Heinrich Laube
Reisenovellen - Band 6
Heinrich Laube

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Die güldene Aue.

Es war ein finsterer Morgen des Herbstes, als ich wieder einmal die so oft betretene Straße von Naumburg nach Kösen fuhr, wo dunkelblau im Thale dicht an der steilen grünen Berglehne Schulpforta steht. Weiße Nebel wogten hier in der Pforte von Thüringen umher, wo so viel sächsische Gelehrsamkeit aufgewachsen ist. Die Mönche haben einst von der Saale einen Kanal abgeleitet, welcher die Pforte und deren Föhrenwäldchen bewässert. Hier wohnt der kühle Schatten und die Nachtigall, hier sickert hinter der groben Holzthüre hervor die Klopstocksquelle, an welcher er oft gelegen haben soll, da er 70 noch Knabe war, und die ersten Verse empfand. Hinter dem Berge im mannigfach geschlitzten, bewegteren Thale liegt Kösen mit der dampfenden Saline und den hölzernen, eintönig knarrenden Gradierhäusern. Mein alter Freund, der Chausséeeinnehmer an der Brücke, erkannte mich nicht im dunklen Herbstnebel, so geht das Bekannte oft unbemerkt an uns vorüber. Resignation ist zu jedem Glücke nöthig: Anfangs beunruhigte es mich, als ich hier an der Heerstraße nach Frankreich wohnte, wo die Reisewagen so zahlreich vorüberflogen, es beunruhigte mich besonders zur Nachtzeit, wenn das Posthorn unter meinem Fenster klang und der Wagen vorüberschüttelte – welch ein Freund, welch ein schönes Auge, welch ein vielerfahrener Mann der Reise und der Weltgeschichte konnte da ungesehn vorübereilen! Wie ruhig ist ein stilles Thal tiefer im Gebirge, oder im Lande, wo kein Postwagen hinkommt, wo keine Ansprüche und Möglichkeiten geweckt sind! Dahin sollen wir die Liebe und die Trauer retten, wenn die eine oder die andere noch unser Herz erfüllt; 71 die Landstraße ist unsicher vor allerlei Räubern, die Menschenwelt ist immer feindlich, wer nicht auch in Rüstung schlafen kann, der muß sie verlassen.

Hier führt eine alte steinerne Brücke über die Saale, Napoleon ist stets darüber gefahren, wenn er zu den deutschen oder russischen Schlachten eilte anno 6, anno 12, anno 13. Seit er die Kösener Brücke nicht mehr gesehen, hat er auch Deutschland nicht wieder gesehn. Sie war der Wegelagerer-Punkt für die alten Ritter, die auf der Rudelsburg, auf Saaleck, auf den Eckartsbergen, der Freiburg, Burg Scheidungen näher oder ferner haus'ten, und denen der Kaufherr mit den Saumrossen erwünschte Beute war. Ueber den Saalspiegel hinauf, just im Winkel, wo sich die Berge wenden, sieht man jetzt noch dürr, grau und öde den Trümmerrest der Rudelsburg, welche an dieser Brücke ihr Leben verloren hat. Der Kaiser kam, und mißbilligte mit hartem Schwerte das Wegelagern dahier, und zog hinauf und stürmte und schleifte die Festen.

72 Einen Büchsenschuß ab von der links und rechts in's Saalthal schauenden Rudolphsburg liegt tiefer, auf weichem Hügel, Schloß Saaleck, von welchem rund und schlank wie stille Warten zwei Thürme übrig geblieben sind. Das Schloß zwischen ihnen ist rein verschwunden, und der Anblick erinnert an zwei Liebende, die sich täglich sehn und nie umarmen können.

In diesem Höhenterrain an der Saale, wenn es auch mitunter kalksteinkahl und ein wenig gefleckt von Farblosigkeit entgegentritt, sind viel verborgene, lockende Thalwinkel und Kessel, die an den mehr und mehr beginnenden Waldungen erquickenden Hintergrund finden. Dieses mitunter störsam Kahle zieht und wechselt noch fort durch Höhen und Gründe über Jena hinaus, wird aber dann südlich und westlich von gesättigten Laubdunkel des Schwarzburgischen und Meiningschen Waldes weich bedeckt. Ich erinnere mich aus den Studentenwanderungen mit sommer-kühlem Behagen des schwarzgrünen Schwarzathals mit seinem plätschernden Bache, mit 73 der erhöhten Schwarzburg, wo in der schweigenden Einsamkeit die Günther gehaus't, von denen Einer deutscher Kaiser war; unten auf einer Waldwiese gingen Hirsche, neben uns wurden die Schnabelschuhe gezeigt, mit welchen die Jungfrau Maria über das Gebirg gewandelt.

