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6. Kapitel.
Änne als stellvertretende Hausfrau

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Warum Frau Böhlau verzweifelt ist – Was Änne in ihr Geheimfach legt – Fräulein Roderichs Pate – Weshalb man hundert Hände haben müßte – Ilse als rettender Engel.

 

Familie Böhlau war in nicht geringer Aufregung. Die Hausfrau sollte verreisen – und ganz allein.

»Ach, lassen Sie mich doch wenigstens die Kinder mitnehmen, sie haben ja gerade Ferien!« hatte sie beinahe beschwörend zum Medizinalrat gesagt. Aber der hatte lächelnd den Kopf geschüttelt. »Nein, nein, Frau Böhlau, ohne die Kinder, damit Ihre angegriffenen Nerven einmal vollständig ausspannen können. Unbedingte Ruhe – ohne jede Familien- oder Haushaltungssorge, das ist das, was Sie brauchen.«

»Was sollen aber die Meinen ohne mich anfangen? Ich bin noch nie für längere Zeit von ihnen fort gewesen!« Frau Böhlau schaute den Hausarzt förmlich verzweifelt an.

»Aber verehrte Frau Böhlau, die Änne ist doch ein erwachsenes Mädchen, die wird Sie schon einmal für einige Zeit vertreten können.«

»Ach, die Änne!« Frau Böhlau blickte recht verzweifelt drein und seufzte.

»Sie haben aber doch auch eine gute Köchin und das Hausmädchen,« nahm der Medizinalrat wieder das Wort. »Mit Ihrem Gatten habe ich bereits gesprochen. Er ist sehr einverstanden mit meinem Plane. Wie werden sich die Ihrigen freuen, wenn Sie nach der kurzen Trennung völlig gesundet ohne die bösen Nerven heimkommen.«

Nachdem der alte Freund des Hauses sich verabschiedet hatte, rief Frau Böhlau Änne zu sich und teilte ihr den Plan des Medizinalrates mit. Änne erging es wie der Mutter. Sie machte ganz entsetzte Augen. »Ich, ich soll die Hausfrau spielen? Um Himmelswillen, du kennst doch deine ungeschickte, dumme Änne!«

Aber der Tochter angstvolles Gesicht steigerte merkwürdigerweise Frau Böhlaus Unruhe nicht. Im Gegenteil – es wurde ihr plötzlich klar, daß diese Prüfung für Änne eine gute Schule sein würde, und in diesem Sinne redete sie auch der Tochter zu.

»Nun ja, Mutter, ich will ›mannhaft‹ meine Angst überwinden und nur daran denken, daß diese Reise für deine Gesundheit dienlich ist. Lernen muß ich es ja schließlich doch einmal! Rola ist schon so tüchtig im Haushalt und Ilse erst recht.«

»Siehst du, so liebe ich meine Änne!« Zärtlich strich Frau Böhlau über den dunklen Krauskops. »Es ist ja gar nicht so schlimm, wie du es dir vorstellst. Das Kochen besorgt Marie; nur mußt du sie dabei unterstützen und auch den Speisezettel aufstellen. Du weißt doch eben so wie ich, was Vater und die Brüder gern essen und wie ich es überhaupt mit der Zusammenstellung der Mahlzeiten zu halten pflege.«

Änne lachte bereits wieder. »Jawohl, Mutter, nur Mut, es wird schon schief gehen! Und mehr wie alles verkehrt machen kann ich ja schließlich nicht.«

»Kobold, nimm Ernst an, werde endlich mal eine gesetzte junge Dame!« mahnte die Mutter. –

Bei den Brüdern gab es ein großes Halloh, als sie hörten, Änne würde die Mutter für einige Wochen vertreten.

»Wie bedaure ich meinen armen Magen!« seufzte Fritz mit kunstvoll verdrehten Augen.« Mutter paß auf, du siehst uns in einem völlig abgemagerten Zustande wieder, oder, was auch nicht viel besser ist, Änne fragt nicht nach unseren Wünschen und läßt immer nur ihre Lieblingsgerichte kochen.«

»Erst abwarten, dann schimpfen!« rief Änne trocken und nicht im geringsten beleidigt dazwischen.

