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Die Goethe'schen Briefe, welche ich hier mittheile, sind an den berühmten Philologen Friedrich August Wolf gerichtet, und es liegen einige dreißig vor mir, welche den Zeitpunkt von 1795 bis 1815 umfassen.
Die leichtsinnigeren Leser dieses Buches mögen getrost sein: das Meiste der Korrespondenz, so weit es nur eben briefliche Wendung enthält, wie sie uns von Goethe hinlänglich bekannt, wird ihnen erlassen, und ich versuche nur eine Blumenlese.
Weimar, den 24. Januar 1805.
Darf ich einmal wieder, mein würdiger Freund, bei Ihnen anfragen, wie Sie sich befinden, und 154 auch von mir etwas erzählen? Ich bin diesen Winter nicht aus Weimar, und manche Woche nicht aus der Stube gekommen, doch bin ich niemals ganz an irgend einer Thätigkeit gehindert gewesen, und ich hoffe, daß Einiges, was mich unterhalten hat, Sie auch nächstes Frühjahr unterhalten werde.
Winkelmanns Briefe und die dazu gehörige Kunstgeschichte sind nun abgedruckt, und ich darf nun auch nicht säumen, den dazu gehörigen Sermon nächstens auszufertigen. Haben Sie denn auch an mich gedacht? Mit einem Dutzend Ihrer Bemerkungen und mit Rücksendung der monumenti inediti würden Sie mich in diesen Tagen sehr glücklich machen.
Die schöne Schlittenbahn sollte Sie zu uns auf den Weg locken. Wenn Sie aber auch jetzt, da alle Ihre Arbeiten im Gange sind, sich nicht los machen können, so nehmen Sie uns doch die Hoffnung auf's Frühjahr nicht. Es ist ein kleines Zimmer für Sie eingerichtet und für Minchen auch schon gesorgt.
155 Sagen Sie mir doch auch ein freundliches Wort über unsere jenaische Literaturzeitung! Wollen Sie dazu noch ein tadelndes und ein wünschendes hinzufügen, so soll es mir noch lieber sein.
Ist es noch dazu gekommen, daß die drei Evangelisten sich Ihrer Auslegung erfreuen? Lassen Sie mich auch davon etwas erfahren.
Weimar, den 2. Mai 1805.
Für Ihren lieben Brief, als einen Vorläufer Ihrer baldigen Ankunft, erwidere ich sogleich meinen besten Dank. Wenn ich gleich wegen meiner Gesundheit noch immer in einiger Sorge bin, so wächs't doch immer die Hoffnung, daß ich über die bösen drei- bis vierwöchentlichen Epochen des Rückfalls hinaus kommen werde. Ich reite täglich, um durch die Bewegung den ganzen Körper dergestalt in Kontribution zu setzen, daß er die fehlenden Kapitel der Einnahme übertragen möge.
Winkelmann mit allem Zubehör, und auch Ihre gütigen Beiträge, sind in Setzershänden, 156 unde nulla redemtio. Es geht mir dabei wie Ihnen, ich weiß kaum selbst recht mehr, was ich geschrieben habe, und doch mußte ich bei so oftmaliger Unterbrechung die Sache so oft von vorn wieder aufnehmen, daß ich zuletzt fast gar nichts mehr davon gewahr werden konnte.
Noch einen anderen Spaß werden Sie finden, der bei uns aus dem Jammer dieses Winters entstanden ist. Rameau's Neffe, ein Dialog von Diderot, aus dem Manuskript übersetzt mit einigen, freilich nur allzuflüchtigen Anmerkungen.
Können Sie mir den Montucla auf kurze Zeit borgen, so geschieht mir ein Gefallen. Ich muß zu meiner Beschämung bekennen, daß wir ihn hier nicht besitzen. Sprat ist nach meiner vorläufigen Ansicht ein excellenter Kopf, den man wohl benutzen kann, ohne ihm zu vertrauen. Seine Geschichte der königlichen Societät scheint mir durchaus ein rednerisch zweckmäßiges Produkt, und desto belehrender wird es mir sein, zu vernehmen, was jener an ihm aussetzt.
157 Ich danke recht herzlich, daß Sie sich meiner bei Ihrer ausgebreiteten Lektüre erinnern. Thun Sie es ja, und jagen mir manchmal so einen Braten in die Küche.
Augusten hab' ich mit einem Erfurter Kaufmann nach Frankfurt auf die Messe geschickt, damit er sich auch mit solch einem Wesen und Treiben bekannt mache. Er lebt lustig und in Freuden, besonders wird vieler Gastereien erwähnt.
Mein ganzes Haus grüßt zum Schönsten, und ich werde mich suchen möglichst auf den Beinen zu halten, um Ihnen recht froh entgegen zu gehn. – – –
(Dazu Zettel von Goethes eigener Hand.)
An Ihre Entfernung aus unsern Gegenden mag ich gar nicht denken. Es wäre eins der größten Uebel, die mir widerfahren könnten. Sie bald wiederzusehen, war mir in Schmerzen und Schwachheit ein schöner Trost, und ist mir jetzt eine höchst angenehme Hoffnung für die nächste Zeit. Was soll ich von der Zukunft sagen? – 158
Lauchstädt, den 3. August 1805.
Dr. Gall ist auch in Weimar sehr wohl aufgenommen worden, und wird wahrscheinlich von der Mitte dieses Monats an daselbst lesen. Auch ist schon ein Ruf aus Bremen an ihn ergangen. Wenn er nicht so geschwind nach Hause eilt, so kann er noch ganz Deutschland erobern.
Mit tausendfachem Lebewohl
G.