Dort jene Bergesscheide entlang, welche bis Eisenach hinauszieht, nach Hessen hinüber in die Rhöngebirge ausgeht, und überall südlich hinab nach Franken fällt, dort zieht der eigentliche Thüringer Wald, kurzweg der Wald geheißen, ein Gebirge, was mir stets den romantischen, totalen Eindruck einer vollen, dunkelbelaubten Bergeswelt gemacht und mich geschlossen, klang-, sang- und schattenreich angeweht hat – mehr als der Harz, der mir zerrissener, vereinzelter, und nur an wenig Stellen eben so sanft rauschend und lockend erschienen ist. Hier in diesem Walde, den man einige Meilen zur Linken hat, wenn man die große Straße über Weimar, Erfurt, Gotha, Eisenach fährt, in diesem dunklen Bergwalde haben wir als Studenten glückliche Lieber 74 gejubelt, wenn wir am Kohlenmeiler ein karges Mahl verzehrten, oder der Abhang sich öffnete beim Morgenscheine, und man hinabsah auf das gesegnete Land. Hier findet man die grünen, dampfenden Thäler des Inselberges, Ruhla, das reizende, wo die Meerschaumköpfe geschnitten werden, wo es die hübschesten Mädchen und immer Vogelschießen giebt. Es zittert Sonnenschein durch dicht belaubte Bäume, es steigt blauer Rauch klar durch die Luft, es pfeift ein Waldvogel, es lächelt ein frisches Mädchen verschämt, es klingt ein muntrer Holzschlag durch den Wald, und es knallt eine Büchse durch das Holz, wenn ich an Thüringen's Gebirge denke. Der Busch heißt hier ein Holz.

Rechts, also nördlich von dieser Heer- und Städtestraße, welche sich von Leipzig über Weißenfels und Naumburg bis Eisenach durch Thüringen zieht, und links den Wald zum Seitengrunde hat, rechts von dieser Straße erheben sich nach Norden kleine Hügel, und trennen diesen dunkleren Landestheil von dem lichteren und in seiner Art eben so anmuthigen, 75 nämlich von der güldnen Aue. Sie zieht sich wie ein glänzender Garten zwischen diesen Hügeln und den Vorbergen des Harzes hin, welche bis hier herein die Abhänge strecken.

Einst, es war ein luftiger Sommermorgen, fuhr ich mit einem Freunde in die Bergschlucht hinein, welche in Kösen die Hohle genannt wird, und wo über Bergebenen und tiefe Thäler der Weg nach dem Bade Bibra, und wenn man direkt nördlich weiter will, nach dem Harze hinauf führt. Wir hatten einen starken Klepper, waren unsre eignen Kutscher, dürsteten nach Luft und fröhlicher Bewegung, waren anspruchslos und gesund – wie lockend tritt da Land und Gegend und Menschheit zu uns!

Bibra ist ein Bad, wo gar nicht gebadet wird, und getrunken werden könnte, der Bürgermeister wird immer zu den Badegästen gerechnet, und eine Liste wird nicht geführt, weil sie eine Verlegenheit mehr wäre. Es ist ein verlegener Ort ohne Ansprüche, der seine Verlassenheit auf die leichtsinnig wechselnde Mode schiebt, wie es alte Jungfern zu 76 thun pflegen, die sitzen geblieben sind. Beide haben ganz Recht, dies zu thun, da sie nichts Besseres thun können. Der Wirth, bei welchem wir sehr einfach frühstückten, sagte, das Wasser sei gegen den Unterleib; obgleich ich nun das Wasser vorziehe, welches für den Unterleib ist, so gebe ich doch gern zu, daß die Wirkung des Bibraschen Brunnens sehr stark sein muß, wenn es seinen Badegast von der Melancholie heilt. Die Trinkanstalt ist solchen Verhältnissen angemessen sehr bescheiden, und für die drei Badegäste der belebten Saison ist die Promenade von genügendem Umfange, da man bei einem Badegast, welcher nach Bibra geht, Resignation und Bildung voraussetzt. Eine solche verlangt nicht, immer gemeinschaftlich und in einer Linie zu promeniren. Wie Rom Neapel, so beneidet Bibra Kösen, wirft ihm das Bischen Salzsohle und Saalwasser vor und beruft sich auf seine Alterthümer. Das ist nicht mehr als billig, wir ließen's uns gesagt sein, und fuhren weiter, sandige, breite Berge hinauf, wo weit umher nur eine Schenke tröstet, 77 so viel ich mich erinnere »die Wespe« genannt, welches Namens Ursprung uns undeutlich verblieben.

