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Zwei Schüler stritten über die Bedeutung eines mathematischen Ausdrucks; er enthielt die Beziehung dafür, wie eine gewisse Summe Geldes sich ändert, wenn die Zinsen an jedem Termine hinzugefügt und aufs neue mitverzinst werden. Der eine sagte: »Ein Kapital ist ein Vermögen, das Zinsen bringt.« »Nein«, sagt der andre, »ein Kapital ist eine Schuld, für die man Zinsen zahlen muß.« Welcher hatte nun recht? Offenbar beide. Ein Kapital, das sich verzinst, muß immer zugleich ein Vermögen sein und Schuld sein; es muß jemand gehören, und es muß von jemand entliehen sein; eine Zahlung setzt stets voraus, daß sie geleistet und empfangen wird. Im mathematischen Gesetz aber, das die Veränderung des Kapitals bestimmt, ist davon nichts enthalten; denn es sind nicht zwei verschiedene Geldsummen, sondern einunddieselbe, die sich gesetzmäßig verändert. Nur der Wert ist ein verschiedener, ob ich zahlen muß, oder ob ich empfange, und für mich, den einzelnen, hängt alles von diesem Umstande ab; an der gesetzlichen Bestimmung über die Größe der Summe ändert es nichts, ob ich Schuldner bin oder Gläubiger.
In ähnlicher Weise – alle Gleichnisse hinken – ändert es nichts an der gesetzlichen Bestimmung, ob der dadurch erzeugte Inhalt objektives Naturgeschehen ist, oder von jemand als Empfindung und Gefühl erlebt wird. Wer Physisches und Psychisches als zwei getrennte Entwicklungsreihen auffassen wollte, der gliche demjenigen, der Vermögen und Schuld für zwei verschiedene Kapitalien hielte und nun annähme, daß sich eine Geldsumme in eine andere verwandele, wenn der Besitz wechselt. Tatsächlich besteht die Veränderung doch nur in der Beziehung auf die neue Einheit, mit welcher die Geldsumme ein System bildet. Einunddieselbe Geldsumme ist für den Gläubiger Vermögen, für den Schuldner – Schuld. So ist dieselbe räumliche Veränderung, lediglich als gesetzliche Bestimmung inbezug auf andre Körper betrachtet, physisch, dagegen für sich selbst, wenn dem veränderten System ein menschliches Gehirn angehört, psychisch. (Vgl. S. 66 f.)
Daß das menschliche Gehirn nicht ein Apparat ist, in welchem räumliche Bewegung der Molekeln, oder, um noch allgemeiner zu sprechen, physische Energie sich in Empfindung und Gefühl verwandelt, das sieht man schon daraus, daß diese Energie nicht als solche verschwindet, sondern im physiologischen Prozeß, in den chemischen Umwandlungen des Organismus erhalten bleibt. Trifft ein Reiz unser Nervensystem, so wird zwar im Verlaufe des nervösen Prozesses die mitgeteilte Energie in ihrer Form umgewandelt, mechanische geht in chemische oder thermische, diese wieder in mechanische usw. über, sie bleibt aber als Energie vorhanden; für einen äußeren Beobachter, der imstande wäre, alle ihre Umwandlungsprozesse messend zu verfolgen, wäre sie immer nur Energie im Raume. Daß wir dabei zugleich »hell« oder »warm« empfinden, daß wir Lust oder Unlust fühlen, das ist eine Begleiterscheinung, die sich nur als Erlebnis dessen vorfindet, in dessen Gehirn jene Energieumwandlungen vor sich gehen; aber nicht zu diesem psychischen Geschehen wird Energie verbraucht, sondern nur zu der physischen Wirkung; diese ist nichts anderes als der räumliche Ausdruck für die Änderungen, die in unserm individuellen Bewußtsein erlebt werden; daß sie zugleich den Charakter der Bewußtheit mit sich führt, ist eben die ursprüngliche Eigenschaft ihrer Zugehörigkeit zu einem einheitlichen System.
