Joseph Lauff
Frau Aleit
Joseph Lauff

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VI Wenn die Billardkugeln ketschen

Über das schmuddelige Billardtuch im ›Goldenen Anker‹ rollierten die Kugeln. Das gelbe Licht einer mächtigen Hängelampe, deren breitausgefaserter Docht das Rübsenöl aus einem fettigen Glasbehälter aussog, spielte mit den elfenbeinernen Dingern, die lustig gegen die Banden sprangen und sich mit hellem Ketschen berührten. Ein kompakter Tabaksrauch quirlte nach oben, stieß an die niedrige Balkendecke und senkte sich talwärts, um behäbigen Fußes über die grüne Fläche des Billardtuches zu kriechen.

Dem Tabaksduft gesellten sich die intensiven Gerüche nach Bier und Likören, unter denen sich der fuselige Gehalt des ›Ollen Klaren‹ besonders hervortat. In wasserhellen Flaschen äugelte er mit ähnlichen seines Gelichters vergnügt von den blauangestrichenen Brettern eines offenen Spindes herunter, über dem sich der markante Kopf des ersten Reichskanzlers von einem Postament aus Gipsmasse emporhob. Rechts und links von ihm hingen Porträts von Pio nono und Leo dem Dreizehnten, grobe Bilder in Öldruckmanier, die es aber verstanden, das Pontifikalische der beiden Kirchenfürsten gehörig in die Erscheinung treten zu lassen. Um Leos Mundwinkel schienen die Rhythmen und zarten Figuren einer neulateinischen Ode zu spielen, während ein himmlisches Lächeln die gutmütigen Züge des ehemaligen Grafen von Mastai-Feretti verschönte. Man sah es diesem Lächeln nicht an, daß sich hinter ihm der energische Wille des Heißsporns und des irdischen Vize-Gottes versteckte, in Kraft dessen und der Überzeugung von seiner göttlichen Sendung er sich stark genug wähnte, den unerbittlichen Kampf gegen die Staatsgewalt aufzunehmen und auf Leben und Tod zu verfechten – und zwischen diesen Männern, zwischen dem himmlisch-seligen Lächeln und den zarten Schwingungen einer neulateinischen Ode – Otto von Bismarck . . .! –

Mit gerunzelten Brauen folgte er dem Spiel des Donnerjüs, der sich anschickte, die letzten Bälle der ersten Partie gegen Petrus Nagel und den Notariatssekretär Sulpiz Knippscheer zum guten Abschluß zu bringen.

Aufmerksam, die Hände in den Hosentaschen vergraben, stand Krispinus van Bommel seitwärts des Billards, während der Kiwi an einem Ecktisch der Wirtsstube hockte und, den Kopf auf beide Hände gestützt, jede Karambolage durch unartikulierte Laute glossierte. Nur einmal in der Woche gönnte er sich sein Gläschen Dünnbier bei Schweinem, denn er mußte doch wissen, wie's in der Welt aussah, was das ›Niederrheinische Kreisblatt‹ erzählte, und wie die Kornpreise standen. Für heute hatte er sich in seinem konfusen Schädel ein umfassendes Urteil gebildet. Den irdenen Pfeifenstummel in eine Ecke des Mundes geschoben und die Holzschuhe nebeneinander gestellt, sah er von jetzt an dem Spiel zu.

Wiederum hatte der Donnerjü eine glückliche Karambolage vollendet.

»Noch vier Bälle, und Ihr habt die Zeche verloren!« schrie er aus vollem Halse. »Na, dann aber – prosit, Ihr Bauern!«

Bevor er jedoch den Stoß riskierte, sondierte er die Gesichtszüge des Herrn Notariatssekretärs mit einem triumphierenden Lächeln.

»Na, Kousin, hat er auch ›Puttputt‹ in der Tasche?« lachte der Fingerhutshöfer, indem er die Manipulation des Geldzählens auf dem Billardtuch exekutierte, »denn ohne dasselbigte kommt er mir heute nicht nach Hause. – Achtung, die Herren!«

