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3. Kapitel.
Gesellschaft im Schloß

Änne ärgert sich – warum der Doktor plötzlich interessiert blickt – warum sich Wilma unter die Palmen zurückgezogen hat – was des Doktors Mutter denkt.

 

»Gnädiges Fräulein sehen entzückend aus!« versicherte die gesprächige Friseuse, die am Freitag abend vor Rola stand und ihr Werk, nämlich des jungen Mädchens zierlich frisierten Kopf, mit einem letzten Blicke musterte.

Rola sah in den Spiegel. Auf Frau Lehnings Reden gab sie nicht viel. Diese Dame frisierte fast sämtliche Frauen und Töchter der Gürberger Honoratioren für Bälle und andere Festlichkeiten, und jede lobte sie, jede fand sie entzückend, mochte es sich um eine vollendete Schönheit oder einen strohgelben, farblosen Backfisch handeln. Der prüfende Blick in den Spiegel konnte Rola aber doch überzeugen, daß sie wirklich gut aussah. Die schwarzen Haarwellen waren lose aufgesteckt und oben durch einen schmalen, goldenen Reifen zusammengehalten. Aus dem brünetten Gesicht strahlten in froher Lebenslust die dunklen Augen. Das zarte, weiße Stickereikleid ließ ihre schlanke, ebenmäßige Figur doppelt zur Geltung kommen. Ja, sie sah heute gut aus! Die Eltern würden es auch finden. Und erst wenn der Vater, der selten lobte, zu ihr sagte: »Siehst gut aus heute, Rola!«, dann war sie zufrieden.

Und er sagte es auch heute, als Rola, zum Gehen bereit, im Wohnzimmer erschien. Mit unverkennbarer Freude ruhten des Hausherrn Blicke auf Frau und Tochter. Erstere in einem cremefarbenen Seidenkleide hätte man beinahe für eine ältere Schwester Rolas halten können.

Die Familie stieg zehn Minuten später in den unten bereits harrenden Wagen. Die Fahrt bis zum Schloß währte eine knappe Viertelstunde; die Rodenheimsche Besitzung lag dicht vor der Stadt. Im Park wandelten schon hellgekleidete Gestalten aus und nieder. Rola, die mit den Eltern erst in das Schloßgebäude ging, um die Garderobe abzulegen, erkannte Herta, die an des jungen Doktors Seite einherschritt. Sie lächelte. So sah die Freundin doch ihren höchsten Wunsch erfüllt. Rodenheims hatten den neuen Arzt noch nachträglich eingeladen, er war bereits an Hertas Seite gefesselt. Sie hatte aber auch ihr »Seidenes« angezogen. Anscheinend lag ihr viel daran, heute recht vorteilhaft auszusehen. Ob sie das allerdings dadurch erreicht hatte, mußte man bezweifeln. Das Seidenkleid sah viel zu schwer aus für ihre magere Figur, und das hochfrisierte Haar hob ihr Aussehen nicht.

Wenige Minuten später erschien Karola wieder im Park. Unschlüssig, wohin sie sich zuerst wenden sollte, denn überall tauchten bekannte Gesichter aus, blieb sie einen Augenblick stehen. Doch da kam Änne bereits mehr stürmisch als etikettegemäß aus sie zu. »Gott sei Dank, daß du da bist, Rola! Ich kenne ja verschiedene unter den jungen Mädchen, aber jede von ihnen hat schon ihren bestimmten Kreis, dem sie sich anschließt. Die Baronessen sind heute durch ihre Haustöchterpflichten in Anspruch genommen; Herta aber wandert, anscheinend in höheren Regionen, an des Doktors Seite und denkt an keine Kränzchenschwester mehr. Sie tut gerade, als ob sie den Doktor eigens für den heutigen Abend gepachtet hat!«

Karola mußte lachen. »Laß ihr doch das Vergnügen, Änne! Der Doktor scheint es ihr nun einmal angetan zu haben. Seit wann ärgert sich denn Änne Böhlau über so etwas?«

