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Friederika Bremer, die nicht nur eine eifrige Reisende war, sondern auch die Menschen und Verhältnisse in den Ländern, die sie durchstreifte, gründlich kennenzulernen bestrebt war, kehrte im Jahre 1849 von einer Reise in den Vereinigten Staaten zurück. Dort drüben hatte man wohl ihre Aufmerksamkeit auf den schottischen Historiker und Philosophen Thomas Carlyle gelenkt, dessen Bücher in der ganzen angelsächsischen Welt mit großer Aufmerksamkeit aufgenommen wurden; und in dem Gepäck, das sie heimbrachte, befand sich auch eine seiner Schriften, eine Essaysammlung mit dem Titel: Heroes, Heroworship and the heroic in history.
Welches Schicksal das Buch in der nächsten Zeit hatte, ist der Schreiberin dieser Zeilen unbekannt. Aber zu Beginn der achtziger Jahre, als ich das höhere Lehrerinnenseminar in Stockholm durchmachte, befand es sich in der Schulbibliothek, und Friederika Bremers Name auf dem ersten Blatt des Buches schien ja zu bezeugen, daß sie selbst das Buch dieser Lehranstalt geschenkt hatte, die auf ihre Anregung entstanden war und wo so viele junge Mädchen sich vorbereiteten, ihre Ideen ins Leben hinauszutragen. Thomas Carlyle lebte noch bis zum Jahre 1881, aber obgleich sein Ansehen sich keineswegs verringert hatte, sondern gerade um diese Zeit auf seinem Höhepunkt gestanden sein dürfte, war er doch noch in Schweden ganz unbekannt. Keine schwedische Übersetzung seiner Arbeiten war noch erschienen, und Friederike Bremers Buch stand ungelesen und unbeachtet in der Schulbibliothek. Zu Ende des Sommersemesters 1884 geschah es jedoch, daß ich es mir auslieh, um es nebst vielen anderen daheim auf dem Lande als Ferienlektüre zu verwenden. Zu meiner großen Schande muß ich gestehen, daß sowohl der Name des Verfassers wie der Inhalt des Buches mir ganz unbekannt waren, und daß ich es mir nur ausgeliehen hatte, weil der Titel, Helden, Heldenverehrung und das Heldenhafte in der Geschichte, mich hoffen ließ, daß sich hier ein englisches Gegenstück zu unseren nordischen Heldensagen finden würde.
Ich erinnere mich noch sehr wohl, wie ich mich an einem Regentage in das breite, rote Sofa in dem Mädchenzimmer auf Märbacka kuschelte, um das Buch zu lesen. Auf den ersten Blick sah ich, daß die Helden des Buches historische Persönlichkeiten waren, wie Cromwell, Luther, Napoleon, und daß es sich hier um Wirklichkeit handelte, nicht um Sagen oder Mythen. Die ersten Zeilen erschienen mir fast unverständlich, so verschieden waren sie von allem, was ich bisher gelesen hatte. Aber bald wurde mein lebhaftes Interesse wachgerufen und eine Bewunderung, in die sich die allergrößte Freude mischte. Schließlich war mir so zumute, daß ich vor Entzücken fast laut aufgeschrien hätte. Ich hätte auf Wege und Stege hinauseilen wollen, um allen Menschen zu erzählen, welch köstlichen Schatz ich gefunden hatte.
Während ich las, war mir nämlich etwas sehr Merkwürdiges widerfahren. Ich selbst hatte ja schon seit vielen Jahren versucht, mich zur Schriftstellerin auszubilden. Aber ich glaubte mich zur Poetin berufen. Und alles, was ich bisher geschrieben, war in gebundener Form gewesen. Die Idee, die Geschichte der alten Värmländer Kavaliere zu erzählen, war mir schon gekommen, aber ich dachte sie mir immer in Reim und Metrum ausgeführt. In Prosa hatte ich kaum etwas anderes verfaßt als schwedische Aufsätze; da mir diese aber regelmäßig Lob für den Inhalt, aber bitteren Tadel wegen der Formgebung einbrachten, trug dies dazu bei, mich in dem Glauben zu bestärken, daß meine Heimat das Gebiet der Poesie war.
Von Prosaschriftstellern gab es natürlich eine Menge, die ich ebensosehr bewunderte und liebte wie die Dichter. Ich hatte in meinen ersten Jugendtagen mit solchen Meistern des Prosastiles Bekanntschaft gemacht wie Dickens und Thackeray, Daudet und Flaubert, Ibsen und Björnson, Lie und Kielland, Turgenjew und Tolstoi, H. C. Andersen und J. P. Jacobson, um nur einige zu nennen, deren Größe bestehend zu sein scheint. Aber keiner von diesen hatte eine solche Wirkung auf mich ausgeübt wie nun Carlyle.
