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Meine Schwester erwartete mich an der Treppe; sie öffnete mir die Arme, ich brach in nervöses Weinen aus, und wir hielten uns lange umschlungen, doch mein Schwager kam auf den Fußspitzen aus dem Zimmer herab. Ich hatte ihn nie geliebt; er hatte mir, als er mir Ellen entführte, das erste Leid meines Lebens bereitet, und die Wunde hatte sich niemals geschlossen. Meine Qual ward wieder lebendig; ich schien mir dieses Haus als ein Fremder zu betreten: meine Zerknirschung folgte nur dem Gebot, mich dem allgemeinen Schmerze anzupassen.
Ich stieg also schweigend die Stufen hinauf, die der Schritt meines Vaters nicht mehr herabkommen würde, ich betrat das Zimmer, neben dem ich den Schlaf meiner Kindheit geschlummert hatte.
Die Vorhänge waren herabgelassen und zwei Kerzen brannten wie für meinen Großvater in den großen kupfernen Leuchtern aus der Küche. Durch den zitternden Rauch dieser Lichter, die wie Sterne im Dämmer brannten, erblickte ich über der rosigen Weiße der Decke, die bis an die zur Geberde der Ewigkeit gekreuzten Hände reichte, ein wächsernes bleiches Antlitz von unendlich feierlicher Ruhe. Ich vernahm nur ein Wort: »Wie schön er ist.« Meine Schwester sagte es. Ich war niedergekniet; der totengeweihte Geruch des niederbrennenden Wachses erstickte mich fast, ich preßte das Gesicht an das Linnen und schluchzte; Bänder meines Ich waren durchschnitten.
Es war in dieser Minute vielleicht das Erstemal, daß ich die Schauer des heiligen Geheimnisses der Fortpflanzung fühlte. Mein Geschlecht, durch das die rohe Säge des Todes gegangen war, blutete einen roten Saft aus; als hätte die Axt den Baum zerschellt, dessen Ast auch ich bis heute gewesen war.
Ich wollte diese erste Nacht mit der Nonne und den Mägden wachen; Ellen, die wie zerschlagen und von einem Wochenbett noch geschwächt war, wurde von einer Freundin fortgeholt. Ich fühlte, wie ich jetzt, in dem großen Schmerze der Trennung, auch sie wie einen Leib, der eine Verkörperung war und doch untergehen mußte, liebte, im voraus fühlte, wie auch in ihr einst das lebendige Mark des Geschlechtes ersterben würde. Ich hatte sie, von der Geißel blutend warm und feucht von ihren heißen Tränen an mich gedrückt, und sie war kein Weib mehr, sie entkleidete sich des trüben fleischlichen Scheines in der gottesvollen Schönheit eines Symbols. Es war ein krankhafter Durst nach meinem eigenen Tode, dem Untergang in dem rohen Drängen des Lebens, und zugleich ein unendliches Heimweh nach Liebe in mir, ein dunkles sehnsüchtiges Verlangen, für jene, die ich liebte, zu sterben.
Neben dem weißen Bett, in der Nacht, die schwer vom Dufte des Wachses war, und wo sich bereits der Geruch des Todes verbreitete, stiegen Bilder auf: die hohe lächelnde Gestalt des gutmütigen Satyrs, des Faunen, der die Saat des Lebens in das Waldhaus säen ging, und die kleine wilde Elise in ihrem glühenden leiblichen Durst, ein leichter nachtäugiger Schatten. O, wie ich mein Mitleid über sie ergoß, ich ward wieder zu dem Knaben, der vor der Sehnsucht nach ihrer kleinen spitzen Brust wollüstige und todestraurige Tränen weinte.
Und dann dachte ich so ruhig an das große Mädchen, an jene mütterliche Eva, die mich gleich einem jungfräulichen Adam hatte einweihen wollen. Sie war vielleicht in ihrer täglichen Sünde gestorben, die herzliche Dicke, die die Kleinen gleich mir in der Wiege ihrer Brüste schaukelte!
Mein Leben stieg wieder vor mir auf; ich empfand keine Verachtung mehr für die schamlose Nonne, für jene wütende Haushälterin, deren Achselhöhle heftig nach Hollunder roch. Dann eilte ich durch die Ebene mit einem befremdenden tierischen Antlitz vor mir. Und seine Blicke lagen vor mir, finstere tiefe Brunnen, Seen mit bleiernen Schiffbruch drohenden Wellen, frostige Nixengemächer, drinnen ein Leib gleich einer Alge schlüpfte.
Dann begann meine Marter aufs neue. Ich wußte nicht mehr, daß dort zwischen den Kerzen mein Vater auf dem Totenbette lag. Die Blicke auf die Lichter geheftet, sah ich nur den sonderbar unkeuschen Blick. Wo, zu welcher Zeit hatte ich dieses Weib mit der Hundesschnauze gesehen?
Erinnerungen, feine Beziehungen knüpften sich. Ich glaubte sie nach und nach durch einen Wirbel von Bildern hindurch zu erkennen; sie hatte die zornesmienige gebogene Stirne Elisens, die duldende Tierheit der Sünde Evas, den großen geheimnisvoll sinnlichen Mund der Nonne. Sie war alle Frauen, die ich geliebt hatte, in einem, und sie machten alle zusammen das Tier aus. Das Tier! Das Tier! rief ich in einer unbeherrschbaren Regung des Schreckens und Abscheus. Da stand der Dom vor mir, die große Teufelsrebe in Morgen- und Abendreife. Und als ob ich sie bei Namen gerufen hätte, sprang die behexende Mönchsliebste, die Dirne mit dem geilen Schoß und der Hundsschnauze aus der Erde, magisch, todbringend, mit der Bewegung, die die Verdammnis versprach. Ich zweifelte nicht mehr, daß diese das Weib hatte verkünden sollen, das mir eines Tages begegnen mußte.
Die Nonne, die mit uns wachte, berührte meinen Arm. Sie hielt ein Reis in der Hand, das sie in Weihwasser getaucht hatte. Sie hatte nach und vor einem Gebete die Tücher damit besprengt und gab jetzt das Buchshölzchen an mich, damit auch ich mit dem Zeichen des Kreuzes den guten sühnenden Regen auf die Bettenden träufeln sollte. So wurde mir in Erinnerung gebracht, daß mein Vater tot sei.