Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Es nahm alles seinen geregelten Gang, das heißt in der Natur, bei der Laken-Sophie, Madam Mömmes, Sulpiz Knippscheer und vielen anderen Leuten, die sich hinter dem gemütlichen Ofen bei Bratäpfeln und ›Sechsundsechzig‹ amüsierten, winterschläfrig an ihren Pfoten saugten und sich mit dem zufrieden gaben, was ihnen die gestrengen Monde beschieden. Bei Gert Liffers jedoch . . . Mit einer quälenden Unruhe im Herzen ließ er die klingenden Frosttage über sich ergehen, sah besorgt in die Zukunft und beobachtete vergrämelten Sinnes, wie sich die Kälte immer nachhaltiger und tiefer in die Erde hineinfraß. Ende November hatte er allerdings die Genugtuung, die Bestätigung des Projektes, um das er so lange gekämpft und gerungen, seitens der Regierung in Händen zu wissen. Alle seine Vorschläge hatten dort uneingeschränkte Zustimmung gefunden, sogar ein »Bravo!« war vom maßgebenden Dezernenten mit untergelaufen – er brauchte nur zu befehlen, die Spaten in Tätigkeit treten zu lassen, die Scholle zu werfen . . . Spatengeklirr und geworfene Erde! – das war es ja eben, was er mit allen Fibern erstrebte, allein die sonst so humusreiche und gefügige Erde war graniten geworden, zeigte die Zähne, gab Funken, wenn das Eisen hineinstieß und setzte jedem Versuch, das nötige Pfahlwerk zu rammen, einen passiven Widerstand und ein verbissenes Knirschen entgegen. Mutter Erde wollte schlafen, sich ausrasten von ihrer beschwerlichen Arbeit; sie ließ sich nicht knechten – und der Mensch mußte sich fügen.
Eine leblose Masse, mit schneeumkrusteten Flanken, starr, gefühllos, umnebelt, angeschrotet von glasharten Schollen, die heimtückisch seine Weichen benagten, lag der Deich inmitten der winterlichen Öde und harrte gleichfalls auf das schöpferische ›Werde‹, das ihn wieder belebte, die Grasnarbe weckte, sein Herz klopfen ließ und ihn kampfbereit machte, sich dem später entfesselten Wasser entgegenzustemmen. Während der Nacht blinzelten die Sterne höhnisch herunter, kam der Morgen, umfauchte ihn die Kälte noch grimmer denn vorhin, und wenn es Abend geworden, ging ein dunstiger Geist in Nebelhaube und Nebelschuhen über ihn fort, der von hier aus seinen dicken, erstarrenden Atem über die weite Landschaft hauchte. Auf dem Pfahlwerk der Bunten Schleuse hockten die Krähen, plusterten ihre Schwarzröcke und sahen den Schollen zu, die sich malmend zerrieben.
Sinter Klaas war gewesen.
Jöffer Boß hatte alle Hände voll zu tun, kramte in Heimlichkeiten und prickelnden Vorbereitungen herum, bis schließlich die Weihnachtswoche kam, Lisbeth Mömmes ihre Ungeduld nicht mehr zu zähmen vermochte und mit geheimem Augenzwinkern ihr die Frage nahelegte, wann sie ernst machen würde.
»Ich wollte es eigentlich bescheiden und stillekes machen,« war die schüchterne Antwort, »nur Sie, Madam Mömmes, und die Babbeltjes-Lena sollten dabei sein.«
Da war sie aber an die falsche Adresse gekommen.
