Heinrich Laube
Reisenovellen - Band 6
Heinrich Laube

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Der Rhein.

Eine Rheinreise zu schildern ist heutiges Tages so überflüssig, als wenn Einer erzählen wollte, daß er ein Gedicht verfertigt habe – jeder gebildete Mensch macht jetzt Beides. Auch ist das Wort Rhein in Deutschland so bekannt und angesehen wie das Wort Nachtigall, man sieht und hört was Schönes, man ist entzückt, man himmelt bei dem Einen, wie bei dem Anderen, der Rhein heißt so viel als schöne Gegend; wenn die Engländer und Franzosen eine Vergnügungsreise nach Deutschland machen wollen, so verstehen sie unter Deutschland das Rheinland. Nun hat an den Ufern dieses Stroms das deutsche 224 Leben begonnen, als es in die Geschichte herausgetreten ist: die Römer sprachen vom Rhenus, ein Uebergang über den Rhenus war der Marsch in eine neue Welt, Cäsar schrieb vom Rhenus, Tacitus ebenfalls, der Rhein war Germania. Auch in der Folge blieb alle geschichtliche Entwickelung an diese Westseite Deutschlands geknüpft, das, was nächst den Frauen am meisten zu sprechen macht, der Wein kam ebenfalls von dort, der Rhein wurde für Deutschland eine Gottheit.

Vielleicht sind einst, ehe die Flüsse sich überall durchgearbeitet haben, in diesen Gegenden große Seen gewesen; waren die Mark und der anliegende Theil Norddeutschlands einst Meer, damit auf dem leichten Sandboden später Teltower Rüben und Kartoffeln wohl gedeihen könnten, so war vielleicht ein Aehnliches bei Hanau beabsichtigt, wo jetzt so große gelbe Rüben wachsen; der große Mainsee kann hier gewogt haben. In dem Becken von Mainz, das Rheingau hinauf, bis hinter Bingen, wo der Rhein sich plötzlich rechts durch Felsenberge wirft, wäre 225 dann die Stelle des Rheinsees. Denn hierbei sind die Geognosten in Wahrheit einfach und natürlich; hinter Bingen versetzt sich die Welt dergestalt mit hartnäckigen Felsen, daß der Rhein wohl Jahrhunderte lang Arbeit gehabt haben kann, um fortzuschreiten. Die Flüsse machen ihre Studien und Fortschritte eben so und eben so langsam, wie die Weltgeschichte und wie die Studenten. Ein lebendes Beispiel ist der Niagara, welcher einmal revolutionär den langsamen Entwickelungsgang verläßt, über den im Wege liegenden Berg mit dem ungeheuren Wasserfalle hinwegspringt, und den Berg nun auch rückwärts auszuhöhlen, zu vernichten trachtet, wie er es im herkömmlichen, gesetzlichen Falle nur vorwärts durch Untergraben und Abspülen thun sollte. Was kann der Gensdarmes und Herr Professor Leo gegen einen Fluß! der Fluß ist eine Brutalität, die nicht leicht überboten wird.

Zwischen Frankfurt und dem Rheine liegen noch Höhenzüge, die sich nördlich nach dem Taunus hin strecken; am Fuß dieses Gebirges in einem Thale 226 kleiner Wellenhügel liegt Wiesbaden breit und reich mit gastlich winkenden Landhausfaçaden, ein wohl genährter, üppiger Anblick südlichern Landes. Alles dehnt sich hier gemächlich und fest wohlhabend zu einem ächten, großen Bade, wo man eine Saison verbringt, um die Schwächen des Winters zu repariren, im Freien zu frühstücken, Sommerluft mit offnem Munde zu schlürfen, oder im prächtigen Kursale mit fremden Wesen Tänze zu versuchen, eine rothe Romantäuschung zu wünschen. Der dortige Kellner hält den Saal für den größten in Europa diesseits und jenseits, wie er sich ausdrückte, warum das süße Glück ihm rauben? Kenntniß ist nützlich und gut, aber die Illusion ist ein noch wohlfeileres Glück.