Eine lichtgrüne Holzung auf der Berghöhe nahm uns auf, und als sie jenseits wieder abwärts fiel, öffneten sich uns die ersten Blicke in die güldene Au. In breiten, gesegneten Flächen zwischen sanfter Hügelreihe, die sich mehr und mehr nach Norden und Nordwest erweitert, zieht sie sich hin von Memleben bis Nordhausen, durchströmt von der dunklen, schmalen Unstrut und dem raschen Helmeflüßchen. Die Fläche ist besät mit Ortschaften aller Art, aus den schattigen Hügeln blickt ein Städtchen um das andere; ein güldener, heiterer Mittelpunkt Deutschlands. Unser Klepper wieherte und setzte sich in eiligen Trab die Berglehne hinunter, an deren Fuße Memleben liegt. Dieser von den Ottonen so begünstigte Ort, in welchem die stürmischen Kaiser Heinrich I. und Otto I. ländlich lebten und auch gestorben sind, ist ein breites, stilles Dorf mit den zur Unbedeutendheit verfallenen Ruinen eines Benediktinerklosters aus jener Kaiserzeit. Es soll früher 78 Meinleben genannt worden sein, und einem Lieblingsspruche des einen Kaisers sammt den Städtchen Wiehe und Wolmirstädt, welche südlich aus den Hügeln nicken, seine Benennung verdanken: »Wie – wohl mir steht – mein Leben!«

Noch jetzt steht es ihm wohl, die Aue lacht, die Frucht gedeiht, durch blühendes Land, an der Unstrut hin trabte der Klepper, durch Schloß Wendelstein, das hoch auf bröckelndem Felsen mitten in der Ebene steht, durch Roßleben, das Salz bereitende Artern nach dem Fuße des Kyffhäusers, welcher die höchste Spitze und eine scharfe Ecke der südlichen Hügel bildet. Rechts öffnet sich mehrfach der Blick nach den Harzlehnen, aus dem weißbeflockten Himmel lachte die Sonne weithin über ein liebliches Land.

Kyffhäuser, rothe Kyffhäuserburg,
Wie freut's mich, daß du noch lebst!

Ich hatte von Jugend auf die kindische Furcht, daß berühmte Leute und Orte nicht so lange dauern möchten, bis ich sie gesehn hätte. So war mir 79 stets mit einer gewissen Kaisermystik vom Kyffhäuser erzählt worden; Kaiser Rothbart, oder sonst einer, denn die Mythen sind philologisch und haben verschiedene Lesarten, sollte hier verzaubert sitzen, und wenn einmal der Zauber gelös't wäre, dann stiege er hernieder in die güldene Aue, die Jagdhörner der alten Zeit klängen melancholisch und lustig durch alle Thäler, und das deutsche Reich stünde wieder auf im Norden und Süden.

Jetzt saß ich wirklich in holder Mittagswärme an seinem Fuße; das Oertchen Tilleda, wo die Dreschflegel überall Takt schlugen, und welches belagert war von mehreren Schweineheerden, hatte mich durch einen Eierkuchen gestärkt, meinethalben konnte es jetzt losgehen mit der zauberhaften Entzauberung des Kyffhäusers. Der Klepper war geschürzt, der Tilledeser, der uns leiten sollte, stieg barfuß voraus, zweifelhaft fuhr ich hinterdrein. Den steilen Berg hinauf zu fahren, hat ein frivoles Ansehn, an Warnungen hatte es nicht gefehlt, und es war doch störsam modern, in einer Naumburger Droschke dem 80 alten Kaiser Rothbart, welcher da oben sein Mittagschläfchen hält, die Aufwartung zu machen.