Dem Herrn Notariatssekretär Knippscheer sank das Herz eine ganze Etage nach unten. Über sein hageres und finnenblütiges Gesicht lief ein wehmütiger Abglanz, denn mit den letzten Stößen, die dem Gegner noch zukamen, standen Hausse und Baisse seines Bügelportemonnaies in engster Verbindung. Ging die Serie glatt hintereinander durch, waren vier Flaschen Bordeaux, jede zu 'nem harten Taler, fällig geworden, und wenn er auch mit seinem Mitkomparenten Petrus Nagel Halbpart machen konnte, für einen Mann seines Zeichens und Standes bedeuteten zwei Speziestaler ein kleines Vermögen; und so stand er denn da, auf sein Billardkö gelehnt – der lange Mensch mit dem widerwilligen Haar, dem beweglichen Adamsapfel am endlosen Halse und der tiefgrünen Ärmelstauche, die er zur Schonung seines an und für sich schon fadenscheinigen Rockes noch über den rechten Unterarm geschoben hatte, und wartete in nicht geringer Aufregung der kommenden Dinge. Der Herr Sekretarius Knippscheer war überhaupt einer der merkwürdigsten Kostgänger, die unter der Sonne des lieben Herrgotts gediehen. Von Natur ängstlich veranlagt, ungelenk und schwerfällig in jeder Bewegung, liebte er es dennoch, sich eine selbstgefällige und weihevolle Pose zu geben, wenn er es mit Leuten zu tun hatte, die entweder unter seinem Bildungsgrade standen oder sich genötigt sahen, in irgend einer verfänglichen Frage seine Winkelkonsulentenveranlagung in Anspruch zu nehmen. Den äußeren Menschen, die Redensarten und juristischen Floskeln hatte er seinem Gönner und Brotherrn glücklich abgelauscht, war aber von dessen Geist und Seelengröße so weit entfernt, wie der Paßgang eines Wüstenschiffes von dem zierlichen Kurbettieren eines Graditzer Pferdes. Hierzu kam noch eine übertriebene Sucht, seine sonn- und werktägliche Garderobe wie ein Kind zu verhätscheln. Gewiß, sein Gehalt ging nicht in die Tausende hinein, es hielt sich vielmehr in sehr bescheidenen Grenzen, Grund genug, Ausgaben und Einnahmen in sachlicher Weise balanzieren zu lassen – allein seine hierüber aufgestellten und peinlich durchgeführten Grundsätze überstiegen doch das Maß aller Begriffe. Vornehmlich hielt er die unteren Bekleidungsstücke für besonders pflege- und schonungsbedürftig. Er liebte sie, wie etwa ein kleiner Knabe seine Angorakaninchen. Befand er sich beispielsweise zwischen seinen vier Pfählen, so betrachtete er die rückwärts gelegene Klappe als Fallreep, ließ sie vor dem Sitzen herunter, um auf diese Manier den hinteren Boden vor dem verderblichen Einfluß der Rohr- und Binsensitze zu schützen, ein Verfahren allerdings, das er des äußeren Dekorums wegen nicht allerwärts handhaben durfte. Hier wurde anderweitig Hilfe geschaffen. Saß er vor seinen Aktenfaszikeln, so schob er stets einen frischen Papierbogen zwischen Hose und Drehstuhl, in der Kneipe tat irgend ein Zeitungsblatt die nämlichen Dienste, und hatte er sich mit dem lieben Gott zu besprechen, praktizierte er allezeit sein schwarzbedrucktes, rotbaumwollenes Schnupftuch unter die Stelle, der im gewöhnlichen Leben die Aufgabe zufällt, den ermatteten Körper in angenehmer und bequemer Haltung rasten und ruhen zu lassen. Dieser Eigentümlichkeit wegen hatte er sich mit dem Zunamen eines ›Geheimen Hosenrates‹ abfinden müssen, eine Titulatur, die er allerdings lieber mit derjenigen eines Geheimen Justizrates vertauscht hätte, wenn er sich auch nolens volens mit der ersteren Fassung begnügte, zumal seine Freunde und näheren Bekannten das Hosenartige strichen und ihn kurzerhand mit der gefälligeren und nobleren Bezeichnung ›Herr Geheimrat‹ beehrten. –

Also der Herr Geheimrat stand auf sein Billardkö gelehnt und sah verschleierten Auges über die spangrüne Fläche, auf der die letzten Bälle ausgekämpft werden sollten. Die Situation lag verteufelt günstig für den reichen Fingerhutshöfer.

Selbstgefällig wiegte sich der kurzatmige Mann mit dem Stiernacken und dem faltenlosen Bordeauxgesicht in den stattlichen Hüften. Sichtlich erfreut, weidete er sein Herz an der jämmerlichen Verfassung seines zweiten Gegenspielers. Mit einer kurzen Handbewegung schnellte er seinen martialischen Schnurrbart nach aufwärts und schlug mit dem Billardkö einen flirrenden Lufthieb.

»Also – zum Ersten!«

Der Donnerjü klappte zurück.

»Freundchen! – Freundchen . . .!« wunderte sich Krispinus van Bommel.

»Bong!« sagte Petrus Nagel, der, trotzdem er mit dem Sekretarius Knippscheer gegen Barthes van Laak in Partie stand, nicht umhin konnte, dem tadellosen Klappstoß seine Achtung zu zollen.

»Prosit, Ihr Bauern!« lachte der Donnerjü und brikulierte zum andern die Bälle proper und ohne Federlesens von der rechten Bandagenseite herunter.

»Freundchen! – Freundchen . . . !« machte Krispinus.

»Ich . . .!« triumphierte der Spieler. »Prosit, Ihr Bauern! – so karamboliert der Fingerhutshöfer!«

Der arme Geheimrat glaubte in den Boden zu sinken und wähnte bereits sein Portemonnaie mit der galoppierenden Schwindsucht behaftet, eine Voraussetzung, die der Wirklichkeit nah war, denn Barthes van Laak hatte in diesem Augenblick einen ›Quetscher‹ auf den Tisch des Hauses gelegt, daß ein anerkennendes »Donnerknippchen!« dieses Bravourstück unwillkürlich ergänzte. Die Bewunderung war eine allgemeine gewesen. Nur der Herr Geheimrat hatte geschwiegen. Lethargisch stierte er auf die rollenden Bälle. Er fühlte es, er sah es mit zuckenden Lippen: noch ein solches Stößchen – und zwei Speziestaler hatten an diesem Abend ihr beklagenswertes Jena gefunden. Er wußte es selber nicht, allein er war kreidebleich wie die Gipsbüste des eisernen Kanzlers geworden. Nur mit knapper Not konnte er sich in den fadenscheinigen Beinkleidern halten.