Goethe mündlich über Gall.
Von seinem Vortrag ist man im Ganzen wohl zufrieden. Ist er gleich nicht immer streng logisch geordnet, und laufen gleich zuweilen entbehrliche excursus mit unter, so ist er doch immer nicht nur unterhaltend, sondern auch wirklich belehrend. Ich habe den Schlüssel zu manchen von mir gemachten Beobachtungen gefunden. Auch ist mir Gall's Organenlehre, ob wir gleich noch nicht an das Detail gekommen sind, doch schon ziemlich klar, und scheint mir sehr annehmlich. Das den Schädel ein wenig emportreibende kleine Partikelchen Hirn thut's 159 freilich nicht, sondern der gesammte Theil des Nervensystems, der in jenem Partikelchen sich endet. Ich stelle mir es so vor. Wenn wir einen Schädel in den Händen haben, und auf ein an demselben befindliches sogenanntes Organ hinabsehen, so blicken wir aus der Höhe auf einen belaubten Wipfel eines Baumes, dessen Aeste wir aus unserem Standpunkt nicht bemerken, und noch weniger den (hier in Rückenmark eingehüllten) Stamm sehen können. Aber wenn ich aus meinem Fenster meiner obersten Etage auf einen tief darunter stehenden Baum hinabsehe, so unterscheide ich gewiß sehr richtig an der Belaubung des Wipfels, ob der Baum in gesundem starkem Trieb stehe, oder ob er am Stamm den Brand habe, an der Wurzel von Wassermäusen angenagt sei u. dgl. Selbst die einzelnen kränkelnden oder gesunden Aeste erkenne ich so von oben herab sehr sicher an der Beschaffenheit ihrer Belaubung. Nicht als wenn die Kraft des Baumes von dem üppigen Laube abhinge, sondern ich dort oben, der ich nicht hinabsteigen und Stamm und Wurzel 160 untersuchen kann, erkenne nur die kräftige und kränkelnde Vegetation am Laube des Wipfels. –
Lauchstädt, den 29. August 1805.
Warum ich meinen Geburtstag lieber hier in der Einsamkeit als unter werthen Freunden zu feiern gedachte, war mir selbst ein Räthsel, das sich aber nunmehr genügsam aufgeklärt, da ich in Plotins Leben folgende Stelle gefunden: quippe cum nequaquam decere putaret, natalem ejus sacrificiis conviviisque celebrariFür die im Lateinischen schwachen Leser: Weil er es durchaus nicht für schicklich hielt, seinen Geburtstag mit Opfern und Festen zu feiern.
Hat nun der Geist des vortrefflichen Mannes auf den meinen schon durch den Schweinsband hindurch solche Einflüsse ausgeübt, was wird es erst werden, wenn ich das jetzt aufgeschlagene und durchblätterte Werk gründlich studire!
Dazu ist mir aber der griechische Text höchst nöthig. Denn obgleich der Uebersetzer seinen Autor 161 im Ganzen und Einzelnen recht wohl verstanden haben mag, so scheinen doch mehrere Stellen dunkel, entweder aus wirklicher Inkongruenz des Lateinischen zum Griechischen, oder daß ich dessen Kongruenz nicht so leicht einzusehen vermag. Darüber würde mich der Text leicht hinausheben. So wie denn auch besonders nöthig ist, die oft wiederkehrende, abstrakte Terminologie in der Ursprache und Urbedeutung vor sich zu haben.
Von allen diesen gedenke ich bald nähere Rechenschaft zu geben, wenn Sie die Güte haben wollen, mir das in Händen habende Original auf einige Zeit mitzutheilen. Uebrigens mag es ganz zweckmäßig sein, bis die poetische Stimmung eintritt, sich im Reiche der Ideen aufzuhalten.
Wie viel ich Ihnen Dank schuldig bin, daß Sie mich über Chausseen, Bruchdämme und Bergstraßen an so mancherlei Gegenständen vorbeiführen wollen, fühl' ich jetzt recht lebhaft, da ich das Vergangene rekapitulire, und, wie sehr sich meine Zustände verbessern, empfinde. Möge Ihnen im Geiste 162 deutlich werden, was ich weder schriftlich noch mündlich ausdrücken kann.
G.
Für den überschickten Plotin danke zum schönsten. Leider fällt seine ideale Einheit, auf die er so sehr dringt, mit der realen Einerleiheit zusammen, an der ich hier gewaltig zu leiden anfange.
In Hoffnung, selbst thätig zu sein, habe ich gar keine Bücher mitgenommen, da sich aber der Genius, wie ich merke, erwarten läßt, so bitte ich um einige unterhaltende Bücher, besonders um Reise- und Lebensbeschreibungen. Können Sie mir die neulich erwähnte griechische Grammatik mitschicken, so geschieht mir ein besonderer Gefallen. Je bunter Ihre Sendung ist, desto besser, damit ich nur eine Abwechselung vor mir sehe, denn die sechzehn Stunden des Tages haben eine furchtbare Länge.
G.
Lauchstädt, den 5. September 1805.
Es ist mir schon mehrmalen so gegangen, daß ich, wenn ich auswärtig zu lange gezögert hatte, 163 endlich auf einmal über Hals und Kopf nach Hause berufen wurde. So geht es auch dießmal. Mein kleiner Hausgeist ist angekommen, und mit solchen Nachrichten und Aufträgen, daß ich wohl eilen muß, morgen Abend zu Hause zu sein. Nimmt mir dieser Schritt die Freude Sie wiederzusehen, so überhebt er mich auch eines Abschiedes, der mir, nach so langer genossener Nähe und Nachbarschaft, noch empfindlicher fallen würde, als er mir jetzt in der Einbildungskraft schon werden muß. Das viele Gute, das Sie mir erzeigt haben, bleibt mir unvergeßlich, und für die Geduld, die Sie mit einem Kranken, einem nothdürftig Genesenden haben können, bleibe ich Ihnen ewig dankbar. Wo fänden sich Beweise der Freundschaft und Neigung, wenn es diese nicht sind!