»Na, und Staubwischen tust du dann doch überhaupt nicht, wenn Mutters Oberaufsicht fehlt!« mischte sich Eduard liebenswürdig drein.

»Jungens, laßt mir die Änne jetzt zufrieden!« Der Vater drohte mit dem Finger. »Ich freue mich, daß sie sich so schnell darein gefunden hat. Erschwert ihr nun die übernommenen Pflichten nicht durch fortwährendes Kritisieren.«

»Ja, und seid nachsichtig, wenn ich mal einen Fehler mache,« setzte Änne hinzu, »Irren ist bekanntlich menschlich.«

»Aha, jetzt beugt sie schon vor,« konnte sich der vorwitzige Fritz doch nicht enthalten zu bemerken.

»Weißt du, was jetzt für dich beginnt, Änne?« fragte Eduard spitzbübisch.

»Nun?«

»Der Kampf mit dem Drachen! Unsere Marie ist doch trotz aller Tüchtigkeit und Kochfertigkeit ein Drache, der sich nur unter Mutters Autorität beugt.«

»Ach, wir beide verstehen uns auch ganz gut, davor ist mir nicht bange,« sagte Änne vergnügt.

Am anderen Morgen kam Dr. Scholz in Vertretung des Medizinalrats, um sich zu erkundigen, wann Frau Böhlau abzureisen gedenke, und ihr gleichzeitig noch einige Verhaltungsmaßregeln für die bevorstehende Kur zu geben. Der Rechtsanwalt war bei der Besprechung mit anwesend, und es wurde Dienstag der folgenden Woche als Reisetag festgesetzt. –

Dr. Scholz hatte im Laufe der Wochen in allen Gürberger Honoratiorenfamilien Eingang gefunden, zumal er bereits Mitglied der Kasinogesellschaft geworden und als solches an allen damit verbundenen Festlichkeiten und Zusammenkünften rege teilnahm.

Auch mit Böhlaus hatte er sich dadurch näher angefreundet, und besonders seine Mutter verkehrte gern in der Familie des Rechtsanwalts.

Als der junge Arzt jetzt das Haus verließ, blickte er sich suchend im Garten um. Er hatte Änne noch ein paar Worte zu sagen, und zu seiner Freude entdeckte er sie auch neben dem Spätrosenstrauch, dessen Knospen sie zählte. Er schritt auf sie zu. »Guten Tag, Fräulein Böhlau. Ich wollte gern wegen Ihrer Frau Mutter mit Ihnen sprechen. Nicht wahr. Sie halten ihr während ihrer Abwesenheit alle Haushaltungssorgen fern? Wissen Sie, nicht gleich schreiben, wenn mal etwas hier nicht klappt. Geschrieben sieht alles viel schlimmer aus, als es wirklich ist. Ihre Frau Mutter würde sich über die geringste Kleinigkeit beunruhigen, und das wäre für ihre angegriffenen Nerven unbedingt Gift.«

»Gewiß, ich verspreche es Ihnen, Herr Doktor!« Änne blickte den vor ihr Stehenden mit großen, ernsten Augen an. Es war ein Blick, den man an Änne Böhlau nicht gewöhnt war.

»Sie werden's schon machen, Fräulein Änne!« Der Doktor zog freundlich den Hut und schritt davon. An der Gartentür blieb er ein paar Sekunden stehen, um sich einige Notizen über seine Krankenbesuche zu machen. Während er seine Brieftasche wieder einsteckte, flatterte ein weißes Kärtchen zu Boden, das er jedoch im Weitergehen nicht bemerkte. Änne aber sah es, nachdem der Doktor bereits ihren Blicken entschwunden. Sie hob das weiße Etwas auf. Es war seine Visitenkarte. »Herbert Scholz, Dr. med.« Änne flüsterte den Namen mit förmlicher Andacht und drückte das wertlose, schlichte Kärtchen an ihr Herz. Dann lief sie, wie auf einer bösen Tat ertappt, in ihr Zimmer, die Karte wie ein teures Kleinod fest in der Hand haltend. Oben holte sie ein kleines bemaltes Kästchen hervor und öffnete den Deckel. Dort lag auf weißem Seidenpapier eine verwelkte Rose. Sie stammte vom letzten geselligen Beisammensein im Kasinogarten. Dort hatte sie die Blume beim Kotillon, den die Jugend im Freien veranstaltete, von Herrn Scholz erhalten. Ännes Hand zitterte leicht. Sie legte die Karte vorsichtig quer über den Rosenstiel und stellte das Kästchen in das Geheimfach ihrer Kommode zurück.

