Nikolaus Lenau
Gedichte
Nikolaus Lenau

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Auf meinen ausgebälgten Geier

(1838)

1
            Du stehst so still und ernst, mein ausgebälgter Geier,
Ich bringe dir ein Lied mit meiner ernsten Leier.

Zwar hörst du nichts davon, dir geht mein Gruß verloren;
Doch Dichter sind gewohnt, zu singen toten Ohren.

Es lebt ja noch der Geist, der einst dir gab die Schwingen,
Den traf der Jäger nicht, er hört mein Lied erklingen.

Und wenn kein Menschenohr auch meinem Sange lauschte,
So hört mich doch der Geist, der mir das Herz berauschte.

Ich wollt, ich wäre jetzt in fernen Felsenklüften,
Und du hoch über mir, still kreisend in den Lüften;

Ich ließe froh mein Aug mit deinem Fluge schweifen,
Und wie du niederfährst, die Beute zu ergreifen;

Wie du, atmender Blitz, zu Boden niederzückest
Und mit den Krallen scharf ein warmes Leben pflückest;

Wie du das volle Herz ansetzest als ein Zecher,
Daß mit dem Leben trinkt der Tod aus einem Becher.

Traun! milder ist der Tod, trotz Blut und Jammerstimme
Wo heiße Lebenslust sich paart mit seinem Grimme,

Als wo kein Leben ist beim letzten Hauch zu sehen,
Wo still der Tod uns dünkt ein einsames Vergehen.

Ihr Weinenden am Sarg, an seinem dichten Schleier,
O kommt ins Felsental mit mir und meinem Geier!

O kommt, Unsterblichkeit will die Natur euch lehren,
Mit diesem Blute will sie trösten eure Zähren.

Im Kreischen dieses Aars, mags auch die Sinne stören,
Ist für die Seele doch ein süßer Klang zu hören.

Hier findet Trost ein Mann, ward ihm ein Glück zunichte,
Und näher tritt er hier dem Rätsel der Geschichte.

Der Geist, der heiß nach Blut hieß diesen Geier schmachten,
Es ist der starke Geist zugleich der Völkerschlachten;

Ein rasches Pochen ists, ein ungeduldigs Drängen
Der Seele, ihren Leib, den Kerker, aufzusprengen.

Den großen Kaiser hat einst dieser Geist durchdrungen,
Er hat ihm hoch sein Schwert zur Völkermahd geschwungen;

Dem Jäger, der als Wild die Menschheit trieb im Zorne
Durchs Dickicht seines Heers und Bajonettendorne;

Der, wie das Schicksal, fest beim Wehgeheul der Schmerzen,
Saatkörner seines Ruhms, warf Kugeln in die Herzen;

Und der auf Helena, wenn rings die Meerflut schäumte,
Beim Sturme sich zurück in seine Schlachten träumte. –

Mehr als ein blutger Tod macht es mein Herz erbeben,
Wenn unsichtbarer Hauch verweht ein Menschenleben;

Wenn übers Angesicht das Spiel vom letzten Schmerze
Hinzittert wie der Rauch der ausgelöschten Kerze.

Doch furchtbar ist der Tod, ein Grauen nicht zu zwingen,
Wenn eine Seuche kommt, die Völker zu verschlingen.

Der Kaiser liegt im Grab, die Menschen wollen Frieden,
Da ward nach lautem Schreck ein stiller herbeschieden.

Viel tausend Leben hat die Seuche fortgenommen,
Als hätte die Natur Verzweiflung überkommen,

Als wäre die Natur gejagt von einem Fluche,
Daß mit geheimem Gift den Selbstmord sie versuche.

Ein Geier ist der Krieg, Herzblut ist sein Verlangen
Die Seuche, still und glatt, ist vom Geschlecht der Schlangen.

Wo diese Schlange schleicht, fliegt ihr voran das Grauen,
Weil wir die Schlange nicht und ihren Rachen schauen.

Doch wie der wilde Aar, mit seinen scharfen Fängen,
Will auch die Schlange nur das Leben vorwärts drängen.

 
2
Du toter Geier stehst noch immer wild und edel,
Und neben dich gestellt hab ich den bleichen Schädel.

Ich lasse dir nach ihm den Schnabel niederhangen,
Als hättest du gespeist das Fleisch von seinen Wangen.

Es mag an diesem Bild sich gern mein Blick entzünden,
Sehnsüchtig träumen sich nach Himalayagründen.

Hier muß das Grauen selbst der Seuche sich verlindern,
Seh ich, Natur, wie du hier schwelgst in deinen Kindern!

Fort wird das Bild des Tods vom Lebenssturm getragen,
Der Siegesruf verschlingt mir alle Todesklagen.

Und mit den Geiern dort, die um die Leichen schwanken
Laß fliegen ich am Strom Unsterblichkeitsgedanken.

 


 


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