Alain René Lesage
Gil Blas von Santillana
Alain René Lesage

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Neuntes Buch.

Erstes Kapitel.

Nächtlicher Besuch des Prinzen von Asturien bey Catalinen; auf was Art er sie beschenkt.

Ich ermangelte nicht, den folgenden Tag dem Herzog von Lerrna von allem, was vorgefallen war, genaue Rechnung abzulegen; nur etwas vertuscht' ich; daß Scipio die Sache eigentlich getrieben hatte, ich gab mich für den Aufspürer von Cataline'n aus; denn bey den Großen macht man sich aus allem eine Ehre.

Dadurch zog ich mir einige bitterböse Complimente zu. Mich freut's, Sennor Gil Blas, daß Sie unter all' Ihren andern Talenten auch das besitzen, gefällige Schönen aufzuspüren, sagte der Minister mit neckendem Tone zu mir. Wenn ich dergleichen benöthiget seyn sollte, so werden Sie erlauben, mich an Sie zu wenden. 4

Ich danke Ihnen für diesen Vorzug, gnädiger Herr, erwiederte ich auch in munterm Tone; verzeihen Sie aber, wenn ich Ihnen sage, daß ich mir ein Bedenken daraus machen würde, Ew. Excellenz dergleichen Arten von Vergnügungen zu verschaffen. Sennor Don Rodriguez ist bereits so lange im Besitze dieses Postens, und es wär' äusserst unbillig, ihn daraus zu vertreiben.

Der Herzog lächelte über meine Antwort, lenkte hierauf das Gespräch anders, und fragte mich, ob sein Neffe zu diesem Wildfangsstückchen nicht Geld brauchte? »Um Verzeihung, er ersucht Sie um tausend Stück Pistolen.« »Die sollst Du ihm bringen. Sag' ihm zugleich: Er soll des Geldes nicht schonen, und all' den Aufwand gut heißen, den der Prinz zu machen wünschen wird.«

Ich trug sogleich die fünfhundert Doppelpistolen zum Grafen Lemos. Ihr kommt, wie gerufen, sagte dieser Herr zu mir. Ich habe mit dem Prinzen gesprochen. Er ist am Angel hängen geblieben; brennt vor Ungeduld Cataline'n zu sehen. Die folgende Nacht will er sich aus seinem Pallaste stehlen, und zu ihr hineilen; das ist sein fester Entschluß. Unsere Maßregeln sind schon darnach genommen. Gebt den Damen davon einen Wink, und das mir überbrachte Geld. Wir müssen ihnen zeigen, daß nicht ein Liebhaber von gewöhnlichem 5 Schrote zu ihnen kommt. Ueberdieß müssen immer fürstliche Geschenke die Vorläufer fürstlicher Umarmungen seyn.

Da Ihr mich begleiten sollt, fuhr er fort, so ermangelt nicht, Euch heut' Abend, um die Zeit seines Schlafengehens hier einzufinden. Ueberdieß muß Euer Wagen, (denn ich find' es rathsamer, uns dessen zu bedienen) uns um zwölf Uhr unfern dem Pallaste erwarten.

Sogleich begab ich mich zu den Damen. Cataline'n bekam ich nicht zu sehen; es hieß, sie schliefe. Ich sprach nur mit der Sennora Mencia. Sie werden entschuldigen, Sennora, sagt' ich zu ihr, daß ich mich bey Tage in Ihrem Hause sehen lasse. Es ging aber nicht anders an; ich konnte nicht umhin, Ihnen die Nachricht zu bringen, daß der Prinz Sie diese Nacht besuchen wird; und hier, fuhr ich fort, indem ich ihr den Beutel mit dem klingenden Inhalte in die Hand drückte, hier sendet er eine Opfergabe in den Tempel Cythere'ns, um die Gunst der Gottheiten in demselben zu erlangen. Wie Sie sehen, hab' ich Sie in kein schlechtes Spiel verwickelt.

»Wofür ich Ihnen sehr verbunden bin. Doch sagen Sie mir, Sennor de Santillana, liebt der Prinz Musik?« »Ueber die Massen! Nichts macht ihm mehr Vergnügen, als eine schöne Stimme, begleitet durch eine mit Delicatesse gespielte Laute.« Um so besser, rief Sennora Mencia, ganz außer 6 sich vor Freude. Sie entzücken mich durch diese Nachricht; denn meine Nichte hat eine Nachtigallkehle, und spielt die Laute zum Bezaubern. Sie tanzt sogar meisterhaft. Bey Gott, rief ich nunmehr, das nenn' ich ein vollgerüttelt und geschüttelt Maß von Vollkommenheiten, Tantchen! Soviel braucht ein Mädchen nicht ihr Glück zu machen; dazu ist eins von diesen Talenten hinlänglich.