Wiederum strich der Donnerjü den martialischen Schnurrbart nach aufwärts.

»Das letzte Stößchen!« meldete der stiernackige Grund- und Wiesenbesitzer. »Achtung, die Herren – jetzt wird Vivat geschossen!« und mit einem schadenfrohen Seitenblick auf Sulpiz befahl er dem Schankwirt: »Los mit's Gift – vier Bouteillen ›Schwart Water‹! – die Herren bezahlen's!«

Eine erwartungsvolle Stille ging um. Der große Moment prägte sich allen Gesichtern auf. Selbst der Kiwi erhob sich und war mit einem grunzelnden »Oha!« näher getreten.

Siegesgewiß hatte sich der Donnerjü über das Billard gelümmelt. Er mußte sich strecken. Die Bälle lagen seiner Körperverfassung zu Ungunst. Er schob sich weiter nach vorwärts.

»Halt!« wimmerte in diesem Augenblick der Herr Notariatssekretär Knippscheer.

Der Donnerjü prallte zurück.

»Gottverdomie, was soll's denn?!«

»Sie spielen contra leges!« war die ängstliche Antwort.

»Was – contra leges?!« schrie ihn Barthes van Laak mit blaurotem Gesicht an. »Herr Geheimer, Sie sind wohl des Satans geworden!«

»Recht hat er!« warf Petrus Nagel dazwischen.

»Freundchen! – Freundchen!« legte sich Krispinus van Bommel mit seiner krähenden Stimme ins Mittel, »mit einem Fuß muß er den Boden berühren; sonst gilt's nicht.«

Knippscheer reckte sich auf. Die unerwartete Hilfe war ihm gelegen. Der Adamsapfel kam in eine nervöse Bewegung, und der sonst so ängstliche Mann warf sich in Harnisch.

»Die fides publica verlangt 'nen Fuß auf dem Boden!« warf er sich stolz in die Bresche, »und ich spiele nicht mit solchen, qui non possunt discernere functiones spielerorum de functionibus mogelandorum. Strictum jus für uns alle! Entweder Fuß auf den Boden, oder das Stößchen ist für gar nichts gewesen. Actum ut supra

Dabei streckte er den Arm mit der schwarzgrünen Ärmelstauche so kategorisch über das Billard, als sei er berufen, ein drohendes Unheil von der friedlich unter der Hängelampe ruhenden Fläche zu scheuchen.

»Na, denn, Ihr Viechskerle . . .!« wetterte der Donnerjü und versuchte die indirekte Karambolage nach aller Vorschrift zu machen.

»Letzter Point!« prophezeite er mit wütenden Blicken, legte sich vor und brachte das Kö in Bewegung – aber: jawoll und daneben gehauen! – an Stelle des gewollten Effektstoßes brachte er nur einen hundsgemeinen ›Kickser‹ zustande.

»Gott verdammt noch einmal . . .

»Zackerzucker, Herr Neffe – da hat er daneben geschossen!« meinte Krispinus van Bommel.

»Da muß man nicht, da soll man nicht aus der Fassung geraten, wo so'n dämlicher Hosengeheimrat . . .! – Viechskerle seid Ihr!«

»Sind wir, sind wir!« jubilierte Petrus Nagel, »aber er hat sich 'nen Kickser geleistet, 'nen Kickser geleistet . . .!« und dabei sprang der lustige Spezereiwarenhändler mit dem ehernen Leichenbittergesicht so vergnügt um das Billard herum, daß er mit seinem hechtgrauen Flausrock, dem ein intensiver Geruch nach Zichorienkaffee, Gewürznelken und Süßholz anhaftete, das ganze Wirtschaftslokal durchräucherte. Dabei stand seine Tolle auf Vivat, die lustigen Beinchen kapriolten wie närrisch, und fröhliche Kräusel entstiegen dem Porzellankopf der Pfeife, als sei sie verpflichtet, von wegen glücklicher Wendung der Dinge, eine dankbare Weihrauchwolke gen Himmel dampfen zu lassen. Wohlgemerkt, das Gesicht hatte keinen Anteil an dieser Jubelouvertüre. Es blieb kalt, ehern, steinern, gefühllos wie immer. Dafür aber schrie sein Inhaber mit einem Heidenspektakel und unter stetigem Tanzen: »Er hat sich 'nen Kickser geleistet – der Donnerjü hat sich 'nen ekligen Kickser geleistet . . .

»Das ist nicht contra leges,« warf Herr Knippscheer sarkastisch dazwischen.

»Genau derselbigten Meinung, derselbigten Meinung!« akkompagnierte der Spezereiwarenhändler, schottischte weiter und ließ seine Rauchwölkchen steigen.