»Was?« sagte Lisbeth und setzte ihre Hände mit einem energischen Ruck in die stämmigen Hüften, »Sie in Ihren Rothschildverhältnissen – un denn stillekes machen?! – Wofür is denn das Geld auf die Sparkasse, wofür hat Sie geerbt, hat 'nen vollgestopften Strumpf un is Kaptalistin geworden?! – Prima wird's gemacht, mit 'nem öffentlichen Zug nach die Kirche, nachfolgendem Ball un 'ner Fetierung bei Schweinem. Un alles was recht is: Pollmann un Mynheer ten Hompel wird Sie einladen müssen, denn sie sind Zeugen bei dem notariellen Aktus gewesen, un Herr Spezereiwarenhändler Nagel, Nikola sein Pappa, muß Festordner werden, denn er is ein pläsierlicher Mann, Billardkollege von Ihrem Zukünftigen un versteht sich darauf, solche Festivitees mit 'nem gehörigen Awek aus die Kiste zu lassen.«
»Geld ist ja da,« sagte mit einer selbstgefälligen Miene die Lange, »aber meint Sie das wirklich, meine liebe Frau Mömmes?«
»Meinen?!« erstaunte sich Lisbeth. »Um tausend Gotteswillen – was sollen die Leute wohl denken! Das muß Honnör von Ihr sein, das muß Sie gewissermaßen als 'ne heilige Verpflichtung betrachten – un daß ich mich man gleich un von vorneherein richtig erkläre: ohne Musieke un 'ner prima Pollionäse geht's überhaupt nich.«
Diesen schlagenden Argumenten konnte sich allerdings die Lange nicht mehr entziehen, und als Lisbeth schließlich in beredten Worten noch auf die Notwendigkeit hinwies, Gert Liffers durch eine opulente Hochzeit zu imponieren, ihm gewissermaßen das Gleichnis von den sauren Trauben vor Augen zu führen, versprach Sophie sich die Sache durch den Kopf gehn zu lassen und sie mit ihrem Bräutigam besprechen zu wollen.
»Bong!« entgegnete Madam Mömmes, »wie der Herr Festordner sagt, un nu darf ich wohl fragen, zu welchem Termin Sie den Tag in Aussicht genommen?«
»Ich meine am Dreikönigensonntag; auch mein lieber Sulpiz ist genau derselben Meinung.«
»Un welche Gründe hat Sie dafür?« fragte die Dicke.
»Zweierlei Gründe.«
»Erstens?« inquirierte Madam Mömmes und streckte ihren Zeigefinger pielrecht nach aufwärts.
»Weil es so ein heelmoijer Name ist, und ich die heiligen drei Könige immer verehrt hab'.«
»Zweitens?« fragte Lisbeth und gab ihrem Zeigefinger noch einen dicken Kollegen, und zwar in Gestalt ihres Daumens.
»Madam Mömmes, ich möchte nicht gerne . . .«
»Scharniere Sie sich mir gegenüber durchaus nich; ich bin doch auch mal eine verheiratete Dame gewesen.«
»Na, denn . . .« riß sich die Lange zusammen, »weil ich zu Gott hoffe, daß er mir im heiligen Ehestand drei Söhne beschert, von denen ich annehme, daß der erste Kaplan, der andere Küster und der Letzte vielleicht auch noch Kaplan werden könnte.«
»Das is nobel gedacht,« konstatierte die Dicke und schlug sich mit der Hand auf den Schenkel, »das wird Ihr im Himmel angekreidet un is doch noch ein christkatholischer Standpunkt. Mamsell Sophie, was ich immer gesagt hab': Sie is ein leiblicher Engel in diesem Tale der Tränen. Aber der Herr Spezereiwarenhändler Nagel muß Festordner werden, un mit 'ner prima Pollionäse wird das Ganze bei Schweinem beschlossen.«
Hierauf schob sie ihre Hornbrille nach aufwärts, nahm ihr Sacktuch und fuhr sich damit gerührt über die Augen. – – –
Der Advent ging zu Ende. Der Weihnachtsbaum bekam seine vergoldeten Äpfel und Nüsse, Flitterschaum und bunte Lichter – und die Kerzen brannten nieder, knisterten noch etliche Male und verloschen alsdann. Und die Neujahrsglocken begannen zu läuten, Punsch wurde aus großen Suppenterrinen getrunken – und die Neujahrsglocken verhallten. Noch sechsmal schlief Mamsell Boß zwischen ihren jungfräulichen Kissen – und dann war der Dreikönigensonntag gekommen.
Die überflüssigen Formalitäten der Ziviltrauung, die der Racker von Staat leider Gottes noch immer verlangte, hatten am Tage zuvor so ganz nebenher ihre Erledigung gefunden, dann aber, also am eigentlichen Fest der wirklichen Freude, ging's hoch her, wie Madam Mömmes ausdrücklich verlangt hatte.
