Alain René Lesage
Gil Blas von Santillana
Alain René Lesage

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Zwölftes Kapitel.

Scipio endigt seine Geschichte.

Böse Beyspiele bessern manchmal schlimme Sitten.

Die Lebensart, die der junge Velasquez geführt hatte, machte, daß ich über die meinige ernsthafte Betrachtungen anstellte. Ich begann meinen Hang zu stehlen in Zügel zu halten, und mich auf Ehrlichkeit zu legen. Herzlich sauer ward mir dieß freylich, denn ich war zu sehr in der Schnurre, Geld mitgehen zu heissen, wenn ich welches auf ungekehrter Bank oder sonst in meinem Wege fand. Gleichwohl, hofft' ich, sollt' es mir mit der Zeit glücken. Denn ich hatte oft sagen hören, wem's nur rechter Ernst ist, tugendhaft zu werden, der wird es zuverläßig.

Sonach unternahm ich dieß große Werk, und der Himmel schien Heil und Gedeihen zu geben: ich sah' den Geldkasten des alten Kaufmanns nicht mehr mit den Augen der Habsucht an; ja, ich glaube sogar, hätte man mir auch freye Hand gelassen, aus selbigem zu nehmen, so würd' ich es doch nicht gethan haben. Doch muß ich gestehen, wär' es höchst unvorsichtig gehandelt gewesen, wenn man 275 meine noch blutjunge Rechtschaffenheit so auf die Probe gestellt hätte. Velasquez unterließ solches auch weislich. Wo der Teufel Einmal gewohnt hat, meinte er, kehrt er gern wieder ein.

Don Manriquez de Medrano, ein junger Mann und Ritter des Alcantaraordens, sprach oft in unser Gewölbe zu. War's gleich nicht der beste von unsern Kunden, so war es doch wenigstens der vornehmste. Ich hatte das Glück, ihm zu gefallen. So oft er zu uns kam, ließ er sich mit mir in's Wort, und schien meinen Schnak mit Vergnügen anzuhören.

Scipio, sagte er eines Tages zu mir, hätt' ich einen Bedienten Deines Humors, ich würd' einen Schatz zu besitzen glauben, und wärst Du nicht in Diensten eines Mannes, für den ich Achtung habe, ich würde nichts sparen, Dich ihm abspännig zu machen. Das würde Ihnen nicht sauer werden, gnädiger Herr, gab ich ihm zur Antwort. Nach Standespersonen steht mir Herz und Sinn, das ist nun so mein Steckenpferd. Mich freut nichts mehr, als ihre ungezwungne Lebensart.

Wenn das ist, erwiederte Don Manriquez, so will ich den Sennor Balthasar bitten, daß er Dich mir überläßt; ich glaube, er soll mir diese Gefälligkeit nicht abschlagen. Velasquez gab dieß auch um so gerner zu, da er den Verlust eines Langfingers nicht für 276 unersetzlich hielt. Ich meiner Seits war über den Tausch von ganzem Herzen froh. Ein Bedienter bey 'nem Tuchphilister schien mir gegen einen Lakayen eines Ritters von Alcantara gehalten, ein gar kahler Schuft.

Um Ihnen meinen neuen Patron auf ein Haar abzumahlen, muß ich Ihnen sagen, er hatte die liebenswürdigste Figur, und nahm durch sein sanftes Betragen und seinen lebhaften Witz jedermann ein. Ueberdieß war er sehr rechtschaffen und tapfer; ihm fehlte nichts weiter, denn – Vermögen. Als der jüngste Sohn eines mehr erlauchten denn reichen Hauses, sah' er sich genöthigt, auf Kosten einer alten Tante zu leben, die zu Toledo wohnte, und da sie ihn als ihren Sohn liebte, für seinen standesmäßigen Unterhalt sorgte.

Er fand überall Zutritt, war stets bey den angesehensten Damen der Stadt, und unter andern auch bey der Marquese d'Almenara. Eine Witwe von zweyundsiebenzig Jahren, die durch ihr einnehmendes Wesen, und durch die Reitze ihres Geistes den ganzen Cordovischen Adel zu sich hinzog. Die Mannspersonen sowohl als die Frauenzimmer fanden in ihrem Umgange ungemeines Behagen, und ihr Haus hieß das Rendezvous der guten Gesellschaft.

Niemand machte dieser Dame fleissiger die Aufwartung als mein Herr. Eines Abends, als er von ihr zurückkam, schien er mir, 277 wider seine Gewohnheit, ganz in Wallung. Sie kommen mir so verstört vor, gnädiger Herr? sagt' ich. Dürfte sich wohl Ihr treuer Diener nach der Ursache erkundigen? Ist Ihnen etwa was Ausserordentliches begegnet?

Der Ritter lächelte über diese Frage, und gestand mir, ihm läge die sonderbare Unterredung in den Gedanken, die er eben mit der Marquese d'Almenara gehabt. Ich wünschte wohl, sagt' ich, daß dieß artige Püppchen mit ihrem Schock und einer halben Stiege Jahre auf dem Nacken, Ihnen eine Liebeserklärung gethan hätte. Grade so ist es auch! versetzte er. Du mußt wissen, mein Freund, daß mich die Marquese liebt. Ritter, sagte sie zu mir, Ihre wenigen Glücksgüter sowohl, als Ihr Adel sind mir bekannt, ich bin Ihnen gewogen, und entschlossen, Sie zu heirathen, um Sie in bessere Umstände zu setzen. Einen anständigern Weg dazu hab' ich nicht. Ich weiß wohl, daß ich durch diese Heirath bey der Welt einen Anstrich von Lächerlichkeit bekommen werde; daß man es an Lästerungen und Schmähreden gegen mich nicht wird fehlen lassen, und kurz, daß ich für eine alte liebetolle Thörinn gelten werde. Thut nichts! Um Ihnen ein behägliches Loos zu verschaffen, will ich mich über all das Geträtsch hinwegsetzen! Das Einzige, was ich besorge, fuhr sie fort, ist, daß Ihnen dieser Plan zuwider seyn möchte. 278

So sprach die Marquese mit mir, fuhr der Ritter fort. Ich bin hierüber um so erstaunter, da es kein züchtigers und verständigers Frauenzimmer in Cordua gibt, als sie; auch versetzt ich ihr: mich befremdete es, daß sie mir die Ehre erzeigte, mir ihre Hand anzutragen, sie, die stets auf dem Entschluß bestanden, bis zu ihrem Ende Witwe zu bleiben. Hierauf erwiederte die Dame: da sie beträchtliches Vermögen besässe, so wär' es ihr sehr angenehm, es noch bey ihrem Leben einem wackern Manne geben zu können, und einem Manne, der ihr sehr werth sey.