»Ach, es ist ja nur – erst war ich Herta gut genug, um mit ihr herumzuspazieren, dann aber, als der Doktor auf der Bildfläche erschien, war ich nicht mehr zu gebrauchen. Sie richtete es so ein, daß sie, als ich gerade mal mit Mutter sprach, des Doktors Weg kreuzte und mit ihm ins Gespräch kam. Ich kann mir nicht helfen – aber es sah von Hertas Seite beinahe ein wenig aufdringlich aus. Ich wenigstens würde nie einem Herrn absichtlich in den Weg laufen. – Übrigens –« Ännes Stimme klang ein wenig nachdenklich – »ein sympathisches Gesicht hat der Doktor! Ob dem ein Mädchen wie Herta gefallen kann?« –

Die beiden wurden jetzt unterbrochen. Wilma und Grete Rodenheim kamen auf die Freundinnen zu und plauderten einige Minuten mit ihnen. Länger hatten sie vorläufig noch nicht Zeit, da sie die zahlreichen Gäste nach Möglichkeit alle begrüßen wollten. So schön wie ihre Mutter waren die Rodenheimer Zwillinge nicht; aber sie hatten nette, frische Gesichter und glichen sich »wie ein Ei dem andern«. Diesen Vergleich wandten die Freundinnen mit Vorliebe an.

Eine Viertelstunde später tönten aus dem Gartensaal verlockende Walzerklänge, und damit war für die Jugend das Zeichen zum Beginn des Tanzes gegeben. Rola wurde alsbald von einem jungen Offizier engagiert. Änne sah einige Augenblicke etwas hilflos drein; da aber nahte sich ihr schon ein Retter in Gestalt eines Gutsbesitzersohnes aus der Umgegend. Man tanzte bereits, als Änne mit ihrem Partner in den Saal trat. Auch Herta schwebte schon am Arme des Doktors durch den Saal.

In der Pause nach dem Walzer entstand ein zwangloses Durcheinander. Man sprach hierhin und dorthin, begrüßte sich gegenseitig, soweit man es nicht schon vorher getan, stellte alten Freunden neue vor, und so kam es auch, daß Rola und Änne plötzlich vor Herta und dem Doktor standen und miteinander bekanntgemacht wurden. Der junge Arzt, dessen Augen eben noch ziemlich gleichgültig über die Menge geschweift waren und halb willenlos Hertas Geschwätz über sich hatte ergehen lassen, blickte plötzlich interessiert. Er machte eine tiefe Verbeugung, sprach einige verbindliche Worte zu Änne und wandte sich dann Karola zu. Er kannte sie sofort wieder, so flüchtig auch die kürzliche Begegnung im Städtchen gewesen. Karola hatte vom ersten Augenblick Eindruck auf ihn gemacht. Er war bisher wenig mit Damen in Berührung gekommen. Das Studium und später seine Praxis füllten seine Zeit aus, und hatte er einmal eine freie Stunde, so widmete er sie meist seiner Mutter. Für Vergnügungen hatte er wenig Sinn gehabt; heute zum ersten Male gewann eine Gesellschaft für ihn Reiz – seit dem Augenblick, da er Karola begegnet. Sonderbar! Sonderbar! Immer wieder schüttelte er unmerklich den Kopf, auch als die Mädchen schon längst wieder in der Menge untergetaucht waren.

Herta, die doch fühlte, daß sie nicht immer an des Doktors Seite gebannt einherschreiten könne, hatte sich den Freundinnen angeschlossen und begann wieder von ihrem neuen Schwarm zu erzählen. »Er ließ mich ja gar nicht locker; er scheint sich wirklich gern mit mir zu unterhalten.« In diesem Tone plauderte sie weiter; Änne und Rola warfen sich schon ganz verzweifelte Blicke zu. Da begann zum Glück der nächste Tanz. Die drei Mädchen wurden der Reihe nach engagiert. Der Doktor, der am entgegengesetzten Ende des Saales gestanden hatte, tanzte diesmal nicht.

Herta eilte nach der Polka wieder auf die Freundinnen zu. »Ach, der Ärmste, habt ihr ihn nicht gesehen? Er starrte ganz traurig in das Gewühl! Aber ich kann doch schließlich die anderen Tänzer nicht abschlagen?!«

»Nun, das Leben wird er sich hoffentlich nicht gleich deshalb nehmen,« warf Änne dazwischen in einem so gereizten Tone, wie man es an ihr nicht gewöhnt war.

»Ach du, du spottest nur immer!« schmollte Herta. »Ich habe es doch gesehen, wie er ordentlich traurig zu uns herüberblickte!«

»Er konnte ja auch Rola engagieren wollen,« fuhr Änne in Kampfesstimmung fort.

