Alain René Lesage
Gil Blas von Santillana
Alain René Lesage

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Zweytes Kapitel.

Gil Blas macht eine Entdeckung, wodurch er nicht wenig betreten und beängstiget wird; was für Maßregeln er nehmen mußte, um sich wieder zu beruhigen.

Indem ich zu Hause kam, hört' ich ein großes Getöse. Ich fragte nach dessen Ursache. Man sagte mir: Scipio gäbe diesen Abend einem Halbdutzend seiner Freunde einen kleinen Schmaus. Sie sangen aus voller Kehle, und begannen ein lautes schallendes Gelächter. Dieses Mahl war wahrlich! nicht das Banket der sieben Weisen.

Da der Geber des Gastmahls meine Ankunft erfahren hatte, sagte er zu seiner Gesellschaft: Es hat nichts zu sagen, Sennores Cavalleros. Es ist nur mein Herr, der zu Hause kommt. Lassen Sie Sich dadurch nicht stören; jubeln 13 Sie immer fort. Ich bin den Augenblick wieder da; will ihm nur zwey Worte sagen. Damit ging er zu mir.

Was ist das für ein GejohleGejohle, ein aufnehmenswürdiges Oberdeutsches Klangwort, welches das wüste Freudengeschrey von Trunkenen sehr glücklich darstellt. – A. d. Uebers. und GeschachereGeschachere, ein ebenfalls in die vertrauliche Sprechart mit vollem Fug überzupflanzender Ausdruck der Niedersachsen, womit sie ein lautes und unanständiges Gelächter bezeichnen. – A. d. Uebers. dort unten; sagt' ich zu ihm. Wen bewirthet Ihr denn da? Etwa Poeten? Behüte! gab er mir zur Antwort. Es wäre Jammer und Schade solchen Kerls Ihren Wein zu trinken zu geben. Ich mache davon bessern Gebrauch. Unter meinen Gästen befindet sich ein reicher junger Kauz, der durch Ihren Credit und für sein Geld ein Amt zu erhalten wünscht. Seinetwegen ist das Festin eigentlich angestellet. Bey jedem Glase, das er trinkt, steigr' ich das Douceur, das sie dafür bekommen sollen, um zehn Pistolen. Ich will ihn bis zum hellen lichten Tage zechen lassen. Wenn das ist; versetzt' ich, so setze Dich nur wieder zu Tische, und schone den Wein in meinem Keller nicht.

Ich fand es jetzt nicht für rathsam, mich mit ihm wegen Catalinen's zu besprechen, 14 allein den folgenden Tag, wie ich aufgestanden war, redete ich folgendermaßen mit ihm: Freund Scipio, Du weißt, wie wir mit einander leben. Ich behandle Dich eher als Kamerad, denn als Bedienten. Du hättest also Unrecht, einen solchen Herrn wie mich, zu hintergehen. Wir wollen also kein Geheimniß gegen einander haben; ich will Dir etwas berichten, worüber Du erstaunen wirst, und Du Deiner Seits sollst mir sagen, was Du von denen Weibspersonen denkst, mit denen Du mich bekannt gemacht hast. Unter uns, ich halte sie für ein Paar Gaunerinnen, die um so abgefeimter sind, je heiliger sie sich stellen. Trifft meine Muthmaßung zu, so hat der Prinz von Asturien eben nicht Ursache, mit mir zufrieden zu seyn, denn ich muß Dir's gestehen, für ihn habe ich eine Maitresse verlangt; ihn hab' ich zu Cataline'n geführet, und er ist in sie verliebt geworden.

Sennor, gab mir Scipio zur Antwort, Sie verfahren zu gütig mit mir, als daß ich nicht aufrichtig gegen Sie seyn sollte. Gestern hatt' ich mit dem Mädchen der beyden Prinzessinnen ein Gespräch unter vier Augen; da hat sie mir ihre Geschichte erzählt, die mir ziemlich kurzweilig schien. Ich will sie in einem Par Worten zusammenfassen, und ich denke, es soll Sie nicht reuen, sie gehört zu haben.