Vermuthlich, sagt' ich, sind Sie gesonnen, den Sprung übern Graben zu machen? Kannst Du daran zweifeln? antwortete er. Das Vermögen der Marquese ist so unschätzbar, als die Eigenschaften ihres Geistes und Herzens. Ich müßte den Verstand verloren haben, wenn ich solche Vortheile aus den Händen ließe.

Ich fand es sehr vernünftig, daß mein Herr eine so gute Gelegenheit, sein Glück zu machen, nicht fahren zu lassen Willens war, weil es ihm so gut nicht möchte wieder gebothen werden; ich rieth ihm sogar, rasch das Eisen zu schmieden, weil's noch warm sey; war bange, es möchte was dazwischen kommen; zum guten Glück aber lag der Dame die Sache noch mehr am Herzen, als mir, und anstatt es auf die lange Bank zu schieben, wußte sie es so 279 einzurichten, daß in Kurzem alle Anstalten zur Hochzeit fix und fertig waren.

Sobald man in Cordua wußte, die alte Marquese d'Almenara sey Willens den jungen Don Manriquez de Medrana zu ehlichen, begannen die Spötter sich auf Kosten dieser Witwe recht herzlich lustig zu machen; so sehr sie sich aber auch an hämischen Spöttereyen erschöpften, konnten sie selbige dennoch von ihrem Vorsatze nicht abbringen. Sie ließ die ganze Stadt trätschen, und folgte ihrem Ritter zum Altare. Das Beylager wurde mit einem Prunk gefeyert, welcher der Verleumdung neuen Stoff gab.

Die Frau Marquese, sagte man, hätte wenigstens, aus Verschämtheit und Wohlstand, all' das Aufsehen und den Glanz vermeiden müssen, der sich gar nicht für alte Witwen ziemt, die junge Männer nehmen.

Statt daß die Marquese hätte Scham äussern sollen, in so hohem Alter, eine solche ungleiche Partie gethan zu haben, so überließ sie sich vielmehr ohne Zwang der Freude, die sie hierüber empfand. Sie gab einen großmächtigen Hochzeitsschmaus, unter Pauken und Trompeten-Schall, und beschloß mit einem Ball, auf welchem sich der Cordovische Adel beyderley Geschlechts befand. Mit Ende des Balls entschlüpften die beyden Neuverehlichten aus dem Saal, und eilten in ein Gemach, in welches sie sich 280 nebst mir und einer Kammerfrau einschlossen; dieß gab der Gesellschaft neuen Anlaß, die Marquese zu beschuldigen, sie hab' aus Temperament geheirathet. Wie weit schossen sie insgesammt vom Ziele.

Sobald sie sich mit meinem Herrn allein sah, sagte sie zu ihm: Dieß hier sind Ihre Zimmer, Don Manriquez, die meinigen liegen in einem andern Theile des Hauses; die Nächte bringen wir jeder in seiner Stube zu, und bey Tag über leben wir als Mutter und Sohn.

Der Ritter nahm es anfänglich nicht für Ernst; glaubte, die Dame spräche nur so, um sich zu dem nöthigen zu lassen, wozu Bräute sich so gern nöthigen lassen, und in dem Wahn, aus Höflichkeit, den feurigen Liebhaber machen zu müssen, näherte er sich ihr, und drang mit glühendem Ungestüm in sie, das Kammermädchen bey ihr machen zu dürfen. Allein weit entfernt, dieß zuzugeben, wies sie ihn in vollem Ernst zurück, und sagte:

Halten Sie mich für eine von jenen liebesiechen alten Witwen, die sich bloß aus weiblicher Gebrechlichkeit wieder verheirathen, so irren Sie Sich sehr. Ich habe Sie nicht genommen, um Sie die Vortheile erkaufen zu lassen, die ich Ihnen durch den Contract gewährte. Sie sind Geschenke eines reinen Herzens, wofür ich keine andre Erkenntlichkeit verlange, als freundschaftliche Gesinnungen. 281

Mit diesen Worten verließ sie das Zimmer des Ritters, und begab sich sammt ihrem Mädchen in das ihrige, mit dem ausdrücklichen Verboth gegen ihren Mann, sie zu begleiten. Wir blieben beyderseits von dem, was wir eben gehört hatten, eine ganze Weile wie betäubt. Endlich sagte der Ritter zu mir:

Scipio, wärst Du wohl einer solchen Anrede gewärtig gewesen? Und was denkst Du von ihr? »Daß es solche Damen wie sie, gar nicht mehr in der Welt gibt, Sennor, Sie haben recht von Glück zu sagen, eine solche Gemahlinn zu besitzen! Haben ein einträgliches Amt, und dürfen dafür nichts thun. Ich meiner Seits, erwiederte Don Marinquez, bewundre eine Gattinn von so hochachtungswürdiger Denkart, und werde durch die ersinnlichste Aufmerksamkeit das Opfer zu vergelten suchen, das sie ihrer Delicatesse bringt.

Wir plauderten noch mehr über diese Dame, und legten uns sodann zur Ruhe, ich mich auf ein Feldbett, das in einer benachbarten Garderobe stand, und er auf ein schönes für ihn bereitetes Bett; und ich weiß zuverlässig, im Grunde seines Herzens war ihm das Alleinschlafen nicht zuwider, obwohl er sich erkenntlich genug fühlte, das Alter eines so edelmüthigen Weibes zu vergessen. 282

Den folgenden Tag gingen die Lustbarkeiten von neuem an, und die Neuverehlichte schien so froher Laune, daß die Spötter ein gutes Spiel in die Hände bekamen. Sie lachte zuerst über ihr Geschnake, munterte sogar die Schrauber noch mehr dazu auf, indem sie sich ganz gutwillig ihren Einfällen lieh. Der Ritter bezeigte sich gleichfalls nicht minder vergnügt als seine Gemahlinn, und aus den zärtlichen Blicken und Reden, die er ihr gab, hätte man schließen sollen, daß er nur an wohlbetagten Matronen Geschmack fände.

