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Vor fünfhundertfünfzig Jahren, im Juli 1373, liegt eine alte Frau krank in Rom in einem kleinen Häuschen am Campo de' Fiori ganz nahe dem Tiberufer. Das Haus, in dem sie weilt, ist unansehnlich, aber recht gut erhalten. Mit seinem Ziergarten, seinen kleinen, kühlen Stuben, seinem starken Tor macht es einen Eindruck von Sicherheit und Ordnung inmitten einer Stadt, wo die grasüberwucherten Straßen von den Trümmern eingestürzter Kirchen versperrt sind, wo Erdbeben, Seuchen, Hungersnot und nie und nimmer rastende Blutsfehden die Bewohner an den Rand der Verzweiflung und Verwilderung gebracht haben.
Weder die Kranke noch jemand aus ihrer Umgebung glaubt, daß die Krankheit zum Tode führen werde. Sie leidet mehr an einer schweren Niedergeschlagenheit der Seele, und alle meinen, daß, wenn sie die nur erst überwunden hat, sie aufstehen und ihrer gewohnten Arbeit nachgehen wird.
Das Leben um sie nimmt auch seinen Fortgang wie alle Tage. Die ganze Straßenmauer ist von einer Reihe Krüppel und Kranker belagert, Frauen und Männer durcheinander. Eine alte Bettlerin, der nichts fehlt, sitzt zunächst dem Tor und fühlt sich all diesen Armen gegenüber als Hausfrau, denn sie hat, seit die heilige Frau aus dem Norden vor etwa zwanzig Jahren in Signora Papazuris Haus einzog, auf diesem selben Platze gesessen und Almosen in Empfang genommen.
Die unruhigen Kranken wenden sich der Bettlerin zu, die mit den Bewohnern des Häuschens so gut bekannt zu sein scheint, und verlangen Auskünfte über die große Wundertäterin, die sie zu Rate ziehen wollen, sie möchten gerne wissen, ob ihre Macht wirklich so groß ist, daß sie Hilfe erhoffen können.
Und die Bettlerin antwortet ihnen ebenso, wie sie all die vielen Jahre den anderen Hilfesuchenden geantwortet hat.
Was meinten sie wohl, warum saß sie, Monna Assunta, hier vor diesem Tor? Glaubten sie, sie säße hier, um Almosen zu erbitten? Aber da hätte sie sich doch ebensogut vor irgendeiner Kirche niederlassen können. Nein, sie saß hier, weil sie sich daran freute, den Gotteswundern beizuwohnen, der Gesundmachung der Kranken, der Heilung der Aussätzigen, die hier tagtäglich vor sich ging.
Sie erzählt den eifrig Lauschenden, wie die heilige Frau im Jubeljahr nach Rom kam, eine Pilgerin wie alle anderen, mit einem kleinen Geleite, alle in Pilgertracht. Aber welche Hoheit, welcher Adel hatte sie doch auch im Büßermantel umstrahlt! Jeder mußte es sehen, sie war eine Edelgeborene, eine Fürstin, ja, man flüsterte sich zu, daß sie in ihrem eigenen Lande eine Königin gewesen war.
Man behauptete, sie sei nach Rom gewandert, um die Genehmigung einer Klosterregel zu erlangen. Aber die alte Assunta wußte es besser. In diesen Zeiten, wo der Heilige Vater Rom verlassen hatte, um in Frankreich zu leben, da war die heilige Frau auf Gottes Geheiß hingekommen, um die Armen der Stadt zu trösten und den Kranken zu helfen. Nun, da die Herrlichkeit der großen Stadt vergangen war, ihre Kirchen in Trümmern, ihre Straßen verödet, ihre Kastelle eingestürzt, ihre Priester den Bettlern gleich, war diese Frau gekommen, um bis zur Wiederkehr des Heiligen Vaters den Elenden eine Mutter, den Hilflosen ein Hort zu sein.
Die mächtige Frau, von der die alte Assunta spricht, liegt unterdessen auf ihrem Bette und kämpft einen harten Kampf. Sie hält die Augen geschlossen, die Lippen fest zusammengepreßt, die Hände krampfhaft um ein kleines Kruzifix geschlungen. Der Schweiß perlt von der Stirn auf die Wangen herab. Sie liegt ganz still wie eine, die große Schmerzen leidet, aber niemanden ihr Leiden merken lassen will. Stimmen flüstern ihr unablässig so hohnvolle, grausige Worte ins Ohr, daß sie glaubt, sie kommen von bösen Geistern, die sie zum Abfall von Gott verleiten wollen.
