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Es ebbte: ich befand mich allein unter der Wölbung des Vorhauses; ich sah nichts von ihrem Gesichte. Endlich stiegen wir zwischen Dienern eine teppichbelegte Treppe hinauf; eine Türe öffnete sich auf wüsten Lärm, rasendes Freudengeschmetter; und der Herkules stieß uns, mit kleinem roten Munde und gellender Stimme in den aufgeblasenen Wangen, mit seinen feisten ausgestopften Armen unter eine Anzahl unanständig entblößter, um ein Souper gelagerter Masken. Ein tierischer Geruch von erhitzten Leibern vermengte sich im heißen Dunst der Leuchter mit dem Parfüm von Bisam und Malven, dem Duft der Speisen und des Weines. Die umhergezerrten Taillen ließen Schultern und Brüste zwischen Goldschmuck sehen. Ein reizend zartes Kind mit träumerischen Augen entblätterte Blumen in ein Champagnerglas und merkte nicht, daß sie fast nackt auf den Knieen eines Musketiers und einer Maske lag, deren Arme ihre Hüften umschlangen. Die Orgie ließ die Augen zerstreut umherschweifen und machte die Geberden kühn.
Ich saß zwischen zwei Frauen, die mich aus ihrem Glas zu trinken zwangen und beide, eine schmiegsame Last, an meiner Schulter ruhten. Dennoch begehrte ich ihrer nicht. Ich mußte nur immerfort Aude betrachten, die an der Spitze der Tafel ruhig ihren Fächer zur Seite des Riesen im Trikot bewegte und von meiner Anwesenheit nichts mehr zu wissen schien. Sie war die einzige, die – trotz der Zudringlichkeit ihres Nachbarn, der ihre Züge, die Ellbogen auf das Tischtuch gestemmt, hartnäckig erkennen wollte – die Maske anbehalten hatte. Der Wein rann über das Tischtuch; mit einem Male zog sie aufrecht und verächtlich die Schultern hoch. Er wollte ihr Nachkommen; da schlug sie ihm mit dem Fächer ernsthaft über die Hände und sagte, zu mir gewandt, mit erhobener Stimme: »Es gibt hier nur einen Mann, der mein Gesicht zu kennen nötig hat.«
Mich verzehrte der Durst; ich leerte nacheinander mehrere Gläser. Ich wußte nicht genau, was ich tat. Aude gab mir zuweilen ein Zeichen und schien mich ermutigen zu wollen. Ich versah mich dessen nicht, daß sie von meiner Unvernunft eine Mitschuld erwartete. Der blonde Sillerny dämpfte bald meine Hitze nicht mehr, als ob Pech und brennende Kohlen meine Brust in Brand gesteckt hätten. Ich ließ also Liköre, starken Alkohol bringen. Ich hatte auf diese Art bald die unterste Stufe der Trunkenheit um mich her erreicht. Mein Gesicht verwirrte sich, ich sah seltsame, unbestimmte Dinge. Ich glaubte zu träumen, als ich durch den Brodem an dem Platze, den Aude inne hatte – sein unerhörtes Schauspiel – den Glanz einer nackten Göttin sah. Eine Anadyomene von Fleisch und Blut wand sich wie durch das Wunder eines Zauberspruches aus ihren Hüllen, doch ich wußte nicht, was aus Aude geworden war; das unvergleichliche Gaukelwerk blendete mich; ich gewahrte anfangs nur diese Erscheinung einer Göttin. Blitzschnelles Erkennen folgte auf diesen augenblicklichen Taumel und schlug mich nieder. Aude, Aude selbst war es, die als einzigen Schirm und Schutz unter den gröhlenden Zechern die Maske hatte, hinweg, ich kannte dich noch nicht, Köstliche, Unzüchtige! Ich wußte nicht, daß du noch einen Zauber, Verschnittene zu entflammen, verbargst. Der Spiegel entzündete sich an diesem rosigen Wachs einer lebenden Fackel, an diesem Reiz des Zitterns einer Chryselephantine, die in diesem Augenblicke die Schönheit selbst herauszufordern schien. Die kecke Straffheit ihrer Brüste triumphierte wie in einer heidnischen Himmelfahrt über das leichtfertige welke Fleisch der Frauen und ließ sie auf einem Rost der Eifersucht heulen.