Auf den Abend hatte das junge Ehepaar wieder eine geheime Conferenz, worin ausgemacht wurde, daß sie, ohn' einander im mindesten lästig zu fallen, völlig auf dem Fuß leben wollten, wie vor ihrer Verheirathung. Nichtsdestoweniger that Manriquez – wie ich ihm zum Ruhme nachsagen muß – aus Achtung für seine Frau etwas, was an seiner Stelle wenig Ehemänner würden gethan haben; er gab einen Liebeshandel auf, den er bisher mit einer Bürgerstochter gepflogen hatte, die ihn eben so warm liebte, als er sie. Er glaubte dieß der Delicatesse schuldig zu seyn, die seine Frau gegen ihn beobachtete.

Indeß er dieser alten Dame so starke Beweise seiner Erkenntlichkeit gab, belohnte sie selbige mit Wucher, obwohl sie ihr unbekannt 283 waren. Sie machte ihn zum Herrn von ihrer Schatulle, die mehr in sich faßte, als des alten Velasquez Geldkasten; setzte ihr Hauswesen, das sie während ihrer Witwenschaft eingeschränkt hatte, wieder auf den glänzenden Fuß, den es zu den Lebzeiten ihres ersten Gemahls hatte, vermehrte ihre Domestiken, füllte ihre Ställe mit Pferden und Mauleseln an, mit Einem Wort, durch ihr großmüthiges Verfahren wurde der ärmste Ritter des Alcantara-Ordens der reichste.

Vielleicht möchten Sie wissen, was für mich bey der Gelegenheit abgetrieft sey? Funfzig Pistolen von der Marquese, und hundert vom Ritter, der mich überdieß zu seinem Secretär machte, mit einem Gehalt von vierhundert Thalern; ja er hatte Zutrauen genug zu mir, mich zu seinem Cassirer zu machen.

Dich zu seinem Cassirer? sagt' ich, indem ich mit Lachen ihm in die Rede fiel. Ja, mein Herr, erwiederte er, ganz kalt und ernst; zu seinem Cassirer; ich kann Ihnen sogar versichern; daß ich diesem Amte sehr rühmlich vorgestanden habe. Zwar kann ich nicht läugnen, daß ich der Casse eine Kleinigkeit schuldig geworden bin, denn da ich mein Gehalt immer vorwegnahm, und hernach des Ritters Dienst über Hals über Kopf verließ, muß da natürlich etwas hapern. Wie dem aber auch sey, so ist das der letzte Vorwurf, den ich mir über 284 Veruntreuung zu machen habe; denn seit der Zeit hab' ich immer ehrlich und redlich gehandelt.

Sonach war ich, fuhr Coscoline'ns Sohn fort, Secretär und Cassirer beym Don Manriquez. Er schien mit mir so zufrieden zu seyn, wie ich es mit ihm war, als er aus Toledo einen Brief erhielt, worin man ihm meldete, Donna Theodora Muscoso, seine Tante, läge in den letzten Zügen. Diese Nachricht ging ihm so nahe, daß er augenblicklich aufsaß, und zu dieser Dame jagte, die seit so vielen Jahren Mutterstelle bey ihm vertreten hatte. Er nahm auf diese Reise weiter Niemand mit als mich, einen Kammerdiener und einen Bedienten.

Da wir die besten Pferde aus unsern Ställen hatten, waren wir in 'nem Husch in Toledo. Wir fanden Donna Theodore'n in einem Zustande, der uns hoffen ließ, sie würde davon kommen, und in der That, so schnurstracks zuwider unser Prognosticon eines alten Doctors seinem war, der sie in der Kur hatte, so widersprach ihm der Erfolg nicht.

Indeß es sich mit unsrer guten Tante zusehends besserte, wozu die Arzneyen, die sie nahm, weniger beytrugen, als die Gegenwart ihres Neffen, brachte der Herr Cassirer seine Zeit so angenehm zu, als nur möglich. Er hatte mit einigen jungen Leuten Bekanntschaft gemacht, die ihm die besten Gelegenheiten an die Hand gaben, sein Geld durchzubringen. Ausserdem, daß sie 285 mich verleiten, den Dämchen, wo sie mich einführten, Ständchen und Schmäuse und Lustbarkeiten aufzuwixen, so schleppten sie mich auch oft in Spielhäuser und beschwatzten mich, ein Spielchen mitzumachen. Da ich nun kein so geschickter Spieler war, als mein ehemahliger Herr Don Abel, so verlor ich öfter, als ich gewann. Nach und nach fand ich Behagen am Spiel, und hätt' ich mich dieser Leidenschaft ganz überlassen, so wär's ohne Zweifel so weit mit mir gediehen, daß ich noch einige Quartale zum Voraus aus der Casse genommen hätte, zum guten Glück rettete aber die Liebe die Casse und meine Treue.

Eines Tages, als ich bey der Yglesia de los ReyesDer Schloßkirche. vorbey ging, gewahrt' ich hinterm Gitter eines Fensters, dessen Vorhänge nicht zugezogen waren, ein junges Frauenzimmer, das mir mehr Göttinn, als Sterbliche schien. Hätte unsre Sprache noch einen stärkern Ausdruck, so würd' ich mich dessen bedienen, um Ihnen den Eindruck ganz schildern zu können, den ihr Anblick auf mich machte. Ich erkundigte mich nach ihr, und erfuhr nach vielem Forschen, sie hiesse Beatrix, und sey bey der Donna Julia, der jüngsten Tochter des Grafen Polan in Diensten. 286

Hier unterbrach Beatrix Scipio's Erzählung durch eine Lache aus vollem Halse; darauf wandte sie sich zu meiner Frau, und sagte: Reitzende Antonie, ich bitte Sie, sehen Sie mich doch recht starr an, bitte recht sehr! Meinen Sie nicht auch, daß ich einer Göttinn sehr gleich sehe? Damahls schienst Du wir so, sagte Scipio, und seit der Zeit, daß mir Deine Treue nicht mehr verdächtig ist, kommst Du mir schöner als je vor. Nach einem so galanten Gegeneinfalle fuhr mein Secretär folgendermaßen fort.