Das mußte nun doch den Donnerjü ärgern und ihm empfindlich in die Hochmutskiste hineingehn. Das tat's auch, denn er stampfte wie ein Mongolenhäuptling mit seinen Transtiefeln auf und schrie dem Tanzmeister entgegen: »Gottverdomie! – halten Sie ein mit Ihrem verfluchten Getanze. Entweder – oder! – jetzt sind Sie an der Reihe. Ich vertrage keine langen Fisematenten!«

»Bong!« sagte Petrus Nagel, tänzelte dem Billard zu, billardierte aber in seiner entschuldbaren Aufregung glücklich daneben.

»Au!« machte der Kiwi.

»Unschuldsvoller Knabe – Sie Zichorienherzog!« hohnlachte Barthes und legte dem Verdutzten mit jovialem Lachen die Hand auf die Schulter: »So man immer weiter im Texte. – Herr Geheimrat, ich bitte.«

»Ad exercitium nostrum,« meditierte der Schreiber und versuchte mit einem Lächeln, das auf die Bezeichnung ›dulcamare-bittersüß‹ Anspruch erheben konnte, die Gefechtslage zu klären. Scharf fixierte er die zu treffenden Bälle, ging in die Kniebeuge, visierte noch einmal, um schließlich nach langer Erwägung, und nachdem er die verschiedensten Dessins in Gedanken durchchargiert hatte, die bündige Erklärung abzugeben: »In dubio – ich habe mich für das Doublieren entschieden.«

»Denn man zu,« sagte Barthes van Laak und begann ungeduldig zu pfeifen.

»Keine Störung,« meinte der Schreiber, »ich müßte sonst auch dieses Verhalten als contra leges erklären.«

»Schuß!« mahnte der Fingerhutshöfer, »sonst verschalen die Pullen.«

Der Geheimrat hatte gestoßen.

»Freundchen! – Freundchen . . .!« krähte Krispinus.

Der Spielball war in die Irre gegangen.

»Der kann seine Kollegen nicht finden!« lachte der Spezereiwarenhändler und exekutierte wieder seinen Pfeifen- und Indianertanz mit allen Schikanen. Dieses Mal aber war's ein wehleidiges Tanzen.

»Rrrrrrr!« ahmte der Donnerjü dem ausgerissenen Ball nach, »der hoppelt ja 'rum wie'n drehkranker Hammel. Jetzt wird Schicht gemacht, aber Oho! und mit allen Klarnetten. Prosit, Ihr Bauern!« und mit einem piekfeinen Kopfstoß brachte er die drangsalvolle Situation in seinem Interesse zu einem glücklichen Ende.

»Partie!« rief er lachend, daß die gesunden Zähne blank wurden, warf den Stiernacken zurück und salutierte mit dem Billardkö vor der Gegenpartei.

»So spielt der Fingerhutshöfer!« trumpfte er auf. »Mach's ihm einer nach zwischen Wissel und Xanten!«

»Höhöhöhö!« grinste der Kiwi.

»Wer lacht da?«

»Barthes, ich habe mir die Ehre genommen.«

»Was so Viechskerle sich alles nicht nehmen!«

»Oha!« grinste der Kiwi, »aber ich weiß wen, der billardiert und kartet Dir über.«

»Na, wer denn?«

»Das Wasser.«

»Und wo denn?«

»Am Leeloch.«

»Das weißt Du?«

»Das weiß ich. Da sind meine Katzen versoffen, da rummelt und kloppt das und karamboliert Dir eines Tages Hof und Scheuer und alles, was Dein ist, von der Pläne herunter.«

»Unsinn!«

»Fingerhutshöfer, das will ich auf die Bibel beschwören – auf das Buch, das ich dem Neu-Luisendörfer unter die Nase gehalten. Aber der wollte nicht schwören – und mußte doch schwören.«

»Die alte Geschichte!«

»Wenn auch – aber das mit dem Leeloch ist auch 'ne alte Geschichte. Da muß ein Kunträrdeich hindurch, und wenn Ihr nicht hört, kriegt Ihr eines Tages das Wasser, und alles wird rungeniert und zertöppert.«

»Wer sagt das?«

Der Deichvogel reckte sich auf. Mit der Hand fuhr er sich ungelenk über die eisgrauen Haare.

»Ich und der Deichgräf.«

»Äh!« machte der Fingerhutshöfer, »immer wieder der Deichgräf! – Gestern ist mir der Kerl schon begegnet – hochfahrig, langnäsig wie immer. Wäre besser geblieben, von wo er gekommen – da hinten in Holland. Aber das sag' ich Euch allen,« und er begann ungebärdig mit der Rechten zu schütteln, »versucht er wieder auf seinem verliebten Klimperkasten zu spielen – 'ne Bouteille mit Rotspon . . .«

Er schluckte die letzten Worte herunter.

»Freundchen! – Freundchen . . .

»Du solltest Frieden machen, Fingerhutshöfer!« rief Josias Spettmann dazwischen.

»Kiwi – Frieden mit dem da?! – Lieber Chausseesteine fressen.«

»Aber das Wasser – das nimmt Dir mal die ganze Pläne herunter!«

»Döskopp! – Blökt man, Ihr beiden! – Das zählt nicht mehr und gilt nicht mehr, als wenn ein paar Kühe herübergebrüllt hätten. Narren seid Ihr alle zwei beide!«

»Narren?!« prallte der Kiwi zurück. Beide Arme hatte er nach oben geworfen, »Barthes!« rief er mit blitzenden Augen, »wer zu seinem Bruder Du Narr sagt . . .«

»Fertig!« kommandierte der Donnerjü. »Ich lasse mir meinen fidelen Gusto nicht stören, denn fidel bin ich heute. Fidelität macht nobel – und nobel bin ich immer gewesen.«

»Freundchen! – das bist Du, das bist Du,« bestätigte Krispinus van Bommel.