Berge breiten sich immer aus, wenn man näher zu ihnen tritt, wie Menschen, die man nur aus der Ferne betrachtet; die steile Ecke, als welche der Kyffhäuser von Weitem erscheint, wird ein mannigfaltiger, weitläufiger Berg mit Schluchten und Wald, mit rothen Sandsteinbrüchen und grünen Wiesenplätzen, der sich rückwärts an andere Höhen lehnt. Der Fahrweg ist schmal und steil, und kann sehr unangenehm werden, wenn es den Tilledesern just einfällt, zu gleicher Zeit einen Mühlstein von oben herunter zu bringen. Auf einem gehügelten Kamme oben starren trotzig die gewaltigen Mauerstücke, welche von einer sehr weitläufigen Burg noch übrig sind, der weitläufigsten, die ich je gesehen habe.

Der Klepper fand Grasung, wir sahen zu großem Genüge die prächtige Aue im milden Sonnenscheine gülden ringsumher, den blauen Harz, Sangerhausen, Nordhausen, das populäre, das schnapserfinderische, den gefürchteten Rival meiner 81 heimathlichen Liqueur-Hauptstadt Breslau, sahen rückwärts gen Süden über die waldigen Hügel hinweg bis in die Mittelebene Thüringens, zur Cyriakswarte von Erfurt. Und Erfurt besonders hat viel im kriegerischen Wechselverhältnisse mit dem Kyffhäuser gestanden. Mein Freund und Begleiter, ein Thüringer natif, und noch obenein ein Langensalzer, störte meine Illusion durch einen Schneidergesellen, welchem er alle Theilnahme zuwendete. Unterwegs nämlich hatte er in einer Buchschatzkammer, deren antiquarischer Werth oft leichtsinnig übersehen wird, in einem einfachen, bescheidnen Käseladen mehrere alte Druckblätter entdeckt, worin ausführliche Meldung geschieht von einem Schneidergesellen aus Langensalza, welcher eine Zeitlang den Kyffhäuser besetzt gehalten, und sich deutscher Kaiser genannt habe.

Das deutsche Kaiserreich hatte wirklich so etwas Burschikoses, daß ich die Fortsetzung desselben durch Studenten immer natürlich gefunden habe. Mein Freund war durch den Vorwurf, Thüringen habe keine Kaiser erzeugt, gereizt worden, und spottete 82 nun gegen mich, den schlesischen Barbaren, daß selbst thüringische Schneidergesellen ihr Haupt zur Kaiserwürde aufgereckt hätten. Und Langensalza war obenein lange Zeit eine Hauptstadt von Thüringen; dies Gemisch von Hauptstädten, die alle kein eigentlich Uebergewicht erlangten, hat einer Gesammtkraft und Aeußerung des Landes sicherlich geschadet.

Der Freund hatte aber auch Bechsteins Sagenschatz des Thüringer Landes bei sich, und las mir Angesichts dieses blühenden Reiches daraus vor. Bechstein, der mit unermüdlichem Fleiße dafür sammelt, macht sich dadurch sehr verdient; solch häuslich Leben eines Landes, in welchem sich Sitte, Neigung, Anlage, Geschichte charakteristisch abspiegelt, ordnet und bereichert das Bewußtsein einer Nation. Ich erzähle wieder, was ich auf dem Kyffhäuser gelernt habe.

Im Mythennebel liegt mit sehr unbestimmten Umrissen ein Königreich Thüringen von der Wetterau bis an die Elbe, vom Harz bis an den Main, wo er jenseits des »Waldes« im Frankenabhange bei 83 Bamberg, Schweinfurt und Würzburg fließet. Odin, Thor und Freia seien da verehrt worden, der Stuffenberg am Harze habe noch vom Gott Stuffo seinen Namen, der Name Thüringen datire vom Gotte Thor, der bei Thornburg, dem heutigen Dornburg, einen heiligen Hain gehabt. Bei Arnstadt nenne man den Donnerstag heute noch »Thurstig«, im thüringischen Henneberg»Thorstag«, in Ruhla »Dornstig.«