Die bösen Geister kennen ihren verwundbarsten Punkt. Sie wollen ihr beweisen, daß die Gesichte und Offenbarungen, die ihr Erhebung und Labsal waren, nichts andres sind als ihr teuflisches Werk.
»Und wenn du, Brigitta Birgerstochter,« sagen sie, »noch glaubst, daß du zu Gottes Angesicht erhoben wardst, daß du das milde Antlitz der Mutter Gottes geschaut und die lobsingenden Engel ihren Schöpfer preisen gehört hast, so mußt du dich wohl jetzt in deinem hohen Alter von solchem Irrtum lossagen.
Denn daß dies ein Irrtum und nichts andres ist, werden wir dir allsogleich zeigen. Du sagst ja, Gott habe dir befohlen, eine Klosterregel zu stiften und ein Kloster in Vadstena zu erbauen, und ebenso glaubst du das Gelöbnis des Herrn empfangen zu haben, daß du eine Nonne in diesem Kloster und seine erste Äbtissin sein wirst, sintemalen es stets dein größtes Verlangen war, ein Leben fern von der Welt zu führen, bis daß du in Gottes Reich eingehen darfst.
Aber wenn diese Verheißungen dir wirklich von Gott gegeben wären, dann wären sie wohl auch ungesäumt in Erfüllung gegangen, denn Gott ist allmächtig. Aber siebenundzwanzig Jahre mußtest du warten, bis der Papst sich bewegen ließ, deine Regel zu genehmigen, und du mußtest es dulden, daß er Änderungen an den Bestimmungen vornahm, die dir von Gott gegeben waren. Darum, Brigitta, mußt du einsehen, daß dieser Befehl, einen Orden zu gründen, dir nicht von Ihm gegeben sein kann, der allmächtig ist und Herr über die Welt.
Und ferner, da Gott wahrhaftig ist, kann es unmöglich Er sein, der dir versprochen hat, daß du Nonne und Äbtissin in Vadstena werden sollst. Denn du bist nun alt und schwach, und du fühlst wohl, daß du in Rom sterben mußt. Sondern der dir dies versprach, das war der gefallene Engel in der Hölle, der dich gelockt und verleitet hat.«
Die Greisin versucht zu widersprechen und Einwände zu erheben, aber mit schrillen, zornigen Stimmen antworten sie ihr und häufen Beweis auf Beweis, daß sie das ganze Leben lang nur in ihrem Dienste gewirkt hat.
Ab und zu tritt eine Frau in mittleren Jahren mit einem hellen, sanften Antlitz in das Zimmer und beugt sich über die Liegende. Sie wischt ihr den Schweiß von der Stirn und fragt, ob sie ihr nicht Hilfe und Linderung verschaffen kann. Aber die Alte ist in ihre Gedanken versunken. Sie scheint von der Gegenwart der anderen nichts zu wissen.
Da geht die jüngere Frau wieder in den Vorraum hinaus, um all jenen, die dort warten, zu sagen, daß ihre Mutter noch immer leidend ist und noch nicht zu ihnen sprechen kann.
Dort draußen sitzen einige von denen, die zu Frau Brigittas Hausstand in Rom gehören, und führen Gespräche im Flüsterton mit den vielen Menschen, Fremden und guten Freunden, die gekommen sind, um die nordische Seherin um Rat zu fragen.
Da sieht man Sendboten des Papstes Gregor in Avignon, die Aufschlüsse über eine göttliche Botschaft begehren, die Frau Brigitta ihm geschickt hat und die schwer zu deuten ist. Da sind nordische Pilger, die Botschaft aus Vadstena bringen und Anfragen wegen des Klosterbaues, der jetzt dort im Werke ist. Da sind vornehme Römerinnen, die Ratschläge für die zukünftige Laufbahn von Söhnen und Töchtern wünschen. Da sitzen bescheidenere Frauen, die Heilung für Gebreste suchen, wallfahrtende Mönche und Nonnen, die zu ihrem Seelentrost die sehen wollen, die so oft in ihren Träumen und Visionen Gott geschaut hat.