Diese Entdeckung setzte mich vollends in Feuer und Flamme. Auf die Ehe war's bey mir freylich nicht gemünzt, ich will es nur aufrichtig bekennen. Ihre Tugend, bildete ich mir ein, wird gar leicht erliegen, wenn Du das Ding nur von der rechten Seite angreifst, die rechten Minen gegen sie spielen läßt. Wie unrecht that ich der keuschen Beatrix. Mit so glattem Schnak ich ihr auch durch alte Weiber meine Börse und meine Liebesdienste anbiethen ließ, drasch ich nichts als leeres Stroh; sie wies diese Anträge ganz spröd' ab. Dieser Widerstand kühlte meine Begierden nicht ab, sondern entflammte sie vielmehr.

Ich nahm endlich zum letzten Hülfsmittel meine Zuflucht; ließ ihr meine Hand anbiethen.

Sie nahm selbige an, sobald sie wußte, daß ich Secretär und Cassirer des Manriquez 287 war. Weil wir's rathsam fanden, unsre Heirath noch eine Zeitlang zu verheimlichen, so liessen wir uns in aller Stille trauen, bloß in Gegenwart der Dame Lorenza Sephora, Gouvernante der Seraphine, und einiger anderer Domestiken des Grafen Polan. Kaum hatte ich meine Beatrix, so wußte sie's so einzurichten, daß ich sie bey Tage sehen, und des Nachts mich mit ihr im Garten unterhalten konnte. Sie hatte mir den Schlüssel zu einem Pförtchen in selbigen gegeben, durch welches ich hinein huschte.

Nie ist ein junges Ehepaar mit einander zufriedner gewesen! Mit gleicher Ungeduld harrten, schmachteten wir nach der Stunde des Wiedersehens; durch einerley Drang getrieben, eilten, flogen wir nach unserm Stelldichein, und die Zeit unsers Beysammenseyns dünkt' uns immer äusserst kurz, so lang sie manchmahl auch in der That gewesen war.

Eine Nacht, die mir so peinlich wurde, als die vorhergehenden süß, stutzt' ich nicht wenig, das Gartenpförtchen offen zu finden, als ich vor selbiges kam. Mir pfingsteltePfingstelte. Pfingsteln, ein sehr aufnehmenswürdiger Schwäbischer Ausdruck. Er bezeichnet: »vor Erwartung eines wahrscheinlich unglücklichen Ausgangs oder der wahrscheinlichen Strafe bange seyn.« Zuverlässig eine Anspielung auf den ängstlich-erwartungsvollen Gemüthszustand der Apostel, als am Pfingsttage die Windsbraut das Haus, worin sie saßen, erschütterte, und ihre Zungen feurig wurden, indem, wie die Legende erzählt, »der heilige Geist sich auf einen jeglichen unter ihnen setzte.« Hier wird nur auf die erste Bedeutung dieses Ausdrucks hingesehen. In Rücksicht auf die Apostel passen beyde, denn alle wußten sich gewiß nicht rein, wenn sie gleich nicht solcher Verschuldungen wie Judas sich theilhaft gemacht hatten. – A. d. Uebers.; ich ward blaß, 288 meine Glieder schlotterten, als ahndet' ich das schon, was sich zutragen würde. Ich tappte nach der Laube hin, wo ich mit meiner Frau gewöhnlich zu sprechen pflegte, und hörte eine Mannsstimme.

Um besser hören zu können, stand ich sogleich still, und es fielen folgende Worte in mein Ohr: Laß mich nicht länger schmachten, theure Beatrix. Mach mich voll glücklich! Bedenke, daß mit meinem Glück Deine Wohlfahrt verknüpft ist.

Anstatt die Geduld zu haben, noch weiter zu hören, zog ich voller Eifersucht und racheschnaubend den Degen, und stürzte in die Laube.

Ha! niederträchtiger Verführer, rief ich, wer Du auch seyst, eh' Du an meine Ehre kommst, 289 kommst, mußt Du mir erst das Leben genommen haben. Mit diesen Worten fiel ich auf den, Cavalier ein, der mit der Beatrix kos'te. Er setzte sich schnell zur Wehre, und focht' als ein Mann, der sich besser auf den Degen verstand, als ich, der nicht lange auf den Cordovischen Fechtboden gegangen war. Demungeachtet bracht' ich ihm einen Stoß bey, den er nicht auspariren konnte, oder vielleicht strauchelte er; genug, ich sah' ihn fallen, und da ich ihn tödtlich verwundet zu haben wähnte, nahm ich über Hals über Kopf das Hafenpanier, ohne der Beatrix antworten zu wollen, die mit lauter Stimme hinter mir herrief.

Freylich that ich das, fiel hier Scipio's Frau ein, und wandte sich gegen uns. Ich rief ihn, um ihm aus dem Traume zu helfen. Der Cavalier, mit dem ich in der Laube sprach, war Don Fernando de Leyva. Dieser Herr, der in Julien, meine Herrschaft, verliebt war, hatte den Entschluß gefaßt, sie zu entführen, weil er sie auf keine andre Art zu bekommen glaubte. Ich hatt' ihn selbst in diese Laube hinbestellt, um mit ihm diese Entführung zu verabreden, von der, wie er mir versicherte, sein ganzes Glück abhinge. Je mehr ich aber hinter meinen von Jachzorn verblendeten Mann anrief, je ärger rannte er, als von einem treulosen Weibe. 290

In der Verfassung, worin ich mich befand, war ich zu allem fähig, nahm Scipio wieder das Wort. Diejenigen, die aus Erfahrung wissen, was Eifersucht ist, und zu was für Ausschweifungen sie oft die vernünftigsten Männer treibt, werden sich über die Zerrüttung nicht wundern, die sie in meinem schwachen Gehirn anrichtete. Ich schweifte in einem Augenblicke von einem Abweg auf den andern, von der glühendsten Liebe, die ich noch den Augenblick vorher für meine Frau empfunden hatte, ging ich schnell zum glühendsten Haß über; schwor, sie auf immer zu verlassen, sie auf ewig aus meinem Gedächtnisse zu verbannen. Ueberdieß glaubt' ich einen Cavalier niedergestoßen zu haben, und war deßhalb äusserst bange, der Gerechtigkeit in die Hände zu fallen. Ich befand mich in jener unseligen Verstörtheit, die, wie eine Furie, den Mann umhertreibt, der ein Verbrechen oder eine schlechte That gethan hat. In dieser schrecklichen Lage war ich auf nichts als auf Rettung bedacht, und machte mich schnurstracks, so wie ich ging und stand, aus Toledo. Ausser Rock und Wäsche hatt' ich freylich noch ein sechzig Stück Pistolen bey mir, und das war ein ganz feiner Nothpfennig für einen jungen Menschen, der immerfort Domestik zu seyn Willens war. 291

