Reise durch das Biedermeier
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München

Diese Residenz befindet sich gegen alles Fremde in einer fortwährenden Verteidigung. Schon weit vor den Toren harren Wachthäuser der Ankommenden, und Soldaten beginnen das erste Examen über Ziel und Zweck der Reise.

Die Stadt empfängt mit klarsten architektonischen Eindrücken. An der breiten Ludwigstraße erheben sich neue, schöne Gebäude. Kommt man von Augsburg her, so hat man den Eindruck, Athen oder Florenz zu betreten. Es ist nicht zu leugnen: reifer, geläuterter Geschmack baut in München, nicht jene plumpe antiquarische Kenntnis, die die Schönheit der Dinge auf Autorität annimmt.

Wir fuhren nur im Schritt durch die kühle und vornehme Ludwigstraße, als würden selbst die Postgäule durch die ruhenden Paläste eingeschüchtert. Der Maxpalast, die Ludwigskirche und andere Neubauten erheben sich in ungeschminkter Grazie wie Statuen, die über schönen Körpern kühne Falten hüllender Gewänder tragen. Wie eine rätselhafte Sphinx ruht das Theater auf schweren, gewichtigen Säulen, keine seiner klassischen, schweigsamen Mienen verrät, ob hinter den stolzen Brauen Ernst oder Scherz wohne.

Ich mußte sogleich von der Post zurücklaufen, um mir alles noch einmal anzusehen. Ich glaubte in einem griechischen Tempel gewesen zu sein, in dem rings schöne Menschenkunst aufgebaut war und doch der Himmel und eine bedeutende Natur nicht verborgen wurden. Still waren die Straßen. Auch die Einwohner wagten kaum laut zu werden. Es war mir, als befände ich mich in dem prächtigen Palaste Belsazars und alles schlage die Augen nieder, weil man jeden Augenblick eine gespenstige Hand erwarte, die ein unglückliches Wort an die dunkle Decke schreiben wolle. Unter aller Schönheit faßte mich das unheimliche Gefühl, als erwartete man mit Bangen ein großes Unglück. Das ist Krankheit, werden die Objektiven sagen. Ja, das mag schon richtig sein. Auch ich versuchte, die bösen Dämonen zu verscheuchen, aber es kamen mir immer nur die Worte der unglücklichen Königin Elisabeth in den Sinn: »Man ist sehr ruhig in Madrid.«

Mit Mühe erfuhr ich von den gleich Schattenbildern Vorübereilenden, daß im Englischen Garten Konzert sei. Die Gruppen, die sich dorthin auf den Weg machten, verhielten sich alle fast unnatürlich ruhig. Kein Bursche sang, kein Gassenjunge pfiff und kein Mädchen lachte. Der Hofgarten, der an die alte Residenz anstößt, war höchst anständig ruhig, obwohl es ein schöner Sommerabend und noch dazu Samstag war.

Nicht einmal ein Vogel sang, man hat mir später erzählt, daß nach München keine Nachtigallen kämen, weil es hier zu kalt sei.

An zwei Seiten des Hofgartens ziehen sich die sogenannten Arkaden hin, Säulengänge, an deren Wänden Freskogemälde, meist italienische Landschaften, angebracht sind. Aber die kalte Münchener Luft grollt den heißen Farben, und Italien erblaßt unter den Arkaden von Tag zu Tag stärker.

Wir drangen tiefer in den Park ein, da wir das Konzert suchten. Die Isar brauste und tobte. Schweigsam kam die vornehme schöne Welt zu dem Konzerte gefahren. Das Wort »schöne« ist hier bestimmt berechtigt. Die Münchener Frauen sind ebenso schön wie die neuen marmornen Bauten der Stadt. Sie sahen an jenem Abende auch ebenso klassisch aus. Ich habe auf ihren stummen und steinernen Zügen kaum einen Affekt wahrgenommen. Nach vielen Stunden waren ihre Kleider noch ebenso unverändert wohlgefaltet, als ob sie eben aus dem Garderobenzimmer kämen. Später versicherte man mir allerdings, hinter den steinernen Mauern brenne mitunter die Flamme der heißesten Liebesfreude. Auch die vornehmsten der schönen Münchnerinnen besäßen heiße Herzen. Es gäbe späte Stunden, wo die glatten Gewänder zum Ärger der Kammerzofen ihre Gewissenhaftigkeit verlören und der Marmor des Busens und Leibes heiß werde unter Pygmalions Munde. Das hat mich innig getröstet.