In einer Ecke sitzen einige Römerinnen im Gespräch. »Erinnert ihr euch, wie damals der Blitz in die große Glocke der Peterskirche einschlug?« sagt eine von ihnen. »Ganz Rom staunte und glaubte, daß etwas Böses bevorstünde, aber diese nordische Sibylle war die erste, die ihre Stimme erhob und das Zeichen dahin deutete, daß Papst Klemens sterben würde, und so geschah es auch.«
»Ja,« sagte die andere, »gewiß entsinne ich mich. Und ich erinnere mich auch, wie es Papst Urban erging. Er war ein frommer Mann. Vor einigen Jahren kam er aus Avignon hierher und blieb drei Jahre in Rom, aber die ganze Zeit sehnte er sich nach Frankreich zurück. Wie ein schleichender Dieb wollte er sich schließlich aus Rom fortstehlen, aber die Heilige, die dort drinnen ruht, bekam Kunde von seinem Vorhaben. Sie eilte ihm nach und erreichte ihn unterwegs. Und sie sagte ihm, daß, wenn er Rom verließe und nach Avignon zurückkehrte, Gott seine Tage verkürzen würde. Und Gott ließ seine Seherin nicht zuschanden werden, sondern da der Papst ihr nicht glaubte und in sein Land zurückkehrte, geschah es also, wie sie vorausgesagt hatte.«
Man erzählt ein Beispiel nach dem andern für ihre große Sehergabe. »Wahrlich,« sagt ein Mönch, »ist diese Frau nicht ein Sprachrohr Gottes: die Mächtigen beben vor ihren Strafgerichten, aber den Armen und Bekümmerten bringt sie Trost und Erquickung.«
»Was, Signora Lukrezia,« ruft eine Edeldame, die weiter vorne im Zimmer sitzt, »habt Ihr davon nicht gehört? Aber es soll wirklich wahr sein, daß Königin Johanna von Neapel in Liebe zu einem von Frau Brigittas Söhnen entbrannte, der sie auf der Wallfahrt zum Heiligen Lande begleitete, und ihn zu ihrem Gemahl machen wollte. Doch die Heilige widersetzte sich dem Willen der Königin, denn der Sohn war schon verheiratet und hatte daheim in Schweden eine Frau. Aber, Signora, was konnte das Verbot der alten Mutter bedeuten, wenn die Königin und der Sohn in der Sache einig waren? Sie hatte keine andere Zuflucht als ihre Bitten, den Greuel zu verhindern. Aber die Bitten dieser Frau sind mächtig, und Gott stand ihr auf die Weise bei, daß ihr Sohn von der Pest hinweggerafft ward, ehe noch die Ehe vollzogen werden konnte.«
So sitzt man in der Stille da und erzählt. Ohne daß man recht weiß wie, ist das Zimmer von Andacht und weihevoller Stimmung erfüllt. In der Kammer hier daneben, denkt man, liegt ein Mensch, der Gott gesehen hat, einer, der lieber den Tod auf seine Liebsten herabbeschwört, als daß er sie eine Todsünde begehen läßt.
Die helle, milde Frau, die die Tochter der Heiligen ist, Frau Katharina, öffnet wieder die Kammertüre und huscht hinein. Während sie drinnen bei der Kranken verweilt, ist alles still. Einige der Unglücklichen, die erwartet haben, daß die wunderbare Braut Christi, die da ruht, sie von Krankheiten heilen würde, von denen sie sonst nirgendwo Genesung finden konnten, fallen auf die Knie und strecken die Arme nach der Türe aus. In den zitternden Händen halten sie Rosenkränze, und während die Perlen durch die Finger gleiten, flüstern sie Ave-Marias und Vaterunser.
Frau Karin hat die Türe offen gelassen, und aus dem Zimmer der Kranken dringt ein schwaches Stöhnen, ein leises Ächzen. Da werden alle im Vorraum von tiefem Mitleid ergriffen. Ihre Herzen wollen hinschmelzen bei dem Gedanken, daß die heilige Frau, die die Qualen so vieler Kranken gelindert, selbst dem Schmerz zum Opfer fallen muß. Mit einem Male sinken sie alle auf die Knie, alle strecken sie die Arme nach dem Krankenzimmer aus, alle beginnen sie zu beten.
Als Frau Karin zurückkommt, bleibt sie auf der Schwelle stehen, erstaunt, all diese Menschen in betender Stellung zu sehen. Mit einem raschen Entschluß läßt sie die Tür offen stehen, kniet neben den andern nieder und flüstert wie diese: Pater noster qui es in coelo.
Wie sie so liegt, der Kammer zugewandt, kann sie das abgezehrte Antlitz der Mutter sehen, und es jammert sie, daß die Greisin immer noch kämpfen muß, daß sie selbst nie den Frieden erlangen kann, den sie allen schenkt, die an sie glauben.