»Videant consules!« rief der Geheimrat.

»Was heißt das?«

»Wir regardieren die Sache,« lautete die prompte Erklärung.

»Bong!« meinte der Spezereiwarenhändler, ohne mit der Miene zu zucken.

»Viechskerle seid Ihr!« lachte der Donnerjü mit brutaler Stimme dazwischen, »aber dess ungeachtet und trotzdem bin ich nobel wie immer: ich nehm' die Partie auf mich und bezahle die Pullen!« und noch bevor die andern sich von ihrem Staunen erholten, hatte er sich breitbeinig aufgepflanzt, das Kö aufs Billard geworfen und in die rechte Hosentasche gegriffen.

Jetzt wußte ein jeder, was kommen mußte.

»Achtung!« spektakelte Barthes, »Herr Schweinem, ich bitte.«

Der findige Schankwirt mit dem Stoppelkinn und der lustigen Bammelmütze verstand ihn, stellte sich ihm gegenüber und hob die rechte Hand in die Höhe.

»Fertig?« fragte der Fingerhutshöfer.

»Fertig,« lautete die ruhige Antwort.

»Gottverdomie! – denn also. Was kosten die Pullen?«

»Vier Talers.«

»Los denn, Herr Schweinem!«

»Höhöhöhö!« lachten die andern.

»Lacht nicht so dreckig!« rief Barthes, zog einen Taler hervor, ließ ihn etlichemal in der Hand tanzen, um ihn hierauf wie 'n Einglas ins Auge zu kneifen.

Fast gleichzeitig öffnete sich die Tür, und Gert Liffers war ins Zimmer getreten.

»'nen guten Abend, die Herren!«

»'nen Abend, Herr Deichgräf!«

Der Donnerjü kümmerte sich den Kuckuck um diesen, ließ das Silberstück fallen, fing es auf und voltigierte es geschickt in die Hand seines Partners.

»Die zweite Pulle!«

Dasselbe Manöver.

»Herr Schweinem, zum dritten!«

Klingend fuhr das geworfene Geldstück zu den anderen Kollegen.

»Herr Schweinem, zum letzten!«

»Der Kerl bringt mich um!« schüttelte sich Petrus Nagel, hielt sich den Bauch und wollte bersten vor lauter Vergnügen. Dabei stand ihm das Toupet wie 'ne Harlekintolle kregel nach aufwärts. Er glaubte über den Anblick des protzigen Gutsbesitzers ersticken zu müssen, er wieherte, keuchte und dennoch: die merkwürdige Ruhe des Gesichtes erinnerte unwillkürlich an die Physiognomie eines Sargdeckels mit blanken Beschlägen. »Hahaha!« wälzte sich der lustige Erzeuger von Nikola.

»Aus mit dem dreckigen Lachen!« warnte der Fingerhutshöfer, warf den Stiernacken zurück und klemmte sich wieder einen blanken Taler ins Auge.

»Herr Schweinem . . .

Klimpernd sprang das letzte Silberstück zwischen die halbgespreizten Finger des Schankwirts.

»Danke!«

»An die Gewehre!« kommandierte der Donnerjü und stürzte als erster sein Glas Rotwein hinter die Binde. »Prosit, Ihr Bauern! – laßt Euch das traktierte ›Schwart Water‹ bekommen.«

Mit einem hörbaren Ruck ließ er sich alsdann auf einen Stuhl fallen, invitierte die anderen ein Gleiches zu tun, und als der Herr Notariatssekretär Knippscheer die letzte Ausgabe des Niederrheinischen Kreisblattes zwischen Hose und Stuhl praktiziert hatte und den ersten Bordeauxduft unter die Nase erhielt, bekam er's mit der Begeisterung, riß sich auf und meinte mit einer schon halblallenden Zunge: »Hodie sumus sicut germani studentes, multum bibentes et nihil facientes – Dem generösen Spendierer – ein Vivat!«

»Vivat!« und abermals »Vivat!«

Für die prompte Ovation hatte der Donnerjü nur ein herablassendes Nicken, gab aber dem Wirt zu verstehen, daß er bei der zweiten Auflage 'ne bessere Marke anfahren müsse.

Alleruntertänigst beugte sich Schweinem bei dieser Weisung vor, brachte Daumen und Zeigefinger zusammen und gab einem verständnisinnigen Schnalzer die Freiheit.

»Lafitte?«

Der Donnerjü nickte.