Nachdem ich also den Weg bereitet hatte, erwartete ich die Stunde, da der Prinz sich zur Ruhe zu begeben pflegte. Und wie diese da war, gab ich meinem Kutscher die nöthigen Befehle, und ging zum Grafen Lemos. Dieser sagte zu mir, der Prinz würde eine kleine Unpäßlichkeit vorschützen, um sich seine Leute eher vom Halse zu schaffen, und sich sogar in's Bett legen, um dieß Vorgeben glaublicher zu machen; eine Stunde aber nachher würd' er wieder aufstehen, und durch eine geheime Thür eine verborgene Treppe gewinnen, die auf den Schloßhof führte.

Als er mich von dem, was sie abgekartet, unterrichtet hatte, postirte er mich an einen Ort, wo sie seiner Versicherung nach durchkommen würden. Ich stand hier bereits solang' auf der Lauer, daß ich anfing zu glauben, unser Galan hab' einen andern Weg genommen, oder die Begierde Cataline'n zu sehen, sey ihm vergangen, als wenn Fürsten dergleichen Gelüste 7 vergingen, bevor sie selbige gebüßt haben. Kurz, ich bildete mir ein, man habe mich gänzlich vergessen, als zwey Männer erschienen, die auf mich zu gingen.

Da ich sie für die Erwarteten erkannte, führt' ich sie zu meinem Wagen, in welchen sie beyde stiegen. Ich aber setzte mich zu dem Kutscher auf den Bock, um ihm zum Wegweiser zu dienen, und ließ ihn funfzig Schritte von der Wohnung der Damen halten. Ich half dem Prinzen und seinem Gefährten aus dem Wagen, und wir begaben uns nach dem Hause, in welches wir wollten. Die Thür' öffnete sich, wie wir uns näherten, und schloß sich, sobald wir hinein waren.

Anfänglich befanden wir uns in der nähmlichen Finsterniß, worin ich mich das erstemahl befand, ob man gleich Vorzugshalber ein Lämpchen an einer Mauer befestigt hatte; das Licht aber, das es verbreitete, war so kärglich, daß wir es zwar sahen, allein wenig Vortheil davon hatten. Allein dieß diente nur dazu, das Abenteuer der Hauptperson in selbigem anmuthiger zu machen. Diese wurde gar heftig erschüttert, als sie die Damen erblickte, die sie in einem Saal empfingen, dessen durch eine große Anzahl Wachslichter bewirkte Helle für die im Hofe herrschende Dunkelheit völlig schadlos hielt. Bas' und Nichte hatten ein so galantes, und mit aller Koketteneinsicht so wohl ausstudiertes Negligee 8 an, daß man sie nicht ungestraft ansehen konnte. Hätt' unser Prinz nicht die Wahl gehabt, so hätt' er mit der Sennora Mencia recht gern fürlieb genommen; allein die Reitze der jungen Cataline erhielten – und das mit Recht – den Vorzug.

Nun, mein Prinz, sagte der Graf Lemos zu ihm, konnten wir Ihnen wohl das Vergnügen verschaffen, zwey schönere Frauenzimmer zu sehen? Alles beydes entzückende Geschöpfe, antwortete der Prinz, und ich bin unvermögend mein Herz von hier zurückzubringen, weil es der Tante nicht entgehen könnte, wenn die Nicht' es auch verfehlte.

Nach diesem für eine Tante so verbindlichen Complimente, sagte er Cataline'n ungemein viel Schmeichelhaftes vor, worauf sie mit ungemein viel Geist antwortete. Da es nun so wackern Männern, welche die Rolle spielen, die ich hierbey hatte, frey stehet, sich in das Gespräch der Liebenden zu mischen, wofern das Feuer dadurch nur noch mehr angeschürt wird, so sagte ich zum galanten Fürstensohne: seine Nymphe sänge und spiele die Laute ganz meisterhaft.

Mit Entzücken vernahm er, daß sie diese Talente besässe, und drang in sie, sich hören zu lassen. Mit vielem Anstande gab sie seinen inständigen Bitten nach, ergriff eine völlig gestimmte Laute, spielte einige zärtliche Arien 9 und sang in so liebeschmelzenden Tönen, daß der Prinz im vollen Taumel der Lieb' und des Vergnügens hin zu ihren Füßen sank.