Ich wanderte, oder vielmehr, ich rannte die ganze Nacht durch; denn das mir stets vor Augen schwebende Bild der Alguazils gab mir immer neue Kräfte. Die Morgenröth fand mich zwischen Rodillas und Maqueda. Als ich den letzten Flecken erreicht hatte, ging ich in eine Kirche, die man eben aufmachte, und nach einem inbrünstigen Gebethe setzt' ich mich auf eine Bank, um auszuruhen. Ich dachte über meine gegenwärtigen Umstände nach, die mir wirklich mehr denn zu sehr im Kopfe herumgehen mußten; allein ich hatte nicht Zeit, viel Betrachtungen anzustellen, denn mit Einem Mahle hört' ich draussen vor der Thür klitsch, klatsch, klitsch. Hieraus schloß ich, es zöge ein Maulthiertreiber des Weges. Sogleich sprang ich auf, um zu sehen, ob ich mich geirrt habe, und als ich vor der Thür war, erblickt' ich einen solchen Mann, der auf einem Maulesel saß, und zwey andre ledig hinter sich her führte.

Haltet mahl, Freund! rief ich. Wo wollt Ihr hin? Nach Madrid, gab er mir zur Antwort. Ich habe ein Paar rechtschaffne Dominicaner von da hieher gebracht, und will nun wieder zurück.

Eine so gute Gelegenheit, nach Madrid zu kommen, dacht' ich, mußt Du nicht vorbeyhuschen lassen, und so accordirt' ich mit dem Maulthiertreiber, stieg auf eins seiner Thiere, 292 und damit nach Illescas zu, wo unser erstes Nachtlager seyn sollte. Kaum waren wir aus Maqueda, so begann der Maulthiertreiber, ein Fünfunddreyßiger bis Vierziger, aus voller Kehle geistliche Gesänge anzustimmen; hob mit den Gebethen an, welche die Domherren in der Mette absingen, sang hierauf das Credo, wie man's beym Hochamte singt, schritt sodann zur Vesper über, die er abplärrte, ohne mich mit dem Magnificat zu verschonen,

So wüst mir der Schlingel auch den Kopf blöckte, konnt' ich mich doch unmöglich des Lachens erwehren; ja ich frischte ihn sogar an, fortzusingen, als er inne hielt, um Odem zu hohlen. Immer frisch zu gesungen, Freund! sagt' ich. Gott hat Euch mit guten Lungen gesegnet, und Ihr macht davon einen guten Gebrauch.

Ja, wohl, das thu' ich auch! Herre! rief er. Ich bin Gott Lob und Dank nicht so wie andre Fuhrleute, die nix singen wie eitel SchemperliederSchemperlieder oder Schumperlieder, ist aus schämbare Lieder verderbt worden, und bezeichnet Lieder schmutzigen Inhalts. Nicht Schlemperlieder kann es heißen, wie ich zu meinem Befremden neulich bey einem Recensenten fand, (Anhang zum XXV–XXXVI. B. der allg. deutsch. Bibliothek. Abtheil. 2. S. 772.) der mit vollen Backen kurz zuvor – man sieht es aus dem Tone, daß es der nehmliche ist, wiewohl er hier sein Zeichen nicht hat – seine großen, etymologischen Kenntnisse vorgeprunkt hatte, und nun nicht einmahl eine so kleine Kleinigkeit weiß; nicht weiß, daß Schämbarlied aus Scham (wofür die Alten Schäm sagten, wie man es in der Zusammensetzung noch in einigen Provinzen hört) und aus dem alten baar entstanden, (nicht bar der Endsylbe der Adjectiven) entblößt, beraubt, welches die Alten hintenan zu hängen pflegten; so sagten sie z. B. Leutpar, Volkpar, Gutpar, (b und p wurde häufig bey ihnen verwechselt) der Leute, des Volks, des Guts gänzlich beraubt. Schämbar ist sonach von aller Scham entblößt, jetzt sagen wir matter dafür, schamlos.
    Mein Recensent in der allgemeinen deutschen Bibliothek meint: die von mir angegebene Etymologie wäre wohl noch zweifelhaft, weiß aber keine andere anzugeben. Herr Rüdiger neigt sich auf meine Seite, doch fügt er noch hinzu: es könne auch von schummeln und dem Italienischen ciompare, einem Wollkämmer gleich grobe und unartige Reden führen, hergeleitet werden. Die ungezwungenste Ableitung ist aber wohl unstreitig die erstere. – A. d. Uebers.
und Gottlosigkeiten, ich singe sogar 293 nicht 'nmahl die Romanzen auf unsre Kriege gegen die Mauren. Schandpossen enthalten die 294 freylich nun wohl nicht, 's ist aber doch eitel Tand, beym Licht besehen, und ein guter Christ muß mit solchen Narrteidungen die nützliche Zeit nicht verquengeln.

Soviel Lauterkeit des Herzens, wie bey Euch, versetzt' ich, trifft man bey Maulthiertreibern selten an. Aber sagt mir doch, Freund, da Ihr so ausserordentlich streng' in Eurer Liederwahl seyd, seyd ihr eben so streng im Puncte der Keuschheit, wenn ihr in Wirthshäuser kommt, worin es schnickere junge Aufwärterinnen gibt?

Sollt's denken, erwiederte er. Ich thu mir darauf viel zu gute, daß ich an dergleichen Oertern nichts zur Ungebühr zu mir nehme. Meine Maulthiere pflegen und beschicken ist ja meine einzige Arbeit und Zeitvertreib.

Ich erstaunte nicht wenig, als ich den Phönix aller Maulthiertreiber so reden hörte, und da ich ihn für einen grundwackern Kerl, und für keinen Dummkopf hielt, ließ ich mich mit ihm in's Gespräch, nachdem ich ihn sich hatte satt singen lassen.