»Aber, Freundchen! – Freundchen!« wandte sich Krispinus an Knippscheer, »wo kommt nur der feine lateinische Spruch her? Ich habe doch sonst nicht . . .«

»Nanu!« machte Sulpiz und tupfte mit dem Mittelfinger auf sein gestärktes Schemischen, was soviel bedeuten sollte, als: komische Frage, dämliche Unterstellung; natürlich auf meinem eigenen Grund und Boden gewachsen – eine beredte, wenn auch stumme Verteidigungsrede, die nur an dem fatalen Grundübel litt, auch nicht ein richtiges Jota für sich in Anspruch nehmen zu können. Sein Patron, Herr Notarius Johann Peter Gerechtsam, hatte seiner Zeit ein Poem unter dem Titel ›Novus cantus cum salamandro‹ zu irgend einer Notariatsversammlung gedichtet, und da er Sulpiz mit der Abschrift desselben beauftragt – na, und so weiter . . . Warum auch nicht?! – Was so viele andere tagtäglich vollführten – warum sollte das nicht der Herr Sekretarius Knippscheer riskieren?! Er log drum frisch drauf los und verausgabte Münzen als seine eigene Prägung, die einer anderen Stempelmaschine entstammten. Mit einem überzeugungstreuen und langgezogenen ›ipse fecit‹ schlug er zuguterletzt auch die leisesten Zweifelgelüste des emeritierten Seilermeisters zu Boden, stieß einen behaglichen Ton aus und versenkte die finnenblütige Nase ins Weinglas.

Inzwischen hatte sich Gert Liffers beim Kiwi niedergelassen, hatte die Beine übereinander geschlagen und blies nun, ohne sich um die andere Gesellschaft zu kümmern und in aller Gemütsruhe, den Rauch seiner Zigarre über den Tisch fort.

Lustig klirrten die Gläser der Invitierten zusammen. Jeder drängte sich heran, dem großmütigen Spender die Hände zu schütteln.

»Prost, Barthes! – Prost, Barthes!«

Alle schwenkten das Glas gegen ihn, lobten und hofierten was das Zeug halten wollte, denn der Donnerjü bezahlte ja alles. Dem Geheimrat stieg der Weinduft zu Kopf. Wiederum sah er sich veranlaßt, diverse Münzen, die nicht aus seiner Präge gekommen, in Kurs zu setzen, hob den Hosenboden vom Niederrheinischen Kreisblatt und sagte: »Hodie obliviscimur omnes molestias et curas, tam praeteritas, quam praesentes et futuras! – Herr Vetter, die Aleit!«

Der Deichgräf fuhr zusammen.

»Oha!« machte der Kiwi.

»Die Aleit – die Aleit!« klang's dem Fingerhutshöfer von allen Seiten entgegen.

»Und Deine Herzallerliebste!« stieß ihn der Donnerjü an. »Achtung, die Herren – die Laken-Sophie soll leben!«

»Soll leben – soll leben!« riefen die anderen.

»Ut Deus bene vertat,« seufzte der Geheimrat aus tiefster Seele und stülpte sein Gläschen mit Rotwein hinter die Binde, setzte dabei aber ein so wehleidiges Gesicht auf, daß Barthes van Laak sich veranlaßt fühlte, ihm in die Trauerparade zu fahren.

»Gottverdomie noch mal!« rief er mit jovialer Betonung, »unter'n Tisch mit der Sauertöpferei, in die Pierekull mit allem, was nicht lustig mit anstößt. Wenn der Fingerhutshöfer traktiert, will er nur fröhliche Menschen. Auch der da soll froh sein!«

Mit heiserem Lachen war er von seinem Sitz gestolpert und deutete mit klobiger Hand auf den Kiwi.

»Deichvogel, Achtung!«

Er griff in die Tasche, klingelte drin herum und brachte einen blanken Taler zum Vorschein.

»Deichvogel, Maul auf!«

»Pfui!« brummte Gert Liffers.

»Oha!«

»Achtung!«

Mit schnellen Fingern geworfen, klimperte die Münze gegen die Stirne des Kiwi und von hier auf den Boden.

»Aufnehmen, versaufen!« kommandierte der Donnerjü. »Nimm's als Traktament für den guten Rat von wegen des Deiches. Prosit, Ihr Bauern!«

»Schwere Brett! – wenn nicht das mit der Bibel . . .!« sprang der Kiwi vom Stuhl und fuhr sich durch die spärlichen Haare. »Und der Prediger hat nicht auf die Bibel geschworen, aber das tut nichts. Hier im Katholischen estimieren sie noch 'nen alten Propheten – und ich rate Dir, Barthes: nimm Dich vor dem Leeloch zusammen. Oha! denn ich rate Dir im Namen des dreieinigen Gottes – aber Deine lumpigen Taler hole der Düwel!«

Mit einem grimmigen Fluch stieß er den Holzschuh gegen das Geldstück, daß es klingend über die mit Sand bestreuten Dielen kullerte.

»Friß Deinen Mammon selber herunter . . .

Über seine kantigen Züge lief dabei ein blödes und dämliches Grinsen.

»Ich bitte – Friede und Freundschaft in meinem Lokal!« legte sich Herr Schweinem ins Mittel, klappte seine Schnupftabakdose auf und offerierte dem Fingerhutshöfer ein Prischen.

Der Donnerjü schob ihn beiseite, trat einen Schritt vor, stellte sich breitbeinig hin und strich seinen Schnurrbart.

