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L'homme en amour.

»Il n'y a d'immoraux que les livres sans talent.«

C. L.

 

Von diesem Buche ist einmal in seltsamer Weise gesprochen worden. Und zwar an einem Orte, wo man sonst selten von modernen Werken spricht. In Brügge.

Das war vor ein paar Jahren. Philisterprüderie regte sich wieder einmal in ungemütlicher Weise und schlug in läppischem Zorne, wie allemal, tüchtig daneben. Gerade die beiden besten Bücher des jungen erstarkenden Belgiens schleppte man vor Gericht, um sie mit der Brandmarke der Paragraphen 383 und 384 des Strafgesetzes – Vergehen gegen die Sittlichkeit – zu stempeln. Und natürlich war es schon wieder zu spät, denn sechsfache Auflagen hatten die beiden meisterlichen Werke längst breiteren Kreisen vermittelt. George Eckhoud war der eine Verbrecher – der Schöpfer jener ergreifenden Tragödie der Heterosexualität Escal Vigor – Camille Lemonnier der andere mit diesem Buche, das nun endlich auch in Deutschland die Pathologie einer verzweifelten Leidenschaft erzählen darf. Und damit der Schlag, zu dem man so umständlich ausholte, auch sicherlich treffe, hatte man Brügge, die alte, trauliche, verzauberte, bigotte Stadt zum Urteilsspruch erwählt.

Gerade Brügge war auserkoren. Denn dort weiß man nichts vom Leben und seinen Leidenschaften. Dort verfließt den Menschen ihr Dasein wie ein dunkler, frommer Traum der Traurigkeit und vergeistigter Entsagung. Nie rufen die alten Kirchenglocken vergebens in die dunklen, stillen Straßen hinein zum Gebete, nirgends sind so viel Menschen, die aller Freuden so ganz entsagten und in Klostermauern den Tod erwarten. Die ganze Stadt ist wie eingehüllt in ein Nonnenkleid. In den spärlichen Buchläden, die aus den verräucherten zackigen Giebelhäusern hervorlugen, nie erweckt aus ihrem jahrhundertlangen traurigen Schlafe, reihen sich zwischen den üblen Farbendrucken religiöser Darstellungen nur die kleinen goldgeränderten Meßbücher, ein paar katholische Revüen vielleicht noch und die »Nachfolge Christi«. Wie ein Fremdling leuchtet der karminrote Bädeker höchstens noch dazwischen oder der zierlich geschmückte Band Rodenbachs » Bruges la Morte« und sein läppisches Gegenspiel » Bruges la vivante« irgend eines patriotischen einsam flackernden Kirchenlichtes. Von den rauschenden Fluten, in denen sich die moderne Denkungsweise über alle Kulturländer ergossen, ist nicht eine einzige einsame Welle an den alten trotzigen Stadtwall der toten Stadt gespült. Tief und trotzig ist ihr zauberischer Schlaf.

Und in dem alten prächtigen Justizpalaste, dessen Steine noch die Arbeiter des Mittelalters fügten, sollten Bürger dieser weltfernen religiösen Stadt die Schilderung eines Schicksals werten, das für sie so fremd und ferne war, wie für uns die exotischen Lebensformen eines weiten Archipels, die uns märchenhaft und absonderlich dünken. Fromme Bourgeois, deren menschliche Leidenschaft sich in religiöse Ekstase und konfessionellen Fanatismus allein auslebte, sollten ein Hohelied erotischer Verstrickung richten, sie, deren Ehefrauen schüchternen Schrittes durch die stillen Stuben wandeln und nur Sonntags im schwarzen, seidenen Feiertagsgewande mit weißgefalteter Haube zur Kirche gehn, die satanische Fratze des Vampirs im Weibe verstehen. Aber eine Redlichkeit waltet in solchen ernsten Leuten, die oft alle Umkleisterungen jesuitischer Kuttenkunst durchbricht. Das Unerwartete ist damals geschehen: in das atemlose Harren des ganzen Landes verkündete der Obmann den Freispruch der beiden Angeklagten. Camille Lemonnier und George Eckhoud sind unbestraft den dunklen Stufengang des Justizgebäudes hinabgeschritten.

Es muß ein schöner stolzer Tag gewesen sein. Lemonnier hat es erzählt, wie herblichgrau der Himmel damals an den Scheiben klebte, als wollte er den harten Worten des Anklägers horchen. Und wie damals als wirksamste Verteidigung das Buch selbst vorgelesen wurde, wie zum ersten Male vielleicht heißblütige, prunkvoll blühende Worte, das Evangelium moderner Denkweise an die alten Wände schlug, wie dann die Lampen leuchteten und die wilden Worte nur noch lebendiger und reicher zu werden schienen. Und wie schließlich das Verdikt fiel und Jubel entzündete in allen Herzen, in denen die rote Blüte der Freiheit Boden gefunden, wie das ganze, große, freiheitliche Belgien jauchzte an diesem stolzen, bedeutsamen Tage.