Dies thut man freilich in Schlesien auch, wo der Bauer Dornst'g oder Durnst'g sagt, und so wie man den Freitag der Göttin Freia (Friga) vindicirt, so gehört der Donnerstag überall dem Gotte des Donners, dem Thor. Die andere Ableitung, von Döringt (thöricht), wie das Volk von den Sachsen genannt worden sei, ist allerdings charakteristischer. Ein schöner blonder Sachsenjüngling nämlich sei mit einer goldnen Kette um den Hals zu einem Ackersmann jenseits des Harzes getreten, und habe ihm die Kette vertauscht für einen Schooß voll Erde. Darauf hätten die Sachsen 84 diese Erde getrocknet, fein gerieben und damit ein groß Stück Land bestreut, sagend: dies ist jetzt unser Land, mit unserm Golde erkauft, Ihr aber seid Döringt! Die Sachsen hätten sich angebaut, und die Döringt über den Harz herunter in die Aue gedrängt.

Eine dritte Erklärung läuft auch wieder auf die Thorheit dieses Volks hinaus, nämlich als Alexanders Feldherrn unten im Süden viel Kriegsunheil schafften, wanderte ein Volk auf zwölf Schiffen aus, und kam in die Gegend von Lübeck, wo die Thyrigeten oder Theuern-Gothen wohnten, welchen das Fechten nicht geläufig war. Sie versuchten es aber doch, und da es schlecht gerieth, wurden sie von den Fremden Thürlinge genannt und tief in's Land zurückgeworfen. Aus Thürlingen seien die Thüringer entstanden. Jene Fremden nannten sich Petreoli, zu Deutsch »Kieslinge«, die Thürlinge hätten ihnen die lateinische Benennung Saxen verliehn.

Daß sie nicht die klügsten gewesen sind, unsre Thüring'schen Ahnherrn, scheint naiv überall 85 durchzublicken; ihr Spitzname war »Häringsnasen«, was unwahrscheinlicher von physischer besonderer Nasenbildung als von Liebhaberei für Häringe abzuleiten sein dürfte. Die jetzige Redensart »der Mensch ist ein Stockfisch,« könnte die nöthige Analogie bieten.

Als erster rhüringischer König wird Chlodowig angeführt; dieser Ahn aller Ludwigs war bekanntlich sehr beliebt, und wie Pharaonen in Aegypten, wenn man die Namen nicht wußte, kurzweg Pharao genannt wurden, wie in der grauen schwedischen Zeit Alles Olaf heißt, so Alles Chlodowig, was mit den alten Franken zusammentrifft, denn eigentlich soll dieser erste thüringische König ein Frankenkönig gewesen sein, der eine neue stolze Burg, Dispargum, im thüringischen Frankenabhange gebaut, wo heute noch der Name Disburg für einen verwitterten Steinwall existirt. Freilich wird dies Dispargum auch am Rhein, am Neckar und in Brabant nachgewiesen; warum nicht? hatten doch die Römer der Augustae wer weiß wie viele; giebt es heute noch der Königsberg, der Frankfurt mehrere.

86 Andere behaupten, da drüben die hohe Burgscheidungen sei die erste Residenz gewesen, dort sei die alte Scheide zwischen Franken und Sachsen.

Chlodowigs Frau nun soll einst im Meere gebadet haben und der Umarmung eines Meerwunders begegnet sein, daraus sei Merovich, auch ein beliebter Name, entsprossen, der überaus viel thüringische Städte und Plätze errichtet.

Diese sublime Sage sticht vortheilhaft ab von den übrigen beschränkteren. Um jene Zeit sei König Etzel auf der Rückreise von Chalons nach Thüringen gekommen, in Eisenach habe er mit der schönen Chrimhilde, einer Thüringschen Fürstentochter, Hochzeit gehalten, und er sei überhaupt in diesem Lande sehr guter Dinge und kostfrei gewesen. Hier an der Aue habe er oft gejagt und gefischt, und noch heiße ein Ort von ihm der Königsstuhl.