Ich kroch auf den Bergen umher, nach Blicken suchend in dies gesegnete Nassau, wo die Gesundheit in allerlei Gestalt aus der Erde quillt und die Kranken herbeilockt. Dies Ländchen ist wie eine Grotte, wo Schatten und Wein und allerlei Nahrung und Heil zu finden ist, Sagen und Nymphen 227 wohnen überall, schützend rauscht drüben an der Grenze der Rheinstrom hin. Die Bekanntschaft dieses Flusses zu machen, drängte es mich, als ob ich die Audienz bei einem großen Kriegshelden zu erwarten hätte; ich hatte den Rhein nur auf englischen Stahlstichen gesehn. Es war Abend, der Mond ging auf, als wir den Hügel von Wiesbaden her hinabfuhren, und der breite Wasserspiegel mir zum ersten Male entgegenschimmerte. Die Mondesstrahlen hüpften darauf umher, alle Wassernixen des Mährchens und Liedes tauchten dazwischen auf, Heines Jugendgeliebte, die Loreley, kämmte ihr goldblondes Haar, und aus den Uferbüschen kuckten die römischen Gesichter, welche einst hier gewesen; auf der Straße sah ich die Burgunder spaziren reiten, dann stiegen sie ab, verschwanden als Nebel; und die alten Ritter des Mittelalters setzten sich auf die Rosse und tummelten sie, bis die Jakobiner mit rothen Mützen aus allen Sträuchen gesprengt kamen, Alles verjagten, ein großes Geschrei erhuben und meine Mondesbilder scheuchten. Die breite 228 Schiffsbrücke von Mainz lag mit ihrer langen Lichterreihe wie ein Juwelenschmuck dicht am Busen des Wassers, Mainz ruhte drüben schwarz mit goldnen Punkten, vor mir die feste Vorstadt Cassel; bald war ich mitten auf dem Rücken des Stroms, und durch diese Schiffbrücke ward die erste Erinnerung eine moderne. Napoleon hat das kolossale Werk vorgehabt, über den hier sehr breiten Rhein eine steinerne Brücke zu bauen; hier in Mainz waren zur Schreckenszeit die wildesten Männer des Convents zu Hause, welche den Brand unter dem Heere schürten und selbst mit in die Schlacht schritten, St. Just besonders hat hier seinen wilden Fanatismus gepredigt, und seinen magern, bleichen puritanischen Jünglingskopf in die Schlacht getragen; hier, wo man jetzt in ausgewaschnem guten Deutsch meinen Paß forderte, begann das französische Kaiserthum.

Wer am Thore wohnt, hat mehr Abwechselung, mehr Freude und Leid von außen. Dieses Rheinland von Basel bis Mainz, der Oberrhein, und 229 von Mainz bis Holland, der Niederrhein, einst Hauptgermanien, ist durch die Jahrhunderte und den tieferen Anbau allmählig die belebte und bewegte Vorstadt Deutschlands geworden, wo die Weltgedanken, die Vermittelungen der Völker zuerst vorüberspringen, sobald sie lebendig, sobald sie Fleisch und Blut geworden sind. Dazu kommt, daß hier ein guter Wein wächs't, daß alles Leben leicht zu gewinnen, von schöner Natur lustig aufgemuntert ist, daß der Reisedrang von halb Europa hier zum Vergnügen hindurch schwirrt, schnellen Vortheil und flüchtige Berührung bringt – so ist ein Menschenschlag entstanden, welcher voll Farbe und Blut, voll leichter oberflächlicher Empfänglichkeit einen wirklichen Uebergang zu Frankreich bildet. Die Charakteristik mit wenigen Strichen erklärt es, daß die letzte politische Zeit hier den lebhaftesten Anklang finden konnte, ein näherer Einblick in das Land erklärt es, daß die Geschichte selbst die Rheinstämme bereit gemacht, allerlei neuem Interesse ohne Weiteres sich zuzuwenden, ohne Weiteres, obwohl das 230 deutsche Leben in seiner Tiefe und Mannigfaltigkeit hier am glänzendsten entwickelt gewesen ist. Bekanntlich war das deutsche Reich eigentlich zu Ende, als der erste Habsburg Kaiser ward, die Idee des Reichs, welche zusammenhielt, war begraben, die Idee der kaiserlichen Familie trat an die Stelle, Oesterreich entstand für Deutschland. So wurden die einzelnen Reichsländer wieder Atome, die in sich eine begründete und umschlossene Existenz suchten, und größtentheils Kleinstaaten wurden. Das große Bewußtsein eines großen Staates war dahin, und mit ihm all das, was hieraus erwächs't, das Gegliederte, das Organische, die innere nachhaltige Macht, der langsame, aber weite Blick. Man suchte das Nächste, man griff nach dem Nächsten. Das Rheinland, vielen kleinen Herrn gehörig, durch Gedeihlichkeit mehr als jedes andere zum leichten, unbekümmerten Sinne lockend, ward somit das Hauptbild des flüchtig und beweglich gewordenen deutschen Lebens. Die Wiege Deutschlands hat sich besonders das Schaukeln der Wiege erhalten. In diesem 231 großen Garten vom Bodensee bis Düsseldorf blüht allerlei Gesträuch, ist allerlei Geschmack, ein Garten aber ist es wirklich, und bringen sie's auch nicht zur völlig romantischen Zaunlosigkeit, ist auch bald bequemerer, bald einschränkender Konstitutionalismus, bald reiner Monarchismus das Herrschende, singt auch oben der wärmere Süddeutsche, spricht auch unten der kühlere Norddeutsche – ein besonderes, freieres Rheinleben haben sie sich dennoch erzeugt, ein gemeinschaftliches grüneres, als manche braune Länderchen unsers in die Tiefe gehenden deutschen Reiches.