Petrus Nagel, dem in seiner Eigenschaft als Leiter des Festes der Wunsch nahegelegt worden war, nach eignem Ermessen die Teilnehmer aussuchen und einladen zu wollen, hatte in umfassender Weise seines Ehrenamtes gewaltet. Per Fahrrad und mit brennender Pfeife, der schneidenden Kälte Trotz bietend, war er von Pontius zu Pilatus gestrampelt, überall wirklicher Teilnahme und glücklichen Menschen begegnend. Krispinus van Bommel, die Babbeltjes-Lena, Madam Mömmes, Herr und Frau Pollmann, der Herr Bäcker- und Spritzenmeister ten Hompel nebst Gattin, selbst Fritze Sötentitt und Hannibal Pinsgen wußten die Ehre zu schätzen, sagten zu und versprachen nicht nur der kirchlichen Feier mit Andacht und gehobenem Herzen beizuwohnen, sondern stellten auch einen gesegneten Appetit mit nachfolgender Tanzbeinbewegung in Aussicht. Barthes van Laak mußte leider bedauern, ließ aber durchblicken, daß er nicht abgeneigt sei, ein splendides Hochzeitsgeschenk auf den Tisch des Hauses zu legen. Christ van de Lucht kam zuletzt an die Reihe. »Gerne!« brüllte er Petrus Nagel entgegen, und als dieser ihm durch die Blume zu verstehen gab, daß er, Christ van de Lucht, wegen angeborener Taubheit sich am besten dazu eigne, dreimal drei Böllerschüsse verknallen zu lassen, wenn der Hochzeitszug losginge, war er auch hiermit zufrieden und ging stehenden Fußes zum Polizeiamt, um sich die erforderliche Schieß- und Knallvorschrift von Rechts wegen ausstellen zu lassen. In der Wirtschaft von Schweinem hatten zwei Mägde drei Tage hintereinander damit zu tun gehabt, das Lokal mit Fähnchen und Tannenzweigen in die richtige Verfassung zu setzen, und als die glückliche Braut, unter Assistenz ihrer Freundinnen, die Schlafkammer gerichtet hatte und sagen konnte: »Nun ist alles fertig; die beiden Kissen vertragen sich und liegen verschämt nebeneinander« – da stand sie im Myrtenkranz und Schleier im Hausflur, umgeben von ihren Getreuen und harrte des Augenblicks, wo die Glocken von Sankt Nikolai sie in die Kirche geleiten sollten.
Eine kalte, aber heitere Wintersonne flimmerte durch das Oberlicht der Haustür und umstrahlte die Jungfrau.
Es waren Minuten süßen Harrens und Bangens, bis Gottes Stimme ertönte. Jetzt sprach sie in vollen Akkorden aus luftiger Höhe.
»Los!« kommandierte der Festordner, riß die blitzblaue Tür auf und gedachte, sich als erster mit seinem Veloziped an die Spitze des Zuges zu stellen. Aber das ging nicht so einfach. Lisbeth hatte noch eine Überraschung, so eine Art von Vorfeier in Aussicht genommen, denn Marieke Bärendonk stand draußen, flankiert von Nikola und Nöllecke Kunders, die, mit weißseidenen Schärpen geschmückt, zwei Stechpalmsträußchen emporhielten, aus denen die Scharlachbeeren glückverheißend aufleuchteten.
Die glückliche Braut stieß einen leisen, aber freudigen Schrei aus.
Marieke Bärendonk knickste. Sie sollte ein Gedicht deklamieren, das sich rühmen konnte, den Herrn ersten Kaplan als Verfasser zu haben.
»Voran, Marieke!« ermunterte Madam Mömmes das etwas verschüchterte Mädchen, »Tante Boß liebt Dir ja sehr un gibt Dir nachher auch ein leckeres Küßchen.«
Das wirkte. – Mit heller Stimme ließ denn Marieke das sinnige Gedichtchen vom Stapel, und also begann sie:
»Nicht zur Kirche fährst Du in 'nem Wagen,
Nicht zu Roß;
Doch von Liebe wirst Nu hingetragen –
Sophie Boß!
Kein Minister ist und auch kein Recke
Dein Genoß;
Doch er trägt das Herz am rechten Flecke –
Sophie Boß!
Edelmut von jeher, ohne Finte,
Ihn umfloß;
Tiefes Wissen schöpft er aus der Tinte –
Sophie Boß!
Frömmigkeit, ein Leben ohne Tadel
War Dein Troß;
Höchstes Glück nur brachte Dir die Nadel –
Sophie Boß!
Amor hatte lange keine Eile,
Bis er schoß;
Endlich aber schickte er die Pfeile –
Sophie Boß!
Glaube kaum, daß Dich die Herzenswunde
Schwer verdroß;
Denn ich seh' Dich lächeln hier zur Stunde –
Sophie Boß!