Da Herta nicht recht wußte, was sie hierauf erwidern sollte, schwieg sie anscheinend beleidigt. Jetzt fetzte aber auch die Musik schon wieder ein. »Seht ihr, er steuert mit Windeseile auf uns zu!« frohlockte Herta.

Ja, der Doktor kam, und sogar mit Windeseile, wie Herta gesagt! Nur daß er sich nicht vor letzterer, sondern vor Rola verneigte und um einen Tanz bat. Eine größere Enttäuschung hätte Hertas Eitelkeit wohl kaum zuteil werden können. Diese kleine Episode zeigte ihr wieder einmal, daß man nie zu früh jubeln dürfe.

Rola, die selbst förmlich erschrocken über das unerwartete Engagement war, flog am Arme ihres Tänzers leicht dahin. Etwas zu sagen wußte sie vorläufig noch nicht, und auch der Doktor schwieg. Aber daß er gut tanzte, das stellte die junge Dame doch innerlich fest. Bis zu Ende hielten die beiden aus, und erst als die letzten Töne verklungen, verbeugte sich der Doktor mit einigen Dankesworten. »Darf ich Ihnen den Arm bieten, gnädiges Fräulein?«

.

Rola neigte den Kopf und legte ihren Arm in den ihres Begleiters. Es war ihr eigentlich fast unbehaglich zumute. Herta würde sicher recht erbost sein. Aber dann reckte Karola in altem Stolz den Kopf. Sie war ja frei von jeder Schuld. Wenn Herta zornig war, hatte sie es mit sich allein abzumachen.

Der junge Arzt führte seine Dame aus dem Gewühl heraus. »Ich bin noch sehr unbekannt hier+… Würden gnädiges Fräulein nicht die Güte haben, mich Ihren werten Eltern vorzustellen?«

»Gewiß, gern.« Sie steuerten gemeinsam in einen der anstoßenden Räume, wo es sich die älteren Herrschaften bequem gemacht hatten. Wenn nun bloß die Eltern nicht inmitten eines großen Kreises standen! Rola sandte im Innern ein Stoßgebet empor. Aber sie hatte Glück. Herr und Frau Burgstetten standen ein wenig abseits von der übrigen Gesellschaft. Ersterer bog eben irgend etwas an dem Fächer seiner Gattin zurecht. Die gegenseitige Vorstellung konnte somit ohne jedes Hindernis erfolgen. Während die Eltern mit dem Doktor plauderten, hatte Rola zum ersten Male Gelegenheit, den jungen Arzt eingehender zu betrachten. Ohne gerade schön zu sein, wirkte er doch sehr sympathisch mit seinem ernsten, männlichen Gesicht und der hohen, aufrechten Gestalt.

Jetzt traten andere Herrschaften zu Burgstettens, und Doktor Scholz zog sich zurück. »Ich glaube, wir gehen in den Saal?« wandte er sich fragend an Rola. »Wenn ich recht unterrichtet bin, ist der übernächste Tanz die Polonäse! Dürfte ich Sie dazu engagieren? Ich werde dadurch den Vorzug haben, Ihr Tischherr zu sein.«

Natürlich lehnte Karola diese Bitte nicht ab. So jung auch ihre Bekanntschaft noch war, hatte ihr doch Doktor Scholz vom ersten Augenblicke an recht gut gefallen. Nur mußte sie immer wieder an die sicherlich sehr enttäuschte Herta denken. Eigentlich schadete dieser eine solche Lektion nicht, und doch tat sie ihr wiederum leid, denn auf eine derartige Wendung der Dinge war das selbstbewußte Fräulein nicht gefaßt gewesen. Jedenfalls wollte es Rola vermeiden, jetzt schon wieder an der Seite des Doktors im Saale zu erscheinen. »Sie entschuldigen mich wohl, Herr Doktor?« wandte sie sich an ihren Begleiter. »Ich möchte gern einmal die Baronessen sprechen. Vorhin war es mir nicht möglich, da beide zu sehr in Anspruch genommen waren.«

Doktor Scholz verbeugte sich lächelnd. »Gewiß, gnädiges Fräulein, ich darf ja auf die Polonäse hoffen!«