.

Dann warf sich Änne plötzlich ungestüm auf einen kleinen Divan in ihrem Zimmer. Sie bebte förmlich am ganzen Körper, bis sich die Spannung in heißem, wehem Schluchzen löste. Das war die Änne, die dort lag, die kleine, lustige Änne, deren Herz zum ersten Male in ihrem jungen Leben ein herber Kummer beschwerte. –

So jung auch die Bekanntschaft mit Frau Scholz, der Mutter des Assistenzarztes, noch war, so schwärmten doch die jungen Mädchen bereits sämtlich von der vornehmen alten Dame, die sich so reizend mit der Jugend zu unterhalten wußte. Am besten aber stand sich entschieden Änne Böhlau mit der Mutter des jungen Arztes. So quecksilberig sie sonst erschien, bei der Frau Rat konnte sie stundenlang ruhig sitzen und mit ihr plaudern. Ganz still, ohne sich zu rühren, saß Änne neben der alten Dame und hörte zu, wenn diese von ihrem einzigen Sohne erzählte, von seiner Jugend, seinem Studium, seinen Plänen. Daß ihre Augen dabei verklärt und weltvergessen leuchteten, empfand sie nicht; aber Frau Scholz sah es, und sie verstand auch, was in den klaren, reinen Mädchenaugen geschrieben stand.

Wenn Änne dann fort war, seufzte die Frau Rat wohl leise. Wie sehr hätte sie sich gefreut, wenn ihres Sohnes Wahl auf die heitere Änne mit dem goldtreuen Herzen gefallen wäre; aber der hatte ja nur Augen für Karola. Und doch würde Änne mit ihrem Frohsinn viel besser zu dem ernsten Manne passen, der das Leben oft so schwer nahm – entschieden besser als Karola mit ihrer ein wenig herben, stolzen Art. Nun, Gott würde schon alles zum besten lenken! Im Grunde war ja auch Karola ein warmherziges, liebes Mädchen. – –

Mit unzähligen Umarmungen, Küsten und guten Wünschen hatte sich die Frau Rechtsanwalt von ihren Lieben verabschiedet. Jetzt war Änne schon acht Tage stellvertretende Hausfrau. Sie konnte der Mutter nur befriedigende Berichte senden. Sie war sich bewußt, daß dem Haushalte jetzt die eigentliche Seele fehlte; aber umsomehr empfand sie die Pflicht, den Ihrigen die Abwesende nach Kräften zu ersetzen. Und es ging besser, als Änne je gedacht. Wenn sie einmal Rat brauchte, so lief sie zu Ilse, dort fand sie Auskunft und Trost. Jetzt lernte Änne auch das erkennen, was ihr die Freundin schon des öfteren gesagt, daß nämlich das Wörtlein »Muß« viel, viel erreichen kann. So viel hatte Änne nach ihrer eigenen Aussage noch nie im Haushalt »geschuftet« wie jetzt. Des Vaters Studierzimmer hielt sie ganz allein in Ordnung. Sie wußte, daß er es nicht gern hatte, wenn fremde Leute über seinen Schreibtisch gingen. Jetzt, wo sie die Verantwortung allein trug, machte es ihr auch mehr Spaß, dem Mädchen in den übrigen Zimmern beim Staubwischen zu helfen. Den Brüdern machte sie morgens eigenhändig das Frühstück für die Schule zurecht, und die beiden erklärten mit seltener Liebenswürdigkeit, daß Änne sich »ganz anständig« zeige und durchaus nicht mit dem Belag karge. Wie freute sich der Vater, wenn ihm seine Tochter morgens den Kaffee selbst einschenkte und ihm die Brötchen strich.