Aber wie Brausen von der Meeresküste, wie blütenduftgeschwängerter Wind dringen die geflüsterten Gebete in Frau Brigittas Kammer. Und plötzlich sieht die Tochter, wie die Spannung in den Zügen nachläßt, wie die geballten Hände sich lösen. Staunen und große Freude malt sich in dem Antlitz. Die Runzeln der Stirn glätten sich, der Mund lächelt, und die Wangen färben sich rosig.
Es ist nicht mehr Zeit vergangen, als daß Frau Karin ein Paternoster zu Ende beten konnte, da erhebt sich die Mutter klar wach im Bette und winkt sie zu sich. Sie eilt hinein und schließt die Türe hinter sich zu.
Nach einer kleinen Weile steht Frau Karin wieder vor den Betenden. Man sieht, daß sie sehr bewegt ist, ihre Stimme zittert, aber die Augen leuchten vor Freude.
»Meine liebe Mutter bittet mich, euch zu sagen, daß sie eine Zeitlang von den Heimsuchungen böser Geister arg gequält wurde. Aber heute nun hat sie Christus gesehen. Mit sanftem Antlitz offenbarte er sich ihr vor dem Altar, der in ihrem Kämmerlein steht. Und er sprach zu ihr, er habe an ihr getan, wie der Bräutigam zu tun pflegt, wenn er es eine Zeitlang unterläßt, sich seiner Braut zu zeigen, auf daß er desto inbrünstiger ersehnt werde. So hatte er meine Mutter einige Tage lang nicht besucht, weil dies ihre Prüfungszeit war.«
Hier hält Frau Karin inne und bewegt die Lippen ein Weilchen, bis sie die Stimme zu festigen vermag, so daß sie fortfahren kann:
»So sprach dann Christus zu meiner Mutter, sie sei nun genug geprüft, und sie solle sich auf eine große Freude gefaßt machen, denn am fünften Tage nach diesem wird sie zur Nonne und Äbtissin vor seinem Altar in Vadstena geweiht werden.
Und meine liebe Mutter läßt euch sagen, daß sie einige Tage der Ruhe braucht, um ihre zeitlichen Angelegenheiten recht zu ordnen, ehe sie daran geht, von der Welt Abschied zu nehmen. Aber sie bittet euch, am fünften Tage wiederzukommen und sich mit ihr zu freuen, daß sie nun erreicht hat, was von frühester Kindheit auf das allergrößte Sehnen und Verlangen ihrer Seele war.«
Da entfernten sich alle Besucher, trauernd, daß die große Seherin Rom verlassen würde, aber doch erhoben in ihrem Sinn, weil sie Gottes Gnade gegen seine Braut und Magd miterleben durften.
All jenen, die Frau Brigittas Hausstand in Rom angehören und gewohnt sind, ihre Offenbarungen zu sammeln und sich daran zu freuen, so wie die Kinder dieser Welt Schätze sammeln und sich an ihrem Glanze erfreuen, scheint diese letzte Botschaft die köstlichste, die ihr je zuteil wurde. Denn wenn sie auch in mancher Hinsicht dunkel ist, verstehen sie doch, daß ein großer Umschwung in ihrem Leben bevorsteht, und daß die lange Wallfahrt, die sie vor vierundzwanzig Jahren antrat, sich nun ihrem Ende zuneigt. Aber damit sind auch für sie alle die langen Pilgerjahre zu Ende. Sie können in ihr eigenes Land zurückkehren, wo sie Schutz und Schirm haben, und brauchen nicht mehr von fremden Gnaden zu leben. Das kleine treue Häuflein muß sich nicht zerstreuen, das erbauliche Zusammenleben mit Frau Brigitta braucht nicht aufzuhören. Die allermeisten denken wohl, mit ihr in das prächtige Klosterheim in Vadstena einzuziehen und ihr dort weiterzudienen.
Darum erfüllt eine große Freude ihre Herzen. Sie fühlen sich verjüngt und hoffnungsfroh. Längst versunkene Bilder schweben vor ihren Augen, sie sehen lichte Birkenhaine, kleine blinkende Seen und graue, bemooste Häuschen am Saume mächtiger schwarzgrüner Nadelwälder.