Hier, bei der Lektüre dieser leidenschaftlichen Seiten, dieser Sätze, die mit vulkanischer Kraft hinausgeschleudert wurden, dieser Bildersprache, aus allen Ecken und Enden der Welt geholt, dieser Aussprüche, gebieterisch und drohend wie bei den Propheten der Bibel, empfand ich ein seltsames Gefühl, etwas Verwandtes in mir zu haben. Eine Fähigkeit, die im Unbewußten geschlummert hatte, war zum Leben erweckt, und ich hatte ein deutliches Gefühl, daß auch ich eine solche Prosa schreiben könnte.
Dies klingt vielleicht sehr anspruchsvoll. Aber man muß bedenken, daß ich nichts von Carlyle wußte. Ich ahnte nicht, ob sein Stil bewundert oder als bizarr und eigentümlich getadelt wurde. Was ich empfand, war dieselbe Freude, die jemand fühlen würde, der einen Geiger ein ausgezeichnetes Instrument spielen hört und sich dabei erinnert, daß er selbst eine Violine hat, die mit demselben Wohllaut erklingen könnte.
Außerdem kam für mich Carlyle vorderhand nur als Stilist in Betracht, nicht als der große Sozialphilosoph. Es war nicht meine Sache, die Rolle der Genies in der Weltgeschichte hervorzuheben, die Menschen zu lehren, mit Ehrfurcht und Gehorsam dem »Manne, der kann«, Gefolgschaft zu leisten, dem durchdringenden Genius, der Lüge von Wahrheit scheidet, dem Führer, dem Helden. Ich las davon mit Bewunderung und freudiger Zustimmung; aber nicht der Denker, sondern der Schriftsteller war es, der mich am meisten packte.
So direkt aus dem Herzen schreiben zu können, so frei und ungezwungen mit dem Leser verkehren zu können, Haß und Hohn, Liebe und Weisheit in einer phantasievoll schimmernden Sprache Ausdruck geben zu können, das war das Köstliche.
Den ganzen Sommer las ich Carlyles Buch, und als ich im Herbst an das Seminar zurückkehrte, freute ich mich schon, mit meinen Kolleginnen darüber zu sprechen. Ein paar von ihnen wußten schon, daß Carlyle einer der größten Schriftsteller Englands war, aber keine hatte ihn gelesen. Ich ging in der Selbstentäußerung so weit, daß ich das Buch der Bibliothek zurückgab, damit, wer wollte, es sich ausleihen konnte; aber ich bemerkte nicht, daß es bei irgend jemandem denselben stürmischen Enthusiasmus erweckte wie bei mir.
Dies war ja recht niederdrückend, aber bald kam noch etwas weit Schlimmeres. Es war damals der Brauch, daß die Seminaristinnen der obersten Abteilung eine Art Probeabhandlung schrieben. Den Gegenstand durfte man sich selbst wählen, und die Aufsätze durften bedeutend länger sein als gewöhnlich. Ich entschied mich dafür, über Cromwell zu schreiben, wie er von Carlyle in Helden und Heldenverehrung geschildert wird. Damit machte ich meinen ersten Versuch, Carlylesche Prosa zu schreiben. Brauche ich erst zu sagen, daß das Resultat höchst unglücklich ausfiel und unserem schwedischen Lehrer ernste Sorgen verursachte?
Damit war es für diesmal mit dem Carlyleschen Einfluß aus.
Die Jahre vergingen. Ich verließ die Lehrerinnenbildungsanstalt und wurde Lehrerin in Landskrona. Da entdeckte ich eines Tages auf dem Tisch einer Buchhandlung die Geschichte der Französischen Revolution von Thomas Carlyle in schwedischer Übersetzung. Ich blätterte in dem Buch, sah augenblicklich, daß es ein echter Carlyle war und kaufte es sofort.
Wiederum hatte ich ein Buch des großen Meisters in der Hand. Wiederum empfand ich bei der Lektüre Bewunderung und Hingerissenheit, wiederum hatte ich das Gefühl, daß auch ich eine solche Prosa würde schreiben können, aber nun dachte ich nicht einmal daran, es zu versuchen. Ich schrieb noch immer Verse. Ich war jetzt dabei, meine Kavaliersgeschichten zu einem Versdrama auszuarbeiten. Ich sah die Kavaliere schon leibhaftig vor mir, viele ihrer Abenteuer lagen seit Jahren in meinem Inneren fertig, aber mit dem Niederschreiben ging es äußerst langsam.
