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11. Kapitel.
Was die Jahre brachten

Frau v. Elgenhorst – Warum der Doktor nicht mehr menschenscheu ist – Wie Herta ihre Zeit ausfüllt – Weshalb die Zwillingsschwestern nicht aufeinander gewartet haben.

 

Im Kaufmannshause in Gürberg blüht das Glück. Seit drei Jahren ist Karola Georgs Gattin, mit Stolz nennt sie sich nun Karola Felber. So wie jetzt noch über dem weiten Torbogen die Goldbuchstaben des Namens Burgstetten in altem, unvermindertem Glanze leuchten, behauptet auch die Firma selbst unter der klugen, zielbewußten Leitung des neuen Prinzipals mit stolzer Sicherheit ihren Platz unter den ersten Geschäftshäusern des Landes. Durch geschickte, glückliche Unternehmungen ist es Georg sogar gelungen, das kaufmännische Gebiet der Firma noch zu erweitern. Im Wohnhause hat jetzt auch kein Fremder mehr Platz. Die von Fräulein Roderich nicht bewohnte Hälfte des Hochparterre hat Frau Burgstetten für sich eingerichtet. Gar behagliche Räume hat sie sich dort unten geschaffen. Im ersten Stockwerk hat das junge Ehepaar sein Heim, und ganz oben sind die Fremdenzimmer, allezeit bereit, lieben Besuch zu empfangen. Augenblicklich ist auch ein Gast im Hause. Frau Ilse von Elgenhorst weilt seit einer Woche dort. Ihr Gatte und der Stammhalter Hans sind ja gut aufgehoben unter Großmama Sternbergs Fürsorge. Noch acht Tage sind Frau Ilse von ihrem gestrengen Eheherrn zugestanden, dann geht es wieder heimwärts. Die Sehnsucht treibt sie ja auch zu Mann und Kind. Vorläufig aber genießt sie noch freudig das Beisammensein mit den Kränzchenfreundinnen, die wieder einmal vollzählig in Gürberg weilen. Heute ist in dem schönen Burgstettenschen Parke Kaffeegesellschaft. Um den runden weißgedeckten Tisch sitzt man in fröhlichem Verein. Die junge Hausfrau zwischen ihren Lieblingsfreundinnen Ilse und Änne. Aber nicht mehr Änne Böhlau, sondern Frau Dr. Scholz. Ihr ist nach all den geheimen Herzenskämpfen gleichfalls ein schönes Glück erblüht. Aus ihren Augen strahlt wieder der ganze ungetrübte Frohsinn ihrer ersten Mädchenjahre.

Dr. Scholz hatte bald nach seinem Fortgang von Gürberg ein Sanatorium für Nervenleidende gegründet. Ännes Mutter war mit der Frau Rat in regem Briefwechsel geblieben. Da der Medizinalrat Frau Böhlau eine Nachkur für den folgenden Sommer dringend empfahl, war es natürlich, daß man das Sanatorium von Dr. Scholz wählte. Und diesmal durfte die ganze Familie zur Ferienzeit sie begleiten. Zwar zeigte Änne anfangs wenig Lust. Sie gebrauchte allerhand Ausflüchte, die jedoch von den erstaunten Eltern sämtlich widerlegt wurden. So reiste sie denn mit und bereute es auch nicht. Die Frau Rat war lieb und reizend wie immer. Änne wich kaum von ihrer Seite. Mit dem jungen Arzt selbst – und vor diesem Zusammensein hatte Änne sich ja nur gefürchtet – kam man verhältnismäßig wenig in Berührung. Meistens schützte er dringende Arbeiten oder Krankenbesuche vor. Die Frau Rat seufzte oft im stillen. Sie hatte, wie sie sich insgeheim zugestand, viel von der sonnigen, lieblichen Änne erhofft. Aber der Herbert saß ja immer hinter seinen dummen Büchern vergraben und hatte nur noch für seine Patienten Interesse. –

Im nächsten Jahre kam die Familie des Rechtsanwalts wieder in den herrlichen Gebirgsort mit seiner kräftigenden Luft. Diesmal war der Doktor nicht mehr ganz so menschenscheu. Die Zeit hatte auch bei ihm Linderung geschaffen, er fühlte sich innerlich wieder freier. Auch hatte er seiner Mutter versprechen müssen, sich mehr den lieben Gästen zu widmen. Und Änne mit ihren freundlichen, klaren Augen verfehlte nicht ihren Eindruck auf den ernsten, wortkargen Mann. Allmählich, ohne daß er es empfand, schlich sie sich ihm ins Herz hinein. Das wurde er erst gewahr, als Änne wieder abgereist war. Da schien ihm auf einmal aller Sonnenschein von der Villa Scholz gewichen. Immer von neuem ertappte er sich dabei, daß seine Gedanken zu der Abwesenden schweiften.

