald nach der Einschicht hinaufsteigt und dann vor den Pfutschhans und vor dessen Tochter hintritt. Er konnte damit nicht zu Ende kommen und fing wieder von vorn an, sich die Gelegenheit auszumalen und erdachte immer treffendere, neue Wendungen zu seiner Rechtfertigung. Endlich aber mußte er doch gehen.

Es regnete nicht mehr, jedoch die Gesträuche sprühten bei der leisesten Berührung Wasserperlen. Von den übernassen Bäumen fielen die Tropfen, zerstoben an vorgestreckten Astzacken oder klopften vernehmlich auf Schultern und Hutkrempe, und in dem rostfarbenen Wasser der Lachen ragten die Spiegelbilder der Bäume in einen grauen Himmel hinunter.

Das Glück mußte wieder um den Weg sein. Nebelschleier, Grauhimmel und alle die tausend tickenden Tropfen waren nur seine Boten; in den sonst starren, dunklen Fichten lag etwas Weiches, Sehnsüchtiges und in den Fensterscheiben des Einschichthauses blinkerte es wie das Freudengeleuchte guter, alter, treuherziger Augen.

Er ging quer über die Wiese, so ungeduldig war er im Heraufsteigen geworden, aber als der Riegel klappte und ihn der dunkle Flur umfing, keimte der Gedanke in ihm auf, als könne alles noch ganz anders kommen, wie er es ausgemalt, und er zögerte. 142

Zu tasten brauchte er nicht; der hölzerne Griff geriet von selbst in seine Hand, aber er zog die Tür doch nicht auf.

Es war der Zweifel, der ihn zurückhielt. Der liebt die schlaflosen Nächte und das Dunkel und trat im Augenblicke den Burschen hart an.

Wie feines, schneidendes Hohngelächter schwirrte es vorüber; aber das Glück brauchte nur zu winken und Johannes hörte bloß ein metallisches Klingen, das er wohl kannte und das ihm die frohen Stunden wieder erstehen ließ, die er hinter dieser Tür verbracht hatte.

In der Stube war der Pfutschhans damit beschäftigt, die alte Schwarzwälderin zu reinigen, was er alle paar Wochen einmal tat, und wie der Mann mit dem Federbarte an der Stahlschnecke des Schlagwerkes hinstrich, entstand das Schwirren und die Ursache der Täuschung für den Außenstehenden.

Der hatte ehedem oft bei dem Geschäft geholfen und die Uhrgewichte halten müssen und die Erinnerung an diese Geringfügigkeit tilgte wunderbarerweise seine Bedenken völlig.

»Hinein!«

Da stand er, und der Pfutschhans blies erst in das Uhrgehäuse, bevor er den Kopf wendete, die Marie stand bestürzt, und die Hauswurz drüben hing noch immer an ihrem Faden von der Decke herab, 143 und das ausgestopfte Eichhorn in seinem Glaskasten war das einzige Neue in der Stube.

Das alles sah Johannes mit einem Blick. Er grüßte, aber dann wollte ihm der Anfang seiner wohlausgedachten Rede nicht beifallen und die Aufregung überwältigte ihn so, daß er steif und stumm blieb und sich nicht zu helfen wußte.

Da mußte schon der Pfutschhans die Uhr beiseite legen.

»Ist der junge Herr Ascherbauer zu uns hergeraten und wird müde sein. Marie, stell' dem Herrn einen Stuhl.«

»Aber –«

»Alsdann, wird schon sein; ungewohnter Weg macht müde, und den Fußsteg hat es bös ausgeschwemmt im Frühjahr.«

»Ich wäre schon –«

»Ja, ja! Es wird dem jungen Herrn auf eine Sandfuhre oder zwei wohl nicht ankommen von den Kiesgruben her, – macht keinen halben Arbeitstag aus.«

»Es ist aber etwas andres, das ich –«

»Na, es muß ja nicht gleich sein. Ich dachte nur, weil der neue Ascherbauer gerade zu sehen ist, könnte man's ihm sagen. Hätte auch einen Tag geschaufelt, und das meinige getan.«

Johannes war nicht mehr arglos genug, um den Spott in den Worten des Mannes zu überhören. 144 Er merkte aber auch, daß dessen Gedanken anders gingen, als seine Rede, und das gab ihm den Halt wieder. Am meisten half ihm jedoch, daß die Marie mißbilligend schaute und mit den Sticheleien gar nicht einverstanden schien.