Ich ging hin, um den »Archivarius des Königs« zu suchen. Nicht den König Ludwigs oder sonst eines realen Königs, sondern den eines Königs an sich. Dieser Archivarius, ein Doktor der Philosophie, hat ein Buch über die Narrheit unserer Tage geschrieben. Er las übrigens täglich alle Zeitungen und war somit das beste Intelligenzblatt. Er wollte mich in München wiedersehen. Wir fanden uns auch bald und sagten uns gleich, daß wir gewichtige Fortschritte in unserer Berühmtheit gemacht hätten. Wenn sich unsere Geister weiter so entfalteten, so sagten wir uns schon jetzt voraus, daß wir einmal berühmte Leute werden könnten. Dann gingen wir ins Theater. Hier bewaffnete er seine Augen bis an die Brauen und wies mir in einer kleinen Loge ein schönes Mädchen mit glänzendem, schwarzem Haare und einem Freudenauge, das kein Geheimnis machte aus dem Glück, das es verschenken konnte. Denn es war auch alles andere an dem Mädchen von großer Schönheit.

Der Archivarius beklagte sich bitter, daß er mit dem Mädchen nicht zusammenkommen könne, da sie von einer kurzsichtigen Tante beaufsichtigt werde. Er wolle aber gerne beschwören, daß das Mädchen ganz bestimmt nicht kalt sei. Als ob ich das bezweifelt hätte! In der Pause zum zweiten Akt ging er eiligst von dannen, um die neuangekommenen Journale zu lesen. Er versprach, vor Schluß des Stückes wieder einzutreffen. Das Mädchen sah belustigt herunter. Ich hatte also recht, daß der Doktor ein richtiger Archivarius sei, dem das Lesen noch wichtiger vorkomme als die Liebe. Ich bat ihn, einen liebes- und todesentschlossenen Brief an das Mädchen mitzubringen, ich könne ihm versprechen, daß er das Mädchen noch heute sprechen würde. Vielleicht allerdings nicht lange genug, um des Briefes zu entbehren. Er ging kopfschüttelnd.

Das Münchener Theater ist von innen weit und hoch und überprächtig in seinem reichen Gold. Die rastlos aufsteigenden Logenreihen überfüllen die Augen, die massiven Farben schüchtern sie ein. Aber der Vorhang, auf dem von einem grünen Hügel ein schönes Frauenzimmer ins Land hinabfliegt, ist von wohltuender poetischer Verheißung.

Das Theater ging zu Ende. Der Archivar kehrte zurück, ein Bekannter, den ich in der zweiten Pause getroffen, war schnell ins Komplott gezogen. Wir warteten an den Türen. Das schöne Kind kam in seinen weichen Sommermantel gehüllt, begleitet von der kurzsichtigen Tante. Der Bediente hob beide in den Wagen und warf den Schlag zu. In diesem Augenblicke wurde auch sein Hut vom Kopfe geworfen. Er wurde von mir und meinem Mitverschworenen vom Wagen fort und ins Gedränge gedrückt. Der Archivarius schlug den Tressenhut über den Kopf, sprang hinten auf den Wagen auf, und die Kutsche donnerte von dannen.

Der Bediente suchte seinen Hut. Ich sagte ihm, ein Polizeidiener habe ihn aufgehoben und sei in bestimmter Richtung verschwunden. Dann gingen wir in den »Hirsch« und unterhielten uns mit Bayern und Fremden. Wir saßen und tranken und hörten dazwischen ein altes Lied vom bayrischen Himmel. Es verspricht lauter reelle Vergnügen: wohlausgekochte Klöße, trefflich aufgewärmtes Sauerkraut und Bier von der ersten Sorte. Dieses Lied ist von ergreifender Wahrheit. Der Moslem erwartet im Himmel die schönsten Huris und die schnellsten, gelenkigsten Pferde, der Bayer erwartet Bier und nochmals Bier. Träumte er aber von Allahs eigener Seligkeit, so sieht er ihn sich an einer Flasche Bockbier erfreuen.

Die Herren an unserem Tische sahen alle wohlgenährt aus und trugen Bärte. Höchst energisch blickten sie hinter ihrem Glase empor und erklärten, wenn sie erst anfingen, da würfen sie die Erde in den Mond. Aber sie fingen nicht an. Ich bewunderte ihre Entschlossenheit und ihre Schnurrbärte und ging dann schlafen.

Als ich erwachte, lag schon ein heißer, zudringlicher Sommertag über München. Ich wagte mich ins Freie, aber die Sonnenstrahlen trieben mich bald zurück. Sehnsüchtig sah ich nach dem blauen Höhenrauch am südlichen Horizonte, von wo die Alpen lockten. Hinter jenen Bergen wird die Erde plötzlich dunkelgrün und der Himmel blau und es wogt das Mittelländische Meer.