Die übersendeten Bücher habe wohl eingepackt bei Richters gegen dem Schauspielhause niedergelegt, wo sie ja wohl irgend ein Freund abholt. Das Leben Ruhnkens und Wyttenbachs hat mich sehr unterhalten und um so mehr erfreut, als ich meistens 164 von Ihnen zu lesen glaubte. Doch will mir Herr Rink nicht ganz gefallen, er scheint mir dem Geschäft nicht völlig gewachsen.
Ferner habe ich mich an Robertsons Meisterschaft, an Veltheims geistreichem Dilettantismus erfreut, bin Cemprieren gern im Geiste nach Marocco gefolgt, indem ich Gott dankte, daß ich dem Leibe nach in Lauchstädt war, wo es mir jedoch nicht am Besten ging. Den Versuch, mich in eine Wüste zu begeben, werde ich nicht wieder wagen. Das Schema zu meiner Arbeit ist recht umständlich ausgedacht, zur Ausführung wollte sich die Quelle nicht eröffnen. Da hab' ich denn gelesen, und dazwischen sehnsüchtig nach Norden und nach Süden geblickt. Das Bad und seine Peitsche greift denn auch an, man weiß nicht, welchem Heiligen man sich widmen soll, besonders da sie nun auch an meiner Wand zu dreschen anfangen, welches ich bei aller meiner Freude über die gute Erndte sehr unbequem finde. Wie sehr habe ich die Tabakraucher beneidet, die auf solche Fälle gerüstet sind!
165 Unter diesen Voraussetzungen ist es für einen Besuch, den ich hatte, nicht einmal sehr schmeichelhaft, wenn ich sage: wär' er doch ein Paar Stunden früher gekommen und hätte länger verweilt! Herr Steffens und sein Freund sahen mich auf einen Augenblick. Der junge Dichter gefällt mir von Ansehn recht wohl. Kommt er nicht nach Weimar? Veranlassen Sie ihn doch dazu, er soll wohl empfangen sein, und mich mit seiner und der dänischen Poesie bekannt machen. Er versprach mir ein Exemplar. Wenn er es nicht selbst bringt, wird es lange todt bei mir liegen. Er ist ja nah, und er findet manches bei uns, dessen er sich dereinst im fernen Norden gern erinnert.
Indessen überlegte ich mit meinem kleinen Hausgefährten, ob wir nicht noch schnell zu Ihnen hinüberrutschen sollten. Unsre eignen Kräfte aber, und die Kräfte unsrer Thiere berechnend, standen wir ungern von diesem Vorsatz ab. Wir grüßen beide auf das Lebhafteste, bitten bald um ein schriftliches Wort und lassen nächstens von uns hören.
G. 166
Weimar, den 5. Januar 1806.
Herr Jagemann hat uns zum Eintritt des Jahres eine gar große Freude gemacht, daß er Sie uns so schon vergegenwärtigte. Bild und Brief sind ihm durch den freundlichen Empfang erwiedert worden. Haben Sie vielen Dank, daß Sie den guten Künstler so liebreich aufgenommen.
Meine schönen Lauchstädter Vorsätze sind freilich sehr in's Stocken und Stecken gerathen, woran der musikalische Freund wohl die größte Schuld hat. Ich habe die Glocke hier noch nicht einmal aufgeführt, geschweige jenes besprochen. Vielleicht gelingt es für Lauchstädt: denn es ist wohl billig, das Andenken eines solchen Freundes mehr als einmal zu feiern.
Wenn die lieben Preußen uns gleich nicht die willkommensten Gäste sind, weil wir diesen Winter auch ohne sie ein theures Leben gehabt hätten, so muß ich uns doch trösten, wenn wir vernehmen, daß im Königreiche selbst Kirch' und Altar nicht geschont wird. Indessen haben wir alle Ursache, 167 das Regiment Owstien zu loben, das bei uns im Winterquartiere liegt. Man sucht von beiden Seiten, die Unbequemlichkeit so gering als möglich zu machen.
G.
Jena, den 31. August 1806.
Da es oft so große Pausen der brieflichen Unterhaltung geben kann, so will ich geschwind auf Ihr werthes Schreiben vom 28. August aus meiner Jenaischen Muße einiges erwiedern. Ich würde mich hier noch länger aufhalten, wenn ich nicht in einigen Tagen, um des von Ihnen so sehr verschmähten Theaters willen, nach Weimar müßte. Ein Paar Fahrten hätten Sie wohl, verehrter Freund, zur Aufmunterung dieser guten Leute thun können, welche nun sämmtlich die Flügel hängen, und sich noch für viel moderner halten, als sie vielleicht sind, weil der große Alterthumsforscher mit ihnen nichts zu thun haben will.