»So, so, so – also das mit dem Leeloch! – Da bin ich ja an das rechte Kontor und die richtige Stelle gekommen.« Hierauf wandte er sich Gert Liffers zu und fragte, die Hände in den Hosentaschen vergraben: »Na, Herr Deichgräf, wie steht's mit der Sache?«

Auf allen Gesichtern machte sich eine ängstliche Spannung bemerkbar. Der Geheimrat duckte sich, und Krispinus van Bommel blinzelte mit seinem Fuchsgesicht erregt durch die Rauchkringel, die Petrus Nagel in nervöser Hast über die leeren Bordeauxflaschen qualmte.

Gert Liffers hatte seine Zigarre in einen Mundwinkel geschoben.

»Ort und Stunde,« entgegnete er in ruhiger Haltung, »dürften wenig geeignet erscheinen, diese Frage zu erörtern.«

»Warum nicht?! Man kann die Sache doch offen besprechen. Ich liebe Menschen mit offenen Visagen und 'ner offenen Meinung. Also, wo fehlt's denn?«

»Muß es denn jetzt sein?«

»Es wäre mir lieb. So 'ne Aussprache schluckt manchen Ärger herunter, denn was der Kiwi gesagt hat . . .«

»Das stimmt,« bemerkte Gert Liffers, »denn im Terrain, dem Fingerhutshof gegenüber, machen sich in der Deichführung offenbare Schäden bemerkbar.«

»Am Leeloch?«

»Am Leeloch,« sagte der Deichgräf mit aller Bestimmtheit.

»Und Ihr seid schon vorstellig geworden?« fragte Barthes van Laak und begann in seinen schweren Stiefeln zu wippen.

»Hier und in Wissel,« lautete die ruhige Antwort.

»Und da soll was geschehen?«

»Muß was geschehen. Es liegt in aller Interesse und vornehmlich in demjenigen des Fingerhutshofes.«

»Na ja – und wenn 'ne Frage erlaubt ist: auf wen fallen die Lasten?«

»Auf die pflichtigen Grundstückbesitzer.«

»Wo steht das?«

»In den Korporationsrollen aller Gemeinden.«

»So, so!« meinte Barthes van Laak und drückte die Kniee nach hinten. »Zum Beispiel mein Grundstück . . .

»Müßte die Kosten im Speziellen tragen, weil der von mir projektierte Flügeldeich fast ausschließlich seinem Besitzstand zugute kommt.«

»Ach, ne!« bemerkte der Donnerjü mit häßlichem Lächeln. »Da soll auch wohl Ihr funkelnagelneues Projekt meinen Grund und Boden als Fundamentierung benutzen?«

Der Deichgräf nickte.

»Am Leeloch?«

»Allerdings.«

»Weil Ihr es sagt und behauptet?«

»Weil ich es behaupte,«

»Kinder!« drehte sich Barthes van Laak um seine eigene Achse und klatschte giftlustig in die offenen Hände. »Hahahaha! – das wird ja 'ne prächtige Sache! – Das am Leeloch – das ist ja zum Lachen, zum Schreien . . .

Er schlug sich auf die Brust und streckte hierauf die geballte Rechte zur Decke.

»Mir das – mir, dem Fingerhutshöfer! – Gottverdomie noch mal – mir das zu bieten! – Mir da so kurzer Hand 'nen hundsmiserablen Deich durch meine Wiesen kommandieren zu wollen! – Wofür denn?! – Weshalb denn?! – Warum denn?! – Hahahaha! – diese forsche Idee ist wohl 'nem Geckenhause entsprungen! – Kinder, die Sache . . .

»Herr Vetter, nur ruhig,« legte sich Knippscheer ins Mittel. Der Wein machte ihn mutig. Mit lallender Zunge und stolzer Pose verausgabte er wieder Münzen von anderen Leuten als seine eigene Prägung: »Hodie obliviscimur capitalia et usuras, Deichgräfios et alias ejus modi creaturas. Herr Vetter, laßt den da doch reden!«

»Aber ich laß ihn nicht reden,« trumpfte Barthes van Laak auf.

Der Deichgraf war aufgestanden. Ruhig und fest begegnete er den Blicken des Mannes, der ihm sein Höchstes und Bestes auf dieser Erde genommen.

Gleichzeitig mit ihm hatte sich Petrus Nagel vom anderen Tische erhoben und war mit dem traurigsten Gesicht von der Welt näher getänzelt.

»Ich bin nicht derselbigten Meinung, absolut nicht derselbigten Meinung, Herr Barthes. Man soll ihn ruhig aussprechen lassen. Unsereins kann nie auslernen und nur von einem solchen profitieren.«

Er deutete mit der Spitze seines Pfefferrohres auf Gert Liffers und sagte: »Der Deichgräf ist Fachmann, und fachmännische Leute . . . Bong! – ich habe gesprochen.«

»Aber was Dummes,« gab der Donnerjü sein Petschaft darunter, »gesprochen wie so 'n verschnittener Bulle.«

»Hihi!« krähte Krispmus van Bommel, »der Barthes kloppt doch immer auf den richtigen Nagel!«