Reißt der schöne Wahn auch mit dem Schleier,
Der Dich umschloß,
Geh' getrost nur zu der heil'gen Feier –
Sophie Boß!
Denn gar bald dem Bunde sich verkettet
Sproß auf Sproß;
Glücklich Heim, wo stets man Windeln plättet –
Sophie Boß!«
Dankbaren Herzens neigte sich die also Fetierte zu dem kleinen Mädchen und gab ihm ein Küßchen. Petrus Nagel, hoch zu Rad, setzte sich an die Spitze des Zuges, vom Armenhaus her knallten die Böller und, begleitet von den neugierigen Blicken aller Nachbaren, die Türschwellen und Fenster besetzt hielten, ging es zur Kirche. Vorweg, unter Innehaltung eines getragenen Tempos, segelte Nagel, hinter ihm kamen Marieke Bärendonk, Nikola und Nöllecke Kunders, das Brautpaar folgte, akkompagniert von Krispinus van Bommel, während ten Hompel und Pollmann umschichtig ihre stattlichen Gattinnen führten. Madam Mömmes, ganz in lilafarbigem Stoff mit einem spitz darüber geworfenen Kaschmir gekleidet, ließ sich die Ehre von Hannibal Pinsgen antun, denn sie liebte die Jugend und frische Gesichter, wie sie denn überhaupt gerade bei diesem jungen Materialisten die gährende und vorwärtstreibende Männlichkeit zu beobachten Gelegenheit hatte.
»Sehr obligiert,« lächelte Pinsgen, als seine Partnerin ihm zu verstehen gab, daß er seine Manieren habe und sich mit Damen zu unterhalten verstände, verlieh sich noch eine größere Forsche und dachte fast geringschätzig von Fritze Sötentitt, der, mit der Babbeltjes-Lena am Arm, einen zwar sehr bescheidenen, aber doch würdigen Schluß machte. Die Alte in ihrer prächtigen Bänderfladuse ging kerzengerade am Stock. Sie war kreuzfidel; das Paradiesapfelgesichtchen, durch die Kälte noch frischer gerötet, saß appetitlich zwischen den schneeweißen Rüschen. Die stattliche Kinnschleife bewegte sich ständig, denn Lena kaute jetzt schon die diversen Gerichte, die ihr Sophie geschildert und in Aussicht gestellt hatte, probeweise und zu ihrem eigenen Vergnügen, genau die Reihenfolge innehaltend, herunter.
Die Zeremonien vor dem Altare bewegten sich in erhebenden Formen. Das war denn doch eine ganz andere Weihe, wie die traurige Errungenschaft der Aufklärung, wie der lächerliche Hokuspokus vor dem Standesbeamten! – Der Herr erste Kaplan sprach in fesselnder Weise und schilderte die Vorzüge einer christlichen Ehe, die nicht wie die heidnische in ihren Kindern dem Kaiser zu geben hatte, was des Kaisers, sondern mehr darauf Bedacht nehmen mußte, Nachkommen ins Leben zu rufen, die im späteren Dasein die freie Stirn haben würden, nur einem klerikalen Abgeordneten ihre Stimme zu geben. Und als er dann näher auf das bekannte ›Wachset und mehret Euch‹ einging, da konnte Madam Mömmes nicht umhin – sie mußte an den kleinen Küster und die beiden Kaplänchen denken, tat einen glücklichen Seufzer und dankte ihrem Herrgott für die ausbündige Gnade, ihr eine so glaubensstarke und für das Heil der Kirche vorsorgende Freundin verliehen zu haben.
Dieselben Arrangements, die hinsichtlich des Einzuges in die Kirche maßgebend gewesen, blieben auch beim Ausgang in Kraft, nur mit dem Unterschied, daß der Festordner als nationalliberaler Mann einen dreimaligen Triumphgang um das auf dem Marktplatze stehende Denkmal des Reitergenerals Friedrich Wilhelm von Seidlitz vorgesehen hatte mit dran sich anschließender, feierlicher Festpromenade nach Schweinem.