Von wenig Personen, aber von manchen neuen und wunderlichen Büchern bin ich in meinem 168 hiesigen Malepartus heimgesucht worden, unter andern trat, wie ein Sirius unter den kleinen Gestirnen, Herr Steffens hervor und funkelte mit kometartigen Strahlen. Von seinem Buche habe ich freilich schon früher einige Blätter wehen und rauschen hören, als ich hinter der bewußten Thüre horchend saß. Mag's aber sein, daß der Dreifuß, auf welchem er sich damals niedergelassen hatte, ihm etwas mehr Klarheit einflößte, oder daß man dem persönlichen Individuum seine Individualität eher verzeiht, als wenn sie in ein Buch gekrochen ist, oder daß dergleichen heilige Laute unter der Hand des Setzers gar nicht erstarren sollten; genug das Büchlein hat zwar an seiner Vorrede einen honigsüßen Rand, an seinem Inhalt aber würgen wir andern Laien gewaltig. Gebe nur Gott, daß es hinterdrein wohl bekomme. Vielleicht geht es damit, wie mit den Brunnenkuren, an denen die Nachkur das Beste sein soll. D. h. doch wohl, daß man sich dann erst wieder gesund befindet, wenn man sie völlig aus dem Leibe hat.
169 Sonst wüßte ich von allerlei kleinen Aquisitionen zu erzählen; aber das Steinreich, das man durch's Evangelium der äußern Kennzeichen so glücklich auf der Briefpost mittheilen kann, interessirt Sie nicht, und das Kunstgebilde läßt sich leider nicht wörtlich mittheilen. Eine schöne gleichzeitige Medaille auf Ariost habe ich erhalten. Er zeigt eine sehr schöne, freie und glückliche Bildung. Wie zart, ja man möchte sagen, wie schwach er aber ist, sieht man nicht eher, als bis man ihm einen Tyrannen gegenüber legt. Zufällig fand er sich in meinen Kästchen neben einem Domitian, und die beiden Gesichter besahen sich einander wie über die Kluft von mehreren Jahrhunderten.
Für alles Freundliche, was Sie den Meinigen erzeigt haben, danke ich zum Schönsten. Würde die Zeit vor Winters nicht so knapp, so wäre ich gewiß gekommen Sie zu besuchen, aber ich sehe im ganzen September wenig Ruhe vor mir. Es will manches Vergangene nachgebracht und gar Manches eingerichtet sein. Das beste Wohlergehen Ihnen 170 und was Ihnen zunächst wohnt. Mögen doch die militärischen Bewegungen uns durch ihre Andeutung hinreichende Sicherheit geben. Bis jetzt wenigstens scheint es, daß der Norden politisch erstarren und nicht in die südliche Lava mit einschmelzen werde. Ein vielfaches Lebewohl.
G.
Weimar, den 3. November 1806.
Ihr Brief von Leipzig, mein Werthester, hat uns die größte Freude erregt, und eine fast unerträgliche Sehnsucht gestillt. Bei Ihnen, bei der guten Loder, auf dem Berge und selbst auf Reils Gipfel ist unsre Einbildungskraft gegenwärtig gewesen, immer aber in der peinlichen Lage, sich nichts Bestimmtes ausbilden zu können. Sein Sie daher, nach dieser Ueberschwemmung, auf dem Halbtrocknen gegrüßt, und lassen Sie uns die alten Bande der Freundschaft und Vertraulichkeit nur immer fester zusammenziehen. Wir haben die ersten Stunden und Tage in einem Taumel verlebt, so daß wir die Gefahr selbst beinahe da erst gewahr wurden, als 171 sie fast schon vorübergegangen war. Ich habe erst den General Victor, dann die Marschälle Lannes und Augereau im Hause gehabt, mit Adjutantur und Gefolge. Für vierzig Personen Betten mußten in einer Nacht bereitet sein und unser Tischzeug ward als Leinlacken aufgedeckt. Was daran alles hängt, können Sie sich leicht denken. Indessen ist unser Haus dadurch erhalten worden, und ob wir gleich Manches gespendet und ausgetheilt haben, so können wir wohl von Verlust, aber nicht von Schaden sprechen. So viel für heute mit den besten Grüßen an Minchen und auch an Berger, für dessen Blättchen wir danken.
Meine kleine Frau, August und Riemer grüßen schönstens. Ein tausendfach Lebewohl mit Bitte um baldige fernere Nachrichten.
(von Goethe eigenhändig.)
Wie sieht es in Giebichenstein aus? Ist jemand von der Familie daselbst? 172
Weimar, den 28. November 1806.
Warum kann ich nicht sogleich, verehrter Freund, da ich Ihren lieben Brief erhalte, mich wie jene Swedenborgschen Geister, die sich manchmal die Erlaubniß ausbaten, in die Sinneswerkzeuge ihres Meisters hineinzusteigen und durch deren Vermittlung die Welt zu sehen, mich auf kurze Zeit in Ihr Wesen versenken und demselben die beruhigenden Ansichten und Gefühle mittheilen, die mir die Betrachtung Ihrer Natur einflößt? Wie glücklich sind Sie in diesem Augenblick vor Tausenden, da Sie so viel Reichthum in und bei sich selbst finden, nicht nur des Geistes und des Gemüths, sondern auch der großen Vorarbeitung zu so mancherlei Dingen, die Ihnen doch auch ganz eigen angehören! Wäre ich also auf jene magische Weise in Ihr Ich eingedrungen, so würde ich es bewegen, seine Reichthümer zu überschlagen, seine Kraft gewahr zu werden und zu irgend einem literarischen Unternehmen, wäre es auch nur für die erste Zeit, sogleich zu greifen. Sie haben die Leichtigkeit, sich mitzutheilen, 173 es sei mündlich oder schriftlich. Jene erstere Art hatte bisher einen größern Reiz für Sie, und mit Recht. Denn bei der Gegenwirkung des Zuhörers gelangt man eher zu einer geistreichen Stimmung, als in der Gegenwart des geduldigen Papiers. Auch ist die beste Vorlesung oft ein glückliches Impromptü, eben weil der Mund kühner ist, als die Feder. Aber es tritt eine andre Betrachtung ein. Die schriftliche Mittheilung hat das große Verdienst, daß sie weiter und länger wirkt, als die mündliche, und daß der Leser schon mehr Schwierigkeiten findet, das Geschriebene nach seinem Mode umzubilden, als der Zuhörer das Gesagte.
