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Jener finstre Morgen, aus welchem heraus sich das vorige Kapitel in Zeit und Raum so weit entfernte, ging erst ein wenig in's Dunkel über, als wir hinter Kösen die lange Bergstraße aufwärts fuhren. Sie ist mit der trefflichsten Chaussée noch beschwerlich genug, und nun ist zu bedenken, daß ehe diese Gegend preußisch wurde, solche Chaussée gar nicht existirte, es war also hier ein sogenannter romantischer Paß, wo Pferd und Wagen mannigfach zerbrachen oder stecken blieben, und Kotzebues Landhaus an der Heerstraße sehr richtig angebracht war. Die große Armee, Sachsens Alliirter, welche so oft hier 96 auf- und abwärts kletterte, hat auch blos darüber geflucht. Im jenseitigen Dorfe aber und unten in Kösen waren die Wegelagerer zu Hause, das heißt diejenigen Leute, welche sich zum Behufe des Vorspanns Pferde hielten. Diese gebornen Feinde aller Chausséen sind heute noch nicht ganz beruhigt, von ihnen und ihrem Bereiche wurden die Kunststraßen eben so schnöde begrüßt, wie es jetzt den Eisenbahnen ergeht, ein Institut, was noch viel mehr natürliche Feinde hat, da noch viel mehr gebräuchliche Interessen, Wirthshäuser und Lohnfuhren allen voraus, dadurch beeinträchtigt werben.
Es giebt keinen Fortschritt, der nicht damit anfinge, eine Wunde zu schlagen.
Auf der Spitze dieses Berges beginnt ein Plateau, was mit tiefen Unterbrechungen nach Eckartsberge hinläuft, und auf welchem das Schlachtfeld von Auerstädt liegt.
Diese Doppelschlacht von Jena und Auerstädt ist neuerdings wieder lebhaft in Besprechung gekommen durch einen Aufsatz des bekannten Gentz 97 darüber, welcher aus England mitgetheilt wurde, und dessen Aechtheit durchaus nicht zu bezweifeln ist. Gentz kam damals, kurz vor Ausbruch dieser unheilvollen Schlacht, zum preußischen Heere, welches in diesen thüringischen Gegenden von Weißenfels bis in das hessische Gebiet vertheilt war, und beschreibt den damaligen Zustand. Gegen alle herkömmliche Schilderung fällt alle Schuld auf die haltlose, unkundige Oberleitung des Krieges von Seiten des Generalissimus, und neben diesem auf den Hauptminister, den Grafen von Haugwitz.
Der Erfolg eines Genies wie Napoleon besteht eben auch darin, daß es die Gegner wie mit magischen Kräften verwirre; man kombinirte jede mögliche Art des französischen Angriffs, nur nicht die richtige; man zersplitterte sich, man lös'te eine wirklich bestehende große Macht, wie die preußische Armee damals wirklich war, in machtlose, unpassend situirte Partieen auf; man verzettelte Einsicht und Kraft. Ganz falsch ist die Meinung, daß sich die Armee selbst schlecht geschlagen habe; sie hat, besonders bei 98 Auerstädt, mit äußerster Bravour gekämpft, aber die Führung war von vornherein ohne allen straffen Zusammenhang. So kam das Davoustsche Corps über Zeitz nach Naumburg herauf, und schlug Tags darauf die Schlacht bei Auerstädt von der Seite, nach welcher zu Berlin liegt; so verkehrt ging Alles her, in solcher Verworrenheit ließ man sich überraschen.
Und hätte man noch den Augenblick zu fassen gewußt, wie er sich bot: wurde Davoust bei Auerstädt geworfen, so konnte er bis auf's Aeußerste gefährdet sein, denn nicht blos der verhängnißvolle Rückzug den schlimmen Kösener Berg hinab lag dann vor ihm, seine Retirade war durch Terrain und Truppenmassen überall koupirt. Und wie dicht lag dies Geschick an seiner Sohle: die preußischen Truppen standen unerschütterlich, die prachtvoll berittenen Kavallerie-Regimenter machten, von höherer Führung entblößt, selbstständig die glänzendsten Angriffe, Davoust, mitten im Feuer haltend, ließ die Kugel unbeachtet durch seinen Hut schlagen, war blaß und 99 auf's Aeußerste gefaßt. Als die Schlacht zu Ende ging, hatte er noch keinen Sieg, preußische Regimenter blieben auf eigne Faust halten, das Schlachtfeld behauptend, und es ward noch ein Kavallerieangriff versucht, ehe man sich in bester Ordnung nach Eckartsberge zurückzog.