Indessen wandte sie sich gegen mich und weihte mir mit einer Geberde ihren blitzenden Schoß. So schien sie allen anderen fremd geblieben und mir als einzig Erkornem ihr Opfer der Hingabe dargebracht zu haben. Ach, es war erst später, daß ich mich von der Unfehlbarkeit der Wege, die sie mich an jenem Abend geführt hatte, überzeugte. Sie kannte die Wirkung ihres Giftes und gab mir gleichzeitig ein Zeichen einer Liebe, das nur das Tier auf seinen dunklen Wegen finden konnte.
Den Taumel des Weines steigerte nun ein anderer, Rausch aufs höchste. Die Lichter, die Tafel und die bunte Orgie verdunkelten sich vor dem geschwungenen Zeichen der Allmacht des Fleisches. Meine Knie wankten; es war ein Todesringen, das Liebe und Haß in meinem Mark kämpften. Wer begreift dich Brunnen, Schacht des Lebens? Wer begreift dich Menschen, der dürstend an seiner Tiefe steht, der vor seiner eigenen rückgespiegelten Gestalt flieht, der Schönheit, die er, den Brunnen trübend, verzerrt!
Noch einen Augenblick hielt jene hochgemute kalte Astarte, in Zuchtlosigkeit wie in Keuschheit schön, die lüsterne Verwirrung am Tische in Schranken. Indem ich sie verabscheue, muß ich doch die ruhige Überzeugung von ihrer eigenen Festigkeit bewundern, die sie sicherer, als die anderen ihre schlecht geschlossenen Roben, in ihrer Nacktheit zu verteidigen schien. Sie hatte sich wie eine Dirne vor einer Menge entkleidet und war dennoch die Schönheit geblieben. So mußte sie ihnen wenigstens erscheinen, da keiner an ihre herrliche Gabe Hand anlegte; es sei denn, daß sie der heilige Schrecken des ›Unbegreiflichen‹ vor der Tollkühnheit eines so ungeahnten Beginnens stutzen ließ. Aude hatte sich geweigert, Wein zu berühren. Keine äußerliche Erregung stachelte ihr bewußtes eigenes Wollen an. Mit dem zwei Finger breiten schwarzen Samt, der eine tierische Schnauze vor ihr Gesicht schob, war sie plötzlich mir selbst noch viel geheimnisvoller, als sie es vorher in Spitzen und Seide all den anderen gewesen war.
Aude! Aude! du, die ich hier aus einem auf ewig schwärenden Herzen aus der Nacht rufe, in der deine Gebeine verwesen, wurdest du mir nur gewährt, auf daß wir uns beide ohne Rückkehr in halbem verbotenen Erkennen verlören und Zeugnis von dem dauernden Elend der Geschlechter ablegten? Deine schwarze Maske über dem Antlitz der Hündin war an diesem Tage das Symbol der Verdammnis aller Seelen, die der deinen glichen, wie die Spur des finsteren Streiches von der Hand des Erzengels, des Führers der Heerscharen. Wie oft ist sie mir noch heute, wenn ich jener Wahnsinnsnacht gedenke, das Zeichen deiner höllischen Firmung, o Nonne des Dienstes entarteter Liebe! Sie läßt mich deine Augen, deine Stirne nicht erkennen, die Sitze eines viel unumstritteneren Glanzes hätten sein sollen, als die stolze Schönheit deines Leibes war, die dir einzig gewährt wurde. Aude, Aude, die du mich mit allen Giften versengtest, um den Wundertrank deines Leibes damit zu erhöhen, ja, deine Maske, die dein dunkles Lachen birgt, ist mir, nach dieser langen Seit noch, ein höhnischer und unseliger, tückischer, männermordender, zweideutiger Priesterschmuck des – Weibes.