Da Ihnen nun jetzt, mein Werthester, die eine Art der Mittheilung, vielleicht nur auf kurze Zeit, versagt ist, warum wollen Sie nicht sogleich die andre ergreifen, zu der Sie ein eben so großes Talent und einen beinahe reichern Stoff haben? Es ist wahr, und ich sehe es wohl ein, daß Sie in Ihrer Weise zu leben und zu wirken eine Veränderung machen müßten, allein was hat sich nicht alles verändert! 174 und glücklich der, der, indem die Welt sich umdreht, sich auch um seine Angel drehen kann. Neue Betrachtungen treten ein, wir leben unter neuen Bedingungen, und also ist es auch wohl natürlich, daß wir uns, wenigstens einigermaßen, nur bedingen lassen. Sie sind bisher nur gewohnt, Werke herauszugeben, und die strengsten Forderungen an dasjenige zu machen, was Sie dem Druck überliefern. Fassen Sie nun den Entschluß, Schriften zu schreiben, und diese werden immer noch werkhafter sein, als manches Andere. Warum wollen Sie nicht gleich Archäologie vornehmen und sie als einen compendarischen Entwurf herausgeben? Behandeln Sie ihn nachher immer wieder als Concept, geben Sie ihn nach ein Paar Jahren umgeschrieben heraus. Indessen hat er gewirkt, und diese Wirkung erleichtert die Nacharbeit. Nehmen Sie, damit es Ihnen an Reiz nicht fehle, mehrere Arbeiten auf einmal vor, und lassen Sie anfangen zu drucken, ehe Sie sich noch recht entschlossen haben. Die Welt und Nachwelt kann sich alsdann Glück wünschen, daß aus 175 dem Unheil ein solches Wohl entstanden ist: denn es hat mich doch mehr als einmal verdrossen, wenn so köstliche Worte an den Wänden des Hörsaals verhallten. Auf diese Weise können Sie den Winter mit sich selbst bleiben, welches das Beste ist was man jetzt thun kann. Denn wo man hinsieht und hintritt, sieht es wild und verworren aus; und das allgemeine Uebel zerspaltet sich doch eigentlich nur in unzählig einzelne Mährchen, davon ewige Wiederholung die Einbildungskraft mit häßlichen und unruhigen Bildern erfüllt, und zuletzt selbst gesetzte Gemüther ergreift. Haben wir ein halbes Jahr hin, so sieht man eher, was sich herstellt, oder was verloren ist, ob man an seiner Stelle bleiben kann, oder ob man wandern muß, und das Letzte sollte man gewiß nur im äußersten Nothfall ergreifen. Denn der Boden schwankt überall, und im Sturm ist es ziemlich gleich, auf welchem Schiff der Flotte man sich befindet.
So viel über die wichtige Frage, vielleicht schon zuviel. Ich spreche freilich nur nach meiner 176 Denkweise, die ich Ihnen wohl überliefern, aber nicht mittheilen kann. Indessen handle ich selbst nach dieser Lehre. An dem Farbenwesen wird ziemlich rasch fortgedruckt. Einen Entwurf der Morphologie gedenk' ich auch bald unter die Presse zu bringen, und meine Träume über Bildung und Umbildung organischer Wesen wenigstens einigermaßen in Worten zu fixiren. An den Aushängebogen von Tübingen her sehe ich auch, daß die erste Lieferung meiner ästhetischen Arbeiten bald hervortreten wird, und so muß man denn, in Erwartung besserer Zeiten, die gegenwärtigen nutzen und vertreiben, so gut man kann.
Tausend Lebewohl mit lebhaftem Wunsch eines baldigen Wiedersehens und längeren Zusammenseins, als leider das letzte antidiluvianische war.
G.
Jena, – – 1807.
Wenn Sie, verehrter Freund, selbst Ihrer Arbeit einige Gerechtigkeit widerfahren lassen, wenn Sie 177 sich erinnern, wie sehr wir gerade diese Bemühungen von Ihnen erbeten, wenn Sie sich unsere Zustände und Denkweisen recht vergegenwärtigen: so können Sie sich selbst sagen, wie viel Freude Sie uns durch Ihre Zusendung machten. Wir haben das Heft gelesen und wieder gelesen und werden einzelne Seiten desselben zum Text vielfacher Unterhaltungen legen. Ich sage wir, weil wir grade in Jena uns in Gesellschaft von mehreren theilnehmenden Freunden befinden. Ein beiliegendes Blättchen von Knebel drückt einigermaßen seine dankbaren Gesinnungen aus. Wir stehen alle zusammen mit Staunen und mir Bewunderung vor der weiten Gegend, von der Sie uns den Vorhang wegziehen, und wünschen sie nach und nach an Ihrer Hand zu durchreisen. Mit einer stolzen Demuth habe ich meinen Namen an einem so ehrenvollen Platze gefunden, und mit herzlicher Freude gedankt, daß Sie mich glauben lassen, ich habe durch meine früheren Anregungen und Zudringlichkeiten ein so verdienstliches Werk mit fördern helfen.
178 Ich bin schon über vier Wochen in Jena, und da ich hier immer einsam lebte, so finde ich es nicht einsamer als sonst. Ich hatte mir Manches zu arbeiten vorgesetzt, daraus nichts geworden ist, und Manches gethan, woran ich nicht gedacht hatte, d. h. also ganz eigentlich, das Leben leben.