Wenn eine Frucht der Geschichte reif ist, so treffen alle Kugeln: die Hauptführer des preußischen Heeres stürzten links und rechts getroffen von den Pferden, und ein wahrscheinlicher Sieg, welcher die gleichzeitige Niederlage bei Jena zwar nicht verhindert, doch in den Folgen aufgehalten hätte, ging verloren. Mit vielen andern, mit Schmettau, einem Hauptführer, war der Generalissimus des Heeres, der Herzog von Braunschweig, eins der ersten Opfer. Er war noch aus des alten Friedrichs Kriegen, und die Franzosen haßten ihn bitter wegen des bekannten Manifestes von Anno 92; in's Auge hinein traf ihn eine auf gut Glück gejagte Flintenkugel. – Niemand wußte seinen Operationsplan, selbst der König nicht, welcher in dieser Schlacht zugegen war, 100 und später bei Sömmerda in vollem Rosseslaufe durch die Feinde sprengen mußte, um aus diesem Gewirr von Feinden, die nun auch von Jena herüberdrangen, sich zu lösen.
Kösen ist wie einst Verona in den Streit zweier Familien, der Montecchi und Capuletti gespalten, sie heißen hier auf deutsch Hämmerling, der Kuchenbäcker, und Weber, der Gastwirth »zum muthigen Ritter«. Dieser, das Haupt der Capuletti, war zur Zeit der Schlacht ein junger, sächsischer Postillon in Naumburg, und ihm ward der Auftrag, dem Marschall Davoust den Weg zu zeigen, damit er rekognosciren könne. Er hat mir's reichlich beschrieben, wie dick der Nebel diesen Vormittag am 14. Oktober gewesen sei, wie grimmig Davoust ausgesehen mit dem haarlosen Vorderkopfe, wie er geschrien habe, Hals über Kopf, Soldaten und Kanonen den Berg hinauf zu schaffen, woran schon die ganze Nacht gearbeitet worden war.
Hätten sich die Preußen vom 13. auf den 14. zu einem solchen Nachtmarsche entschlossen, wie 101 vorgeschlagen wurde, die Franzosen hätten einen blutigen Tag an diesem unwegsamen Berge erlebt. Das Haupt der Capuletti ist noch heute außer sich darüber; er hat später den Pferdehandel kultivirt, und dafür ein scharfes Auge, er schwört aber, nie eine so prächtige und trefflich berittene Cavallerie wiedergesehn zu haben, als Anno 6 die preußische gewesen. Die Schlacht, welche er neben Davoust hat aushalten müssen, ist ihm besonders der Pferde wegen peinlich gewesen, und er schaudert jetzt noch bei der Erinnerung, wie leichtsinnig die theuersten Thiere todtgeschossen worden sind. Wenn's noch lauter Schimmel gewesen wären, meint er, da ließe man sich's gefallen! Für den schönsten Schimmel hat er nämlich die abschmeckende Redensart: 's ist halt ein weißes Pferd!
Das Dorf Auerstädt, durch welches wir mit dem aufgehenden Tage fuhren, ist still wie jedes andre Dorf, und weiß nichts mehr von diesem Lärmen.
Hinter dem Städtchen Eckartsberge fällt das Land wieder in tiefere Hügel, und links auf diesen, 102 wo in einer Thaltiefe das Städtchen Apolda schlummert, begegnete der von Auerstädt geschlossen retirirenden Armee statt Hohenlohes der Marschall Bernadotte. Von der gleichzeitigen Schlacht bei Jena nämlich wußte man gar nichts, das Hohenlohische Corps, welches sie vier kleine Meilen von Auerstädt schlug, war ohne Verbindung mit der Hauptarmee. Jetzt that sich's schrecklich kund, was geschehen, und auch dieser bessere Rückzug ward in die Flucht verwirrt. An diesem traurigen 15. October erhielt der König von Preußen, dem eben ein Pferd unter dem Leib erschossen war, einen Brief Napoleons vom 13., worin er Frieden anbot.
Diese Verzögerung eines Billets, die Verzögerung um 24 Stunden, hatte vielleicht den Sturz eines Reiches zur Folge, aus welchem später der eigentliche Enthusiasmus gegen Napoleon wuchs, welcher den Riesen stürzte.
Dies sind solche Späße der Weltgeschichte, über die sich unnütz schwatzen läßt in müßigen Stunden, so wie man von Cromwell erzählt, daß er, ein 103 ruinirter Bürger, im Begriff gewesen sei, nach Amerika auszuwandern, und durch ein allgemeines Edikt Karls I. daran gehindert worden sei, desselben Karls, den er später zum Schaffot brachte.