Noch lebt unter ihnen der alte Unterprior aus Aloastra, Petrus Olofson, der Frau Brigittas Begleiter war, seit sie Schweden verließ, der mit ihr den Pilgergang zu St. Nikolaus in Bari gegangen ist, zum heiligen Franciscus von Assisi, zum heiligen Andreas in Amalfi, der sie nach Neapel und Zypern begleitet und an ihrer Seite an den heiligen Stätten Palästinas gebetet hat. Er hat, was die Heiligen des Himmels zu Frau Brigitta gesprochen, ins Lateinische übersetzt und auch für alles Irdische auf den Reisen wie während des Aufenthalts in Rom Sorge getragen. Unerschrocken hat er sie durch höhnende, steinewerfende Volksmassen hindurchgeleitet, vorbei an umherstreifenden Räuberbanden, durch pestverseuchte Städte. Nun, nach all diesem mühseligen Umherziehen soll er endlich heimkehren können in eine stille Klosterzelle, zu einem Leben ohne Gefahren und Not, einzig erfüllt von Gebeten und friedlicher Arbeit.
Da ist ferner sein Freund und Gehilfe, Magister Petrus Olofson aus Skänninge, der die große Wundertäterin in Rom erst vor kurzem aufsuchte, bei der Übersetzungsarbeit mitwirkte und Frau Brigittas Beichtvater war. Wie muß er sich doch freuen, daß er nicht allein nach Schweden zurückzukehren braucht, sondern sein liebes Beichtkind in das bedrückte Vaterland mitnehmen kann, wo man nun so viel von ihrer Weisheit und Macht singen und sagen gehört.
In Rom weilt auch Frau Brigittas Sohn, Herr Birger Ulvsson, der vor einigen Jahren auf das Geheiß seiner Mutter herkam, um sie in das Heilige Land zu begleiten. Er ist ein frommer Mann, der ihr hierin gern zu Willen war, aber er hat Weib, Kinder und Ländereien daheim in Schweden, und nun müßte er heimkehren, um nach all dem zu sehen. Doch war er in Rom geblieben, weil er es nicht übers Herz brachte, seine Mutter in der Schwäche ihres Alters allein zu lassen.
Noch andere sind da, die sich des Aufbruchs freuen, aber unter ihnen allen am meisten die liebliche, fromme Frau Karin, die aus Sehnsucht nach ihrer Mutter vor mehr als zwanzig Jahren nach Rom kam und seither bei ihr geblieben war und ihr in allen Dingen gehorsam und untertänig gewesen ist. Mit der inbrünstigsten Freude denkt sie nun daran, daß sie ihre alte Mutter heimbringen kann und sie bald als mächtige Frau in Vadstena sehen wird. Denn die heilige Frau mußte ein hartes Leben führen, und das Herz tat der Tochter im Busen weh, wenn sie sie vor den Kirchen Roms sitzen und betteln sah oder wenn sie auf Wallfahrten in Kälte und Dunkelheit unter freiem Himmel übernachten mußte. Um ihrer Freude Luft zu machen, geht Frau Karin aus, Blumen und Ranken zu pflücken, die in den Ruinen Roms wuchern, und sie schmückt das kleine Häuschen am Campo de' Fiori, wie man es in Schweden zu Mittsommer tut.
Frau Brigitta selbst ist in diesen Tagen zumute wie jemandem, der nach harter Plage sein Ziel erreicht hat und sich nicht mehr zu mühen braucht, sondern ruhen kann. Nun träufelt sie nicht mehr Wachs in die Wunde an ihrem Arm, sie freut sich an Frau Karins Blumen, und sie läßt es zu, daß die Tochter ihr ein weiches Federkissen unter den Kopf schmiegt. Sie hält ihre Gedanken nicht so unverwandt wie sonst auf das Jenseits gerichtet, sondern spricht mit ihren Kindern, wie ihr Hab und Gut verteilt werden soll. Sie gibt Herrn Birger Ratschläge, wie er sich in den Bürgerkriegen daheim in Schweden verhalten möge.
Schließlich sagt sie ihren Kindern, daß die Zeit, die sie durchlebt hat, schwer war wie der Jüngste Tag und daß sie von Kindheit an ein Übermaß von Elend, Not und Krankheit geschaut hat. Sie war noch Zeuge, wie König Magnus' böse Söhne sich das Reich streitig machten, und als sie heranwuchs, sah sie, wie ein schwacher, willenloser König es zu Fall brachte. Und sie stand all dem, was geschah, nicht ferne, sowohl ihre eigenen Verwandten wie die ihres Mannes hatten zu den Großen und Mächtigen gehört, sie hatte von allen Beratungen vernommen und die Sorgen und die Verantwortung geteilt. Und ebenso war das arme, schutzlose Volk, das wußte, daß sie es um Christi willen liebte, oft mit seinen Kümmernissen zu ihr gekommen. Schmerz und schweres Weh hatten sie selbst heimgesucht. Sie hatte geglaubt, das Herz müßte ihr brechen, als sie ihren Mann verlor, den sie so sehr liebte. Viele Tränen hatte sie über ihren Sohn Karl sein ganzes Leben lang weinen müssen und ebenso über den Mann ihrer Tochter Martha, Herrn Sigurd Ribbing, der ein gottloses Leben führte.
