Else Lasker-Schüler
Freunde. Kurze Prosaskizzen
Else Lasker-Schüler

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Alfred Kerr

Silvester 1908 bin ich Alfred Kerr begegnet unter künstlichen Balkansternen, zwischen schleierverhüllten Angesichten schöner Haremsfrauen und fezbedeckter Häupter weißgekleideter Muselmänner. »Wissen Sie, wer der Beduinenfürst war?« (Wir grüßten uns nach des Bosporus Zeremoniell und Sitte.) »Reißen Sie mich nicht immer aus meinen morgenländischen Illusionen,« antwortete ich meiner Begleiterin. Später hörte ich, der Araber mit dem Seidenmantel sei Alfred Kerr gewesen. Am besten gefallen mir seine Gedichte, sie sind humorsüß und fallen ihm in die Hand. Aber seine allerschönste Dichtung war ein spanisches Essay; jedes Wort trug eine Abendrotrose im Haar, jedes Wort war eine Senora, erhob sich und tanzte.

Über den Kurfürstendamm sehe ich ihn manchmal nach der Kolonie heimwärts gehen. Dort wohnt Alfred Kerr in einer Villa, die beneidet wird, sonst pflegt man die meisten Kolonisten ihrer Villa wegen zu beneiden. Heimlich birgt dieses nachtumheckte Schlößchen seinen Dichter. Spät muß der Kritisierende die Kritik niederschreiben, die sind blaunervig wie er selbst und duften nach melancholischer Ironie. Wir haben uns beiden nur immer das Schönste gesagt, wir kennen uns nur im Gruß. Mich dünkt, er träumt von »Heinrich« wie ein einziger Sohn, der sich einen Bruder wünscht. Er träumt immer von seinem Bruder Heinrich Heine. Bald gleicht er ihm auf einen Nerv. Alfred Kerr müßte durch die Straßen von Paris wandern wie der tote Bruder, mich stört des Lebenden chevaleresker Mantel, sein abgestäubter Hut. Warum denke ich so? – Morgen lese ich im Tag seine gedichtete Kritik über Hauptmanns Premiere.

 


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