Später giebt's Kämpfe mit den Hunnen, man verbindet sich dazu mit den Franken, Irminfried heurathet die schöne und stolze Amalberga, des Ostgothen Theoderich Schwester, welcher die Franken 87 im Zaum hielt, und man war sehr vergnüglich. Er schenkte dem Gothen silberweiße Pferde, die sehr schön gewesen sein sollen; Thüringen hatte damals eine sehr berühmte Pferdezucht, welche vielleicht von den Hunnen, dem Reitervolke herrührte. Aber Amalberga war ehrgeitzig, stachelte den Gemahl zu Unthaten, und bald finden wir ihn zu Burgscheidungen schwer belagert von den südlich heraufkommenden Franken, von den nördlich herabdrängenden Sachsen. Das Resultat war, daß die Sachsen alles Land jenseits der Unstrut mit Burgscheidungen eroberten, die Sachsenburg gründeten, und ihr Feldzeichen mit dem Löwen, Drachen und Adler immer weiter in das Land hineindrang, was Jahrhunderte später von diesen Eroberern den Namen Sachsen erhielt, ohne eigentlich Sitz und Heerd dieses Volks gewesen zu sein. Sachsen ist also ein aufgeprägter Eroberungsname, wie einst die Völker im Süden und Norden Italiens Römer genannt wurden. Das westliche und südliche Thüringen gerieth unter die Franken, welche Irminfried selbst und seinen Stamm tödteten, 88 und von jener Zeit also gehaßt waren, daß man »fränkische Treue« so spottend erwähnte, wie's einst die Römer mit der punischen Treue thaten.

Um diese Zeit entstanden viele Burgen und Orte; die Frankenhausen, Frankenstein &c. erinnern an die fremde Herrschaft; der Kyffhäuser soll noch etwas früher gegründet sein.

Später setzte Karl der Große Landgrafen ein, welche zuerst auf der Schauenburg herrschten und dann die Wartburg bauten. Als besonders geachtete alte Hauptstadt wird auch Weißensee genannt, das Herz von Thüringen.

Aus dem Allen ergiebt sich, wie es dem Volke an ursprünglicher Herrschaft immer gebrach, und es deshalb von vornherein in die Stellung eines abhängigen Mittelstaates gedrängt wurde, der später leichtlich mit dem gemischten Sachsenlande zu einem größern Mittelstaate vereinigt werben konnte.

Güldene, friedliche Aue! Hier sollen neue Poeten ihre naiven Romane spielen lassen; hier ist es still und heimlich, die herrschenden Beziehungen sind 89 noch die ursprünglichen, zwischen Kindern und Eltern, zwischen Nachbar und Nachbar; die kleine Heimathswelt der Gefühle aus Matthisson und Tiedge, das Veilchen der Menschengesellschaft blüht noch, junges Deutschland ist unbekannt wie das Verständniß einer Räuberbande; Gut und Böse läßt sich noch an den Fingern herzählen – güldene Aue! Polizei ist hier gar nicht nöthig. In Wahrheit, ein friedliches Landleben bedarf einer andern Literatur als die geräuschvolle Residenz, der Markt unserer Tage; die großen Städte brauchen Paris; das Landleben findet Störung genug in der kleinen Stadt – und für Beide soll der Schriftsteller mit denselben Worten schreiben? Mein Freund ist so sanft, so rücksichtsvoll, so fromm-andächtig, ich zog alle Unschuld, alle Schüchternheit, deren ich habhaft werden konnte über den farbendreisten Schlangenleib der Welt, und so traten wir nach Kräften blöde in eine reiche, gebildete Familie dieser Gegend, aßen, tranken, promenirten mit ihr, ließen uns anwehen vom süßen Hauche der Wirthlichkeit und Reinlichkeit des 90 blanken Geschirrs, des schimmernden Leinens, der glänzenden Dielen, der stillen, bescheidenen Domestiken, der sorglichen Aufmerksamkeit unsrer Wirthe, der zurückhaltenden Schaamhaftigkeit ihrer Töchter. Wir fanden da einen jungen Mann aus der Stadt, er liebte die schöne, im schneeweißen Kleide blühende Tochter des Hauses, vielleicht liebte sie ihn wieder; sie hatte im Städtchen tanzen gelernt und etwas Klavierspielen, sie war innig und gut, lächelte auch zuweilen, und die Mutter hatte ihr gestattet, etwas von Schiller und Jean Paul lesen zu dürfen. Goethe wurde bescheiden ein Autor für die große Welt genannt. Der junge Mann war sanft und artig, aber die Eltern faßten kein Vertrauen zu ihm, er war aus der Stadt; eine andere Welt des Gedankens und der Gesinnung lag auf seinem Grunde, und ein harmloser Scherz, der von da heraufschlug, erschien in dieser Welt des Veilchens dreist und unziemlich, er las des Abends im Bett, und der patrouillirende Diener hatte ihn zweimal schon erinnert, um zehn Uhr das Licht auszulöschen, er paßte 91 nicht recht. Die Mädchen, in denen die Jugend auch unter der strengen Erziehung pulsirte, waren trotz der Mutter nachsichtiger und eingänglicher, aber die Mutter sagte im Familienrathe unverholen: er paßt nicht.