Nie hatte eine solche Pest unter den Völkern gewütet wie zu ihrer Zeit, nie zuvor hatten sich die Kriegsheere in Räuberhorden verwandelt, die die Länder ausplünderten. Auch hier in Rom hatte sie schwere Enttäuschung erleben müssen, denn die Stadt war wie ein Himmel ohne Sonne gewesen, da der Papst nicht mehr dort weilte, und der Papst, den sie endlich da einziehen sah, hatte sich wieder schmählich davongeschlichen. Die Armut hatte ihr hier in Rom arg zugesetzt, und Müdigkeit, Kälte und Hunger auf den Wallfahrten. Auch hatte es sie sehr gequält, daß sie vor Fürsten, vor hohe Prälaten und auch vor wilde, aufgehetzte Volksmassen hintreten mußte, um ihnen ihre Sünden vorzuhalten und sie mit Gottes Strafgericht zu bedrohen. Schließlich war es eine große Prüfung für ihre Geduld gewesen, daß sie auf die Bestätigung ihrer Regel so lange warten mußte, bis sie nun an der Grenze ihrer Tage stand.
Aber bei alldem war sie doch einer der allerglücklichsten Menschen gewesen, weil Gott ihr die Gnade verliehen hatte, schon in diesem Leben seines Umgangs teilhaftig zu werden.
Von Kindheit auf war sie von Gesichten begnadet gewesen, in denen sie die himmlischen Heerschaaren schaute und mit ihnen Zwiesprach pflog. Je älter sie geworden war, desto mehr hatten diese Visionen an Ernst und Bedeutung zugenommen. Ja, wahrlich, sie war die gewesen, die den Menschen Gottes Ratschluß offenbarte.
Viele dieser Gesichte waren furchtbar und erschreckend gewesen, aber dennoch hatte sie dabei eine schwindelerregende Seligkeit empfunden, weil sie in die Geheimnisse des Reichs Gottes schauen durfte.
Von dieser Gabe war ihr alles Gute zuteil geworden. Durch sie hatte sie die Gunst der Fürsten gewonnen und die Herzen der Königinnen erweicht. Durch diese Macht war das Volk von Rom so für sie gewonnen worden, daß es sie jetzt seine Mutter nannte. Um dessentwillen schickten ihr die armen Leute in Schweden Boten und flehten sie an zu kommen und ihnen zu helfen.
Auf diese Weise vergehen vier Tage wie in holdem Taumel, und endlich bricht der Morgen des fünften Tages an.
Wir müssen versuchen, uns zu vergegenwärtigen, wie alles zugegangen sein mag. Sicherlich konnte keiner der Hausgenossen nachts schlafen. Die Spannung war allzu groß. Nicht, daß sie daran gezweifelt hätten, daß ihre Herrin jetzt von Christus für ihre lebenslängliche Treue belohnt werden würde, aber in welcher Art?
Es ist mitten im Sommer, und weder nachts noch tags ist Kühlung zu finden. Sie haben am offenen Fenster gesessen, in das schwüle Dunkel gestarrt und sich unter bebenden Träumen ausgemalt, was der Morgen wohl bringen würde.
Was mögen sie erwartet haben? Vielleicht, daß Frau Brigitta im Geist nach Vadstena geführt und dort zur Nonne und Äbtissin geweiht werden würde, indes ihr irdischer Leib in Rom verblieb. Vielleicht, daß der päpstliche Legat kommen würde, um auf Gottes Geheiß den heiligen Akt in dem kleinen Häuschen am Campo de' Fiori zu vollziehen. Noch viel höher und wunderbarer mögen ihre Erwartungen sich gestaltet haben, denn sie sind es gewohnt, täglich Wunder zu schauen und von übernatürlichen Dingen zu hören.
Die ganze Nonnentracht, der graue Rock, Mantel und Kapuze, das weiße Tuch, der schwarze Schleier und die Krone aus weißen Linnenstreifen mit den fünf roten bedeutungsvollen Zeichen, all dies lag bereit.