So geschah's auch, und Herr Schweinem stand vor der Wirtstür, empfing seine Gäste und dienerte ein über das andere Mal: »Große Ehre für mein einfach Lokal!« und der Herr Webermeister Janssen saß mit seiner ganzen Kapelle auf der Musikantentribüne und taktierte beim Eintritt den Trauermarsch ›Nu trinkt sie keinen Rotspon mehr‹ mit aller Akkuratesse von seinem hohen Podium herunter – eine sinnige Aufmerksamkeit von Seiten der jungen Frau, ihre behäbige Freundin an den ›seligen Tag‹ zu erinnern.
Sie hatte sich nicht getäuscht. Die feine Widmung war auf fruchtbaren Boden und in ein dankbares Herzchen gefallen.
»Gott ne nich – die Sophie!« freute sich Lisbeth, wollte ihre Dankbarkeit auch sofort an den Mann bringen, verfiel dabei auf Hannibal Pinsgen und gab dem Ahnungslosen einen herzhaften Kuß auf die Radieschenwange, daß es einen prächtigen Knall gab.
»Nun aber, ut deus bene vertat,« trat Knippscheer aus seiner etwas ängstlichen Reserve heraus, »wollen wir lustig sein, lustig sein, lustig sein . . .!« klatschte in die Hände und forderte die Gäste auf, gefälligst Platz nehmen zu wollen.
»Das ist eigentlich meine Sache,« meinte der Herr Festordner, fügte sich aber und gab den Markören einen Wink, voran zu machen.
Ein allgemeines »Ah!« erhob sich, als gleich nach der Suppe ein delikates Kalbsragout, mit Mürbeteigplätzchen garniert, angereicht wurde. Christ van de Lucht brüllte seinem Nachbar Pollmann ins Ohr, daß er so was noch nie in seinem gewiß erfahrungsreichen Leben gesehen habe, während der arme Fritze Sötentitt die Augen aufriß und nichts Eiligeres zu tun hatte, als sich den Hosengurt um einige Zoll weiter zu schnallen.
»Bong!« sagte Petrus Nagel, erhob sein Gläschen mit Rotwein und prostete verständnisinnig nach dem jungen Frauchen hinüber.
Die Babbeltjes-Lena hingegen fand keine Worte, um besser essen zu können, und es war unglaublich zu sehen, was dieses beinahe achtzigjährige Weibchen hinsichtlich eines guten Appetites zu leisten vermochte. Dreimal ließ sie sich anpräsentieren und fragte gleich hinterher, ob es jetzt westfälische Mettwürste mit Sauerkohl gäbe. Als ihr dieses bejaht wurde, nahm sie Gabel und Messer fester zur Hand und freute sich schon im voraus auf den hierauf folgenden Schweinebraten mit geschmorten Kartoffeln.
Die mettwurstliche Ovation ging zu Ende, der Braten kam, und nachdem man ihn so vermöbelt hatte, daß nur noch die Schwarte von dem stattlichen Knochen herabhing, erhob sich der Herr Festordner, klingelte ans Glas und versuchte, das jovialste Gesicht seines Lebens zu machen. Er brachte aber trotzdem nur das Gesicht eines Karpfen zum Vorschein, der ängstlich nach Luft schnappt; das wirkliche Fidele seines inneren Menschen markierte die Tolle – und so legte er denn mit seiner Karpfenvisage los, aber ›gebuttert‹, wie Hannibal Pinsgen später nach der wohlgelungenen Rede sich ausließ.
»Hochverehrte Festgenossen, meine Damen und Herren, Freunde und Gönner!« also ließ er sich hören, »Sie wissen, ich bin kein eingeborener Redner, sondern nur ein gelernter Materialist mit eingetragener Firma, die ich dereinstmals meinem lieben Sohn Nikola schuldenfrei zu hinterlassen gedenke.«
»Das is nobel von ihm,« sagte Lisbeth Mömmes für sich. Der Anfang berechtigte zu großen Hoffnungen, und so legte sie denn die Hände erwartungsvoll zusammen, während Lena heimlich nach der großen Schlagsahnentorte blinzelte, die bereits mit ihrem pompösen Aufbau bei der Anrichte auftauchte.
»Hochverehrte Festgenossen! – wenn zwei sich verheirathen tun, so sind sie auch gewillt, in den Stand der heiligen Ehe zu treten,« ergänzte der Redner, »und wie das ein Naturgesetz ist, daß immer zwei und zwei zusammengehören, wie zum Beispiel: Mostrich zu Pfeffer, 'ne Ölbouteille zu 'ner Essigbouteille, so gehört auch ein weibliches Wesen mit 'nem männlichen Wesen in denselbigten Hausrat.«
»Sehr richtig,« nickte Krispinus.