»Es ist ja zum Schreien, zum Lachen!« wandte sich der Donnerjü wiederum an seine Korona. »Kinder, am Leeloch! – mir da so ohne weiteres mein bestes Land zu verstänkern. Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – das sollte ihm passen! – Für uns Bauern aber, die wir an der Erde hängen, wie 'n Kalb am Euter der Mutter – für uns ist so ein Verbrüderungsrummel immer zum Ekel gewesen. Ein jeder für sich und Gott für uns alle! Wir Bauern hängen am Besitz, an der Scholle – und darum können mir der Staat, die Gemeinden, die Geschworenen und alle Deichgräfe auf 'nen Hümpel getan und zusammengenommen den Hobel ausblasen. Stimmt's, Kinder, oder hab' ich was Dummes geredet?!«

»Stimmt, stimmt!« schrieen die anderen, nur Petrus Nagel schüttelte den Kopf und sagte bedenklich: »Ich bin nicht derselbigten Meinung, absolut nicht derselbigten Meinung. Bong! – ich habe gesprochen.«

»Auch egal, was so 'n Zichorienherzog für 'ne Meinung sich aufsteckt! Solche Gutachten sind man erbärmlich kalfatert und ersaufen schon ganz von alleine. Mir das beste Stück Land mang meinen Wiesen durch 'nen ruppigen Querdeich verschängelieren zu lassen! Da kann jeder Polizeidiener kommen und sagen, er wäre der Kaiser von Rußland. Prima Qualität! – Reinstes Käse- und Fettbutterterrain – Gras wie Roggenstroh und über Mannsmenschenhöhe – ein Doppelgespann mit zwei brabantischen Ackergäulen versäuft drin . . . Und da will so einer wie der da . . .! – Das ist ja, um aus seiner Haut und dem Tempel Gottes zu fahren!«

Der Deichgraf biß die Lippen zusammen.

»Ich verbitte mir, Fingerhutshöfer . . .«

»Ach, was – hier ist nichts zu verbitten. Ich verlange mein Teil und will meine Rechte. Der alte Deich hat meinetwegen schon hundert Jahre gehalten und hält auch noch länger . . .«

»Er tut's nicht.«

»Tut's wohl!«

»Und wenn ich Ihnen sage . . .«

»Höhö!« lachte der Donnerjü, »dann ist erst recht daneben gehauen. Die alte Geschichte von den frischen Herren und den nagelneuen Besen, Herr Deichgraf!«

»Hier ist nicht von neuen Herren und frischen Besen die Rede. Hier liegt Notwendigkeit vor und ist Gefahr im Verzuge – und wo ich die Notwendigkeit einsehe, da verfecht' ich die Sache, bis das Wasser mir hier steht . . .«

»Nicht nötig!«

»Wohl nötig!«

»Nicht nötig!«

»Wohl nötig!«

»Und trotzdem,« wetterte der Fingerhutshöfer, »wagt es mir einer wegen des Querdeichs und sonstwie mein Terrain zu betreten oder um meinen Hof herumzuscharwenzen – sei's, wer es sei . . .«

In blinder Wut hatte er den Hals einer Flasche umgriffen.

»Pfui!« sagte verächtlich der Deichgraf.

»Auseinander, die Herren!« suchte sich Schweinem geltend zu machen.

Ein Tumult entstand.

»Weg da!« polterte Barthes. »Sei's, wer es sei – mit dieser Bouteille . . .«

Drohend hatte er die Flasche erhoben.

»Sackerment! – mit dieser Bouteille . . .«

»Donnerjü, geht schlafen. – Gute Nacht.«

»Wa . . .?!«

Vom Kiwi begleitet, ruhig, ohne jede Erregung, verließ Gert Liffers das Zimmer.

»Wa . . .?!« schrie der Fingerhutshöfer noch einmal. »Der Kerl scheint mir imponieren zu wollen?!«

»Tut er, tut er!« bekannte Petrus Nagel ehrlich Farbe, »und das gefällt mir am Deichgraf.«

»Sie können mir leid tun – Sie Zichorienherzog!«

»Bong!« sagte der Spezereiwarenhändler, »und nu trinken Sie man ihre Pullen alleine.«

Und dabei tänzelte er mit seinem Leichenbittergesicht, seiner brennenden Pfeife und der kregelen Tolle wie ein Tanzmeister von einer ›Benehme‹ aus der gastlichen Wirtstür.

»Fort mit Schaden!« lallte Barthes van Laak. »Ein Pereat dem Deichgräf und seine Proletengesellschaft! – Herr Schweinem . . .

»Zu dienen . . .?!«

»En avant, – vier Pullen Lafitte!«

»Und er ist doch ein Supsack,« dachte Krispinus van Bommel und setzte sich wieder.

»Ut Deus bene vertat,« meinte der Herr Notariatssekretär, »wollen wir lustig sein, lustig sein, lustig sein!«

»Wollen wir,« bestätigte Barthes van Laak und klemmte sich einen Taler ins Auge.

Draußen ging der Nachtwächter vorüber und rief die Mitternachtsstunde.

»Twelw hät de Klock . . .

Der Donnerjü riß das Fenster auf und jagte den harten Taler hinter ihm her.

»En avant – da kommen die Pullen!«

Und sie kamen in Wahrheit – kurzhalsig, langkorkig.

Und draußen hatte Petrus Nagel sein Fahrrad bestiegen. Mit ›Heidi‹ ging's nach Hause. Aber hinter ihm rummelten die Worte des Donnerjüs: »Prosit, Ihr Bauern! – Prosit, Ihr Bauern!«

 


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