Reise durch das Biedermeier
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Bayern

Über schmale Hügel, durch kleine Täler gelangt man aus Württemberg, aus dem niedrigen Schwaben, in die Hügelebene Frankens. Der Main rauscht hier durch grüne Gelände, von den Gebirgen herabsteigend, die diesen reichen Landstrich von Norddeutschland absondern. Es gedeiht eine fröhliche Rebe. »Zu Würzburg an dem Stein, zu Klingenberg am Main, zu Bacharach am Rhein, da wächst der schönste Wein«, singt schon ein alter topographischer Spruch. Der Boden ist feist und ergiebig. Frank und unbesorgt wächst der Mensch hier in den heitern Tag hinein. Sein Blut ist rasch, sein Sinn ist froh, sein Auge lebhaft, schnell greift er nach jedem Interesse.

Man darf das geographische Franken nicht mit dem historischen verwechseln. Reste des wichtigen fränkischen Stammes sind allerdings am Main haftengeblieben, doch griff er ursprünglich über Thüringen hinaus bis nach Sachsen und auf der anderen Seite tief nach Gallien hinein. Der Rheinstrich teilte ihn in kleine Herrschaften. Nur Frankfurt erinnert noch an den alten Namen. Die Geistlichkeit breitete ihren Talar über die schönsten Landesteile, der Krummstab regierte über Fulda, Aschaffenburg, Würzburg und Bamberg und verhinderte eine große weltliche Herrschaft. Die demokratische Bürgermacht der Reichsstädte löste auch wichtige Teile aus dem Stammesverband, und so gelang keine Zusammenfassung des fränkischen Landes mehr. Doch ist in dem Frankenreste, der durch eine Bestimmung des Wiener Kongresses Bayern einverleibt wurde, der Charakter der heiteren Lebendigkeit des Stammes erhalten geblieben. Das verschiedenartige Regiment, der Krummstab am Main, das Markgrafentum in Ansbach und Bayreuth, die Reichsbürgerschaft in Nürnberg hat dem Lande eine farbige Mannigfaltigkeit aufgeprägt. Der Zusammenfluß nord- und südlicher Elemente hat ihm eine bewegte, lebhafte Existenz gesichert.

Ich saß stumm im Postwagen, eine verschleierte Dame lehnte still in der anderen Ecke, zwei andere Passagiere saßen draußen im Kabriolett. Es war stumm und still in mir. Das leere, bunte Leben ohne Halt und Ziel und all das flüchtige Reisegenießen, das die Seele nur streichelt, doch nicht ihren innersten Kern erfaßt, zogen kopfschüttelnd wie putzige Karnevalsfiguren an meinem halboffenen Auge vorüber. Grüne Gefilde lagen auf beiden Seiten des schnell rollenden Wagens, es war nicht zu verkennen, daß wir in Bayern waren. Hopfenstangen, die süße Symbolik des schönen bitteren Bieres, die stehende Poesie und der Augentrost der Bayern, begleiteten uns auf unserer Fahrt.

Es war ein trüber, melancholischer Tag, graue Wolkennebel lagen auf niedrigen Bergen. Auf dem grünen Rasen perlten feine Wassertropfen. Man vergaß, daß es eine Sonne gebe. Meine jungen schlesischen Gedanken, die ausgezogen waren, das Glück und die Schönheit in der Weite zu suchen, schüttelten verneinend ihr Haupt. Die Reise hatte mich klüger, aber nicht glücklicher gemacht. Die Tage eilten oder krochen vorüber, das Auge sah immer etwas anderes, ich freute mich wohl hin und wieder, aber in all dem Neuen sehnte ich mich doch nach meiner stillen schlesischen Stube zurück. Der schlesische Philister erwachte in mir.

Vor jedem geschlossenen Auge stand mir eine Träne, auf meinem Munde aber lächelte etwas, das ich selbst nicht erklären konnte. Ich fühlte etwas wie Ironie und innige Wehmut, das sich in diesem Lächeln ausprägen mußte. Ich bedaure, daß ich soviel Schönheit nicht selbst in meinem Gesichte bewundern konnte.

Es war mir plötzlich sehr kalt, und ich hüllte mich dicht in meinen Überrock. Ich war schon lange von der Heimat fort und wurde langsam recht reisemüde. Allmählich wurde es Nacht. Als wir auf der Poststation ankamen, hatte ich gehörigen Hunger. In einem gut bayrischen Wirtshause ist aber nichts als Bier zu haben. Die schläfrige Magd kochte uns brummend ein Warmbier, und wir aßen trockenes Schwarzbrot dazu.