»Aber nicht dieses allein,« sprach der Aufgemunterte weiter, »sondern auch gewisse Kulören gehören zusammen, denn, wie schön sagt der Dichter: wo Schwarzes sich mit Weißem paarte, da gibt es einen guten Klang. – Schwarz – weil Tinte und Feder Herrn Knippscheer sein Metier sind, weiß – weil die junge Frau bislang nur mit properem Weißzeug hantiert hat. Und das sind die preuß'schen Kulören – und die bedeuten was Gutes.«
»Gelb un weiß wäre mir lieber,« warf Madam Mömmes dazwischen. »Mit's Preußische benehm' ich mir nich gern, denn das is niemals mein Gusto gewesen.«
»Bong!« sagte der Redner, »obgleich ich so recht nicht dieselbigte Meinung vertrete. Wir haben hier mit's Schwarze und Weiße zu rechnen. Der Herr Neuvermählte ist Beamter, gewissermaßen die rechte Hand seines Chefs, und muß darauf sehen, auf der juristischen Leiter voran zu klettern; er muß was prestieren im preußischen Reiche – und das tut er ganz sicher, denn er hat das Zeug dazu, vielleicht noch mal so'n halber Justizrat zu werden.«
Der also Gefeierte schüttete in seiner Bescheidenheit ein Glas Rotspon nach dem anderen herunter.
Lisbeth Mömmes sah Fritze Sötentitt an, ob dieser, als gleichfalls des Rechtes Beflissener, wohl den glänzenden Auslassungen über seinen älteren Kollegen beipflichten würde, und als Sötentitt beifällig nickte, da gab sie sich auch mit dem Gleichnis von den preußischen Kulören zufrieden.
»Und dieserhalb,« lenkte Herr Nagel so ganz allmählich zum Schluß ein, »mögen die soeben kirchlich Getrauten, weil sie nun einmal zusammengehören, ihren Lebensnachen besteigen, und, mit 'ner schwarz-weißen Admiralitätsfahne am mittelsten Hauptmast, hinausschiffen ins Pläsier und mit immer Monetens im Kasten. Und aus diesem Lebensnachen sollen bald die kleinen Knippscheers herauskucken, die auf einjährig studieren, um gelernte Kaufmänners mit eingetragener Firma oder tüchtige Beamte zu werden, und, wenn's Krieg gibt, mitziehen wollen pro gloria et patria. In diesem Sinne: Herr und Frau königlicher Notariatssekretär Knippscheer sie leben . . .«
»Hoch, hoch, hoch!« ging das durch den Saal, und selbst Madam Mömmes, obgleich sie sich mit dem Schluß der Rede nicht so ganz einverstanden wußte, weil doch Sophie ihre Jungens für die Kirche bestimmt hatte, jubelte aus ehrlichem Herzen mit, ging dann aber zu Knippscheer, um ihn vertraulich und unter vier Augen zu bitten, nicht zu viel Rotspon zu trinken. »Das bekommt jungen Ehefrauens nich gut,« fügte sie erläuternd hinzu, »wie mir dasselbe aus eigener Erfahrung bekannt is,« suchte dann aber schleunigst wieder ihren verlassenen Platz zu gewinnen, wo die inzwischen herumgereichte Schlagsahnentorte nach ihrer Anwesenheit bangte. Sie griff denn auch herzhaft zu, legte noch ihrem Nachbar Hannibal Pinsgen ein Stück auf den Teller und ließ sie weiterpassieren.
Schon lauerte die Babbeltjes-Lena. Endlich war sie an die Reihe gekommen.
»Silke, salke sente –
Der da gibt Präsente!«
sagte sie schmunzelnd und langte sich 'ne Viertelstorte herunter.
In Begleitung der Schlagsahnentorte erschienen drei Flaschen Champagner.
Fritze Sötentitt wollte vor eitel Bewunderung in die Knie sinken und nahm ein mehr wie reichliches Deputat von dem prickelnden Zeug ein.
Dann wurde Kaffee herumgereicht, und als auch diese Freude vorbei war, und die Babbeltjes-Lena das letzte Untertäßchen geschlürft hatte, machte sich eine gewisse Unruhe unter den geladenen Gästen bemerkbar. Frau Schreinermeister Pollmann hatte schon längst mit dem Kopf und den Zehenspitzen getänzelt.