Aber die eigentliche Feuerprobe sollte für Änne erst kommen. Als sie eines Morgens in die Küche trat, fand sie die Köchin in Tränen aufgelöst. »Was fehlt Ihnen denn, Marie?« erkundigte sich die junge Hausfrau erschrocken.

»Ach, Freilein, entschuldigen sie nur, daß ich weine. Aber meine Mutter is schwer krank geworden, und sie hat niemand, der ihr pflegen kann. Meine Schwester is man noch so klein, und nu läßt Mutter mich schreiben, ob ich zu sie hinfahren und ihr pflegen kann. Nu is doch aber die gnäje Frau nich hier? Was soll ich man bloß machen?«

Änne stand ratlos. Ja, was nun machen? Marie tat ihr sehr leid. Daß sie das arme Mädchen nicht zurückhalten durfte, war ihr sofort klar. Aber woher so schnell Ersatz schaffen? An die Mutter schreiben und um Rat bitten? Das erschien im ersten Augenblick als das naheliegendste; doch dann vermeinte sie plötzlich des Doktors Stimme zu hören: »Nicht wahr. Sie halten ihr während ihrer Abwesenheit alle Haushaltungssorgen fern?«

Ja, Änne hatte ihm zugesagt, und ihr Versprechen wollte sie halten. Sie war ja gottlob gesund und kräftig genug, um die vermehrten Sorgen allein zu tragen. Sie wollte schon sehen, wie sich am besten Hilfe schaffen ließ.

»Selbstverständlich müssen Sie zu Ihrer Mutter reisen,« sagte sie zu Marie. »Ich spreche gleich mit Vater und sage Ihnen Bescheid.«

»Ach, Freilein, was sind Sie gut!« Marie weinte wieder stärker, diesmal aus Rührung, und wischte sich bald mit dem rechten, bald mit dem linken Schürzenzipfel die Augen.

Herr Böhlau erschrak gleichfalls, als ihm seine Tochter Maries Anliegen vorbrachte. Das fehlte ja gerade noch!

»Weißt du, Vater,« sagte Änne, »ehe wir eine Aushilfe nehmen, versuche ich es schon lieber selbst. Mir ist es entschieden unangenehmer, wenn ich eine fremde Person hier einarbeiten muß. Solche Köchinnen sind immer ganz schrecklich selbstbewußt, und vor mir würde man schon gar keinen Respekt haben.« Änne blickte den Vater in so ehrlicher Selbsterkenntnis an, daß er lachen mußte. »Du kannst doch aber nicht selbständig kochen,« meinte er schließlich.

»Oh, ich denke, es wird gehen. Ich habe Marie in der letzten Zeit viel mitgeholfen, und das Kochbuch muß das übrige tun.«

»Nun mir soll's recht sein, Kind, wenn du es dir zutraust. Wie lange wird Marie denn fortbleiben?«

»Acht bis zehn Tage werden wohl nötig sein, wenn die Krankheit normal verläuft; wenigstens meinte es Marie. Sie tut mir so leid, wie wird sich ihre arme Mutter freuen!«

Mit dem Mittagszuge fuhr Marie schon ab. Änne blieb mit schwererem Herzen zurück, als sie eingestehen wollte. Die Köchin hatte ihr noch allerhand Anweisungen gegeben und Änne sich verschiedene Kochrezepte in der Eile notiert. Aber doch hatte sie nicht geringe Angst vor Morgen, wo sie zum ersten Male selbständig kochen sollte. Am Nachmittage lief sie zu Rola, um der Freundin ihr Herz auszuschütten. Diese bedauerte ihr Mißgeschick sehr, meinte aber gleichzeitig, ihr würde es Spaß machen, einmal selbständig den Kochlöffel zu regieren.

»Ja, du verstehst auch mehr davon als ich!« klagte Änne.