Es ist unglaublich, wie abgeschlossen fertig die Bayern sind und wie wenig sie von der übrigen Welt verlangen. Wenn sie etwas sprechen, so betrifft es immer Bayern, sie sind ganz verwundert, daß hinter den Bergen auch Menschen wohnen. Sie sind ein streng abgesondertes Natiönchen, ihr Nationalheiligtum ist das Bier. Wenn der Bayer draußen in der großen Welt Heimweh empfindet, so ist das nichts als Durst, Durst nach bayrischem Biere. Man trinkt hier absolut, an sich, bloß um zu trinken, ohne störende Nebenzwecke.

Es ist ein gutes, starkes Volk, mit festen Knochen und vollem Herzen. Ihre Sprache und ihre Wünsche sind schwer und schleppend. Sie sehen sehr fleischig aus, und ihre Sehnen sind dick und stark. Man ist selten keusch, nüchtern, ihre Augen sind etwas dämmrig.

Selbstverständlich ist auf dergleichen Charakteristiken nicht mehr zu geben als auf persönliche Eindrücke überhaupt. Es geht in solchen Fällen wie in der Medizin, wo einzelne Eindrücke leider nur zu oft zur Aufstellung von Gesetzen verleiten. Alle Gemeinschaften enthalten unzählige Möglichkeiten in sich. Der Beobachter versucht, Durchschnittswerte zu finden, er hat aber doch nur zwei Augen und nur eine Auffassungsfähigkeit. Man darf sich also hier auf meine Urteile ebensowenig verlassen wie auf die zärtlichen Blicke einer Kokotte. Ein Reisebeschreiber aber muß mit den Gegenständen kokettieren, da er nicht immer wirklich lieben kann. Und einem verliebten Blick öffnen sich die Dinge doch eher als einem gleichgültigen.

An der Westgrenze Bayerns äußert sich das Land noch anders. Da wächst noch die Rebe statt des Hopfens. Aus dem Weine steigen Geister, aus dem Biere Gnomen.

Der Weg ging weiter durch flache Täler und stumpfe, steinige Berge. Hie und da erblickt man ein verfallenes Schloß, die Dörfer werden immer seltener, die Einwohner haben sich zum Schutze vor den straßenräuberischen Edelleuten hinter die Mauer kleiner Städte geflüchtet. Von da aus treiben sie auch den Ackerbau. Der Trotz gegen die Feudalität beginnt.

Die alte Reichsstadt Regensburg grüßt wie ein aufeinandergetürmter Hügel von Häusern und Türmen. Als ich in den engen, winkeligen Straßen fuhr, dachte ich an die Einzüge der Fürsten und Herren zu den Reichstagen, an ihre Fähnlein und Rosse und an die mediatisierte Herrlichkeit, deren breiter Walplatz das westliche und südliche Deutschland war. Da die Reaktion im Jahre 1833 so glücklich vonstatten ging, haben die alten Reichsperücken auch wieder zu wackeln begonnen und verfaßten ihre schlecht stilisierten verschollenen Artikel in der Allgemeinen Zeitung. Aber sie sitzen in einem kläglichen Fahrzeug zwischen der Skylla und Charybdis: weder das Volk noch die Fürsten wollen die Herrschaft mit ihnen teilen.

Ich eilte vom Postwagen nach dem Dome. Man kommt sich ärgerlich klein vor im Anschauen dieses schweigenden Gebäudes mit seinen hohen steinernen Mauern und ragenden Pfeilern. Zur Demut beugen diese Dome und zwingen zum Christentum. Breit und massiv, lassen sie ihre gebieterische Größe und Gewalt erst empfinden, wenn man dicht vor ihnen steht. Kleine Vertiefungen strecken sich an der Fassade in die Höhe. In kleinen Nischen unter zierlich gezackten Schutzdächern stehen putzig aussehende Könige, Frauen und Heilige, die sich in der Nähe recht groß ausnehmen mögen. Kraus wie die Wellen des Meeres laufen steinerne Schnörkel bis an den Giebel hinauf, wie die tausend kleinen Gesetze und Verbote des Christentums. Man fühlt, wieviel Zeit man im Mittelalter hatte, da ein einziger Mensch sein halbes Leben lang an einem Standbild oder an einer Reihe von Schnörkeln arbeiten mochte, die unter normalen Umständen nie ein menschliches Auge wieder sehen.