Karola, die nach Grete und Wilma ausspähte, entdeckte nur letztere, die unter einer Palmengruppe stand. Ihre Schwester tanzte gerade. »Das ist aber nett, daß du zu mir kommst,« sagte Wilma. »Unsere Haustöchterpflichten haben wir jetzt im allgemeinen erfüllt und können uns unseren nächsten Freunden widmen. – Amüsierst du dich gut?«

»Ausgezeichnet! Ich finde gerade das Zwanglose heute so schön, besonders, daß es keine Tanzkarten gibt. Dadurch wird die ganze Sache interessanter. Sonst weiß man immer gleich zu Anfang schon ganz genau, welche Herren man zu sämtlichen Tänzen bekommt.«

»Nun, sicher ist auch heute unsere »Marchesa« eine der begehrtesten Tänzerinnen!« Wilma blickte die Freundin in ehrlicher Bewunderung an.

»Sage lieber, bei Rodenheims ist immer für alle Tänzerinnen gesorgt,« gab die andere zurück.

»Das Kompliment wird mit Dank angenommen.« Wilma knickste schelmisch. »Ich habe mich absichtlich an dieses versteckte Plätzchen zurückgezogen,« fuhr sie fort. »Von hier aus kann ich die Tanzenden beobachten und werde selbst nur wenig gesehen. Ich setze recht gern einmal eine Runde aus.«

Schweigend blickten die beiden Mädchen eine Weile in das Tanzgewühl. »Sag' mal, Wilma,« ergriff Rola endlich das Wort, wer ist dort die schöne große Dame mit dem goldblonden Haar?«

»Das ist Fräulein Welter, die berühmte Schauspielerin, von der du wohl auch schon gehört hast. Sie ist eine Kränzchenschwester meiner Mutter; »Loreley« wurde sie von ihren Freundinnen genannt. Sie und eine Frau Professor Uchtel aus Gießen – letztere ist gleichfalls Mitglied des »Flennkränzchens« – sind vor acht Tagen zu uns gekommen. Eigentlich wollten sie garnicht bis heute bleiben, haben aber doch schließlich unseren Bitten nachgegeben. – Siehst du, dort ganz dicht bei Fräulein Welter die große schlanke Frau mit dem roten Haar – das ist Frau Uchtel, die Tochter des früheren Gürberger Pastors und Gretes Patin. Sie ist ja lange nicht so schön wie Fräulein Welter, aber ein prächtiger Charakter – »wie lauteres Gold!« sagt Mutter immer. Und immer lustig und vergnügt! Mutter muß uns oft von ihren Kränzchenschwestern erzählen. Da sind noch Wilhelmina und Elise Neuberger, die Töchter des verstorbenen Medizinalrats, wovon erstere meine Patin ist. Sie und Frau Achtel waren von jeher Mutters Lieblingsfreundinnen. Das Leben hat das Flennkränzchen leider zerstreut; aber ab und zu kommen die Mitglieder doch in alter Treue und Anhänglichkeit zusammen.«

»Sie sollen uns ein Vorbild echter Freundschaft geben, nicht wahr?« Rola, die mit Interesse zugehört hatte, drückte herzlich die Hand der Freundin. »Sieh, eben ist auch deine Mutter zu den beiden getreten!« Nachdenklich betrachteten die Mädchen die drei so verschieden gearteten Frauengestalten, die zierliche, noch immer bildschöne Frau Hilde, die majestätische, fesselnde »Loreley und die quecksilbrige, etwas eckige Frau Professor mit den jungen, leuchtenden Blauaugen.

Der Tanz war schon eine ganze Weile zu Ende, und noch immer standen die Freundinnen unter der Palmengruppe. Sie schraken förmlich zusammen, als mit einigen schmetternden Trompetenstößen der baldige Beginn der Polonäse angezeigt wurde. Ein buntes Umherlaufen entstand. Die Herren, die sich ihre Damen schon im voraus gesichert hatten, suchten eifrig, um sich zusammenzufinden.

»Ich glaube, wir müssen uns nun doch von unserer Palmengruppe trennen!« meinte Wilma lächelnd. »Unsere Herren haben sonst Schwierigkeiten, bis sie uns entdecken.«

Herr v. Erling und Dr. Scholz hatten ihre Damen aber doch schon mit Scharfblick herausgefunden. Schnell ordneten sich die beiden Paare in den Zug ein.