Ich bin nur darüber hingeflogen wie ein Vogel, ich wollte nur in einem langen Blicke den Farbensaum des Rheins genießen. Es regnete fein und durchsichtig, als wir am linken Ufer hinauffuhren, um den Rheingau zu sehn; von Mainz bis Rüdesheim, nämlich auf der deutschen Seite, wenn der Turner diese schnelle Bezeichnung nicht übel nimmt, liegt dies Herzblatt aller Rheingegend, der Rheingau, und man fährt auf der linken Seite, um ihn 232 sonnenbebeckt liegen zu sehn wie das verheißene Land aus der Ferne. Es ist ja der Erde Loos, daß das Beste in der Weite liegt, und nur das Beste bleibt, wenn es weit bleibt. Und Alles hat ein Besser und Schlechter, auch der schöne, grüne Rhein: seine frühe Jugend ist reizend bis an den Bodensee, dann bezieht er die Schule und lernt und ist bleich und unbedeutend bis Mainz, hier geht er auf in Jugendfrische und Schönheit und Duft und Romantik, er erobert, er dichtet, er ist allmächtig bis Coblenz, dann kommt bis Bonn dem stattlichen Manne noch solch eine Zugabe alten Weiber-Sommers, er gewinnt noch hie und da ein leidlich Herz, bis die Kraft sinkt, er schleicht betroffen an Cöln vorüber, ermattet bei Düsseldorf, und sinkt uninteressanter und schwächer mit jedem Schritte zusammen nach Holland hinein, von seiner Geschichte zehrend und lebend wie die deutsche Politik, und sich wie diese tröstend mit der Naturanlage, mit der charakteristischen Bestimmung. Wer nicht schaffen und genießen kann, der tröstet sich, 233 der Trost ist ein Fruchthaus unter Glas, wenn das warme schöpferische Klima fehlt; wer keinen guten Tag gewinnen kann, der lobt seinen Mantel, der Trost ist eine deutsche Erfindung.

Wie unter einem Silberschleier lag drüben im Sprühregen das rechte Ufer, der Rheingau mit seinen dichtgesäten Ortschaften und Weinbergen. Rasch fuhr uns der Mainzer Kutscher dahin, all die berühmten Namen nennend, mit der Peitsche auf das vor uns liegende Ingelheim deutend. Dort ist Karl der Große geboren worden, später hat er einen großen Pallast dort erbaut, ein palatium, eine Pfalz. Hier soll sich auch die Geschichte mit Eginhard und Emma zugetragen haben, von welcher heut noch mancher Novellist zehrt, dieser Rheinstrich ist eine Bildergallerie der deutschen Geschichte. Am Fuße der Rochuskapelle, die auf einem sammtgrünen Berge allen guten Christen Absolution winkt, hielten wir still, Rüdesheim liegt gegenüber, die Welle des Rheins leckte an unsern Rädern, wir schifften uns ein; grün wie ein dunkler Smaragd 234 ist dieser Strom, diese prächtige Farbe hat er gemein mit den südlichen Bergflüssen, mit dem glänzend grünen Inn, mit der grünen Etsch, ein Schimmer der grünen Bergmatten seiner Kindheit bleibt ihm treu. Vielleicht darum, weil er in dieser Farbe so rein und lockend aussieht, haben sich so viel Wasserseen auf seinem Grunde angesiedelt, von denen die farblosen, traurigen Flüsse des Nordens nichts wissen. Welche reinliche Fee hätte wohl auch Lust, in den graugelben Elbstrom, in die ausdruckslos bleiche Oder zu steigen! und die blonden Haare der Wassernixen würden sich auch nicht ausnehmen auf dem schmutzigen Gewässer, und die Nixe hat ebenfalls ihren Toilettenschmuck. Der grüne Rhein mit der Leidenschaft seines bewegten, raschen Hinströmens ist das blühende, frische Leben, während die zögernden, zum Theil schwarzbraunen Flüsse des Nordens der Tod sind, Bilder des Styx.