Gegen Abend kamen wir zu Illescas an. Als wir in's Wirthshaus getreten waren, überließ ich es meinem Gefährten, für die Maulthiere zu sorgen, und ging in die Küche, wo ich beym Wirth ein gutes Abendbrot für uns bestellte. Er versprach mir ein so gutes zu verschaffen, daß ich Zeit meines Lebens dran denken 295 sollte. Fragen Sie nur 'mahl Ihren Maulthiertreiber, fragen Sie den nur 'mal, sagte er, was ich für'n Mann bin. Trotz sey allen Kochen in Toledo und Madrid gebothen, solch'ne Ollapodrida zu machen, wie ich. Heut' Abend will ich Sie mit 'nem Kaninchensauer von meiner Fasson bewirthen, und Sie sollen mir wiedersagen, ob ich mich mit meiner Kunst zu breit gemacht habe.

Hier zeigte er mir eine Casserolle, worin seinem Vorgeben nach ein Kaninchen bereits eingehackt lag. Das, setzte er hinzu, und eine gebratene Schöpsenkeule, werd' ich zum Abendbrot auftragen. Wenn ich da noch Pfeffer, Salz, Wein, einen Bündel feine Kräuter und einige andere Ingredienzien werde dazu gethan haben, der ich mich gemeiniglich bey dergleichen zu bedienen pflege, hoff' ich Ihnen ein Gericht vorzusetzen, dessen sich kein Contadormajor schämen soll.

Nachdem der Wirth sich solchergestalt herausgepriesen hatte, begann er das Abendbrot zurechtzumachen. Indeß er da in voller Arbeit war, ging ich in eine Stube, und warf mich auf ein darin befindliches Feldbett. Vor Müdigkeit schlief ich ein, weil ich die vergangne Nacht kein Auge zugethan hatte. Nach zwey Stunden kam der Maulthiertreiber und weckte mich. 296

Das Essen ist da, Sennor Cavallero, sagte er. Wär' es Ihnen gefällig, Sich zu Tische zu setzen? Der Tisch war für zwey Personen gedeckt, so wie ich's bestellt hatte. Ich nahm nun mit dem Maulthiertreiber an selbigem Platz. Das Kaninchenschwarz wurde gebracht, und ich fiel gierig darüber her. Ich fand es ungemein wohlschmeckend, war nun Hunger daran Schuld, der, wie man weiß, auch rohe Bohnen süß macht, oder waren es wirklich die Ingredienzien des Wirths. Hierauf wurde unser Brätchen aufgetragen, und da ich merkte, daß mein Reisecumpan sich nur zum letzten Gerichte hielt, fragt' ich ihn, weßhalb er denn das andre nicht anrührte.

Bin kein Liebhaber vom Eingeschnittenen, versetzte er. Diese Antwort oder vielmehr das damit vergesellschaftete GrieflachenGrieflachen, hönisch lächeln. Die vertrauliche Sprechart hat diesen Ausdruck schon längst dem Dialect entrissen. – A. d. Uebers. kam mir verdächtig vor. Hat einen Haken das Ding, sagt' ich. Dahinter muß ganz etwas anders stecken. Seyd doch so gut, und sagt mir's. Nu, weil Sie's denn so gern wissen wollen, versetzte er so muß ich Ihnen sagen, ich hab' ein Haar in all dergleichen Fraß gefunden, seit ich auf einer 297 Reise von Toledo nach Cuenca in einem Wirthshause statt eines Kaninchens einen kleingehackten Kater vorgesetzt gekriegt. Seit der Zeit hab' ich vor all' solchem Zeug einen gewaltigen Abscheu.

Kaum hatte der Maulthiertreiber dieß gesagt, so verging mir mit Einem Mahle alle Eßlust. Ich setzte mir in den Kopf, ich habe jedenfalls von einem Kater gegessen, und fletschte die Schüssel von der Seite an. Mein Reisegefährte trug zur Vermehrung dieses Verdachts noch bey, indem er mir sagte, die Spanischen Gastwirthe machten öfters solche Quidproquos, so gut wie die Pastetenbäcker. Eine sehr tröstliche Nachricht! auch hatt' ich nicht die mindeste Lust, mich wieder an das Schwarzsauer zu machen, sogar mocht' ich nicht einmahl den Braten anrühren, bange, er möchte so wenig echt seyn, wie das Kaninchen. Ich stand vom Tische auf, und verfluchte Ragu, Wirth und Wirthshaus; und nachdem ich mich wieder auf das Feldbett geworfen, verbracht' ich die Nacht weit ruhiger, als ich geglaubt hatte.

Den folgenden Tag, bey grauendem Morgen, nachdem ich dem Wirthe so hatte blechen müssen, als wär' ich noch so gut bewirthet worden, entfernt' ich mich von Illescas, den Kopf mit dem Ragu noch so angefüllt, daß ich alle Thiere für Katzen ansahe. 298

Ich kam frühzeitig zu Madrid an; nachdem ich meinen Maulthiertreiber befriedigt hatte, miethete ich mir ein artiges Zimmer dicht beym Sonnenthore. So gewöhnt auch meine Augen waren, die große Welt zu sehen, so wurden sie dennoch von dem Zusammenfluß von hohen Herrschaften verblendet, den man gemeiniglich im Hofviertel sieht. Ich bewunderte die ungeheure Menge von Wagen, und die endlose Zahl von Kammerjunkern, Pagen und Lakeyen, die sich im Gefolge der Großen befanden. Meine Verwunderung verdoppelte sich, als ich einst auf's Schloß ging, um den König zu sehen, der sich eben aus dem Bette erhoben hatte, und diesen Monarchen von allen seinen Hofschranzen umringt erblickte.