Also faßte er ein Herz und redete dem Pfutschhans die neue Bosheit, mit der jener eben losgehen wollte, rein vom Munde weg und ließ sich nicht aufhalten, und sein Empfinden strömte aus in überzeugenden Worten, ehrlich und ohne Rückhalt.

»Es ist nicht wahr, daß der Weg zu euch mir ungewohnt ist. Ihr konntet es freilich nicht sehen, wie oft ich zwischen den Fichten gestanden bin und hergehen wollte. Warum habt ihr mich von euch gejagt mit schlimmen Worten und noch Schlimmerem? Konnte ich da wiederkommen? Als euer Weib gestorben war, hätte ich so gern ein gutes Wort gebracht, aber damals traute ich mich schon nicht mehr, hereinzugehen, und draußen waret ihr nirgends zu finden. Und dann wußte ich es auch noch nicht, wie sehr ich in euerer Schuld stehe, sonst wäre ich euch nachgelaufen, wo ihr immer hättet gehen mögen. Seit gestern erst weiß ich's, was die Marie an uns getan hat, und –«

Ein Knarren der Diele ließ ihn stutzen und da stand er auch schon an der Tür. 145

»Nein, Marie, ich bitte dich, geh nicht fort. Ich kann auch gar nicht mehr weiter reden, wenn du gehst, und dann wird dein Vater mich mit spitzen Worten wegschicken und das darf nicht sein – heute nicht mehr.«

»Wegschicken? Hat sich was. Ist der Ascherbauer nicht schon Herr da im Haus und läßt durch die Tür, wer ihm zu Gesicht steht? Magst immer dableiben, Mariechl; denk an die Ehre, wenn der junge Herr sich mit dir spaßen mag.«

»Das sollt Ihr nicht sagen,« meinte Johannes und gab die Tür frei, aber das Mädchen ging nur auf seinen früheren Platz zurück.

»Ich hab' es dir gleich gesagt, Mädl, daß es auskommen wird. Nun kannst du dich wehren, wenn der Herr was anbietet.«

»Ihr solltet es mir nicht so schwer machen, das Danken. Und schlecht bin ich gewiß nicht geworden und tue Euere Tochter mit keinem Gedanken beleidigen. Es ist mir auch, als könne es Euch nicht ernst sein mit solchen Reden; Eure eigene Guttat an uns läßt mich das nicht glauben. Und wenn ihr meint, daß ich Schelte verdiene, spart sie nicht, aber wehrt mich nicht so weg, wie eine zudringliche Fliege. Dann gebt mir auch Zeit, daß ich mich rechtfertige, und das werde ich können, darauf verlaßt Euch.« 146

»Es will mir aber stark so vorkommen, als ob jemand in der Stube da alle Ursache hätte, dem neuen Ascherbauer nicht zu trauen.«

»Das mag sich zeigen. Wenn Ihr mich anhören wollt, werdet Ihr bald sehen, daß die Schuld doch nicht an mir liegt. Die Marie weiß es schon.«

»So, so? Die Marie weiß es schon? Alsdann, geht der Wind daher?

Ist das wahr, Mädl?«

Es ist ein einziger, schneller Blick, der dem Pfutschhans zu teil wird, aber er sagt genug, ob dem Manne gleich die gewonnene Erkenntnis nicht eingehen will und er immer wieder den Kopf schüttelt oder das graue Stoppelkinn reibt. Zuletzt meint er mehrmals. »Na, so!« und greift darauf nach der Uhr, besinnt sich aber eines Besseren und geht an dem Johannes vorüber gegen die Tür.