Es ist die Grundeigenschaft der Erkenntnis, ihr Wesen selbst, daß sich in ihr etwas noch nicht Bestimmtes zu einem Bestimmten gestaltet. Über diesen ursprünglichen Prozeß kann kein Nachdenken hinausführen; Verbindung des Mannigfaltigen zur Einheit, Synthesis, ist die Grundform alles Seins. Wenn Massen, die im Raume verteilt sind, gewisse Lagen gegen einander einnehmen, so ist dies Setzung einer Bestimmung durch die Einheit eines Gesetzes, ist Synthesis. Und wenn in den Ganglienzellen des Gehirns sich die Wirkungen von Jahrtausenden der Menschheitsgeschichte begegnen, so setzen sie sich ebenfalls gesetzlich zusammen, es ist Synthesis. Nun zeigt aber die Erfahrung, daß diese Synthesis für uns eine Empfindung, ein Gefühl, einen Gedanken bedeutet. Das Gehirn ist also nicht der Apparat, um eine räumliche Synthesis von Molekeln in eine psychische von Vorstellungen zu verwandeln, sondern es ist nur derjenige Apparat, von welchem wir durch unsere Selbsterfahrung wissen, daß die räumliche Synthesis seiner Bewegungsgesetze als eine Synthesis im Bewußtsein psychisch erlebt wird. Die Synthesis, die Bestimmung zur Einheit, zeigt somit in diesem Falle zwei Seiten, eine physische und eine psychische.
Man pflegt diese Tatsache häufig so auszudrücken, daß man sagt, es besteht ein durchgängiger Parallelismus zwischen physischen und psychischen Prozessen. Ein und derselbe Vorgang ist in seinen gesetzlichen Bestimmungen betrachtet, somit für einen äußeren Beobachter, ein physischer, in sich selbst aber, als Einheit des Systems erlebt, ein psychischer.
Man muß gestehen, daß ohne die Einführung besonderer Kunstausdrücke diese Tatsache sich nicht besser beschreiben läßt, als daß physisch und psychisch zwei Seiten oder Darstellungsarten desselben Vorgangs sind, der sich als Synthesis, als Verbindung eines Mannigfaltigen zur Einheit vollzieht, so daß dabei etwas noch nicht Bestimmtes zu einem Bestimmten wird. Doch ist der Ausdruck Parallelismus für dieses Verhältnis nicht zutreffend, weil er Physisches und Psychisches gewissermaßen verselbständigt; man wird besser tun, ihn zu vermeiden. Man könnte vielleicht dafür »Biformismus« sagen.
Es liegen nämlich für die Annahme des Parallelismus von Physischem und Psychischem insbesondere folgende Mißverständnisse nahe.
Davon ausgehend, daß die physischen Erscheinungen oder, wie man gewöhnlich sagt, die materiellen, das Objektive sind, hält man sie für die ursprüngliche Realität, die allem Sein zu Grunde liegt, und erklärt die psychischen oder geistigen Erscheinungen als die Innenseite der physischen. Mit andern Worten, man nimmt an, daß die Materie, sei es nun in ihren letzten Teilchen, sei es erst in gewissen komplizierten Einheiten und Systemen, etwa den Zellen, beseelt sei, d.h. den Charakter der Bewußtheit besitze. Deswegen seien alle materiellen Vorgänge in sich selbst von Bewußtsein begleitet. In dieser Form ist die parallelistische Theorie Hylozoismus, Stoffbeseelung.
Oder man nimmt an, daß Physisches und Psychisches die beiden Erscheinungsformen einunddesselben Dritten, einer uns unbekannten Substanz seien, die uns nur in den Attributen Ausdehnung und Denken zugänglich sei. Die gesetzliche Entwicklung dieser Substanz sei der Weltprozeß, der uns darum die doppelte Seite, Körper und Geist, zuwende. Diese auf Spinoza zurückgehende Form des Parallelismus bezeichnet sich vielfach auch als Monismus.