Dieß Schauspiel gefiel mir sehr, und ich sagte bey mir selbst: Welch ein Glanz! Welche Herrlichkeit! Nun wundr' ich mich nicht mehr, daß man immer sagt, wenn man recht allen Hofprunk wolle kennen lernen, müsse man nach Madrid. Wie herzlich lieb mir's ist, daß ich mich hierher gemacht habe, mir ahndet's, daß ich hier weiter kommen werde. Gleichwohl geschah' es nicht; ich kam nicht weiter als zu einigen Bekanntschaften, die mir zu gar nichts in der Welt halfen. Nach und nach ging mein Geldchen drauf, und ich dankte meinem Gott, daß ich mit allen meinen großen Eigenschaften bey einem 299 Salamankischen Schulmann unterkam, den eine Familiensache nach Madrid, seiner Vaterstadt, gebracht hatte, und den ich von Ungefähr kennen lernte. Ich ward sein Factotum, und folgte ihm nach seiner Universität, als er nach selbiger zurückkehrte.

Mein neuer Patron hieß Don Ignazio de Ipigna. Don ließ er sich tituliren; weil er bey einem Herzog Informator gewesen war, der ihm aus Erkenntlichkeit lebenslängliche Pension gab; als Professor emeritus bekam er auch einen Jahrgehalt, und überdieß zog er vom Publicum jährlich zwey- bis dreyhundert Pistolen, und das durch christlichmoralische Schriften. Die Art, wie er selbige zusammendrechselte, verdient wohl erwähnt zu werden. Der berühmte Don Ignazio las beynahe den ganzen geschlagenen Tag durch Hebräische, Griechische und Lateinische Autoren, und jedes Apophtegma, jeden glänzenden Gedanken, den er darin fand, schrieb er auf ein Quartblättchen. Sobald einige dergleichen Blättchen voll waren, mußt' ich sie auf einem kranzförmigen eisernen Drathe anreihen, und jeder dieser Kränze machte einen Theil aus.

Was für Schofelzeug von Büchern handarbeiteten wir nicht zusammen. Sehr selten verging ein Monath, wo wir nicht wenigstens ein Paar Bände gemacht hatten, und sofort mußte die Presse darunter seufzen. Das Sonderbarste 300 dabey war, daß diese Compilationen für Neuheiten ausgegeben wurden, und liessen sich's die Kunstrichter in den Sinn kommen, ihm vorzuwerfen, er plündre alte Autoren, so gab er ihnen mit dem kecksten Hochmuth zur Antwort: Furto laetamur in ipso.

Er war auch ein großer Commentator, und in seinen Commentaren stak soviel Gelehrsamkeit, daß er oft über Dinge Anmerkungen machte, die des Anmerkens nicht werth waren, wie er denn auch zuweilen höchst zur Unzeit Stellen aus dem Hesiodus und andern Autoren auf ein Quartblättchen hinschrieb. Dem allen ungeachtet muß ich gestehen, daß ich bey diesem Gelehrten doch meinen Schnitt in der Gelehrtheit gemacht habe. Es wäre höchst undankbar, dieß nicht eingestehen zu wollen; durch das häufige Abcopiren seiner Schriften bekam ich eine fertige Hand, und da er mich mehr als Zögling denn als Famulus behandelte, bemühte er sich, meinen Geist zu bilden, wobey er aber mein Herz nicht vergaß.

Scipio, sagte er zu mir, wenn er hörte, daß irgend ein Domestik eine Schelmerey begangen hatte, hüte Dich, mein Kind, das böse Beyspiel dieses Schalks zu befolgen. Ein Diener muß seinem Herrn eben so treu als eifrig dienen, und äusserstes Fleißes dahin streben, tugendhaft zu werden, wenn er so unglücklich ist, es nicht von Natur zu seyn. 301

Mit Einem Worte, Ignazio ließ keine Gelegenheit vorbey, mich auf den Pfad der Tugend zu leiten; seine Ermahnungen fruchteten so gut bey mir, daß ich während den Fünfvierteljahren, die ich bey ihm war, nicht die mindeste Anwandlung bekam, ihm einen Schalksstreich zu spielen.

Ich habe bereits gesagt, daß Doctor de Ipigna aus Madrid gebürtig war, und daselbst eine Anverwandte hatte, Nahmens Cecilia, die bey der ehemahligen Amme des Prinzen von Asturien Kammermädchen war, die nähmliche, deren ich mich bedient habe, den Sennor de Santillana aus dem Segovischen Castelle zu ziehen. Dieß Mädchen wollte dem Herrn Vetter gern höher heraufhelfen, und bracht' es bey ihrer Herrschaft dahin, daß selbige beym Herzoge von Lerma um eine Pfründe für ihn anhielt. Der Minister ließ ihn zum Archidiaconus von Granada ernennen, denn da dieß ein erobertes Land ist, so steht dem Könige die Befugniß zu, die geistlichen Stellen darin zu vergeben.

Sobald wir diese Nachricht erhalten hatten, reisten wir nach Madrid, weil sich der Doctor bey seinen Wohlthäterinnen bedanken wollte, eh' er nach Granada ging. Ich hatte Gelegenheit, Cecilie'n mehr als einmahl zu sehen und mit ihr zu sprechen. Mein 302 aufgeräumtes und freyes Wesen behagte ihr, und sie ihrer Seits mir auch so sehr, daß ich nicht umhin konnte, die kleinen Merkmahle von Freundschaft zu erwiedern, die sie mir gab; kurz, wir hingen bald wie Kletten an einander. Verzeih mir dieß Geständniß, traute Beatrix. Ich glaubte Dich untreu, und dieser Irrthum muß mich von Deinen Vorwürfen retten.

Indeß hatte Doctor Don Ignazio alle Anstalten zur Abreise getroffen. Sein Mühmchen und ich erschraken über die uns so nah' bedrohende Trennung, und ersannen einen Schneller, wodurch wir selbiger vorbauten. Ich stellte mich krank; klagte über Kopf- und Brustschmerzen und geberdete mich als ein Mensch, den alles Weh in der ganzen Welt zu Boden drückt. Mein Herr ließ einen Arzt rufen. Mir war angst und bange, dieser Hippokrates würde Lunte riechen und Lerm schlagen; zu gutem Glück aber, und gleichsam als wenn er in ein Horn mit mir blasen wollte, sagte er ganz treuherzig, nachdem er mich sehr genau beantlitzt und bepulsfühlt hatte, meine Krankheit sey weit ernstlicher als man dächte, und allem menschlichen Ansehen nach würd' ich lange die Stube hüthen müssen.

