Alain René Lesage
Gil Blas von Santillana
Alain René Lesage

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Fünftes Kapitel.

Durch welches Ungefähr sich Gil Blas de Don Alphonso de Leyva erinnerte, und was für einen Dienst er ihm leistete.

Der Gang meiner Geschichte erfordert, daß ich meine Heirath auf einen Augenblick bey Seite setze, und einen Dienst erzähle, den ich meinem ehmahligen Herrn, dem Don Alphonso leistete. Ich hatte ihn gänzlich vergessen, und die Gelegenheit, wobey ich mich seiner erinnerte, war folgende.

Zu der Zeit war das Gouvernement von Valencia erledigt. Wie ich dieß erfuhr, dacht' ich an Don Alphonso de Leyva. Ich erwägte, daß sich dieser Posten ungemein wohl für ihn schickte, und entschloß mich, 34 vielleicht weniger aus Freundschaft, als aus Prahlerey, um diese Stelle für ihn anzuhalten. Erhalt' ich sie, stellt' ich mir vor, so werd' ich mir dadurch vielen Ruhm erwerben. Deßhalb wandt' ich mich an den Herzog von Lerma. Ich sagte ihm, ich sey Intendant des Don Cäsar de Leyva und seines Sohnes gewesen, und da ich alle Ursache hätte, mit ihnen zufrieden zu seyn, nähm' ich mir die Freyheit, ihn unterthänigst zu bitten, dem Vater oder dem Sohne das Gouvernement von Valencia zu ertheilen.

»Herzlich gern, Gil Blas. Mich freut's, Dich erkenntlich und großmüthig zu sehen. Ueberdieß sprichst Du mir von einem Hause, das ich schätze. Die Leyvas sind brave Diener des Königs; verdienen wohl diese Stelle. Du kannst mit selbiger nach Deinem Belieben schalten. Ich geb' sie Dir zum Hochzeitsgeschenk.«

Entzückt, daß mir mein Vorhaben gelungen war, ging ich ohne Zeitverlust zum Calderon, um mir das Patent für Don Alphonso ausfertigen zu lassen. Es befand sich daselbst eine große Anzahl Personen, die in dem ehrerbietigsten Stillschweigen harrten, bis Don Rodriguez käme, und ihnen Audienz ertheilte.

Ich arbeitete mich durch den Haufen bis an die Cabinetsthür, die mir sogleich aufgemacht wurde. Es waren hier, ich weiß nicht mehr, wie viele Ritter, Comture und andre Männer von Bedeutung, die Calderon nach der 35 Reihe anhörte. Die verschiedene Art und Weise, wie er sie empfing, war wirklich etwas Sehenswürdiges. Einigen nickte er bloß mit dem Kopfe, andre beehrte er mit einer Verbeugung, und geleitete sie bis an seine Cabinetsthür. Er brachte in den Höflichkeiten, die er erwieß, so zu sagen, gewisse Schattirungen von Achtung an.

Auf einer andern Seite ward ich Cavaliere gewahr, die seine geringschätzige Behandlung so empörte, daß sie die dringende Noth verfluchten, die sie dahin brachte, vor solch' einem Fraß zu kriechen. Hingegen bemerkt' ich auch welche, die in ihrem Innern über den aufgeblasenen Gauch herzlich lachten. Ungeachtet ich all' diese Bemerkungen machte, so war ich dennoch nicht vermögend, aus selbigen eine Nutzanwendung zu ziehen. Zu Hause betrug ich mich gerade so wie er, und kehrte mich wenig daran, ob man mein hochfahrendes Wesen billigte oder tadelte, wofern man nur Achtung dafür äusserte.

Als Don Rodriguez von ungefähr einen Blick hatte auf mich fallen lassen, so riß er sich von einem Edelmanne weg, der mit ihm sprach, und umarmte mich mit Freundschaftsbezeigungen, die mich erstaunten. Ha! mein lieber College! rief er, was verschafft mir denn das Vergnügen, Sie hier bey mir zu sehen? Was steht zu Ihren Diensten?