Beide Auffassungen aber sind unhaltbar, weil sie dogmatischen Charakters sind. Sie setzen voraus, daß es von vornherein ein System gesetzmäßiger Bestimmungen eines Inhalts gebe, infolge dessen sich die Natur und ihr parallel das Bewußtsein entwickelt. Mag nun jenes System naturalistisch als »Stoff und Kraft«, »Atome«, »Energie«, oder auch metaphysisch als »Substanz«, »Absolutes« oder wie sonst bezeichnet werden, das Fehlerhafte liegt immer darin, daß dann die Erkenntnis als ein empirischer und psychologischer Prozeß an die kosmische oder metaphysische Ordnung gebunden ist, die bereits vor aller Erfahrung feststeht. Dann ist nicht nur das individuelle Bewußtsein, das empirische Einzel-Ich, der Naturordnung unterworfen – was ja als richtig zuzugeben ist –, sondern es gibt für das Bewußtsein überhaupt nur die Möglichkeit, sich unter der Notwendigkeit jener Bestimmungen zu entfalten. Die Bedürfnisse der Naturwissenschaft werden damit vollständig erfüllt. Es bleibt aber gänzlich unverständlich, wie die absolute Forderung des Sittengesetzes, wie die Freiheit sich selbstbestimmender Persönlichkeiten mit der Naturnotwendigkeit vereinbar sei. Ethik, Ästhetik und Religion würden unter dem Zwange des naturalistischen Dogmatismus nur die Bedeutung von Naturprodukten haben und demnach die weltschöpferischen Ideen zu subjektiven Illusionen aufgelöst werden. Die Welt wäre zwar theoretisch konstituiert, praktisch aber unzugänglich und sinnlos.
Von diesem theoretischen Zwange befreit sich die kritische Auffassung. Auch sie kann in gewisser Hinsicht von einem Parallelismus zwischen dem Physischen und Psychischen reden, nur müssen diese Ausdrücke nun auch in dem Sinne verstanden werden, der dem Grundgedanken des Kritizismus entspricht. Physische und psychische Erscheinungen treten allerdings als zwei Seiten oder Arten auf, in denen dieselbe Synthesis sich darstellt, aber doch so, daß dieser Unterschied erst mit der Verbindung des Mannigfaltigen zur Einheit gesetzt wird. Vor dieser Synthesis, d.h. ohne die Erkenntnis, kann überhaupt weder von Dingen noch von Seelen, d. h. weder von Natur noch von individuellem Bewußtsein die Rede sein. Erst in der Erfahrung wird ein noch nicht Bestimmtes zu einem Bestimmten und damit physisch oder psychisch; je nach der Art und Ordnung des Inhalts in Bezug auf die Einheit entscheidet es sich, ob dieser Inhalt nur als räumliches System auftritt, oder zugleich in der Einheit erlebt wird. Beides aber vollzieht sich innerhalb des Erkenntnisprozesses oder, wenn man will, eines allgemeinen Bewußtseins. Dieses allgemeine Bewußtsein bedeutet nur die synthetische Funktion, d. h. die Bedingung, daß eine Verbindung des Mannigfaltigen zur Einheit überhaupt möglich ist; und wenn sie als allgemeines Bewußtsein gedacht wird, so geschieht es, weil wir keine andere Form der Verbindung kennen, als sie uns unser individuelles Bewußtsein in der Erfahrung aufweist (S. S. 97). Sie darf aber darum nicht als etwas Psychisches aufgefaßt werden. Es bleibt damit die Möglichkeit offen, Systeme, die wir nicht als bewußte erleben, doch als Einheiten in einem allgemeinen Bewußtsein zu denken. Das individuelle Bewußtsein, das einzelne Ich mit seinen psychologischen Vorgängen, steht immer unter demselben Gesetze wie die Natur, und ihm entspricht zugleich ein physisches System, dem ein Zentralnervensystem angehört. Aber das Bewußtsein erschöpft sich nicht in dem der Einzelwesen. Es bleiben noch Formen der Synthesis, die nicht in der Naturentwicklung aufgehen. Die Natur ist nur ein Teil des Bewußtseins überhaupt (nämlich der theoretisch erkennbare,) und ebenso wie das Psychische ist sie Bewußtseinsinhalt. Das Psychische unterscheidet sich vom Physischen dadurch, daß es als Bewußtseinsinhalt einer individuellen Einheit, unserm Ich, zugehört, während im Physischen der Inhalt durch die objektive Einheit des Gesetzes bestimmt, ist. Daher wird der erstere erlebt, der letztere nur erkannt. In jedem Falle handelt es sich aber nicht um einen an sich vorhandenen Inhalt, sondern dieser wird erst mit der verbindenden Einheit als dieser besondere Inhalt bestimmt. Somit stellen Physisches und Psychisches nur eine von den Gesetzmäßigkeiten dar, unter denen Inhalt geschaffen wird. Und in unserm eigenen Leibe ist der besondere Fall gegeben, daß wir einen psychisch erlebten Inhalt zugleich als einen physischen erkennen. Will man dies Parallelismus nennen, so mag es in Ermangelung eines besseren Wortes geschehen, obwohl das Bild des »Nebeneinanderhergehens« recht mangelhaft zutrifft. Das Wort »Biformismus« würde die wesentliche Eigenschaft, die Doppelgestaltung des sich Bestimmenden, deutlicher hervorheben.