Während Änne Böhlau an der Seite des jungen Gutsbesitzers schritt, war Herta – und sogar erst im letzten Augenblick – von einem kaum neunzehnjährigen Studenten engagiert worden. Dieser studierte im ersten Semester in Gießen und glaubte seine Dame anscheinend nicht besser und interessanter unterhalten zu können, als wenn er sie in die Gepflogenheiten des Korps Teutonia einweihte, dem er mit Stolz angehörte. Herta, die sich infolge der herben Enttäuschungen des heutigen Abends tief unglücklich fühlte, hatte im gegenwärtigen Augenblick natürlich recht wenig Interesse für die Gießener Teutonia und bewies ihre Teilnahme für die langatmigen Reden ihres Tänzers nur ab und zu durch ein unstreitig gleichgültig klingendes Ah und Oh.

Weit angenehmer unterhielt sich Rola mit Dr. Scholz. Sie freute sich über die Art und Weise, wie er erzählte. Das waren keine Schmeicheleien, keine faden Redensarten. Er sprach unter anderem über Gürberg, wie es ihm sehr gut gefalle und welchen Eindruck es landschaftlich auf ihn gemacht habe. Das waren Themata, die Rola interessierten. Sie hing sehr an ihrem Heimatstädtchen und freute sich, es auch von anderer Seite loben zu hören.

Als Rola beim Rundgange einmal nach der anderen Seite schaute, begegnete ihr Blick Ännes Augen, die vielsagend nach Herta hin blinzelten. Und doch war es nicht wie sonst nur Schelmerei, was in Ännes klaren Augen zu lesen war. Etwas anderes. Rätselhaftes lag in ihrem Blick, der jetzt blitzschnell von Karola zu dem jungen Arzt schweifte. Nicht Neid war es. Änne Böhlau kannte dieses Gefühl überhaupt nicht. Aber etwas anderes – eine ganz – ganz leise Wehmut, ein resigniertes Entsagen hätte ein sehr aufmerksamer Beobachter herauslesen können.

Nach mancherlei Windungen war die Polonäse beendet. Man tanzte eben den Schlußwalzer durch die Paarreihen. Dann begab sich die Gesellschaft in den oben gelegenen Speisesaal. Die Paare verteilten sich zwanglos an die langen Tafeln. Die Freundinnen mit ihren Tischherren hatten sich natürlich zusammengesetzt. Man war in lustigster Stimmung. Sogar die für gewöhnlich etwas ruhigen Baronessen waren heute sehr ausgelassen. Auch Herta unterhielt sich scheinbar ganz ausgezeichnet mit dem Studenten. Sie hätte sich doch um alles in der Welt nicht anmerken lassen, wie ärgerlich sie im Innern war!

»Fräulein Eberstein, dürfte ich um den nächsten Walzer bitten?« fragte Dr. Scholz, dem beim Anblick Hertas ein gewisses Schuldbewußtsein aufdämmerte.

»Gewiß!« Sehr würdevoll klang diese Antwort. Doch fühlte sich Herta schon wieder etwas gehoben. Wer wußte denn, welche Gründe den Doktor veranlaßt haben konnten, sie nicht zur Polonäse zu engagieren? Vielleicht fürchtete er, es möchte auffallen, wenn er sich ihr soviel widmete? Oder wollte er nur prüfen, welchen Eindruck es auf sie machte, wenn er sie weniger engagierte? Sicher war es so etwas Ähnliches. Herta verstand es meisterhaft, etwas zu glauben, was sie gern glauben wollte. Die darin liegende Selbsttäuschung empfand sie nicht. –

Man sprach hinüber und herüber oder suchte eine gesonderte Unterhaltung. Doktor Scholz schien sich zu freuen, wenn er mit Rola ungestört plaudern durfte. Ein seltsames Glücksgefühl überkam ihn, wenn die dunklen, glänzenden Augen, die so unnahbar blicken konnten, ihn freundlich und warm anschauten. Und das Herbe, Stolze – auch das liebte er an ihr. Ein warm fühlendes Herz war dahinter verborgen. Wie unangenehm war ihm dagegen jene süße Freundlichkeit, die Herta Eberstein zur Schau trug.

Eben sprach der Doktor zu Rola von seiner Mutter, die in kurzer Zeit zu ihm ziehen würde. Wie er sich freue, sie dann wieder ganz um sich zu haben. Er habe schon längere Zeit mit Frau Medizinalrat Neuberger wegen des Ankaufs ihres Hauses in Schriftwechsel gestanden und gestern sei der Kaufvertrag vollzogen worden.