Cataline, fuhr er fort, ist die Tochter eines Arragonischen Krautjunkerchens. Da sie 15 in ihrem funfzehnten Jahre Waise war, und eben so arm als hübsch, so gab sie einem alten Komtur Gehör, der sie nach Toledo führte. Nach einem halben Jahre starb er, der ihr mehr Vater, als Mann gewesen war. Sie raffte seine Hinterlassenschaft zusammen, die aus einigen weiblichen Galanterien, und dreyhundert Pistolen bares Geld bestand, und trat sodann mit der Sennora Mencia in einen Bund. Dieß Weibchen war damahls noch Mode, ob gleich ihre Reitze schon den Krebsgang zu nehmen anfingen. Die beyden Herzensfreundinnen wohnten beysammen, und führten eine solche Lebensart, daß die Gerechtigkeit dahinter zu kommen suchte. Dieß mißfiel den Damen; sie räumten entweder aus Aerger oder einer andern Ursache heimlich und schnell Toledo, und liessen sich in Madrid nieder, wo sie ungefähr seit zwey Jahren leben, ohne irgend eine Dame aus der Nachbarschaft zu besuchen.

Nun aber kommt das Beste! Sie haben zwey kleine Häuserchen gemiethet, die bloß durch eine Wand von einander gesondert sind. Durch eine in den Kellern angelegte Treppe kann man aus dem einen in's andre kommen. Sennora Mencia wohnt mit einer jungen Zofe in einem von diesen Häuserchen, und die Witwe des Komturs mit einer alten Duenna, die sie für ihre Großmutter ausgibt, in dem andern. Auf die Art ist unsere Arragonerin bald eine Nichte, 16 die sich unter der Aufsicht ihrer Base befindet, bald das Mündel unter den Flügeln ihrer Großmutter. Wenn sie die Nichte macht, heißt sie Cataline, stellt sie aber die Enkelinn vor, so nennt sie sich Sirena.

Bey dem Nahmen Sirena erblaßt' ich, und fiel Scipio'n in die Rede. Was sagst Du mir? Du machst mich zittern. Ah! mir ist angst und bange, daß diese verdammte Arragonerinn Calderon's Maitresse ist. Ja, wahrhaftig, das ist sie auch, gab er mir zur Antwort. Ich glaubte Ihnen durch diese Nachricht rechte Freude zu machen. Kummer und keine Freude, unbesonnener Jüngling! erwiederte ich. Siehst Du denn nicht die Folgen davon ein?

Mein Seel nicht! antwortete Scipio. Was für'n groß Unglück kann denn daraus entstehen? Daß Don Rodriguez hinter die ganze Pastete kommt, ist so ausgemacht noch nicht, und ist Ihnen ja dafür bange, so dürfen Sie dem Dinge nur vorbauen. Erzählen Sie dem Minister die Sache ganz treuherzig. Daraus wird er Ihre Redlichkeit kennen lernen, und will Sie ja hernach Calderon auf irgend eine Art bey Seiner Excellenz angiessen, so werden Selbige so gleich einsehen, daß es bloß aus Rachgier geschieht.

Durch diese Rede benahm mir Scipio alle Furcht. Ich befolgte seinen Rath, und 17 berichtete dem Herzoge von Lerma diese unangenehme Entdeckung. Ich nahm bey meinem Berichte eine traurige Miene an, um ihn zu überreden, mir ging' es sehr nahe, Calderon's Mätresse dem Prinzen überliefert zu haben; allein der Minister, anstatt seinen Günstling zu beklagen, trieb vielmehr seinen Scherz damit, rieth mir sodann immer meinen Gang fortzugehen; denn genau erwogen, sagte er, muß Calderon stolz seyn, mit dem Prinzen von Asturien eine gemeinschaftliche Geliebte zu haben, und von ihr nicht ungünstiger behandelt zu werden, als dieser.

Ich benachrichtigte auch den Grafen Lemos davon, der mich seines Schutzes versicherte, wenn der Obersecretär hinter die Intrike kommen, und es sich einfallen lassen sollte, mich beym Herzog anzuschwärzen.

Auf die Art glaubt' ich mein Glücksschiff vor der Gefahr zu stranden geborgen zu haben, und war ganz unbekümmert. Ich begleitete den Prinzen fernerhin zu Cataline'n, sonst die schöne Sirena genannt. Dieß Mädchen verstand die Kunst, Ausflüchte zu ersinnen, wodurch sie Don Rodriguez von ihrem Haus entfernte und ihm die Nächte abstahl, die sie seinem erlauchten Mitbuhler zu widmen sich genöthigt sahe. 18

 


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