Werner, der Thalsohn, ist bald vierzehn Tage hier. Seine Persönlichkeit hat uns in seine Schriften eingeführt. Durch seinen Vortrag, seine Erklärungen und Erläuterungen ist manches ausgeglichen worden, was uns schwarz auf weiß gar schroff entgegenstand. Es ist in jedem Sinne eine merkwürdige Natur und ein schönes Talent. Uebrigens läßt sich auch bei diesem Falle sehen, daß der Autor, wenn er einigermaßen vom Geiste begünstigt ist, seine Sachen selbst bringen und reproduciren solle. Er wird in diesen Tagen mit mir zurück nach Weimar gehen. Durch seine Unterhaltungen sind wir auf die angenehmste Weise den kürzesten Tagen näher gekommen. 179
Weimar, den 28. September 1811.
Was ich treibe, ist immer ein offenbares Geheimniß. Es freut mich, daß meine Farbenlehre als Zankapfel die gute Wirkung thut. Meine Gegner schmatzen daran herum wie Karpfen an einem großen Apfel, den man ihnen in den Teich wirft. Diese Herren mögen sich gebärden, wie sie wollen, so bringen sie dieses Buch wenigstens nicht aus der Geschichte der Physik heraus. Mehr verlang' ich nicht; es mag übrigens jetzt oder künftig wirken, was es kann.
Zu Michaelis werden Sie mich auf einem wunderlichen Unternehmen ertappen. Ich sage davon weiter nichts, als daß ich's der Zeit ganz gemäß halte, das Faß, in dem man gewohnt, auf- und abzurollen, damit man nicht müßig zu sein scheine.
Der Auszug, welchen ich durch ein ganzes Päckchen Briefe im Galopp zurückgelegt habe, ist hier beendigt. Zürne nicht, blasse Schneidermamsell, 180 welche Du auch Reisenovellen studirest, daß ich Dein Novelleninteresse so lange aufgehalten; wenn Du Goethe nicht liebst, überschlage auch den Rest dieses Kapitels, später reisen wir wieder lustig. –
– Es wird Vielen bekannt sein, daß dies prächtige Verhältniß zwischen Goethe und Wolf gestört und zerstört worden ist. Wenn die Tageswelt zwei große Menschen einig sieht, so kuppelt sie eben so gern Feindschaft, wie sie zwischen mittelmäßigem Volke gern Heurathen schürzt. Wolf, diese beispiellose unbefangene Geradheit und Frische in der Philologenwelt, war leicht zu verläumden, in falsches Licht zu stellen; der Schatten warf sich dann auch zwischen diese beiden Männer, und die Correspondenz hörte auf. Ich glaube nicht, daß über das Jahr 1815 hinaus noch Briefe gewechselt worden sind, und Wolf starb erst am 8. August 1824 zu Marseille, wohin er von Berlin gereis't war.
Ich gehe nun zu einigen Unterredungen mit Goethe über. Sie stammen aus verschiedener Quelle, am wenigsten aber daher, woraus im Vorhergehenden 181 die mündliche Mittheilung über Gall geflossen ist. Es war auch dabei viel zu sondern. Die Leute erzählen gern eitel Schlagendes, und verändern und übertreiben ohne böse Absicht, sie wollen selbst ein Stückchen dramatischen Dichters dabei vorstellen. Der eigentliche Dichter aber unterhält sich doch nicht mit jedem Besuche dergestalt, daß etwas gedruckt werden könne; er betrachtet sich nicht bei jeder Promenade, auf jeder Poststation wie eine Zeitungsfigur. Darum sind alle nicht officiellen Aeußerungen großer Leute immer mehr werth, sie sind ein wirklicher Theil des Ganzen, sie geben Wahrheit, auch wenn sie scheinbar ganz Unbedeutendes geben; Kernaussprüche, welche der Besuchte von sich giebt, damit der Besuch eine Ausbeute habe, sind sehr bedenklich. Dabei tritt der Sprecher aus der eigenen Haut, und belügt sich zur Hälfte selbst.
Aus diesem Grunde verschweige ich größtentheils die Mittheilungen einer lebhaften Dame, welche reich an schlagendem Ausdrucke sind, ich fürchte, 182 die Dame interessirt sich dabei viel weniger für Göthe, als für die Erzählung von ihm. Man hat viel davon gesprochen, daß die Weimar'schen Klassiker keinen Witz gehabt, eine Art humoristischer Laune war allerdings in Göthe, sie gehörte nur nicht in die Form, welche er sich für die Oeffentlichkeit geschaffen hatte; verhauchte sich höchstens einmal in ein kleines Gedicht, in eine Bemerkung. Um so stolzer ist jene Dame, auch einen Götheschen Witz zu kennen: Sie ist ihm einmal in Dresden wieder begegnet, und hat ihn so lange zur Rede gestellt über den schlechten Hut, welchen er trage, bis er verspricht, einen neuen zu kaufen. Als sie ihn wieder spricht, hat er doch wieder den schlechten Hut – aber Herr von Göthe – es ist nicht meine Schuld, gnädiges Fräulein, erwidert er, ich habe herumgesucht, aber es paßte mir keiner, man ist in Dresden nicht auf große Köpfe eingerichtet.
Besonders bei Hofe, sagt sie, sei der Herr Geheimderath gewöhnlich sehr maussade gewesen, sehr 183 zugeknöpft. Einmal habe sie eine große Gesellschaft auf ihn zum Abende eingeladen. Er kommt, ist aber sehr schweigsam und unergiebig; sie fragt ihn, er lacht und versichert, so viel gegessen zu haben, daß er zu keiner redenswerthen Unterhaltung was tauge.