Hier auf dem breiten, tiefen Strome bei Rüdesheim erblickt man die große, romantische Wendung des Rheins; abwärts nämlich, hinter Bingen, scheint 235 die Welt mit Bergen verstellt, hier beginnt sein Gang zwischen Felsen hindurch, auf denen die Schlösser hängen, wo die Nebel des Himmels geballt hindurch fegen, und jenen Gebirgsduft spenden, welcher die Rheinbilder so zauberhaft und lockend macht. Rückwärts nach Mainz, den eigentlichen Rheingau hinauf, liegt üppige, schwellende Ebene am Ufer, und die sanfteren Berge treten bescheiden einige Schritte zurück.

Trotz des Regens bestiegen wir in Rüdesheim die Esel, um auf den Rössel zu reiten; eins dieser Thiere, welchem der Rhein jetzt schon gleichgültig geworden ist, weil es ihn täglich sieht, führt den sanften Namen »Fritze«, und wird hiermit der Aufmerksamkeit der Rheinreisenden empfohlen. Es hat sich dieser Fritze ein sehr interessantes Verhältniß mit seinem Führer gebildet, welches lebhaft an zwei Eheleute erinnert: Fritze thut gewöhnlich das Gegentheil von dem, was der Führer sagt, und dieser ruft dann gewöhnlich »Himmel und Mantua!« und setzt sich in unverkennbaren Rapport mit Fritzen. 236 Ich habe nicht ergründen können, warum das gerade Mantua sein muß, Franz Horn würde wahrscheinlich muthmaaßen, es sei darum, weil Romeo nach Mantua geflohen sei. Kurz, Fritze und sein sanfterer, weniger pikanter Mitesel trugen uns über die Weinberge in den Wald des Rössel hinauf, wir gelangten an eine Ruine, wo der Berg jäh nach dem Rheine hinunterstürzt, ein Windstoß warf den Nebel aus den Schluchten, der Regen stockte, vor uns lag der schönste Rheinblick, den es geben soll.

Dicht unter uns liegt der Mäusethurm mitten im Rheine, dicht am Binger Loche, das seine schlürfenden Wirbel wälzt; Jedermann weiß aus der deutschen Naturgeschichte, daß Bischof Hatto vor den zudringlichen Mäusen hierher flüchtete, daß die Bestien nachschwammen und ihn auffraßen: für jeden, der die Mäuse nicht eben liebt, eine quälende, lehrreiche Geschichte; drüben, etwas rückwärts, fließt die Nahe in den Rhein, und führt ihr Wasser eine Zeit lang bescheiden an der Seite hin, wie die Reverenz eines schüchternen Mannes, welcher 237 den König sprechen will. Bei dieser Mündung am Ausgange des schmalen Thals der Nahe ruht die alte Stadt Bingen, wo Kaiser Heinrich der Vierte einst gefangen ward von seinem Sohne; es war der heilige Weihnachtsabend, an welchem die Eltern ihre Kinder beschenken, die Nacht war kalt und der graubärtige Kaiser schrie umsonst über den Rhein hin: Mein Sohn, mein Sohn! Noch weiter zurück öffnet sich über Rüdesheim hinauf der Rheingarten wie eine gelichtete, freundliche Zeit. Aber rechts, rheinabwärts, wo der Strom die Krümmung durch die Felsen schlägt, da sieht der Blick weit, weit hinaus in das dampfende Schluchtthal des Rheins, Felsenmauern, Ritterschlösser, ein kleiner, schüchterner, dahin geschleuderter Kahn, die ganze Rheinromantik liegt in blauem Dämmer da. –