*

Denn diese schmachvolle Anklage war nichts Zufälliges, nicht Ausfluß eines einzelnen altjüngferlichen Ärgernisses, sondern ein Zeichen der Zeit, ein einzelner Funken, der von der zornigen Reibung zweier stahlharter Gegensätze abgesprungen. Hinter den beiden Gestalten, der des Anklägers und Camille Lemonniers, standen wie zwei ungeheure Schatten zwei Lebensformen, zwei soziale und moralische Parteien, in die Belgien zerspalten wie eigentlich mehr oder minder jeder Staat. Nur daß dort der Gegensatz schärfer hervortritt, daß sich dort Rot und Schwarz ohne Nuancen gegeneinander abgrenzen. Priestertum auf der einen Seite mit seinen Anhängern – bigotte, ernste Bourgeois, die Städter, deren Ethik allein die Religion ist und die in stillem, geregelten Schaffen sich einpassen in den konventionellen Mechanismus überlieferter Staatsform und gedankloser Normen. Aber auf der anderen Seite das unendliche Heer der Proletarier, wie sie in den Glasfabriken des Hennegaus, in den Kohlengruben der Grenze schaffen, Sozialisten und Freidenker, deren Wille ein wohlersonnenes Stimmrecht bändigt. Und mit ihnen die Künstler, die sich nach einem neuen Glauben sehnen und nach den Offenbarungen des Lebens, und sich gegen die Knebel der Zensur und des Jesuitismus wehren, die ganze intellektuelle Jugend, die sich um das Banner der »freien Universität« gesammelt hat und um die Schöpfer – das junge Belgien. Denn eine wunderbare Fülle ist dieser fruchtbaren Scholle entblüht, die großen Plastiker Meunier, Minne, Van der Stappen, Jef Lambeaux, der leidenschaftgepeitschte Radierer Felicien Rops, die großen Maler der Moderne, Theo van Rysselberghe, Fernand Knopff, Josef Heymans, die schöpferischen Dichter, Maeterlinck der Mystiker, Huysmans der Diaboliker, Emile Verhaeren der pantheistische Kolorist, Eckhoud, Lemonnier, Stijn Streuvels, Lerberghe – Kraft und Jugend, die das schläfrige, von Priesterhänden eingewiegte Land durchschüttert. Eine wunderbare Revolution der Geister ist aufgeleuchtet, die nicht mehr zu ersticken ist, so sehr man sich auch darum bemüht; persönliche und künstlerische Freiheit zersprengen die Särge, in die man sie zu versperren sucht. Auf allen Linien tobt der Kampf; wenn auch die leise Politik der Konservativen ihn hinterhältig führt, so sieht man doch ab und zu das Blitzen der Schwerter weit herüber.

Und diese Stunden in Brügge waren ein einsamer Zweikampf in diesem großen Ringen, ein Sieg, der nur persönliche Bedeutung hatte und keine universelle. Aber man wird diesem »tapferen Soldaten im Befreiungskriege der Menschheit« – wie Heine so prächtig von sich selbst sagt – diese Stunde nicht vergessen dürfen, denn sie hat sein Werk gemessen und seine Größe gezeigt.