In der Kirche war es schon dunkel. Ich glaubte die langen und langweiligen Gesichter und Gestalten der alten Reichstage aus den Seitengängen starren zu sehen. Aus den blauen und roten Fenstern fiel ein mattes Licht in das hohe Schiff der Kirche. Ich setzte mich auf eine Altarstufe, stützte mein Haupt in die Hand und wurde still in der steinernen Stille rings um mich.

Durch schiefe kleine Gassen, eng wie Korridore, kommt man zum Rathaus. Wenn man vor ihm steht, fragt man einen Vorübergehenden, wo das Rathaus sei, in dem die großen Reichstage abgehalten wurden. Es ist nämlich ein kleines, verschobenes Gebäude mit grämlich verzogenen Fenstern. Die Alten brauchten wenig Raum zum Reden, ein Wort und drei Taten. Heute heißt es drei Worte und noch keine Taten. Der Entschluß zur Tat tritt allerdings mit wachsender Zivilisation immer seltener auf. Aber unsere Erzieher sollten nicht vergessen, die Menschen wieder zu lehren, daß im Handeln der Sinn des Lebens liegt.

Übrigens stellt man sich die mittelalterlichen Menschen viel zu groß vor. Vielleicht haben die Heldengedichte und unsere Begeisterung für frühere Zeiten zusammen mit dem Anblick der großen Rüstungsstücke diesen Irrtum erzeugt. Ein breit geharnischter, kolossaler Ritter, wie wir ihn uns meist vorstellen, hätte kaum manche Straße Regensburgs passieren können.

Allerdings wurde damals der Körper so gepflegt, wie wir heute den Geist pflegen. Wer wenig denkt, ißt viel. Ferner lebten die Leute einfacher und aßen keine stark gewürzten Speisen. Siegfried wäre nicht Siegfried geworden, hätte er viel Straßburger Gänseleber verspeist.

Ein altes Hochrelief am Regensburger Rathaus wird allen Fremden gewiesen, ein ungarischer Ritter im Kampfe mit einem Bürger gezeigt. Trotzdem der Ritter geharnischt ist, wird er von seinem Gegner, der nur mit einer Keule bewaffnet ist, totgeschlagen.

In Regensburg ließen wir auch den Regen gefangen zurück und fuhren in einer hellen mondschimmernden Nacht hinauf gegen Landshut und München. Die Straße gilt nicht für ganz sicher, und ein bis an die Zähne bewaffneter Soldat setzte sich auf den Vordersitz neben den Kondukteur, den nicht der revolutionärste Lärm hätte erschüttern können. Es war eine Höllenfahrt, und ich betete inbrünstig den Herrn von Nagler an. Am schönen Morgen kamen wir nach Landshut. Der mädchenschlanke, himmelhohe Turm mit dem pfeilhochfliegenden Dome lachte uns weiß und rot in der Morgensonne entgegen. Der Tag flog wie ein Freudengedicht im hüpfenden Sonnenscheine von der kühnen, graziösen Kuppel herab zu uns Menschlein. Die ganze freie, luftige Kirche atmet Mut und kühnen, fröhlichen Flug zum blauen Himmel empor. Es ist einer der schönsten Türme Deutschlands. Die Betrachtung eines solchen Kunstwerkes erzeugt Courage. Man sieht an diesem Wagnis, daß wir keine Götter sein können, doch in der Kunst dem schaffenden Gotte am nächsten kommen. Mit dem babylonischen Turme haben die Heiden sicherlich einen Weg in den Himmel erbauen wollen.

Immer tobender wurde der Lärm, der uns im Weiterfahren nach München entgegenklang. Die Isar war aus ihrem Bett gesprungen und lief über Felder und Straßen. Totes und um sein Leben kämpfendes Wild kam in großer Zahl dahergeschwommen. Es war, als breche die Sintflut über die bayrischen Biersünden und die Verfehlungen der übrigen Welt herein. Wir kamen immer tiefer ins Wasser und mußten endlich auf die Augsburger Straße umlenken. Am Horizonte erhob sich München mit stumpfen Türmen.

Die Straße glitt über eine stille Ebene. Hin und wieder sahen wir an Waldecken ein Reh. Friedlich und weiß leuchtend grüßte aus einem geraden Waldwege Schloß Schleißheim herüber und lud uns ein, seine schönen Gemälde zu besichtigen. Ein kühler Wind strich über das Plateau, auf dem München fast in gleicher Höhe wie der Harz liegt. Mich fror immer stärker, je näher wir kamen.


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