Ich sagte ihm, was mich hergebracht hatte, und er versicherte mir mit den verbindlichsten 36 Ausdrücken: Morgen um eben die Zeit sollte das Verlangte ausgefertigt seyn. Hierbey ließ es seine Höflichkeit nicht bewenden; er begleitete mich bis an die Thür seines Vorgemachs, wohin er sonst Niemand als vornehme Herren hinzubegleiten pflegte, und umarmte mich daselbst von neuem.

Was bedeuten denn all' diese Höflichkeiten? sagt' ich beym Weggehen zu mir selbst. Was soll ich mir daraus nehmen? Etwa, daß Calderon meinen Untergang beschlossen hat, oder sollt' er sich um meine Freundschaft vollen Ernstes bewerben, oder auch, weil er ahndet: er steh' auf der Kippe, darum so schön und artig gegen mich thun, damit ich ihn sodann bey unserm Herrn vertreten möchte. Ich wußte nicht, an welche von diesen Muthmaßungen ich mich halten sollte.

Den folgenden Tag behandelte mich Calderon wieder auf die nähmliche Art, überhäufte mich mit Liebkosungen und Höflichkeiten. Was ich zuviel bekam, wurde den andern, die ihn zu sprechen kamen, in Anschlag gebracht und weniger gegeben. Einige schnarcht' er an, gegen andre that er ganz kalt, kurz, er machte fast jedermann übler Laune; allein durch einen Vorfall, der ihm begegnete, und den ich unmöglich mit Stillschweigen übergehen kann, wurden sie insgesammt hinlänglich gerächt. Alle 37 Geschäftsträger, Intendanten und Secretäre, die es lesen werden, können sich daran spiegeln.

Ein sehr schlecht und recht gekleideter Mann, der gar nicht der schien, der er war, näherte sich Calderone'n, und redete mit ihm von einem gewissen Memorial, das er dem Herzoge von Lerma überreicht habe. Ohn' einen Blick auf den Cavalier fallen zu lassen, sagte Don Rodriguez in einem anfahrenden Tone zu ihm: Wie heißt Ihr? mein Freund?

In meiner Kindheit nannte man mich Francillo, gab der Cavalier ganz kalt zur Antwort; nachher Don Francisco de Zuniga, und jetzt Graf Pedrosa. Calderon erstaunte über diese Worte, und da er sahe, daß er mit einem Manne vom ersten Range zu thun hatte, wollt' er sich entschuldigen. Gnädiger Herr, sagt' er zum Grafen, ich bitte um Verzeihung, wenn ich, da ich Ew. Hochgräflichen Gnaden nicht gekannt . . . . . .

Ich verlange Deine Entschuldigungen nicht, unterbrach ihn Francillo mit Würde. Ich verachte sie so sehr, als Deine Unhöflichkeiten. Wisse, daß der Secretär eines Ministers Jedermann höflich begegnen muß. Sey, wenn Du willst, eitel genug, Dich als Substituten Deines Herrn anzusehen; vergiß aber nicht, daß Du weiter nichts bist, als sein Diener. 38

Diese Begebenheit hatte zwar Don Rodriguez's Stolz gewaltig gebeugt, dessenungeachtet aber ihn nicht gewitzigt. Ich meiner Seits schrieb mir das Stückchen hinter's Ohr, und beschloß bey meinen Audienzen Acht zu geben, mit wem ich spräche, und gegen niemand übermüthig zu seyn, als gegen Stumme.

Da Don Alphonso's Patent ausgefertigt war, so nahm ich es mit, und sandt' es durch eine Stafette an den jungen Herrn, sammt einem Handschreiben vom Herzoge von Lerma, wodurch Se. Excellenz ihm zu wissen that, der König habe ihn zum Gouverneur von Valencia ernannt. Ich berichtete ihm den Antheil, den ich an dieser Ernennung hatte, nicht; schrieb ihm sogar nicht einmahl, weil ich mir das Vergnügen vorbehalten wollte, es ihm mündlich zu sagen, und ihn zu überraschen, wenn er an den Hof käme, um sich in Eid und Pflicht nehmen zu lassen. 39

 


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