Mit »Himmel und Mantua« kehrten wir zurück, und fuhren mit der schönsten Nachmittagssonne den Rheingau entlang, oder das Rheingau, wie man es an Ort und Stelle benennt. Hinten bleibt das Bergdüster des Bingener Winkels und die weit 238 lockende Rochuskapelle, rechts rauscht zwischen einfachen, blühenden Ufern die grüne Rheinwelle dahin, und mitunter hebt sich aus ihrer Mitte eine bebuschte Insel, links lehnen sich sanfte Hügel braun und gelb rückwärts, sie gehören zu der bekanntesten Geographie, für diese Hügel ist in Deutschland schon das Unglaubliche geschehn: auf ihnen wächs't der beste Rheinwein. Da ist Geisenheim, da ist Hattenheim, da winkt gar goldgelb, etwas aristokratisch abgelegen, der Johannisberg, der ächte Johannisberg, welcher dem Fürsten Metternich gehört, und wo es einen tiefen, kühlen Keller giebt. Das Wort Johannisberg gehört zur deutschen Nationalität, in ihm vereinigen sich alle Parteien.

Diese Rheingaustraße von Rüdesheim nach Mainz, dieser Weg von einigen Meilen ist eine fortlaufende Stadt, unsre Residenz des Weines. Die sieben oder acht einzelnen Städtchen, aus welchen sie besteht, haben nur immer ein Viertelstündchen Chaussée zwischen sich, damit man die Zunge wieder auf einen neuen Geschmack vorbereiten kann. 239 Bekanntlich hat dies Zungenvergnügen des Weintrinkens, welches im Norden Europas für ein dogmatisches Vergnügen gilt, das heißt für ein Vergnügen, welches über allen Zweifel erhaben ist, bekanntlich hat es auf den Universitäten einen ausgebildeten Kultus, welcher Komment heißt. Er ist sehr ausgebildet, und man muß sehr viel vertragen können, um sich auszuzeichnen. Drei Priester desselben, im gewöhnlichen Leben Studenten genannt, machten einst eine Reise von Bonn nach Heidelberg. Sie waren sehr gute Fußgänger, und erledigten des Tags mit Leichtigkeit acht Meilen. Ihnen begegnete das Wunderbare, daß sie einen ganzen Sommer lang die scheinbar kleine Strecke bis Mainz nicht zurücklegen konnten; man nennt dies den Bann des Rheingaus; auch ich habe ihn empfunden, obwohl ich nicht vom Wagen gestiegen bin, ich habe nämlich nicht begreifen können, wozu es hier Schuster und Schneider giebt, wo blos Winzer, Bötticher und Kellner nöthig sind. Man schwimmt durch eine einzige große Blume bis nach Biberich, denn erst dort, 240 wo der Herzog von Nassau dicht am Strande des Rheines Hof hält, endigte diese großartige Weinkarte. Auf dieser Karte liegen auch die vielen Landhäuser reicher Kauf- und Edelleute aus Mainz, Frankfurt und der Umgegend, welche so gefällig sind, oft die schönsten Punkte den Engländern zu vermiethen für ein Paar hundert lumpige Guineen. Die Gegend selbst ist nicht berauschend schön, sie ist heiter, lieblich, weich und behagend. Hier liegt auch das Brentano'sche Landhaus, von welchem Bettina spricht in dem Briefwechsel Goethe's mit einem Kinde, und in dessen Nähe die Günderode sich das Leben nahm. Mußte sie sich auch just einen Ort wählen, der sonst so vielen Deutschen das Leben gibt! Die Arme!

Die Residenz Biberich, deren Fenster sich im Rheine spiegeln, sieht eben so aus, als erwartete man die alten Ritter und Herrn, um ein Turnier oder einen Minnehof abzuhalten.