Rola sann einen Augenblick nach, dann rief sie froh: »Weißt du was, Änne?« Ich helfe dir in den ersten Tagen, so gut ich kann. Mutter hat sicher nichts dagegen. Ich denke es mir wundervoll, wenn wir beide zusammen kochen.«

»Ach Rola, wenn du das tun wolltest? Es ist eine famose Idee!« Änne kniff die Freundin frohlockend in den Arm, und zwar so ausdrucksvoll, daß diese aufschrie.

»Was gibt es denn hier?« erkundigte sich Frau Burgstetten lächelnd, die eben ins Zimmer trat. Schnell wurde sie in den Plan eingeweiht, und gern erteilte sie ihre Zustimmung. »Aber Rola,« warnte sie lächelnd, »traue dir nicht zu viel zu. Ihr braucht doch keine großen Diners zu veranstalten. Herr Böhlau und seine Söhne werden sich auch einmal mit einfachen Gerichten begnügen.«

»Nein beruhige dich nur, Mutterherz! Am ersten Tage gibt es Linsen mit Speck, am zweiten Graupen mit Pflaumen und so fort.«

Am folgenden Morgen stellte sich Rola schon zeitig bei der Freundin ein. »Was soll's denn geben? Hast du schon einen Plan?«

»Ja, Marie hat den Speisezettel für eine Woche schon zusammengestellt, lauter einfache Gerichte. Aber das zweite muß schon ausfallen,« – Ännes Stimme wurde etwas kläglich – »das könnte ich nur halb kochen, über die zweite Hälfte des Rezeptes habe ich nämlich die Tinte gegossen!«

Rola lachte herzlich über dieses Bekenntnis; dann überflog sie den Speisezettel und zuckte ein wenig geringschätzig die Achseln. »So was können wir aber deinem Vater und deinen Brüdern nicht jeden Tag vorsetzen! Für heute mag das gehen: Schnitzel mit Blumenkohl und Kompott. – Aber nicht mal Suppe?«

»Ach, das lassen wir lieber, Vater ist gar kein so großer Suppenfreund.«

»Aber morgen machen wir einen Braten!« erklärte Rola entschieden.

»Wenn du es dich getraust.«

»Es wird sicher gehen. Ich habe Frau Häberlein schon oft dabei geholfen.«

»Einträchtig putzten die Freundinnen jetzt das Gemüse. Dann machte sich Änne ans Staubwischen und Rola half ihr dabei.

»Weißt du, dann geht die Zeit schneller herum,« sagte sie.

»Ich kann es gar nicht erwarten, bis wir mit dem Kochen anfangen können.«

Bei gemeinsamer Arbeit und eifrigem Geplauder verging die Zeit doch ziemlich schnell. »Jetzt müssen wir anfangen,« sagte Rola, auf die Uhr sehend. »Mit den Zimmern sind wir auch fertig.«

Es war ein hübsches Bild, die beiden frischen Mädchengestalten mit den schmucken Hausschürzen am Herde hantieren zu sehen. Es ging auch alles glatt und leicht vonstatten.

»Siehst du, es ist gar nicht so schlimm!« frohlockte Rola, stolz die schön gebräunten Schnitzel und das geschmackvoll angerichtete Gemüse betrachtend.

»Nun mußt du auch mit uns essen,« bat Änne die Freundin. »Du mußt doch sehen, wie den Herren unsere Kochkunst behagt!«

Karola war gern einverstanden. Das Hausmädchen wurde zu Burgstettens gesandt, um die Erlaubnis der Eltern einzuholen.

Punkt halb eins stand das Essen auf dem Tische. Die beiden Köchinnen konnten ihre helle Freude daran haben, wie es den Herren schmeckte, die denn auch mit ihrem Lobe nicht kargten.