Draußen hinter dem Hause schüttelt der Wind eben die Tropfen aus dem Ebereschengefieder und die netzen den Mann in Hemdärmeln wacker ein, ohne daß der es zu merken scheint. Er reibt noch immer die grauen Bartstoppeln, aber das Kopfschütteln hat er eingestellt und treibt dafür eine seltsame Gymnastik mit Mundwinkeln, Wangen und Augenbrauen, daß es geradezu lächerlich schiene, wenn jemand zusehen möchte. Es ist auch nicht einmal gesagt, daß keines lacht, wenigstens klingt es 147 manchmal so, wenn der Alte sich an der Gartenhecke oder vor dem Bornhäuslein umwendet. Und dann setzt er sich schließlich nieder auf den wackeligen Sägebock, schlägt mit beiden Händen auf die Knie und schaut hellvergnügt drein, und dann und wann reibt er auch die Finger und ist unbekümmert darum, daß seine Füße in einer gewaltigen Regenlache stehen.

Mag sein, er wird darum keinen Schnupfen kriegen.

 

Das Glück war dabei gewesen. Johannes empfand das später lebhaft, wenn er sich vergegenwärtigte, wie alles hätte anders kommen können, und wie es ein Wagnis gewesen sei, zur selben Zeit Versöhnung suchen und eine Werbung vorbringen zu wollen. Je mehr er darüber nachdachte, desto weniger konnte er begreifen, woher ihm die Entschlossenheit gekommen war, schien aber doch nicht geneigt, sich deshalb zu bewundern und hielt eher dafür, der Herrgott müsse einmal extra aus seinem Himmel auf ihn hergesehen haben, wo es ihm dann freilich nicht fehlen konnte.

Hochzeit? – Noch waren sie nicht so weit, aber ein Paar sollten sie schon werden. Und dann war es gut, daß der Pfutschhans jetzt offen nach dem Rechten sehen konnte; denn in diesen geregelten Zeiten erinnerte sich auch die Obrigkeit wieder des 148 Ascherhofes und wollte dreinreden zwischen den vergangenen Tod und das neuanhebende Leben daselbst.

Es ging nicht ohne Anstoß und die Lauferei zu Amtmann und Oberamtmann wollte kein Aufhören finden. Schon hatte der große Ahorn sich verfärbt und blätterte, als der Ascherhof endlich wieder gefestet und gesichert in den Büchern und Aktenbündeln der Gerichtsherren stand und der allzujunge Ascherbauer einen hinreichend bejahrten, vormundschaftlichen Beistand erhalten hatte. Der war aber der Johann Ignaz Freudenberger, sonst Pfutschhans und gänzlich unbestallter Wetterbanner von Friedrichswald. Die Kielfeder hatte während der Unterschrift des Mannes so unwillig geschrien, daß der Hals des Aktuars verwundert aus der schwarzseidenen Binde emporgerutscht war; aber der neugebackene Vormund hatte darauf so wenig geachtet, als auf das spätere Nasenrümpfen der Nachbarn und der guten Freunde und Bekannten.

»Ist das erlaubt, den Sperfankelmacher zu nehmen?«

»Ganz recht. Für den Hungerleider ist so was nicht; da sollte einer von den Steuerzahlern dran, wie es sich gehört.«

»Sie werden ihn aber gewollt haben.«

»Ja, und das Mädl, das ist eine Feine. Die hat den Hannis doch rumgekriegt.« 149

»Da wird's halt auf zwei Seiten flecken.«

»Na, wenn aber der selige Ascher-Bernard aufstehen könnte, der würde sich verwundern . . .«

Die lieben Nachbarn, Freunde und Bekannten redeten in den Wind. Dem wunderlichen, alten Manne und dem jungen, sowie dem Mädchen war es recht, und die Katharine ergab sich drein, daß es so war, und wurde der Marie täglich geneigter.

Der Richter-Emilian aber sah nach dem Ascherhofe und der Einschicht noch anders, als die Leute. Dabei schien es doch nicht allein der Zorn über das Mißglücken seines Anschlages zu sein, was in jenen Tagen die böse Falte zwischen seine Brauen grub, es war noch mehr die Scham des verwöhnten Mädchenjägers über die endgültige Zurückweisung.