»Stühle 'raus! – Tische 'raus!« kommandierte der Herr Festordner, legte selbst Hand an, und als dieses besorgt war, zog er eine dicke Stearinkerze aus der hinteren Fracktasche und schnipselte seine Späne von dem fettigen Lichtschaft herunter, um den Boden geschmeidig und für den Tanz geeigneter zu machen.
So – nun konnte die Tanzerei losgehn.
»En avant!« kommandierte er dann mit lustiger Stimme, eine Redensart, die er seinerzeit dem Donnerjü abgeluchst hatte, nahm Madam Mömmes verbindlichst bei der Hand, stellte sich mit ihr an die Spitze des Zuges, ließ das junge Ehepaar, dessen schlechtere Hälfte bereits mit Pendelbewegungen anrückte, hinter sich treten, schnörkelte graziös mit seinem fixen Beinwerk auf dem Platze herum und winkte mit seinem Taschentuch nach der Musikantentribüne hinüber. Mit einem nochmaligen »En avant!« und unter den getragenen Klängen des Pariser Einzugsmarsches führte er hierauf die Polonäse durch die Schweinemsche Wirtschaft treppauf und treppab, dann dreimal wieder im Saal herum, legte ganz neue Überraschungen ein, daß Madam Mömmes vor lauter Amüsement sich den Bauch halten mußte und ihren Partner für den gerissensten Ausbund aller Ballarrangeure erklärte, und machte mit dem sauersüßesten Gesicht die gewagtesten Tanzmeisterwitze, um schließlich die Promenade mit einem getragenen Walzer ausklingen zu lassen.
Na – und der Walzer . . .?! – Der Herr Festordner und Lisbeth waren zu guter Letzt nur noch solo beschäftigt, aber mit einem ausgeklügelten Raffinement, das mehr wie ein gewöhnlicher Tanz war. Unterm Petroleumkronleuchter und auf einem Fleckchen Diele, nicht größer wie 'ne porzellanene Vorlegeschüssel, führten sie die zierlichsten Pas aus – sie an ihn gelehnt, gefühlvoll, hingebend, und er mit der Grazie und weltfernen Versunkenheit eines Feueranbeters. Alles getragen, ruhig, fast ohne Bewegung – und doch eine getanzte Symphonie, eine verkörperte Gemeinschaft zweier Seelen, die sich endlich gefunden unter dem sanften Schein glücklicher Monde, dargestellt durch den Schweinemschen Petroleumleuchter.
Die Babbeltjes-Lena war ganz in Andacht versunken. »Einmal eins is Gott alleine,« sagte sie tonlos, »aber meine liebe Freundin Madam Mömmes steht auch ganz alleine mit's Tanzen,« und dann genehmigte sie sich ein Gläschen Likör, das ihr präsentiert wurde.
Mit dem herumgereichten Anisette, der besonders den Damen mundete, erstieg die Fidelität ihren Höhepunkt. Abwechselnd wurde Schottisch, Masurka oder ein sanfter Rheinländer mit Bummelbeilage interpoliert, dann wieder Anisette getrunken.
Fritze Sötentitt lebte wie der reiche Prasser, ließ einen Knopf nach dem anderen springen, hob die juristischen Fähigkeiten Knippscheers, der sich kaum noch auf den Beinen zu halten vermochte, bis in den dritten Himmel hinein und sprach ihn ostentativ mit ›Herr Justizrat‹ an, eine wohlgemeinte Ovation, die ihm jedesmal ein Gläschen Likör von seiten der jungen Frau einbrachte. Aber wie das so häufig vorkommt im Leben: was ihn begeisterte, schlug dem armen Hannibal Pinsgen zur Melancholie aus. Er erklärte sich Madam Mömmes gegenüber für den unglücklichsten Menschen auf Erden, den Gottes Sonne beschiene, gestand ihr, daß er wahnsinnig liebe, ohne Gegenliebe zu finden, und daß er sich daher genötigt sehen würde, diesem kaum mehr zu ertragenden Zustand ein baldiges Ende zu geben. Dabei lief über sein kummerbedrängtes Radieschengesicht ein verzückt-überirdischer Abglanz.