Nachmittags besuchte ich die Glyptothek. Stumm, aber in großartiger Schönheit wendet sich der Bau ganz nach innen. Kein Fenster grüßt nach außen, nur in Nischen sind Statuen aufgestellt. Die Glyptothek hat die Form eines Quadrates und enthält zehn Säle, in denen Plastiken aller Epochen aufgestellt sind. Die Säle entsprechen in ihrer Architektonik jeweils den Entstehungszeiten der Plastiken.

Tritt man aus den trockenheißen Sonnenstrahlen Münchens in die kühlen Räume, so hat man den Eindruck, einen erfrischenden Trunk aus einer klaren Quelle zu tun. Die Ruhe dieses Kunstheiligtums streichelt wie ein erquickender weicher Wind die erhitzten Schläfen. Das Licht kommt wie in den römischen Bädern durch hochliegende, halbrunde Fenster. Der einfachen Schönheit der Plastiken entspricht auch der Bau der hohen Decken. Die Gesellschaftssäle, die nach der nordöstlichen Seite zu liegen, sind von Cornelius gemalt und vollenden den freien, griechischen Eindruck des Ganzen. Das Geschick der Götter und Griechen Hellas' schreitet hier im großartigsten Stile vorüber. Die großen Leiber, die ehernen Glieder, die ewigen Augen und der unsterbliche Zorn, alles tritt uns wie ein nackter klassischer Gedanke entgegen.

Im allgemeinen hört man in München sehr gebildete Urteile über das Schöne und die Kunst. An der Glyptothek gefällt ihnen nicht, daß sie keinen einzigen vollkommenen Saal enthalte. Ich bin aber nicht der Meinung, daß dieser Vorwurf bei dem klar ausgeprägten historischen Zwecke berechtigt ist.

Unweit von der Glyptothek ragt, höher und mannigfaltiger gegliedert, das Gemäldehaus, die Pinakothek. Die bunten Farben künden sich schon durch die Mannigfaltigkeit, durch die zahlreichen Bogenfenster an. Noch ist das Innere nicht fertig, und an Bildern habe ich nur in der »Neuen Residenz« Gemälde von Schnorr sehen können.

Wenn in Bayern für alles gesorgt würde wie für die bildende Kunst, so fände man kein Ende des Lobes. Hat man sich aber erst alles einmal angesehen, so muß man abreisen. Einen längeren Aufenthalt gestattet die Zensur nicht.

 

Als der Postwagen aus der Isarvorstadt ins Freie rollte, atmete ich tief auf.

Blaue Berge zogen an unseren Blicken vorüber. Von den bayrischen und Tiroler Alpen glänzte in der Sonne blendender Schnee in die grüne Ebene herab. Bald sahen wir uns in die salzburgischen Voralpen hineingeschoben, neue Bergformen entwickelten sich. Der Archivarius saß schweigend neben mir und dachte an das schöne Mädchen, das er aus dem Wagen gehoben. Zwei sanfte Reisende lasen mit stiller Andacht Rinaldo Rinaldini, der Kutscher vor uns pfiff laut.

Grün wie junges Gras kam uns bei Wasserburg der Inn entgegen. Die Berge wurden immer steiler und ihre Wasser schäumten, vom Regen geschwellt, lärmend durch die Täler. Es hieß, die Salzach habe die Täler zerrissen und wir müßten einen weiten Umweg durch die Schluchten machen. Früh breitete sich die Nacht zwischen hohen Wänden aus, während hoch oben die Wolken und Bergspitzen noch im Sonnenlichte erglänzten. Auf allen Stationen war große Geschäftigkeit. Die Boten der Bauern kamen von allen Seiten herbei und erzählten von der Wirkung der Wasser. Sie schilderten die Gefahren und warnten vor der Weiterreise. In diesen tiefen Bergen erschrecken die nächtlichen Gefahren durch ihre Unberechenbarkeit. Aus jeder Krümmung, aus jedem Hinterhalte kann das Unglück turmhoch herabstürzen und klaftertief das Opfer in die Erde drücken. Ein paar katholisch ernsthafte Salzburger ritten mit Laternen vor dem Wagen einher. Die Lichter drangen scheu in die Nacht. Manchmal umspielten sie schwarze Bergmassen, einmal schimmerten sie über einem ruhig schlafenden, mysteriösen See. Von der Spannung erschöpft, schlief ich ein. Ein dumpfes Donnern weckte mich. Der schwere Postwagen rollte durch das hohe Festungstor von Salzburg. Ein weißer österreichischer Grenadier nahm die Pässe ab. Unheimlich rumpelte der Wagen durch abgestorbene Straßen und ein großes knarrendes Tor.


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