Ach, es war ein so goldener, glücklicher Morgen, als er, der Liebende, neben uns aus dem reinen, stillen Hofe ritt, die Familie stand am Fenster und sah uns ernsthaft grüßend nach; uns Genossen einer andern Welt, die bei aller Beherrschung nur wie Störenfriede dieser Existenz erschienen waren. Sein Herz war gebrochen, traurig warf er nur einen Seitenblick auf das kleine Eckfenster, wo die Geliebte mit dem weißen Taschentuche stand – das Leben ging nicht in einander, und nur der Seufzer sammt dem Weh waren gewonnen.

Traurig ritt er rechts, wir fuhren links; umsonst schien die prächtige Sonne; wo sich die Welten in der Geschichte scheiden, da sieht sie Gerechte und Ungerechte in tausendfacher Schattirung und stillen verborgenen Kampf und lauten und 92 öffentlichen Streit mit allerlei Schmerz und Wunden, die immer prächtige, erquickende Sonne. So ist die Welt beschaffen.

Mit dieser Erinnerung schieden wir von der Aue, um aus dem waßigen Hügelrücken nach der Rothenburg zu fahren, die an der Nordhäuser Ecke gelegen ist, und in einen südwestlicheren Winkel dieser Thäler blickt. Sie ist viel erhaltener als der Kyffhäuser, klein und zierlich, und wird meisthin auch mehr belobt. Aber der Sagenodem weht nicht so eindringlich wie um das Kyffhaus, wo die Kaiser fortleben.

Es ist hier einzuschalten, daß die Kyffhäuser Sage vom harrenden Kaiser auch vom Untersberge bei Salzburg existirt und dort von mir erzählt worden ist. Unpassender wird der Schatten auch Karl V. genannt, welcher meines Erachtens mit der inneren deutschen Welt nicht so viel zu thun hatte; er redete mit Gott spanisch und nannte den deutschen Ausdruck eine Sprache für die Pferde – möge sein Geist im Eskurial umgehn, aber nicht in unsern 93 Bergen. Bechstein, um die Les'arten geographisch einander näher zu rücken, sagt, es gäbe auch in Thüringen, am »Walde« einen Unterberg, eine Abdachung des Inselberges nach Broterode hin, und die Broteroder hätten noch Fahne, Gehölz und Freiheiten von Karl dem Fünften.

Wie dem sei, wir fuhren nun wieder südlich in dem Bergforste, der sich hier eine große Strecke hoch erhält, nach dem sogenannten Rathsfelde, welches ein freier Theil dieser stillen Hochebene ist, und von dort auf der anderen Seite über eine stolze, schöne Chaussée die Berge hinunter, welche das Thüringen der großen Heerstraße von der güldnen Aue trennen. Am Fuße dieser Berge liegt Frankenhausen, in dessen Nähe Thomas Münzer mit seinen Bauern auf's Haupt geschlagen wurde.

Von diesem Siege habe ich nichts bemerkt, man raucht jetzt noch im Theater Tabak.

Die Gegend wird hier eben; erst weiter hin erheben sich wieder die flachen, beackerten Hügel des mittleren Thüringens. An einem kleinen 94 Berghange, dicht am Wege, liegt altersweiß Die Sachsenburg, welche einst mit Löwe – Drache und Adler-Fahne der alte Ritter Hagk oder Hategast aufrichtete. 95

 


 


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