»O, es ist noch nicht zur Hochzeit aufgespielt. Wer weiß . . .

Wenn man diesmal den Hannis auf die Seite schaffen könnte!«

Der Emilian ging jetzt öfter mit seinem Vater übers Feld und die Leute sagten: »Der Königssohn will schon stat werden.«

Es war aber nicht so.

 

Heute war im Ascherhofe Kranzbinden; denn Allerseelen stand vor der Tür. Der Hannis hatte schon am Nachmittage mit dem Rechen in die 150 Ebereschen gelangt und die roten Beerenbüschel abgerissen. Jetzt lagen die auf dem Tische zwischen dem tanngrünen Reisig, und die Marie saß davor und half der Katharine. Johannes schnitt mit dem Taschenmesser die Zweiglein zurecht und legte sie fein säuberlich in Stöße, die er abwechselnd den beiden Kranzbinderinnen zuschob. Das satte Grün der Nadeln und das helle Korallenrot der Beeren machte sich prächtig nebeneinander.

Und da kam der Pfutschhans, sehr nach Luft schnappend, und lief zu den Fenstern der Dorfseite, durch die er ängstlich hinaussah.

»Alsdann, Hannis, das wirst du müssen sein lassen. – Geh gleich anziehen. Steck auch brav Geld ein; es ist nicht gesagt, wann du wieder heimkommst.

Ja, ja! seht nur, seht. Das einzige Glück, daß ich vorhin im Kretscham einkehren wollte. Kommt im Vorhaus die Wirtin auf mich los, stößt mich in eine Ecke und zischelt, ich soll machen, daß ich heraufkomme. – Haschen wollen sie dich, Hannis, und nach Bunzlau schaffen, dann bist du versorgt auf ein Jahre zehn oder mehr. – Sie machte die Tür eine Spalte weit auf und ließ mich in die Stube sehen. Da saßen die Zwei von Drüben, dann der Kretschamrichter und der Exekutionssoldat beisammen und tranken. Ich sah gleich, daß ich fortkam, weil 151 es schon Abend wird; das ist immer die Zeit, wann sie einen fangen kommen.«

»Aber mich dürfen sie ja gar nicht von der Wirtschaft weg zum Militär nehmen.«

»Sie sollen es freilich nicht, aber was hilft das? Im Ungrischen brauchen sie jetzt gar viele Soldaten und wenn du erst einmal dort bist . . . Spießruten schmecken nicht gut.«

»Aber –«

»Alsdann mag der Ascherbauer sich fangen lassen; hat der Vormund nichts mehr zu tun, und dem Milian darf es gewaltig recht sein. Wird der Hannis nicht erschossen, hat er sich doch am Ende an den Soldatenschnaps gewöhnt und kommt einmal heim und versäuft sein Gerstl, daß es den Drüben leicht in den Rachen fällt. – Merkst?«

»Ihr könnt recht haben.«

Die eilige Unterredung war unter dem steten Andringen und Dreinreden der Frauenzimmer vor sich gegangen; aber der Pfutschhans hatte nur immer mit den Händen abgewehrt und den Hannis nicht ausgelassen und als der sich ankleiden ging, fuhr er nach der Steinrücke hinauf, ob nicht schon wer im Hinterhalte läge. Es war aber die Luft noch rein und er stieg wieder herunter. Dann wies er den Fluchtbereiten zurecht:

»Heute geh bloß nach Josefstal hinunter, aber morgen sieh, daß du ins Friedländische kommst zu 152 der Kathrine ihren Leuten. Auf anderem Herrschaftsgrund können sie nicht an dich. Ich komme dann schon hinüber, wenn es gehen wird.

Er läuft nicht aus der Welt, Weibsvölker; er kommt wieder, darum ist mir nicht bange. Und jetzt laßt ihn aus, und geh mit Gott, Hannis.«

Das war am Scheuneneck, und der Pfutschhans hatte jede Weile den Kopf dahinter vorgestreckt und nach dem Dorfe hinuntergesehen. Dann ging der Johannes über die fahlen Wiesen empor in den Wald hinein.