»Aber, Pinsgen!« meinte Lisbeth, die auch schon des Guten zu viel getan hatte, und drückte ihn an ihren stattlichen
Busen, »weg mit die Grillen un Sorgen . . .!« wedelte hierauf dem Herrn Kapellmeister mit ihrem weißen Taschentuch zu und meinte: »As't üh belieft, Mynheer Janssen! – Nur um Pinsgen aufzumunterieren, wollen wir das Lied von die ›Kermespopp‹ singen.«
»Wollen wir! – Wollen wir!« jauchzten die andern.
»Wird gemacht,« sagte Janssen.
»Denn los!« freute sich Lisbeth, nahm ein Billardkö, sprang mit ihm, so gut wie es ihre Komplettigkeit zuließ, auf einen Rohrstuhl, fingerte an dem stocksteifen Stößer herum, als wenn sie eine Gitarre erwischt hätte, und sang dann:
»Et ging 'ne Pater längs de Kant –
En et was in de Mey, Mey, Mey!
En noom en Nönnecke bei de Hand –
En et was in de Mey, Mey, Mey!«
»Weiter, weiter!« ermunterte sie Krispinus van Bommel.
»En de Pater boorte de Nonn es op –
En et was in de Mey, Mey, Mey!
En danzt' dormet as 'ne Kermespopp –
En et was in de Mey, Mey, Mey!«
»En et was in de Mey, Mey, Mey!« sang die keusche Sophie mit ihrer gläsernen Stimme den Kehrreim.
»Och, Herr Pater, no laat mi dat Nönnecke doch –
En et was in de Mey, Mey, Mey!
Söß krieg di – Gottdomie! – de Düwel noch –
En et was in de Mey, Mey, Mey!«
Sich vor Lachen die Seiten haltend, stand die Sängerin, hin- und herwackelnd, auf ihrem gefährlichen Stuhlsitz, hob umschichtig das rechte und linke Bein in die Höhe, daß ihre blaubestrumpften Waden sich zeigten und schlenkerte ihren linken Sonntagspantoffel übermütig über die Zipfelmütze des tauben Christ van de Lucht fort,
»Mar de Düwel noom em doch beim Schlawitt –
En et was in de Mey, Mey, Mey!
Da war er die unsterbliche Seele quitt –
En et was in de Mey, Mey, Mey!«
Mit einem hellen Jauchzer sprang sie von ihrem Stuhle herunter, von allen beglückwünscht und von Hannibal Pinsgen bewundert – und was dann weiter passiert war . . .?! – Selbst am anderen Tage, als sie ihr Anisetteräuschchen ausgeträumt hatte, war sie nicht mehr imstande, sich ein genaues Bild über den Ausklang der fidelen Hochzeit zu machen. Sie hatte nur das unbestimmte Gefühl, daß sie noch zwei Likörchen getrunken, daß der Herr Festordner wie ein Schornstein geraucht, daß Hannibal Pinsgen ihr seine glühende Liebe gestanden, daß Fritze Sötentitt immer von einem Herrn Justizrat geredet, daß der junge Ehemann sich absolutemang auf den Schoß der dicken Bäckersfrau placieren wollte, und Sophie Himmel und Erde in Bewegung setzen mußte, ihn gefügig zu machen und glücklich nach Hause und in die mollig durchwärmte Stube zu bringen.
Die kalten Sterne standen schon morgenwitternd am Himmel, als sie selber, und zwar unter Beihilfe des braven Christ van de Lucht, die eigene Schwelle erreichte. Mit knapper Not konnte sie sich noch in die Federn hineindrücken und die Kissen zurechtlegen; dann fuhr sie mit ihrem Bett Karussell durch die Stube. Und Herr Kapellmeister Janssen dirigierte wieder von seiner Musikantentribüne herunter, und Hannibal Pinsgen war wieder melancholisch geworden, und die Babbeltjes-Lena nahm wieder drei Tortenstückchen auf einmal, und sie selber sang immer und immer wieder von neuem:
»Et ging 'ne Pater längs de Kant –
En et was in de Mey, Mey, Mey!
En noom en Nönnecke bei de Hand –
En et was in de Mey, Mey, Mey . . .!«
bis sie endlich die ersehnte Ruhe gefunden. Ein Bild des Friedens, mit zusammengefalteten Händen schlief sie den Schlaf des Gerechten.
Und die Kälte kratzte mit steifen Fingern an den Fensterscheiben herum, die Sterne wurden starrer und bleicher, und fern drüben im Kalkflack stöhnte unheimlich das Eis auf.
Die heiligen drei Könige aber waren mit ihrem Stern wieder gen Mohrland gezogen.