Meine Gedanken wurden friedlicher, rechts im Thale fließt die Ilm durch schweigende Dörfer, und ich dachte einer anderen Zeit. In diesem klein- und sanfthügeligen Lande mit fruchtbaren Feldern, die sich über die kleinen Berge schlängeln, die mit kleinen Laubgehölzen und den Thalufern der Ilm bekränzt sind, in diesem Weimarischen Ländchen sind ja auch weit- und tiefwirkende Bewegungen unsers Vaterlandes versammelt gewesen, die Geistes-Klassiker haben hier gelebt und geschrieben, ihre Asche ruht hier.
Ich kam einmal bei sinkender Sonne von einem Pferdemarkte geritten, es war ganz still in der Natur und ein Dörfchen mit einem Parkbusch hoher Bäume und einigen weißen Häusern lag neben mir, vor mir stolperte ein schwerbäuchiger unsichrer Reiter den Hohlweg hinab. Er that sehr erfreut, einen 104 Begleiter zu finden, war ein alter Kassenbeamter, der seine alte Schecke verkauft hatte, weil sie nach gerade zu sehr gestolpert wäre, und der sich jetzt auf dem neuen Thiere gar nicht zu Hause fühlte.
Solch ein alter Diener eines kleinen Staates hat immer viel liebenswürdig Beschränktes, hat immer Aehnlichkeit mit einem alten Kammerdiener, den der Herr nicht mehr verabschieden kann, weil er aus der Dienstjacke in den Familienrock, in's Herz des Hauses hineingealtert ist; ich begegne solch einem Rathe von Anno 1 aus Meiningen oder Hildburghausen gar zu gern. Sie sind treu und gutmüthig und bieder, und der Anstrich von kleinem Hofleben färbt das beschränkte Idyll so artig!
Er erzählte mir von den fröhlichen Tagen unter dem Großherzoge Karl August, wo er öfters mit auf die Jagd geritten sei. Sehn Sie – sprach er – hier unten an der Ilm in dem Dorfe, dessen Bäume und weiße Häuser Sie sehen, da schläft unser vortrefflicher, immer lächelnder Wieland –
Das ist Osmanstädt?
105 Ja, das ist Osmanstädt.
Wie ruhig und still und anspruchslos war das – da ruhte die Asche des alten gesprächigen Herrn, der so verführerische, farbige Geschichten erfunden hatte, die wir im Verborgenen unter dem Schultische verschlangen. Und neben der lustigen, nach Allerlei greifenden Liebe in seinen Büchern war er ein so ordentlicher Ehemann, der so reichlich Kinder zeugte, daß ihm der Großherzog mit den Fingern drohen und sagen mußte: Bis wohin, Catilina, werden Sie's bringen! –
Wir klepperten an jenem Abende schwatzend weiter, und stiegen noch einmal in Tiefurt ab, um Roß und Mann mit einem Trunk zu stärken.
Dieses Tiefurt war der eigentliche Gartensalon der damaligen Weimar'schen Gesellschaft, hier waren sie am genialsten und unbehindertsten, hier haben sie die Majestät und Robe abgelegt, und wie Karl der Große mit Alcuin, Eginhard und den Uebrigen, als David, Homer, Virgil verkehrt hat, so hat die vortreffliche Großherzogin Amalie hier ein heitres 106 Dichtungsleben geweckt und gestattet. Das sogenannte Journal von Tiefurt, das geschriebene Inventarium aller Einfälle, Witze, Geschichten, die sich hier ereignet und erzeugt, befindet sich noch auf der Bibliothek in Weimar. Ein Hauptmemorial geheimer deutscher Literaturgeschichte. Wie ich erfahren habe, ist die jetzige Herrin, welche große Aufmerksamkeit und Acht auf diesen Theil der Weimar'schen Geschichte wendet, ganz und gar nicht bedenklich, Leuten von Fach und Takt, von denen keine Ungeschicklichkeit zu besorgen ist, die Mittheilung dieses handschriftlichen Schatzes zu gestatten.
Dies Tiefurt liegt wirklich in der Tiefe, zwischen dunklen Bäumen zieht sich der Park an der Ilm hin, und jenseits des Flüßchens an einer Berglehne in die Höhe. Es war schon etwas herbstlich, als ich ihn damals bei dunkelndem Tage durchstrich, hier und da sah mir ein weißes Monument geisterhaft entgegen, es gemahnte mich in manchem einzelnen Augenblicke, als sei ich im Königreiche Wales, und durchstriche den ausgestorbenen Park des Königs 107 Arthus – auch die ganze Tafelrunde von Tiefurt ist todt; das Land, das nahe Städtchen Weimar ist eine offne, sonnenbeschienene Gruft unsrer klassischen Literatur.
Auch Goethe; – ist es nicht, als hätten wir das erst im letzten Jahre recht empfunden! Ist er jemals so im Munde aller Literaten, so Mittelpunkt aller Literatur gewesen? sogar seiner Feinde, die sich am Sarkophage des alten Dichters die harten Schädel eingerannt haben? 108