»Rola hat den Hauptanteil geleistet,« bekannte Änne. Die Gelobte bestritt dies jedoch, und so hätte sich beinahe ein edler Wettstreit entsponnen, wenn nicht Herr Böhlau als weiser Salomo dazwischen getreten wäre. »Der gute Wille ist jedenfalls auf beiden Seiten dagewesen,« sagte er lächelnd. »Und da das Essen vortrefflich gelungen ist und beide Köchinnen ohne Zweifel recht fleißig waren, so wollen wir nicht kleinlich abwägen, wer das meiste geleistet hat. Auf alle Fälle ist es sehr freundlich von Ihnen, Fräulein Karola, daß Sie Änne bei den übernommenen Pflichten so treulich beistehen.« –

Nach dem Mittagessen kam für die Freundinnen ein ungestörtes Plauderstündchen.

»Denke nur,« erzählte Rola, »ein Verwandter oder Bekannter von Fräulein Roderich – ihr Pate – tritt in vierzehn Tagen in Vaters Geschäft ein. Er scheint nach seinen Zeugnissen sehr tüchtig zu sein. Fräulein Roderich ist ganz glücklich, daß sie ihren Paten, an dem sie anscheinend unbeschreiblich hängt, hierher bekommt. Sie hat ihn, wie sie Vater erzählte, das letzte Mal vor zwei Jahren bei seiner Mutter Begräbnis gesehen. Erinnerst du dich noch, da hatte Fräulein Roderich einige Tage Urlaub genommen? Wir waren noch ganz erstaunt, Fräulein Roderich auf Reisen gehen zu sehen.«

Änne bejahte und meinte nach einigen Sekunden lächelnd: »Ich sage ja, schon wieder ein neuer Tänzer fürs Kasino!«

»Ach, er wird auch nicht mehr taugen als die anderen Herren alle,« sagte Rola scherzend.

Änne blickte die Freundin an. »Na, aber Dr. Scholz zum Beispiel?«

Rola wurde ein wenig rot. Änne sah es ganz genau. »Ob Herta noch immer auf ihn hofft?« fragte sie halb im Selbstgespräch.

Rola zuckte die Achseln. »Sicher! Der Doktor ist stets freundlich und zuvorkommend ihr gegenüber, erstens weil das bei einem gebildeten Manne ja überhaupt selbstverständlich ist, und zweitens ist doch der Medizinalrat gewissermaßen sein Vorgesetzter. Herta legt es sich für Verehrung aus, vielleicht auch nicht einmal mit Unrecht.«

»Oh Rola, jetzt bist du eben nicht ehrlich gewesen! Du weißt doch am besten, was wir alle schon bemerkt haben und nur Herta nicht sehen will, daß nämlich Herr Scholz sich zweifellos für dich interessiert. Erst neulich auf dem Sommerfest im Kasino hat er dich wieder sichtlich bevorzugt.«

Wieder übergoß sich Rolas Antlitz mit einem feinen Rot. »Änne, ein bißchen mehr oder weniger Interesse braucht doch nicht gleich Verehrung oder gar Liebe zu sein, nicht wahr?«

Änne drückte der Freundin Hand. »Weißt du, es mag schlecht von mir sein, aber der Herta würde ich den Doktor nicht gönnen; er ist viel zu gut für sie. Aber dir, wirklich Rola, dir mißgönne ich ihn nicht. Du würdest ihn glücklich machen und auch seine Mutter lieb haben, nicht wahr Rola, das würdest du?«

Fast beschwörend klang's. Ännes Stimme hatte zuletzt leise gebebt. Verwundert sah Rola die Freundin an. Was hatte sie nur? Machte sie Spaß? Aber nein – ihre Stimme klang zu ernst! Sollte sie am Ende gar Dr. Scholz+… lieben? Rola wagte das letzte Wort nicht einmal in Gedanken auszusprechen. Zu sonderbar war es. Die Änne? Ausgeschlossen! Änne, die oft scherzend im Freundinnenkreise das Kind genannt wurde, die stets nur Späße über die Herren gemacht und selten etwas ernst genommen, mochte es sein, was es wollte. Rein, nein, es war ein lächerlicher Gedanke!