Prior Petrus Olofson hat die Offenbarung hervorgesucht, in der Christus Brigitta die Klosterregeln kundgetan hat und liest sie nun vor. Er liest von all den Bestimmungen für das Leben der Mönche und Nonnen, ihre Tagesordnung und ihre Beschäftigungen. Weiter liest er, wie eine Nonne ins Kloster aufzunehmen ist, die schönen Ermahnungen, die ihr erteilt werden sollen, ihre Gelübde, die Einkleidung in die Nonnentracht, ihre Geleitung zur Klosterpforte und ihre Aufnahme in den Kreis der Schwestern.
Frau Brigitta folgt der Vorlesung mit einem seligen Lächeln, aber lange, ehe der Prior geendet hat, versinkt sie in Schlummer, und natürlich ist es allen offenbar, daß sie mit jedem Tage schwächer geworden ist. Sie schläft zumeist, sie atmet schwer, beinahe röchelnd. Aber dies trübt die Freude keineswegs. Wenn die Stunde gekommen ist, wird Christus ihr Leben und Gesundheit wiedergeben.
Plötzlich, gerade ums Morgengrauen, als das erste Frühlicht das nächtliche Dunkel durchbricht, hört das Röcheln auf, und die Kranke richtet sich im Bett empor.
Im ganzen Raume wird es totenstill. Man glaubt zu vernehmen, nicht mit Auge und Ohr, sondern mit einem anderen Sinne, daß der Raum von etwas Göttlichem durchströmt wird. Mit bebenden Herzen sehen die Anwesenden, wie das Antlitz der Greisin von Glückseligkeit erhellt wird, wie ihre Augen sich in Anbetung aufschlagen, wie ihre Lippen sich zum Gebet regen.
Kein gesprochener Laut dringt an das Ohr der Umstehenden, und doch vernehmen sie, was der himmlische Bote sagt:
»Nun habe ich gesehen, Brigitta, daß du die Welt überwunden hast und sie gerne verlassest, um in mein Kloster einzugehen. Darum soll dir dein Wille als vollbrachte Tat angerechnet werden, und ich will dir den Lohn geben, daß du ungesäumt in meine Seligkeit eingehen darfst.«
Mit einem Blick von unbeschreiblicher Dankbarkeit sinkt die Sterbende in die Kissen zurück, und die anderen, die erkennen, daß die höchste Gnade und Segnung ihr widerfahren ist, stimmen einen Lobgesang an.
Erhoben wie in heiliger Verzückung, empfinden sie keinen Schmerz über den bevorstehenden Abschied. Die Priester ihres Hauses beeilen sich eine Messe zu lesen und ihr das Sterbesakrament zu reichen.
Aber wie es ihnen anbefohlen war, haben sich Brigittas Freunde in Rom nun am Morgen des fünften Tages eingefunden, um ihrer Erhöhung beizuwohnen. Und da Frau Brigitta in Rom von so vielen gekannt und geliebt ist, sind ihrer eine so große Zahl, daß der ganze Marktplatz vor ihrer Behausung schwarz von Menschen ist. Sie hören den Gesang aus dem Hause, und die Zunächststehenden pochen ungeduldig an die Türe, um Einlaß zu finden und der Feier beizuwohnen. Sachte öffnet sich das Tor, und jemand flüstert, daß die fromme Frau in Gottes Himmel gerufen wurde. Mit großer Schnelligkeit verbreitet sich das Gerücht durch die Menschenmenge, und wohin es dringt, da erkennt man, daß dies das höchste Glück für die Greisin bedeutet, und stimmt in den Jubelgesang ein. Und während die Menschenschar so ihre Dankbarkeit und ihre Liebe hinaussingt, entschlummert Frau Brigitta in den Armen ihrer Kinder.
* * *
Aber so wie die Kreise im Wasser um den hineingeworfenen Stein sich über den ganzen Wasserspiegel verbreiten, so verbreitet sich ihre eigene und die Freude ihrer Nächsten nicht nur zu dem Volke in Rom, sondern unter die ganze Christenheit. Ein Mensch, der die Welt und sich selbst überwunden hatte, war gleichsam in Christi Armen gestorben, gewiß des Himmelreichs. Das war nicht die Zeit für Sohn oder Tochter, für Freund oder Diener, Schmerz zu fühlen. Das einzige, woran sie denken konnten, war, die Kunde von dem seligen Hinscheiden, dessen Zeugen sie gewesen, zu verbreiten.