Von Mainz wissen Manche, daß es eine Bundesfestung ist, aber daß es zu Hessen-Darmstadt 241 gehört, ist Vielen eine Neuigkeit. Wir fuhren des Nachts über den Rhein und in einer Fähre über den Main, um nach Darmstadt selbst zu kommen. Dies Hessen ist nur ein mageres Leinwandfutter gegen Rheinhessen; ein trocknes Waldland, was erst südlich nach dem Neckar hinauf zu in die Bergstraße ergiebig ausschlägt. Seine Verlängerung nach Norden hin, welche durch Frankfurt unterbrochen wird, führt in das ganz dürftige Niederhessen, wo die Vogelsberge streichen, und das kleine Gießen Studenten wünscht. Unter uns gesagt, ich weiß nicht, wie die kleinen Universitäten bei einiger Kraft bleiben und fortbestehn sollen, da alles Bedeutende in den großen Anstalten koncentrirt wird. Diese Centralisation macht sich mehr und mehr bei uns in dieser Weise geltend, und sie hat die Fähigkeit in sich, um so mehr nach der Breite zu wachsen, je mehr sie nach der Höhe wächst, die Studentenzahl lockt den Professor, der Professor die Studentenzahl, und das Ensemble erzeugt von selbst den Aufwand, die Centralisation, eine gefürchtete und 242 getadelte Macht, die durchweg in der heutigen Entwickelung begriffen; es wird umsonst sein, sich gegen sie aufzulehnen, man muß sie leiten. In fünfzig Jahren sind die kleinen Universitäten, dieser Stolz der Mannigfaltigkeit Deutschlands, als solche verschwunden. Stellt Eure Wirthschaft bei Zeiten auf solchen Umzug.

In diesem ärmeren Hessen hat es in letzter Zeit die meisten Demagogen gegeben, wenigstens hat man hier die meisten gefunden.

Darmstadt selbst liegt in einer Waldgegend. Ich weiß nichts davon zu erzählen, als daß man des Nachts dort ganz ungestört schläft, und daß es auch des Morgens noch ganz stille war. Die Sonne schien, als uns der Postillon durch breite, vornehm ruhige Straßen hinausfuhr, welche neben großen Gärten schlummerten; meine Begleiterin meinte, hier müßten die Kinder recht gut gedeihen, es wäre friedlich und ohne Wagenstörniß, sie könnten spielen nach Herzenslust. Woher Verkehr und Erwerb und befruchtendes Leben in diese Haideeinsamkeit kommt, 243 hat mein flüchtiger Reiseverstand nicht ergründet, was kümmert's mich! ich ließ mich lustig in den Wald hinein rollen, aus welchem ein Trupp schöner und schön berittener Reiter uns entgegen kam. Der befehlende Wachtmeister schwenkte eine hübsche Hetzpeitsche in der Hand; man ist diesen Anblick nicht mehr gewohnt, das Instrument mag aber seine guten Dienste thun, um Kavallerie einzuexerciren.

Die Waldberge des alten Melibocus drängten sich neugierig herzu, neben ihnen hin läuft die Bergstraße zwischen Darmstadt und Heidelberg. Diese Bergstraße ist ein sehr hübscher Weg: die Berge, welche man im Osten hat, sind weich und reich belaubt, mit Ruinen geschmückt und in lockender Nähe, man fährt durch fruchtbare Obstgärten hin; nach Westen dehnt sich die Pfalz flach und eben nach Mannheim, nach dem Rhein hinüber; aber diese Bergstraße wäre ein viel hübscherer Weg, wenn sie nicht für so ausgezeichnet gälte, sie ist kleiner als ihr Ruf, es giebt schönere Straßen. Man denkt sich auch unter dem Ausdrucke Bergstraße etwas 244 ganz Anderes, die Berge sehen blos drein, und man fährt in einem meist ebenen Garten dahin; auch mit dem Rheine hat man nichts zu schaffen, wie's nach den Schilderungen oft zu klingen scheint. Zu viel Kourmacher schaden der Hochzeit, zu viel Lobpreiser dem Reize. Aber der eigentliche Süden Deutschlands fällt hier mit tieferen Farben auf uns herab, das Kolorit der Laubberge ist dunkler, sammtner, gesättigter, der Himmel ist blauer, seine Kastanien gedeihen, der Mandelbaum grüßt, Heidelberg liegt hinter dem Berge.

Heidelberg! Das klingt wie Minnegesang, wie Walter von der Vogelweide, wie Romantik dunkelblau; wenn man das Wort Heidelberg ausspricht, so heißt das so viel als »Ach ja, dahin, dahin!« Dort wohnt die lyrische Poesie in eigner Person, man sitzt unter dunklem Laube am Bergeshang und schaut in's Paradies hinab, seufzt, schließt die Augen und öffnet sie wieder.

