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V.

In der Schule verblieb mir eine schmerzliche Empfindung, die Qual meines Sinnenerwachens vor diesem Fleische, das an die Tiefen meines Lebens gerührt hatte.

Romain offenbarte wieder einmal seinen ganzen Zynismus. Er verhöhnte meine ›Feigheit‹ und zog, da ich ihm die Geschichte erzählt hatte, meine Mannbarkeit in Zweifel. Nun sprach er nicht mehr von seiner Schwester; ja er verbot uns diesen Gesprächsstoff. Er wußte von einem Hause, wo sich Mädchen für Geld entkleideten. Er war dreimal dort eingekehrt, hatte mit ihnen getrunken und sich daran vergnügt, die eine zu prügeln, nachdem er sie eine ganze Nacht besessen hatte. Auch ich hatte Elise, doch aus einem anderen Grunde, geschlagen.

Bei diesem jungen ungestümen Hengst befeuerte eine Fleischerslust die Lust am Fleische. Er war stark gebaut und die Liebe für ihn nur ein Aufwand körperlicher Kräfte. Ich sah ihn seit den Schuljahren nicht mehr. Ich wäre indessen sehr erstaunt, wenn jene Hitze sich nicht gelegt und aus ihm einen ebenso guten Ehemann wie aus anderen gemacht hätte. Seine Unsittlichkeit hatte etwas Freies, Leidenschaftliches, etwas von den Gesetzen der Natur gehabt, die dem Mann wie dem Männchen ein gewalttätiges, hitziges Aussehen gegeben hat. Meine trübsinnige Sittlichkeit verwickelte sich im Gegensatz dazu in brennende und krankhafte Zustände. In meinem Feuer und meiner linkischen Verschämtheit schien ich beide Geschlechter zu offenbaren: ich war nur ein von männlicher Leidenschaftlichkeit ergriffenes Weib und ein Mann, der nichts als die glühende, doch furchtsame Reizbarkeit des Weibes hatte.

Romain stieg für die Klasse zum Himmel auf. Daß er vollständig eingeweiht war, berief ihn zum Lehrer für alle. Er steckte buchstäblich die Klasse an; sie war fortan von der Vorstellung des Hauses und der Sucht, seine Gebräuche voll zu erraten, besessen. Mitunter kam einer dorther, der uns mit leuchtenden Augen, was er für sein Teil gesehen hatte, erzählte.

Im Gegensatze zu den anderen ward ich jedesmal, wenn sie solcherweise die Liebe ihres Kleides beraubten, von einem seltsamen und geheimen Leid gequält. Mir war es, als stünde ich selbst erstarrt und nackt vor einer Menge mit meiner straffen Haut zur Schau. Und doch hatte ein Weib küssend in meine Lippen gebissen, die Form von Elisens Leib sich in meine Hände geschmiegt. Es war ein Weh, für das ich keinen Grund fand.

Schon bei dem Gedanken an das Geschlecht des Weibes fühlte ich eisigen Schreck. Ich hatte die lächerliche Angst vor einem versteckten Tiere, das dort im Geheimen und böse sein unentdecktes Leben in jenem der Kleider führte. Ich dachte, ich müßte sterben, da ich eines Tages gleich den anderen in Häuser gehen würde. Und dieses Übel wuchs mit der unaussprechlich zitternden Begier in meinen Tiefen, es ward mir unmöglich, an Elise oder eine andere Frau zu denken, ohne mir zugleich den schrecklichen Abriß vorzustellen, der sie von mir verschieden machte. Meine Wangen erglühten schmerzlich, kaum daß ein Frauenname vor mir genannt wurde.

Es ereignete sich, daß mir mein Vater gestattete, drei Tage der Osterferien in der Familie eines Mitschülers zuzubringen.

Man gab ein Mahl und ich wurde neben ein hübsches, keckes Mädchen gesetzt. Das war eine Qual. Ich konnte meine Blicke nicht von ihren Händen wenden, die, weich und zart, in kleine rosige Nägel ausliefen. Sie besaßen ein so erstaunliches, beseeltes Leben, wie dieses ganze junge Geschöpf von anmutiger Lebendigkeit war. Vielleicht, daß auch sie gefehlt hatten, wie alle die anderen Hände und wie die meinigen. Ich glaube, ich wäre ohnmächtig geworden, wenn ich mit meinen Knieen unter dem Tisch ihren Knieen begegnet wäre. Und ich fand kein Wort an sie zu richten; sie hatte so Gelegenheit, sich von ganzem Herzen über mich lustig zu machen. Kaum, daß die Mahlzeit zu Ende war, schlich ich davon; ich irrte im Garten umher und brach in Schluchzen aus.

Ich war heute auch in diese sterblich verliebt. – Ich habe nicht die Furcht, lächerlich zu erscheinen. Dies sind Bekenntnisse, die ich niederschreibe; sie werden nicht ohne Nutzen sein, wenn daraus notwendig die Einsicht entspringt, daß unsere verkehrte Erziehung in Verbindung mit der Unkenntnis unserer selbst und der Ablenkung unserer uneindämmbarsten Triebe die schlimmste Entartung erzeugt.

Ich verbrachte den Rest meiner Schulferien bei meinem Vater. Die beiden Mägde, die er behalten hatte, waren alt und häßlich. Ich wußte, daß eine von ihnen sich jeden Sonnabend an der Pumpe wusch. Ich richtete mich ein, sie zu überraschen, während sie ihre Brust abspülte; ich weiß nicht, was geschehen wäre, doch hörte sie meine Schritte, und drehte den Schlüssel um und rief gleichzeitig mit ihrer plumpen Bäuerinnenvertraulichkeit: »Nicht herein, junger Herr! ich bin ohne Hemd!«

Jawohl, ich stieg des Abends in den Gängen herum, wo die Dachstuben lagen. Die Türen dieser Stuben waren niemals verschlossen, und ich fühlte mich diesen Mädchen gegenüber fest entschlossen, wie vor dem Fleisch eines niederen Menschentums, das dem Herrn gehörte. Ich hatte meine früheren Leidenschaften vergessen; in meinem Wahnwitz brannte ich nur nach diesen dicken ungestalteten Leibern. Ich überfiel auf solche Weise ihren tiefen und reinen Schlummer, ihr trauriges und rührendes Ausruhen herzhafter Tiere. Sie beide schliefen wie Kinder, die Decke bis über die Brust gezogen, in unschuldigem und erschöpftem Frieden. Und die wahre Scham ergriff mich erst spät wieder.


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