Der Doctor, zu begierig in seinem Sprengel zu seyn, als daß er meinethalben seine Abreise noch hätte aufschieben können, fand's für 303 rathsam, einen andern Bedienten anzunehmen, und mich der Obhut und Pflege einer Wärterinn anzuvertrauen, der er eine Summe Geldes hinterließ, um mich beerdigen zu können, wenn ich stürbe; käm' ich aber wieder auf, so sollte dieß Geld eine Belohnung für meine bisherigen Dienste seyn.

Sobald ich den Don Ignazio nach Granada abgereist wußte, war ich aller meiner vorgespiegelten Wehen völlig los; sprang auf aus dem Bette, verabschiedete meinen Doctor Hütentüt, und auch die Wärterinn, die mir mehr als die Hälfte von dem Gelde wegstibizte, das sie mir hatte zustellen sollen. In der Zeit, daß ich diese Rolle spielte, spielte Cilli bey der Donna Anna de Guevara ihrer Herrschaft eine andre, der sie zu verstehen gab, auf's Quintenmachen verständ' ich mich über die Maßen, und gab ihr den Rath, mich zu einem ihrer Agenten zu machen. Die Frau Amme, die solchen Schlag Leute zur Ausführung der höchst einträglichen Projecte brauchte, welche ihre NutzsuchtNutzsucht, Sucht aus allem Nutzen zu ziehen. Lessing führt in seinem Deutschen Glossarium (s. dessen Leben S. 162.) das Beywort nutzsüchtig aus Zinkgräf's Apophtegmen auf, und nennt es ein schönes Wort. Was kann uns abhalten, das Hauptwort zu gebrauchen? – A. d. Uebers. ihr oft 304 entwerfen half, nahm mich unter ihre Domestiken auf, und stellte mich gar bald auf die Probe.

Sie trug mir Commissionen auf, zu deren Besorgung etwas Gewandtheit gehörte, und ohne Ruhmredigkeit gesprochen, ich richtete selbige nicht uneben aus, auch war sie eben so zufrieden mit mir, als ich mit ihr unzufrieden zu seyn Ursache hatte.

Die Dame war so raffgierig, daß sie von den Früchten, die durch meine Betriebsamkeit, und durch meinen sauren Schweiß auf ihrem Acker wuchsen, mir auch nicht ein Strohhälmchen zukommen ließ. Da sie mir ihren Lohn richtig auszahlte, glaubte sie, sie verführe großmüthig genug mit mir. Dieser arge Geitz mißfiel mir höchlich, und ich würde der alten Sparbüchse bald den Stuhl vor die Thür gesetzt haben, hätten mich nicht Cilli's Gütigkeiten daran verhindert, die von Tag zu Tag immer verliebter in mich wurde, und mir mit dürren Worten ihre Hand antrug.

Nur sacht' an, mein anbethungswürdiges Püppchen, sagt' ich, so rasch können wir nicht in's Zeug fahren. Ich muß erst wissen ob ein gewisses junges Weibsen todt ist, die Dir vorgefischt hat, und deren Mann ich zur Strafe für meine Sünden geworden bin. 305

Es glaube wer da wolle, in meinen Kopf geht's nicht, versetzte Cecilie. Ich bin nicht so leichtgläubig, das für bare Münze zu nehmen, was du mir sagst. Wozu diese Vorspiegeley? Du schützest das nur bloß vor, um Deine Abneigung, mich zu heirathen, auf eine höfliche Art bemänteln zu können.

Vergeblich betheuert' ich ihr, ich sagte die Wahrheit; mein treuherziges Geständniß schien ihr nichts als Ausflucht; und weil sie sich dadurch beleidigt hielt; spannte sie ganz andre Saiten gegen mich auf. Ueberwerfen thaten wir uns nicht, allein unser Umgang war zusehends kühler und kühler, und schrumpfte endlich zum steifen Hofceremoniel zusammen.

In dieser Lage erfuhr ich, Sennor Gil Blas de Santillana, Secretär des Oberstaatsministers von Spanien, bedürfe eines Lakeyen; ein Posten, der mir um so lieber war, da man mir ihn als den behäglichsten beschrieb, der zu finden sey.

Sennor de Santillana, sagte man mir, ist ein Herr von vielen Verdiensten, ein Busenliebling des Herzogs von Lerma, der folglich ganz unfehlbar sein Glück sehr hoch treiben wird; überdieß ist er ein großmüthiger Herr, der Euch nicht verwehren wird, Eure Schäfchen in's Trockne zu bringen. 306

Eine solche Gelegenheit ließ ich nicht aus den Händen wischen. Ich machte dem Sennor Gil Blas meine Aufwartung, zu dem ich mich vom ersten Augenblick an hingezogen fühlte, und der mich bloß auf meine Gesichtsbildung annahm. Ich trug gar kein Bedenken, die kronprinzliche Amme seinethalben zu verlassen, und er wird, so Gott will, mein letzter Herr seyn.

Hiermit endete Scipio seine Geschichte, und wandte sich hierauf zu mir: Sennor de Santillana, hob er an, ich habe nun eine Bitte an Sie. Haben Sie die Güte, gnädiger Herr, mir vor diesen Damen das Zeugniß zu geben, daß Sie mich immer als einen treuen und eifrigen Diener gekannt haben. Ich bedarf dieses Zeugnisses, um Antonie'n sowohl, als Beatrix zu überführen, daß Coscoline'ns Sohn seine Sitten völlig geändert, und daß aus dem gaunerhaften Buben ein biedrer Junge geworden ist.

Ja, meine Damen, sagt' ich nunmehr, dafür kann ich Ihnen stehen. War gleich Scipio in seiner Kindheit ein wahrer Picaro, so hat er sich dennoch seitdem so sehr gebessert, daß er das Muster eines vollkommenen Bedienten geworden ist. Weit entfernt, ihm über sein Betragen gegen mich Vorwürfe zu machen, muß ich vielmehr gestehen, daß ich ihm große Verbindlichkeiten habe. In der Nacht, da man mich 307 aufhob, und auf's Segovische Castell brachte, rettete und sicherte er nicht nur einen Theil meiner Habe, dessen er sich hätte bemächtigen können, sondern, nicht zufrieden, für die Erhaltung meines Vermögens zu sorgen, zog er das traurige Vergnügen, mein Ungemach zu theilen, den Reitzen der Freyheit vor, und ließ sich bloß aus Freundschaft in meinen Kerker einschliessen.

 


 


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