Nach einigen Jahren kamen jedoch ein paar Umstände dazu, die mir auf den rechten Weg halfen. Baronin Sophie Adlersparre, Esselde, die sich lebhaft für mich interessierte, riet mir, die gebundene Form aufzugeben. Und großen Einfluß nahm auch der Verkauf meines Elternhauses, der mir großen Schmerz bereitete und den starken Wunsch hervorzwang, die heimatliche Gegend, ihre Natur und ihre Erinnerungen in der Dichtung zu verherrlichen.
Wie ich es schon in »Wie Gösta Berling entstand« geschildert habe, entschloß ich mich, stark persönlich zu schreiben, mit all meinen Träumen und Torheiten, obwohl ich der Meinung war, damit alle Aussicht, daß mein Buch Leser finden würde, preiszugeben. Und nachher kam wirklich ein Tag, an dem die Feder über das Papier zu fliegen begann, und ein langes Kapitel in ein paar Stunden fertig wurde. Mit derselben Leichtigkeit schrieb ich an den folgenden Tagen mehrere der in Gedanken schon fertig gedichteten Kapitel nieder.
Aber was ich damals meinen eigenen persönlichen Stil nannte, das war, nach Carlyles Vorbild kühn den Eingebungen der Phantasie zu folgen. Die Verwandtschaft, die ich mit ihm empfand, war so groß, daß ich nie so unmittelbar aus dem Herzen zu schreiben meinte, als wenn ich in seinen Fußstapfen wandelte. Ich wußte, daß ich das Feuer von ihm entliehen hatte, aber nachdem die Flamme entzündet war, wollte es mich doch bedünken, daß mein eigenes Brennholz sie am Leben erhielt.
Als Gösta Berling erschien, war es mir voll bewußt, welch große Hilfe ich von dem genialen schottischen Philosophen empfangen hatte, und allen, die sich für das Buch interessierten, wie auch den Literaturkritikern, mit denen ich so allmählich in Berührung kam, pflegte ich zu sagen, welchen Dank ich ihm schuldete. Aber ich glaubte zu bemerken, daß man meine Angaben mit einem gewissen Mißtrauen aufnahm, ja sie beinahe als eine Selbsttäuschung betrachtete. Alle waren überzeugt, daß C. J. L. Almquists Schriften sowohl den Stil wie die Stoffwahl von Gösta Berling beeinflußt hatte.
Nun hatte es bei uns zu Hause eigentümlicherweise nur ein Almquistbuch gegeben, und zwar ein sehr schwaches, den Roman »Die Herren auf Ekolsund«. Das hatte ich natürlich gelesen, und es hatte mir die Lust benommen, mich weiter in Almquists Schriften zu vertiefen. Ein Einfluß von ihm konnte also nicht gut in Frage kommen, aber ich glaube nicht, daß es mir gelang, auch nur einen einzigen der Literarhistoriker jener Zeit davon zu überzeugen. Drei von ihnen, Brandes, Levertin und Warburg, haben allerdings Carlyle als mein Vorbild erwähnt, aber ganz flüchtig und nur, weil ich sie selbst darauf aufmerksam gemacht hatte.
Kürzlich nun hat ein Literarhistoriker wirklich erkannt, daß ich, als ich Gösta Berling schrieb, unter Carlyles Einfluß stand, und er hat auch mit einer gewissen Verwunderung bemerkt, daß ich meine Dankesschuld nie selbst öffentlich anerkannt habe.
Es ist sehr möglich, daß hier eine Unterlassung meinerseits vorliegt, aber wenn Professor Böök vor dreiunddreißig Jahren Zeuge gewesen wäre, würde er sich vielleicht nicht wundern, daß ich es müde wurde, eine Wahrheit zu wiederholen, die keinen Glauben fand, ja mir vielleicht sogar als Überhebung ausgelegt wurde. Jedenfalls bin ich ihm sehr dankbar, denn erst jetzt, nach seiner kritischen Untersuchung, kann ich mich mit einiger Aussicht, ernst genommen zu werden, als bescheidne Jüngerin des großen Meisters bekennen, der einer der Erbauer von Großbritanniens sittlicher Stärke war und ein Wegweiser für seine erlauchtesten Geister.