Karola zwang sich zu einem Lächeln. »Änne, was schwatzt du für törichtes Zeug! Du denkst ja weiter, als mir jemals im Traume eingefallen wäre! Warum in die Zukunft schauen? Glaube mir, die ist für mich eben noch so schleierhaft wie für dich jedenfalls auch.«

»Ja, du hast recht, Rola. Überhaupt ist es ja Vorwitz, sich in anderer Leute Angelegenheiten zu mischen!« Änne lächelte gleichfalls. Aber es war nicht das sonnige Kinderlächeln wie sonst. Ein Hauch der Schwermut lag darin+…

Der nächste Vormittag war angebrochen. »Heute gibt's etwas Besseres,« sagte Rola. »Was meinst du zu Grießsuppe, Kalbsbraten mit Salat, und hinterher vielleicht eine süße Speise?«

»Mir ist es schon recht, Rola, wenn du dich an den Braten wagst!«

»Natürlich! Wir werden nachher gleich das Nötige besorgen. Wir müssen zeitig anfangen.« –

Zuerst ging alles glatt und programmmäßig. Der Braten stand, delikat gespickt, im Herde und oben auf den Eisenringen brodelte das Suppenfleisch.

»Nachher mache ich gleich den Vanillepudding. Später müssen wir den Grieß für die Suppe in Butter dämpfen und auch den Salat verlesen.« – Rola war sehr eifrig bei der Arbeit. Sie fühlten sich ungeheuer wichtig in ihrer selbständigen Tätigkeit.

Änne half der Freundin in ehrlicher Bewunderung für deren Können. »Wenn dir alles gelingt, Rola, kriegst du ein Diplom,« sagte sie lächelnd.

Karola begoß jetzt den Braten. »Das ist nämlich die Hauptsache,« erklärte sie. »Siehst du, wie schön er bräunt?«

Jetzt rührte sie die süße Speise an. Das war ihr eigentlich die liebste Arbeit. Nur merkwürdig, die Masse wollte gar nicht so schön glatt und dickflüssig werden wie bei der Frau Häberlein zu Hause. Das Stärkemehl ballte sich immer wieder zu Klumpen zusammen. »Aha, da muß ich noch mehr Milch dran gießen, ich habe anscheinend zu viel Stärkemehl genommen.« Rola goß und goß, und endlich entstand auch die gewünschte flüssige Masse, die aber durch das fortwährende Milchnachgießen zu unheimlichen Quantitäten angewachsen war.

»Du liebe Zeit, da können wir ja ein ganzes Regiment Soldaten mit süßer Speise versorgen!« Änne betrachtete lächelnd die Riesenschüssel.

»Besser als zu wenig, und der Pudding hält sich auch, wenn etwas übrig bleiben sollte!« tröstete Rola. – »Jetzt wird es aber schon reichlich Zeit. Ich muß den Grieß aufsetzen.« Zu gleicher Zeit aber begannen die beiden Köchinnen mit den Näschen zu schnubbern. Was war das für ein scharfer, brenzliger Geruch?

Rola stieß einen markerschütternden Schrei aus. »Der Braten, der Braten!« Sie riß die Bratröhre auf und zog den unglückseligen Braten hervor. »Total verbrannt!« jammerte sie und hätte am liebsten geweint. »Durch die dumme süße Speise habe ich das Begießen vergessen, und die Hitze ist gerade so groß gewesen! Es ist ja aber auch, als ob man beim Kochen hundert Hände haben müßte! Bereitet man die eine Speise, brennt die andere an!«

Rolas Worte waren prophetisch. Während nämlich die beiden Mädchen noch ratlos und schreckerstarrt bei dem verbrannten Braten standen, bereitete sich oben ein neues Mißgeschick vor. Die Butter über dem Grieß war eingebrodelt, und die weißen feinen Körner klebten gelb und braun am Boden an. Rola mußte die Zähne fest aufeinanderbeißen, um nicht loszuweinen, während Änne todestraurige Blicke bald auf den Braten, bald auf die heimtückischen Grießkörner warf.

»Ach Rola!«

»Oh, Änne?!«

»Was habe ich nur angerichtet? Kannst du mir verzeihen, Änne?« setzte Karola sehr kleinlaut nach einigen Sekunden dumpfen Hinbrütens hinzu.