*

An jenem Tage hat Lemonnier eine stolze Geberde gefunden, die nur ein Aufrichtiger und nie ein Poseur über die Lippen bringt. »Meine Bücher sind meine Waffen und meine Trophäen. Ob man sie auch zerbricht, sie werden bleiben.« Ein stolzes, ein schönes und ein wahres Wort. Denn man fühlt die ganze Torheit des klägerischen Beginnens, wenn man das reiche, überquellende Werk Lemonniers betrachtet, das er in unermüdlichem künstlerischen Ringen geschaffen. Für das fünfzigste seiner Bücher haben ihm im vergangenen Jahre die französischen Dichter in öffentlicher Versammlung ihren Dank gesagt. Seine Tat nur mit flüchtigen Zügen zu umreißen, ist hier unmöglich, denn schon die bloße Enumerierung forderte zwei Seiten. Wer Näheres sucht, den muß ich auf das Lemonnier gewidmete Heft der » Revue internationale« verweisen, sowie auf die ausführliche Studie in Buchform, die der kluge und ernste Pariser Schriftsteller Léon Bazalgette herausgibt; in deutscher Sprache weiß ich nichts Ausführliches über ihn, es sei denn, ich müßte an meinen eigenen Versuch im Litteraturblatt der »Neuen Freien Presse« erinnern. Aber in jedem seiner Bücher glüht der große Gedanke, der sein ganzes Werk erfüllt, die Sehnsucht nach einer natürlichen Schönheitsform des Lebens, die aus einer verzärtelten Kultur nach Natur und ihrer Freiheit zurückstrebt. Ein polyphoner Hymnus dieses freien, gesunden Lebens, das den Animalismus durch die pantheistische Versenkung des All überwindet, braust auf in dieser farbenreichen, vielfältigen Schöpfung. Und in diesem Einheitshymnus behält das Nationale für Lemonnier seinen eigenen Klang. Er hat Belgien durchackert wie keiner, mit Rubensfarben die derben körperlichen Gelüste gemalt mit ihren Sinnlichkeiten in den Stuben, bei den Kirmessen, in den Feldern, er hat in ernster Weise die düsteren Städte mit ihren ekstatischen Festen und ihren einsamen Menschen aufleben lassen, er hat die verzärtelten morbiden Seelen der dekadenten Kulturgeschöpfe sensitiv bis in die feinsten Schwingungen belauscht – er hat eine Welt in seine Bücher gepreßt und aus ihrer Betrachtung eine ethische Lehre von hinreißender Gewalt gewonnen. Ein Gläubiger ist er und ein Evangelist zugleich, ein Beter des Lebens und sein Priester, ein Genießer und sein Schöpfer.

Das ist er für uns. Für seine Heimat ist er mehr, viel mehr. Er ist nicht nur der Begründer belgischer Heimatskunst, sondern auch der erste, der ihr im Ausland Geltung verschafft hat. Anfeindung zu Hause hat ihm lange den Weg versperrt, denn beschränkter Chauvinismus verübelte ihm, daß er sich die französische Sprache als Darstellungsmittel wählte. Über Paris erst hat er sich Bahn gebrochen. Und um ihn hat sich die Schar aller derer gesammelt, deren Name heute lebendig bis zu uns geklungen ist. Maeterlinck, Verhaeren, Eckhoud – so sehr sie Individualitäten sind, bekennen sich doch willig als seine Schüler. Er war einer der ersten, die Millet entdeckten, und er war es, der dem unbekannten Maler Constantin Meunier sein wahres Gebiet, die soziale Plastik wies, wie er vielen andern durch sein eminentes kunstkritisches Können weiter half. So versteht man sein stolzes Wort, daß seine Bücher Waffen und Trophäen seien, die rückschrittlerischer Haß nie werde zerbrechen können …

*

In dem schlichten Hause im Vorortviertel zu Brüssel, das schon im Entree durch die Fülle künstlerischer Werke überrascht, habe ich viel mit Lemonnier über diesen seinen Roman gesprochen. Und ermuntert durch seine vehemente Liebenswürdigkeit und durch die klare Aufrichtigkeit seines gesund-schönen, ausgeprägt vlämischen Gesichtes habe ich, der gekommen war, ihm meine lebhafte Bewunderung zu sagen und einen brieflich entrierten Übersetzungsvorschlag zu besprechen, nichts verhehlt von meiner Liebe zu diesem Buche und von meinen Befürchtungen. Ich habe ihm erzählt, daß die schmutzigste französische Pornographie unter geschickter Führung bei uns Unterkunft findet, gerade aber die wertvollen Werke öfters von der Zensur attakiert werden; ich habe ihm damals versprochen, in einigen einleitenden Worten den Wert seines gesamten Werkes aufzuzeigen, um das Einzelwerk so in den Augen aller Objektiven selbst vor dem leisesten Verdachte der Pornographie zu schützen. Lemonnier hat für die deutsche Ausgabe das Buch gekürzt, aber nur an solchen Stellen, die ihm zu didaktisch und weitschweifig schienen, nicht aber an solchen, deren Kürzung eine Kastrierung bedeutete. Die Übersetzung konnte ich mangels an Zeit leider nicht vornehmen, doch verläßliche und künstlerische Hände haben sie übernommen. Und so darf ich nur diese Worte der Verehrung und Achtung sagen, die dem großen und leider in Deutschland so wenig bekannten Dichter galten, will aber meine Zuversicht nicht verschweigen, daß dieses Buch bei uns unbehindert seinen Weg findet und weiteren Werken Lemonniers den Pfad ebnet.

St. Z.

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