Aber, mein Gott, die Leute sind auf Sie gebeten, was sollen die in der Ferne erzählen? Sie müssen durchaus reden, 's wird immer gut genug sein. Er lacht wieder und bestellt eine Flasche Wasser beim Bedienten. Die hat er denn genossen, und hat sich dann vortrefflich aufgeführt.
Wichtiger ist ein Gespräch über die Wahlverwandschaften:
Ich kann dieses Buch durchaus nicht billigen, Herr von Göthe, es ist wirklich unmoralisch, und ich empfehle es keinem Frauenzimmer.
Darauf hat Göthe eine Weile ganz ernsthaft geschwiegen, und endlich mit vieler Innigkeit gesagt: Das thut mir leid, es ist doch mein bestes Buch. Glauben Sie nicht, daß es die Grille eines alten 184 Mannes ist, ja, man liebt das Kind am meisten, welches aus der letzten Ehe, aus der spätesten Zeit unserer Zeugungskraft stammt. Aber Sie thun mir und dem Buche Unrecht; das Gesetz in dem Buche ist wahr, das Buch ist nicht unmoralisch, Sie müssen es nur vom größeren Gesichtspunkte betrachten, der gewöhnliche moralische Maaßstab kann bei solchem Verhältnisse sehr unmoralisch auftreten. –
– Verlassen wir nun aber die Dame, welche drastisch mittheilt, und halten wir uns an einen Mann, der mehr denn einmal in ausführlichen und intimen Gesprächen mit Göthe verkehrt hatte. Einige Stücke vom Tagebuche desselben liegen zur Mittheilung vor, ich gebe sie wörtlich und ohne Zusatz. Die Gespräche sind nicht immer ausgeführt, oft sind nur die Themata mit einzelnen Worten angedeutet:
»Patriotismus – Sinn dafür – Individualität – doch so sehr deutsch –
Die Ehe – die drei Weiber im Meister, welche gar nicht dafür taugen. –
185 Göthe: es war nie meine Art, gegen Institute zu eifern, das schien mir stets Ueberhebung, und es mag sein, daß ich zu früh höflich wurde, kurz, es war nicht meine Art, ich habe deshalb immer nur ein entferntes Ende der Stange leise berührt.
G. Sie fragen, ob ich mit ausgebildeter Absicht –? ich desavouire mich nicht gerne ganz – mit ausgebildeter Absicht? Nein – ohne sie? Nein. Ich habe nie mehr gewollt, als anregen; wenn der Schriftsteller mehr will, so kommen die Sachen an die Regierungskanzlei, und er verliert nicht nur die Aepfel, sondern den Korb dazu.
G. Ob die Wahlverwandschaften wahr sind, ob sie auf Thatsächlichem beruhen? Jede Dichtung, die nicht übertreibt, ist wahr, und Alles, was einen dauernden, tiefen Eindruck macht, ist nicht übertrieben. Uebrigens soll es den Menschen gleichgültig sein, der bloßen Neugierde muß man nicht Rede stehen. Das Benutzen der Erlebnisse ist mir immer Alles gewesen, das Erfinden aus der Luft war nie 186 meine Sache, ich habe die Welt stets für genialer gehalten als mein Genie.
G. Die Romantik? Wer sich befähigt und berufen fühlt, der möge das Ungewöhnliche erfinden und ungewöhnlich färben, es wird Manchen herausheben aus seinem gedrückten Zustande. Nur verbinde sich nicht die Prätension mit dieser Willkühr, die freie Kunst darf nie an Andere Prätensionen machen – darin lag das Fehlerhafte der sogenannten Romantiker, besonders Tieck's, der für romantische Possen eine Anstellung bei der Nation haben möchte. Wir sind der Nation gegenüber alle Dilettanten, die kein Entréegeld verlangen dürfen. Dies Unromantische der Romantik hat sie sehr zurückgebracht. –
G. In Carlsbad hat einmal Einer von mir gesagt, ich sei ein gesetzter Dichter; er wollte damit ausdrücken, ich bliebe beim Dichten doch nebenher ein bürgerlich vernünftiger Mann – der Eine hielt das für Lob, der Andere für Tadel; ich kann nichts 187 darüber sagen, denn es ist dies eben mein Ich, worüber Andern das Urtheil zusteht. Wenn ich für mich nicht Recht zu haben dächte, so wäre ich anders, wenigstens ein Wenig anders, denn seine Ursprünglichkeit ändert Jedermann sehr wenig.
G. Ob ich Viel auf Aenderung ausgegangen sei? Nein, nur auf Bildung. Jede Farbe kann zu einer gefälligen Darstellung gebildet werden; ich bin niemals roth gewesen wie Lord Byron, mein Kolorit von Hause aus war immer sanfterer Art, etwa ein artiges Blau; ich hätte mich zerstört, wäre mir das Bestreben geworden, durchaus roth zu sein.