»Das Haus ist sehr hübsch und gemütlich,« sagte Karola. »Ich kenne es genau. Wir haben Frau Neuberger, als sie noch hier wohnte, öfter besucht.«

»Mir gefällt es auch außerordentlich. Nur ist es natürlich in seinen Einrichtungen zum Teil veraltet. Darum will ich es modernisieren lassen. Erst wenn alles blitzt und blinkt, darf meine Mutter einziehen.«

»Da werden sich die Handwerker sicher sehr beeilen müssen?« Rola lächelte. »Gewiß sehnen Sie und Ihre Frau Mutter sich nach dem Zeitpunkt, der sie wieder zusammenführt.«

»Ja, sehr sogar, trotzdem Mutter sich im Anfang gar nicht mit diesem Gedanken befreunden wollte.«

»Aber warum nicht?«

»Nun« – über des Doktors Antlitz glitt ein Lächeln – »sie meint, ich würde mich schließlich bald verheiraten, und dann wäre sie überflüssig. Bis jetzt hatte ich aber einen derartigen Gedanken noch nicht einmal erwogen, und außerdem setze ich bei meiner zukünftigen Frau als selbstverständlich voraus, daß sie meine Mutter als Hausgenossin liebt und achtet. Meinen Sie nicht auch, Fräulein Burgstetten?«

Hätte Rola den forschenden Blick des jungen Arztes bemerkt, sie wäre vielleicht ein wenig unsicher geworden. So aber nickte sie nur ernsthaft und sagte: »Ich würde es Ihnen und Ihrer Frau Mutter wünschen.« Sie dachte bei diesen Worten an Herta, die sich dem Anscheine nach sehr gern als Frau Scholz sehen würde. Und da wünschte sie plötzlich, der Doktor möchte seine Wahl nicht auf Herta Eberstein lenken. Ihm gönnte sie eine bessere Frau. –

Die Tafel war aufgehoben. Die Gesellschaft suchte zum größtenteile – die Jugend natürlich vollzählig – den Gartensaal wieder auf. Dr. Scholz hatte eine ganze Anzahl Pflichttänze zu erledigen, und Karola wurde auch von anderen Herren in Anspruch genommen. Erst ziemlich gegen Ende des Festes konnte er sich seine Dame zurückerobern und holte nun das Versäumte soviel als möglich nach. Nur schade, daß es schon stark auf den Schluß ging. Das Bedauern darüber war allgemein. Aber einmal mußte doch geschieden sein. Und nun war es wirklich der letzte, allerletzte Tanz. Der Doktor seufzte unmerklich. Sonst bedeutete für ihn der Schlußwalzer eine Erlösung, heute sehnte er kein Ende herbei. Als die letzten Töne verklungen, begleitete er Karola zur Garderobe. »Darf ich mich morgen erkundigen, wie Ihnen das Fest bekommen ist? Ich werde mir erlauben, damit meinen offiziellen Antrittsbesuch bei Ihren Eltern zu verbinden.«

»Sie werden uns selbstverständlich willkommen sein.«

»Eigentlich wäre es mir ja lieber, wenn ich die beiden Visiten nicht miteinander zu vereinigen brauchte.« Dr. Scholz wunderte sich über den leichten, frohen Ton, den er fand, er, der ungeschlachte Bär, wie er sich so oft schalt.

Rola verstand ihn nicht gleich. »Wie meinen Sie das?«

»Nun, dann hätte ich doch Ursache, zweimal zu kommen!« Wieder lächelte der Doktor, und Rola ging auf den Scherz ein. »Seien Sie doch froh, daß Sie sich einen Weg ersparen!« Der Doktor beugte sich stumm über die ihm dargereichte Hand des jungen Mädchens, dann verschwand Rola im Inneren des Garderobenraumes, um Mantel und Schal anzulegen.

Zehn Minuten später geleitete Herr Scholz Burgstettens an den am Parktor harrenden Wagen, und noch eine ganze Weile, nachdem das Räderrollen schon in der Ferne verklungen, blieb der junge Arzt wie festgebannt auf demselben Fleck stehen. Sinnend verfolgten seine Augen die Richtung, in der die Equipage ihm Karola entführte.

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