Doch einen Vorhang vor dieß Gemählde! Es ist hinlänglich, wenn ich sage, daß dem Erben der Spanischen Monarchie, in dem süßen Rausche, worin er begraben lag, die Stunden wie Augenblicke wegschwanden, und daß wir ihn wegen des heraufgrauenden Tages aus diesem gefährlichen Hause wegreissen mußten. Ueber Hals über Kopf schafften die Herren Liebesmäkler ihn wieder in seinen Pallast, und verfügten sich sodann nach Hause, so vergnügt, ihn mit einer Abenteuerinn zusammengekuppelt zu haben, als hätten sie die Vermählungstractaten zwischen ihm und einer großen Fürstinn in's Reine gebracht.

Den folgenden Morgen erzählt' ich dem Herzoge von Lerma, der alles wissen wollte, das ganze Abenteuer. Eben wie ich damit fertig war, kam der Graf Lemos, und sagte zu uns: Der Prinz ist so mit Cataline'n beschäftiget, hat soviel Geschmack an ihr bekommen, daß er sich vornimmt, sie öfter zu besuchen, und sich ihr allein zu widmen. Er möcht' ihr gern heute für zwey tausend Pistolen Edelgesteine schicken, hat aber keinen Heller. Er wandte sich an mich, und sagte zu mir: Theurer Lemos, Ihr müßt mir sogleich diese Summe schaffen. Ich weiß wohl, daß ich Euch 10 lästig falle, daß ich Euch erschöpfe; Ihr könnt aber versichert seyn, daß Euch mein Herz dieß alles gar hoch anrechnet, und seh' ich mich je in dem Stande, für alles das, was Ihr für mich gethan habt, thätlich erkenntlich zu seyn, so soll es Euch nicht reuen, mich Euch verpflichtet zu haben. Mein Prinz, sagt' ich im Weggehen, ich habe Freund' und Credit, und will das Verlangte zur Stelle schaffen.

Seinem Verlangen kann gar leicht gewillfahret werden, erwiederte der Herzog seinem Neffen, Santillana soll Euch das Geld hinbringen, oder wenn Ihr wollt, hingehen, und den Schmuck kaufen; denn er verstehet sich vortrefflich darauf, und zumahl auf Rubinen. Nicht wahr, Gil Blas, fuhr er fort, indem er mich mit einer schalkischen Miene ansahe. Eine bittere Pille, Ew. Excellenz! versetzt' ich. Ich sehe wohl, Sie sind gesonnen, dem Herrn Grafen auf meine Kosten etwas zu lachen zu geben. Und das geschahe richtig.

Der Neffe erkundigte sich: was hierunter für ein Geheimniß läge. Keins von Belang, erwiederte sein Oheim lachend. Santillana ließ es sich einsmahls einfallen, einen Diamanten gegen einen Rubin umzutauschen, und dieser Tausch gereichte weder zu seiner Ehre noch zu seinem Vortheile.

Ich wäre zu gut davon gekommen, wenn es der Minister hierbey hätte bewenden lassen, 11 so aber nahm er sich die Mühe, das mir von Camille'n und Don Raphael im Hôtel garni gespielte Stückchen zu erzählen, und sich besonders über diejenigen Umstände auszubreiten, die für mich die unangenehmsten waren.

Nachdem sich Seine Excellenz recht weidlich lustig gemacht hatten, befahlen Sie mir, den Grafen Lemos zu begleiten, der mich zu einem Juwelier hinnahm. Wir suchten daselbst Edelgesteine aus, die wir dem Prinzen zeigten. Hierauf überlieferte man sie mir, um sie Cataline'n einzuhändigen. Sodann ging ich zu Hause, und steckte zweytausend Pistolen von des Herzogs Gelde zu mir, um den Kaufmann zu bezahlen.

Gar keine Frage, ob ich die folgende Nacht von den Damen freundlich empfangen wurde, als ich meine Gesandschaftsgeschenke überreichte. Sie bestanden aus einem schönen Paar Ohrgehängen für die Nichte, und einem artigen Ringe für die Base. Beyde waren über diese Beweise der Lieb' und Großmuth des Prinzen ganz entzückt; ihre Zungen kamen so in Gang, wie die von einem Paar Gevatterinnen, und sie überschütteten mich mit Danksagungen, daß ich ihnen zu einer so guten Bekanntschaft verholfen hätte.

Im Uebermaß ihrer Freude vergaßen sie sich, und liessen einige Worte fliegen, wodurch 12 ich aus dem Verdacht kam: ich habe den Sohn unsers großen Monarchen zu einer Betriegerinn geführet. Um genau zu wissen, ob ich dieß herrliche Meisterstück gemacht, begab ich mich des Vorhabens fort, deßhalb von Scipio'n Erläuterung einzuziehen.

 


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