»Du hast es ja gut gemeint, Rolachen! Ich hätte doch auch aufpassen können! Es fragt sich nur, wie retten wir uns aus der Klemme?«

Die Mädchen sannen eine Weile nach, dann schlug Änne zaghaft vor: »Wie wäre es mit Ilse?«

Ja, ja, das war ein Hoffnungsstern! »Aber dürfen wir sie auch belästigen? Sie hat selbst soviel zu tun!« meinte Rola.

»Ach, ich versuche es und schicke Anna mit einem Bittbrief hin.«

Karola war gern einverstanden. Sie fühlte sich tief von ihrer Köchinnenwürde heruntergeschleudert. Gemeinsam schrieben sie jetzt ein paar stehende Zeilen an Ilse und übergaben Anna den Brief.

Nach einem knappen Viertelstündchen stand Ilse schon in der Küche. Sie fragte nicht viel. Die verstörten Gesichter der Mädchen, sowie Braten und Grieß sprachen deutlich genug.

»Ach Ilse, wie haben wir uns blamiert!« klagten die Freundinnen.

»Lehrgeld muß jedes zahlen,« tröstete Ilse. »Bei mir ist auch nicht alles glatt abgegangen, und ich habe manche Dummheit angerichtet. Doch jetzt will ich sehen, was an dem Braten noch zu retten ist. Der Grieß ist nicht mehr zu gebrauchen, die ganze Suppe würde dadurch brenzlig schmecken. Wir machen statt dessen einen Eieinlauf. Von dem Braten werden wir am besten die verbrannte Kruste abschneiden und einen Fleischsalat mit Remoulade anrichten. So etwas pflegen Herren stets gern zu essen. Dazu geben wir Bratkartoffeln.

»Ach Ilse!« Weiter konnten die Mädchen nichts sagen. Sie drückten der Freundin nur stumm und dankbar die Hände. Es gelang alles vorzüglich, wie Ilse es angeordnet hatte. Selbst die süße Speise wurde noch fertig. Ilse mußte gleichfalls über den Riesenpudding lachen.

Den Herren, die bis jetzt von dem voraufgegangenen Mißgeschick keine Ahnung hatten, schmeckte das Essen ausgezeichnet. Erst nach Beendigung der Mahlzeit erzählten Änne und Rola – Ilse war bereits nach Hause gegangen – von ihrem »Pech«, das von allen Seiten herzlich belacht wurde. –

Noch mehrere Tage half Rola der Freundin, bis diese sich selbständig zu kochen getraute. Jedoch begnügten sich beide, ihrer geringen Praxis Rechnung tragend, mit weniger komplizierten Gerichten. – Nach acht Tagen lief ein Brief von Marie ein. Lächelnd zeigte Änne der Freundin das Schriftstück.

»Liebes Freilein, meine Mutter geht es wider Besser. Der Dokter sagt auch, es währe schnell Gegangen. Hoffetlich geht es mit das kochen. In ein paar Tagen kann ich widerkommen. Bis Dahin Grus von ihre Marie.«

Als die Köchin nach weiteren drei Tagen wirklich zurückkam, fühlte sich Änne schon bedeutend sicherer in allem. An die Mutter konnten nur befriedigende Berichte abgesandt werden.

Es tat Änne außerordentlich leid, als sie mit Maries Rückkehr den »Feldherrnstab« in Gestalt des Kochlöffels wieder aus der Hand geben mußte. Herr Böhlau, der bald darauf in dem nahen Gießen zu tun hatte, brachte seiner Tochter, Ilse und Rola je eine wundervolle große Bonbonniere mit, um den drei jungen Damen seine Anerkennung und Dankbarkeit auszudrücken.

Zwar erklärten Ilse und Rola, diese Aufmerksamkeit gar nicht verdient zu haben, aber ihr Sträuben half nichts. Sie mußten die Bonbonnieren annehmen. Änne wäre sonst ernstlich böse geworden. Und so ließen sich denn alle drei das leckere Konfekt munden.

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