Der alte Mann hatte die Frauenzimmer wieder ans Kranzbinden geschickt, trotzdem sie noch immer dem Davongegangenen nachsehen wollten; und beide hielten doch die Schürzen an ihre Augen. Es war eben dasselbe alte, liebe Gefühl in ihnen, das uns den Krimskrams Abgeschiedener treulich bewahren läßt, und das hier in der unveränderten Haltung der Zurückbleibenden den Ausdruck und in dem vergeblichen Nachsehen den Vorwand fand.

Dann waren sie wieder in der Stube, die Häscher kamen noch nicht und der Mann steckte der Alten und der Jungen, wie sie den unwillkommenen Besuch abfertigen sollten.

Als die Dunkelheit anfing, aus allen Winkeln hervorzugehen, fand die Katharine eben noch Zeit, die Öllampe auf den Tisch zu stellen und dann flog schon die Tür auf und eine Stimme sagte: 153

»Da wäre er.«

Der Pfutschhans hatte den Rücken gegen die Tür gekehrt und sich mit der Leinenjacke und der Mütze des Entflohenen bekleidet, aber das nützte nichts gegen den erfahrenen Kommisschnauzbart, der kaum seine Hand auf die Achsel des Sitzenden gelegt hatte, als er schon ausrief:

»Aufpaßt, Richter! Dos is nicht junges Baur.«

Ein Pfiff – war es nun ein Zeichen der Überraschung, oder ein Signal – antwortete, dann war ein Geräusch im Hausflur zu hören und darauf trat der Kretschamrichter weiter in die Stube herein.

»Guten Abend miteinander! Ist der Hannis zu Haus?«

Die Katharine brachte nur mühsam ein »Nein!« zuwege; dafür aber nahm der Pfutschhans das Wort:

»Wollt Ihr nicht zuerst dem Herrn Richter ein' Willkommen gehen, Katharine? Immer hübsch der Reihe nach mit dem Antworten.«

»Keine Faxen, Freudenberger. Wo ist der Hannis?«

»Seht Ihr, Katharine, jetzt habt Ihr den Herrn schon bös gemacht. Müßt die Frauenzimmer entschuldigen, Richter, wenn sie erschrecken über so unverhoffte Ehr.«

»Laßt das. Ist der Hannis in Geschäften aus?«

»'s ist zu dumm, daß ich ihn nicht gefragt habe, und gerade heute, wo so seltene Nachfrage kommt. 154 Geh mit zum Herrn Richter, sagte ich noch, daß er bei der Herrschaft ein gutes Wort für dich einlegt von wegen der Ehbewilligung. Es kann auch schon gestern gewesen sein, daß ich's sagte, und der Luftikus hat rein drauf vergessen, zu gehen. Seid nicht bös, Richter . . .«

Der Mann hörte schon nicht mehr auf ihn und war zur Tür getreten, der Weißrock aber hatte längst die Runde im Zimmer gemacht und wartete bereits dort.

»Is sich schade,« murmelte der noch, dann waren die Zwei schon im Hausflur.

Aber so leicht sollten sie nicht loskommen. Der Pfutschhans rannte ihnen mit dem Lämpchen nach, dessen Flamme er mit der Mütze gegen den Luftzug schützte.

»Wollt Ihr mir nicht Eure Bestellung an den Hannis auftragen? Ich richt's ihm aus, wie es nur sein kann. – Nicht? – Alsdann, da schaut an. Ist noch Besuch dagewesen?«

Draußen waren plötzlich zwei Männer mehr geworden, aber die hielten noch weniger Stand, als der Richter und sein Begleiter.

Der Luftzug hatte das schwache Flämmchen endlich doch ausgeblasen, aber er konnte gegen das Mundwerk des alten Mannes nichts ausrichten, und das rief hinter den Laufenden her: 155

»Daß ihr's aber auch so eilig habt! Wollt ihr nicht wenigstens warten, bis ich eine Laterne hole? Dann geh ich mit hinunter ins Dorf; so eine Herbstnacht ist ja höllisch finster.«

Das Angebot wurde aber vergebens getan.

 


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