Aber nicht nur der Doktor vermißte die freundliche Änne, auch die anderen alle, seine Mutter und die Erholung suchenden Gäste des Sanatoriums. Den alten griesgrämigen Rechnungsrat aus Berlin hatte sie durch ihr frohes Geplauder erheitert, die mißmutigen Kriteleien einer nervösen Bankiersgattin aus Dresden beruhigend und geduldig angehört, das fünfjährige Töchterchen einer jungen Frau bereitwilligst unter ihre Obhut genommen, wenn diese einmal in ungestörter Ruhe einen Spaziergang machen wollte. Jedem hatte Änne etwas Liebes erwiesen, und jeder empfand bedauernd die Lücke, die durch ihr Scheiden entstand.

Wieder kam der Sommer und mit ihm erneut die Familie des Rechtsanwalts nach dem stillen Gebirgsort. Als sich aber diesmal Böhlaus nach einigen gar zu schnell verflogenen Wochen zur Abreise rüsteten, da war Änne des Doktors Braut. Der junge Arzt hatte das gefunden, was ihm Karola wünschte – Glück und Vergessen. Er wußte, daß niemand anders als Änne es vermochte, ihn mit Vergangenem für immer auszusöhnen und ihm ein volles, wahres Glück zu erschließen. Änne wußte ja auch schon längst um seine einstige Liebe zu Karola. Aber ebenso empfand sie auch mit beglückender Gewißheit, daß Herbert diese erste Liebe völlig überwunden hatte. –

Herta Eberstein, die neben Änne sitzt, hat bis jetzt noch niemand gefunden, den sie mit ihrer Hand beglücken könnte. Zwei Assistenzärzte hatte der Medizinalrat noch nach Dr. Scholz gehabt, aber Hertas geheime Hoffnungen und Wünsche, die sie stets mit dem Auftauchen eines neuen Hilfsarztes verknüpfte, verwirklichten sich nicht. Jetzt hat sich der Medizinalrat zur Ruh gesetzt. Er und seine Frau sind beide etwas kränklich, und die zwei Gymnasiasten füllen das Haus mit Lärm und Arbeit. Da hat Herta alle Hände voll zu tun, dem Vater vorzulesen, mit der Mutter spazieren zu gehen und für die Brüder zu sorgen. Recht schwer erscheint ihr oft die ungewohnte Sorgenlast, aber ein dankbarer Blick von Vater und Mutter oder ein vergnügt anerkennendes Schmunzeln der Brüder bringen ihr auch manche Freude. Allmählich lernt sie doch einsehen, daß das wahre Glück nicht in der Selbstbefriedigung liegt, sondern im Selbstvergessen.

Die Zwillingsschwestern Grete und Wilma sind doch ein wenig von ihren Prinzipien abgewichen. Sie haben mit dem Verloben nicht aufeinander gewartet. Grete ist seit einem halben Jahre die Braut eines Gutsbesitzers. Um jedoch nicht gänzlich den alten Grundsätzen untreu zu werden, wird sich Wilma auch in absehbarer Zeit verloben. Wenigstens geht ein derartiges, ziemlich sicheres Gerücht in ihrem Bekanntenkreise um.

Sie können alle zufrieden mit ihrem Lose sein, dankbar gestehen es sich die Freundinnen zu. Mehr Glück und Sonnenschein hat ihnen der Lebensfrühling gebracht als Sturm und Leid.

Karolas Augen leuchteten auf. Georg hat sich ein Stündchen von der Arbeit freigemacht. Eben kommt er den Parkweg entlang, um die Freundinnen seiner Frau zu begrüßen. Aber seine Blicke eilen den Schritten voraus. Sie suchen die, die seines Lebens Glück geworden und auf deren Antlitz statt des früheren Stolzes eine sonnige Weichheit liegt – seine geliebte, tapfere Karola.

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