Jedenfalls hat der Ausdruck »Parallelismus« nicht die Bedeutung, daß zwischen den physischen Vorgängen und den psychischen durchgängig Analogie obwaltet. Vielmehr zeigt sich gerade, daß dort, wo im Psychischen, wie in der subjektiven Empfindung und im Gefühl, Einfachheit besteht, im Physischen sich der Vorgang als eine komplizierte Mannigfaltigkeit erweist; und wo im Psychischen Unbestimmtheit besteht, herrscht im Physischen die Bestimmtheit des Gesetzes. Man kann also die parallelistische Theorie nicht dadurch widerlegen, daß man nachweist, es bestehe keine Analogie zwischen den beiden Seiten des Physischen und Psychischen. Im Psychischen zeigen sich aus Gründen, die im Folgenden erörtert werden sollen, gerade solche Seiten der Bestimmung des Weltinhalts, die dem Physischen fehlen, nämlich alle diejenigen, welche die Stellung des Individuums als einer besonderen Einheit gegenüber der Natur kenntlich machen, und die wir als Gefühle und Triebe erleben. Es sind besondere Bedingungen, die erfüllt sein müssen, damit die durch das Naturgesetz bestimmte Einheit eines Systems eine so enge und konzentrierte wird, daß sie sich ihrer selbst als eines individuellen Geistes bewußt wird. Die direkte Erfahrung gibt uns diesen Fall nur für den eigenen Organismus. Inwieweit wir Gründe haben, eine Beseelung auch für andere Systeme vorauszusetzen, findet man in meinem Buche »Seelen und Ziele« eingehend erörtert. Sind die Bedingungen jener Einheit nicht erfüllt, so wird der physische Vorgang in jenem System nicht erlebt, und wir nennen ihn »unbewußt«, da er uns als psychischer nicht bekannt ist. Das »unbewußt« oder »nicht psychisch« bezieht sich aber immer nur auf die Abtrennung von meinem individuellen Bewußtsein. Es ist nicht ausgeschlossen, daß ein für uns nicht-psychischer Vorgang in der Einheit eines umfassenderen individuellen Bewußtseins dennoch psychischen Charakter trägt. Niemals bedeutet das Nicht-Psychische die Lösung von den Bestimmungen des Inhalts in einem allgemeinen Bewußtsein. Hier bleiben Formen der Bestimmung, die der Erfahrungswelt unsres Ich übergeordnet sind.
Unter diesem höhern Gesichtspunkt lassen sich physisches und psychisches Geschehen auffassen als die koordinierten Mittel, wodurch die höchsten Einheiten der Vernunftideen sich realisieren. Beide aber sind dasselbe gesetzlich notwendige und bestimmbare System, wodurch wissenschaftliche Erkenntnis möglich wird, d.h. wodurch in den individuellen Bewußtseinszentren die allgemeinen Gesetze bewußt werden, auf denen sie selbst beruhen.