Wer wurde da nicht von Begeisterung ergriffen? Ein Mensch, der viele Jahre hindurch in den Straßen Roms gewandelt war, eine Frau, die unter ihnen gelebt hatte wie alle anderen, die hatte in ihrem letzten Stündlein Christus geschaut und seine Verheißung empfangen, in den Himmel der höchsten Seligkeit einzugehen.
Es gibt kein Gemüt, so verhärtet, daß diese Kunde nicht einen Widerhall von Sehnsucht darin wachriefe. Es gibt keine Seele, so bedrückt, daß sie sich nicht zu neuer Zuversicht aufschwänge.
Dies war kein Sieg der Stärke und Macht, der List und Gewalt, sondern ein Sieg der Unterwürfigkeit, der Armut und Demut. Die Stillen im Lande heben die Köpfe und denken, daß doch sie es sind, die das bessere Teil erwählt haben.
Heim nach Schweden eilt ein Bote mit der Nachricht von Frau Brigitta Birgertochters seligem Tode in Rom: nicht um Kummer zu bringen, sondern um die größte Freude zu verkünden.
Und überall, wo die Botschaft hier im Lande hinkommt, wird sie so empfangen, als kündete sie die Ankunft eines schätzebeladenen Schiffs oder einen großen Sieg.
Da fielen Freudentränen, daß Christus an dieses arme Land hoch im Norden gedacht und eine seiner Töchter zu seiner geliebten Braut erhoben hat, zu sitzen zur Seiten seiner Mutter, der Himmelskönigin. Nun ist es Zeit, Angst und Not zu vergessen, nun hat das Reich und all seine Bewohner eine Fürsprecherin bei Gott, die nimmer müde sein wird, Gutes für Schwedens Volk zu erbitten.
Allen bedünkt es, daß der Himmel der Erde näher gekommen, erreichbarer geworden ist. Der Bauer, der seiner täglichen Fron obliegt, hebt den Blick vom Irdischen, die Hausmutter gibt freudiger als sonst dem Bettler, der im Namen der heiligen Brigitta bittet, ihr Scherflein. Der Maurer, der am Vadstenaer Kloster arbeitet, fügt seine Steine mit größerem Eifer in die Wand, trägt er doch damit zum Ruhme der heiligen Frau bei.
Das ganze Volk Schwedens hat nun eine gemeinsame Freudenquelle, die erste, die es je besessen. Der König des Landes ist der deutsche Albrecht, aber er wetteifert mit den einheimischen Großen des Reichs, Frau Brigittas Staub, als er im nächsten Jahre die Heimat erreicht, würdig zu empfangen. Auch er wirkt wie alle anderen für ihre Heiligsprechung und unterstützt den Klosterbau in Vadstena.
Welche Befriedigung muß es nicht, schon rein weltlich gesehen, für die Schweden jener Zeit gewesen sein, zu erfahren, daß hier im Norden mächtige Klöster entstanden wie Nädendal in Finnland, Maribo in Dänemark, Munkaliv in Norwegen, die alle der Vadstenaer Regel folgten, und daß auch im übrigen Europa Brigittiner Klöster gegründet wurden, mehr als siebzig an der Zahl. Wie muß es nicht die Kenntnis Schwedens in der Fremde gefördert haben, daß alle diese Klöster eine Schwedin zur Stifterin hatten und dort stets die Legende ihres Lebens gelesen wurde.
Noch heute können wir hier in Schweden Spuren dieser Freude des Volkes, daß eine Heilige unter ihm erstanden, verfolgen. Dieser schöne mächtige Kirchenbau mit Grabmälern und Kunstschätzen, der uns jetzt umgibt, ist daraus hervorgegangen. Aus der herrlichen Brigittahymne klingt sie uns entgegen, wie aus der Brigittinermusik, der Brigitta-Literatur, ja aus der geduldigen Arbeit demütiger Spitzenklöpplerinnen, die Altar und Chorhemden schmückt.
Dem schwedischen Lande nahte ihre Botschaft mitten im Jahrhundert der Pest, der Bürgerkriege, der Schwäche. Und wer weiß heute soviel, daß er zu berechnen vermöchte, wie groß der Nutzen, den sie uns gebracht hat? Sie, deren Stärke unbeugsam war, hat sie nicht die Kräfte großgezogen, die dem Lande die Wiedergeburt brachten? Sie, deren Glaube unerschütterlich war, hat sie nicht den Mut hervorgerufen, der die Freiheit rettete? Gab der Gedanke, daß diese ehrliche schwedische Frau ein Landeskind war, nicht die Ermutigung, deren es bedurfte, damit das Volk zur Erkenntnis seines Wertes und seines Könnens gelangte?