G. Ob ich nicht zu weit gegangen sei mit der Art, mich zurückzuziehn, mit der abweisenden Lebensart, was man in einer Art auch Bildung nennen dürfe? Ob ich nicht eben dadurch Manches verletzt, oder gar zerstört habe? Das kann wohl sein; wo es so viel Unzureichendes giebt, wie in dieser Welt, wird nichts ohne Opfer erreicht, man hat nur die Wahl zwischen großen und kleinen. Ich that nur, wie ich konnte, und da ich immer sah, daß die 188 geringsten Erfolge und die größten Nachtheile da entstanden, wo der Mensch sich selbst überbot und verlor, so drängte ich oft gewaltsam Alles darauf hin, mich selbst vor dem tausendfachen Zudrange der Welt und deren Anmuthung zu retten. Da ich nun einmal zur ganzen Nation sprach, so hoffte ich dadurch im Ganzen mehr zu retten, als wenn ich dem Einzelnen stets zu Willen gewesen wäre. Jede Bildung ist ein Gefängniß, an dessen Eisengitter Vorübergehende Aergerniß nehmen, an dessen Mauern sie sich stoßen können; der sich Bildende, darin Eingesperrte, stößt sich selbst, aber das Resultat ist eine wirklich gewonnene Freiheit. Bei einem gewissenhaften Schriftsteller der Nation leiden die nächsten Umgebungen am meisten, sie leiden für den etwaigen Gewinn der Nation, man opfert auch hier das Kleinere für das Größere. Ich habe oft den Privatmann beneidet, daß er seinen Umgebungen alle Opfer, alle Hingebung widmen kann, daß er seine Bildung stündlich zeigen darf; er sieht den Lohn nahe, er wird immer schnell bezahlt, wenn 189 auch nur durch sich selbst. Ich habe die Größe mit Mühe erlernet, die Größe, in weiten National- oder Epochenkreisen das Genüge für meine Wirksamkeit zu suchen, oft in Symptomen zu erkennen, wo der nächste Freund mir die Zurechnung versagt, sie für Eitelkeit ausgegeben hatte.
G. Allerdings gehören meine Briefe in diesen Gedankenkreis. Wolf hat mir's vorgeworfen, Schiller, daß ich sie karg abspeis'te. Wer sich in Briefe hingeben will – der Glückliche – der giebt die Sammlung auf, welche dem Nationalschriftsteller nöthig ist. Das Wort an den Einzelnen mag erleichtern und schön sein, aber der Nachdruck, wenn es still in uns ausgetragen ist wie das Kind der Mutter, die Peripherie desselben, die es am öffentlichen Orte gewinnen kann, geht verloren.
G. Sie werfen mir den Schluß des Meister vor, nennen die Einhüllung in den geheimen Bund und das dahin Gehörige wohlfeil und einen Mangel der Lösung im vollen Sonnenscheine. Lieber Freund, erst haben Sie ein Hochwichtiges darin gefunden, 190 daß eitel Mesalliancen zum Vorschein kommen und die mittlere Welt sich in die höhere eindränge, und nun vermissen Sie für ein solches Buch den vollen Sonnenschein. Ein solcher hätte erschreckend beleidigt, die Seele des Buchs aber ist eine höfliche Andeutung, mehr lag nicht in meinem Charakter und in meiner Fähigkeit, und das Zusammengehn dieser beiden macht allein eine wohlthätige Romanerscheinung. Ueberbietet man Eins oder das Andere, so entsteht die Gewaltsamkeit, und der poetische Eindruck wird durch die Entrüstung zerstört, welche dadurch bei einer großen Klasse von Lesern hervorgerufen wird. Darin versehen es diese begabten jungen Franzosen, und es überhebt sich ihrer deshalb sogar unser unschöpferischer Pedant. Wünschen darf man zu einem Buche, aber man muß nicht zum Wegwünschen genöthigt sein, aus welchem Wort das Verwünschen entstanden ist. Der Roman soll erscheinen, wie die Landschaft erscheint, ohne Leidenschaft, auch in jener verbergen sich dunkle Partien. Daß man für jenen geheimnißvollen Bund etwas 191 Leichteres, Gefälligeres, oder, wie Sie sich ausdrückten, Natürlicheres habe erfinden können, glaube ich wohl; es lag eben nichts Solches in meiner schaffenden Kraft zur Hand, es bot sich mir Jenes, und dem Schöpfer einer so breiten Welt muß man zutraun, daß er, alle Rücksichten erwägend, passender wählt, als der besuchende Leser. Freilich sieht der Leser oft glücklicher, er ist frei, betrachtet ein Bild unbefangen; aber Freund, wenn man sich darauf einlassen will, so wird am Ende alle Neigung, aller Muth zum Hervorbringen verleidet. Haben wir eine eigne Welt gemacht, so muß es uns doch auch für's Erste zustehn, die Gesetze darin zu machen; wer so viel Anderes über ein Buch weiß, der sollte sich nicht über dem Buch ausgeben, sondern selbst ein anderes schreiben. Die eigensinnig fordernde Kritik hab' ich mir stets vom Leibe gehalten; wer mich nicht mag, dem kann ich nichts geben, mit dem ist es bald ein klares Verhältniß; wer mich aber durchaus anders will als ich bin, der versucht es, mich unter freundlichen Worten zu erwürgen, der ist mein 192 schlimmster Feind, weil er spricht, als ob er mein Freund wäre. Und diese weichliche Freundesfeindschaft quält manchen armen Autor bei uns zu Tode. Ein ähnliches Verhältniß ward es zwischen mir und den Herren von Schlegel sammt deren Kreuzfahrerheere, sie spannen mich ein mit Lob und Litanei, die mir nicht zukamen, und mit freundlicher Bußauflegung, die mir ebenfalls nicht zukam; sie wollten mich mir selbst entwenden, ich wäre in dieser lobesamen Kritik erstickt, hätte ich nicht plötzlich beide Arme gebraucht. – Endlich aber, um dies Thema zu erledigen, war damals die Zeit der geheimen Bündnisse, Alles war darauf gestellt, so gerieth es Einem denn auch wohl in den Roman, als etwas, was ganz in Herkommen und Ordnung sei.« 193