Neidisches Schicksal! Dieser Genuß hätte für mich seine Unbequemlichkeit gehabt, denn als ich 245 um die Bergecke fuhr, fing es an zu schneien, der schönste Spätherbst erkältete sich einen Nachmittag lang, und Heidelberg, wo jeder anständige Mensch schöne dunkle Farben voraussetzt und dem Prinzip nach nicht zugiebt, daß es Koth schneien könnte, Heidelberg am Neckarstrom trat mir weiß- und schmutzgesprenkelt entgegen. Dies abgerechnet war es auch unter Anderem ganz anders, als ich mir's gedacht hatte; dafür kann Heidelberg nicht. Es kriecht in eine Schlucht hinein, das Schloß sitzt ihm näher auf Hals und Schulter, der Ort dehnt sich länger und schmäler, als man nach der Beschreibung denken sollte; der Neckar wird dadurch zudringlicher, der weitere, geschmeidigere Blick fehlt. Aber es ist in seiner Art beinahe eben so schön. Das Feenhafte ist nicht da, die alte Ruine liegt nicht frei, unbeschränkt wie ein Mittelalter schlafend, in ein weites, weiches Thal mit schlummerhaftem Auge blinzelnd, nein, das große alte Gebäude kriecht gemsenartig dicht über der Stadt umher, und ist mehr eine Welt in sich mit Schatten und Vorsprung, 246 mit Blick und Fall; die Formen und Winkel des Thals sind schärfer, das Gebirg dahinter, der Königsstuhl und so weiter ist höher, die unklare Ebene nach der Pfalz hinaus ist verdeckter und darum interessanter.

Heidelberg ist pittoresker aber weniger zauberhaft, als die gewöhnliche Beschreibung verkündet.

Wenn man hier auf einem großartigen Residenzschlosse der Pfalz die Franzosen eine Zeit lang haßt, welche dies blühende Land zum Manövreplatze ihrer Verheerungen gemacht, welche an diesen prächtigen Felsmauern mit dem Schießpulver Versuche angestellt haben, so ist dies eine ganz natürliche Regung. Es gibt Orte, welche geheiligt sind durch den Stempel der Gottheit, ein solcher Ort ist Heidelberg. Sogar Matthisson hat hier sein bestes Gedicht empfangen, sein »Schweigend in der Abenddämm'rung Schleier«, was verlangt Ihr mehr?

Am großen Schwetzinger Garten vorüber flacht und vereinfacht sich das badische Land nach Carlsruhe hin mehr als nöthig wäre; westlich drüben 247 geht schmucklos in der Ebene der Rhein, und von seinem jenseitigen Ufer waren es nur der Dom und die Thürme von Speier, welche einen Gedankenanhalt gaben in diesem ganz reizlosen Landstriche. Heidelberg ist hier der äußerste Vorsprung nach Westen, wo das Land in Berg und Thal Schönheit erzeugt. Die Rheinufer sind sehr einfach, selbst bei der freundlichen Pfalzhauptstadt Mannheim, und so den Rhein aufwärts nach Straßburg hinauf. Das heitere Land hat sich hier auf's linke Ufer aufsteigend hingelagert, dort nämlich lacht das warme Rheinbaiern mit seinen freundlichen kleinen Städten, Burgen und Weinbergen, mit seinem Hambach, seinen Hardtbergen, seinen lang aufgeschossenen, dunklen, leicht erregten Bewohnern.

Diese Richtung läßt man immer weiter rechts liegen, und durch den einförmigsten, traurigsten Strich Badens nähert man sich dem Laubwalde, in welchem Carlsruhe liegt. In dieser fächerartig gebauten Stadt, wo alle Straßen nach dem Schlosse, dem Griffe dieses Fächers auslaufen, findet man 248 schon die erste französische Färbung, und wenn man sich über Rastadt wieder rechts nach dem berühmten Baden-Baden wendet, so ist man plötzlich in eine romantische Thalschlucht versetzt, wo alle Sprachen Europa's durcheinander spaziren, wo großartiges Gasthof- und Luxustreiben an die Hauptstadt-Existenz erinnert, und wo die schwarzgrünen Waldberge romantische Stimmungen in die Seele drücken. Diese mannigfaltige Eigenschaft, überall im größten Stile ausgeprägt, macht Baden zu demjenigen Bade, was vorzugsweise das Bad genannt wird. 249

 


 


 << zurück weiter >>