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In Kairo in Ägypten lebte vor mehreren hundert Jahren ein armer Koch namens Assad. Er war der wohlmeinendste Mensch, den man nur treffen konnte; und da er überdies sehr geschickt in seinem Fach war, hätte man erwartet, daß er in irgendeinem vornehmen Haus angestellt würde, wo man seine Diener jahraus, jahrein behielt und ihnen einen guten Lohn zugestand. Aber so kam es keineswegs. Zu Anfang seiner Laufbahn bekam der Koch allerdings einige vortreffliche Stellen, aber er verlor sie gleich wieder. Und immer ging es auf dieselbe Weise zu. In den ersten Tagen war die Herrschaft überglücklich, ein solches Wunder von einem Koch zu besitzen, und man staunte, daß der Mann nicht zum Dienste beim Sultan selbst berufen wurde; aber wenn einige Zeit verflossen war, entließ man ihn unter Weherufen und Schimpfworten.
Der arme Koch, der eine alte Mutter und eine junge Frau zu erhalten hatte, sah sich genötigt, mit immer schlechteren Posten vorliebzunehmen, und schließlich mußte er sich bequemen, bei Said Effendi zu dienen, einem alten Geizhals, der sein Vermögen durch Wucher und Sklavenhandel erworben hatte und in dem denkbar schlechtesten Rufe stand. Dieser Mann war, wie alle andern, überglücklich, als er merkte, daß sein Koch Speisen bereitete, wie sie einem Großwesir angestanden hätten. Er wußte, daß Assad unzählige Male den Herrn hatte wechseln müssen; aber er gelobte sich selbst, daß er nie die Dummheit begehen würde, ihn zu entlassen.
* * *
Das Unglück wollte es jedoch, daß in Said Effendis Haus zwei Backöfen waren. Der eine war neu errichtet und wurde jeden Tag benutzt; der andre hingegen war so alt und zersprungen, daß er gar nicht mehr in Gebrauch genommen wurde. Kein Koch in Said Effendis Diensten hatte ihn auch nur eines Blickes gewürdigt, aber Assad war noch nicht lange im Hause, als er in diesen alten Ofen guckte, der dicht vor der Küchentür stand und am ehesten einem hohen weißen Bienenkorb ähnelte.
Er fand ihn, wie es ja natürlich war, bis zum Rande mit Kehricht und Fetzen angefüllt, und da er ein überaus ordnungsliebender und reinlicher Mann war, geriet er ganz außer sich. »Mag sein, daß dieser Ofen hier nicht mehr benutzt wird,« sagte er, »aber es ist doch auf jeden Fall ein Backofen, und es ist eine wahre Schmach und Schande, daß man ihn als Mistkiste benutzt. Said Effendi wäre mit Recht erzürnt, wenn er einen solchen Unfug entdeckte.«
Damit nahm der Koch eine Feuerzange, hob ein brennendes Scheit aus dem Herde und steckte es in den Backofen. All der Plunder, der sich seit Jahren da angehäuft hatte, fing sofort Feuer und verbreitete dabei einen schweren, übelriechenden Rauch.
Als Said Effendi einige Stunden später aus seiner Kammer trat, um die Abendkühle im Hof zu genießen, lag dieser unangenehme Rauch noch in der Luft. Er wollte sehen, woher er kam, und begab sich sofort in den Küchenflügel, um dort zu fragen. Noch bevor er die Küchentür erreicht hatte, sah er jedoch, daß Funken und Rauch aus dem alten Backofen stoben, und im nächsten Augenblick stand er wutbebend vor dem Koch, fragte ihn, wie er sich unterstehen konnte, in dem ausgemusterten Ofen Feuer anzuzünden, und befahl ihm, unverzüglich sein Haus zu verlassen.
»Aber, Herr,« sagte der Koch, der geglaubt hatte, dem alten Herrn eine Wohltat zu erweisen, »der Backofen war doch voll Kehricht, und ich dachte . . .«
»Man soll nie denken,« rief Said Effendi und hob den Stock. »Hinaus mit dir.«
Der Koch wich dem Stock aus und näherte sich der Tür. Hier blieb er jedoch stehen, um an den Lohn zu erinnern, den er zu fordern hatte.
Aber Said Effendi, der gleich allen wirklichen Geizhälsen sein Geld und seine Wertpapiere nicht seiner Kasse anzuvertrauen wagte, sondern sie an allen möglichen und unmöglichen Stellen verwahrte, hatte vor ein paar Tagen einen Schuldschein auf ein paar tausend Zechinen in den alten Backofen gesteckt, und als er nun hörte, daß der Mann, der die Ursache war, daß dieses Geld verlorenging, noch Ansprüche auf Lohn erhob, geriet er vor Erbitterung ganz außer sich.
»Du Sohn eines Büffelochsen,« rief er, »du verlangst noch, daß ich dich bezahlen soll, weil du mich an den Bettelstab gebracht hast? Schau sofort, daß du weiterkommst, sonst lasse ich dich auspeitschen. Jemyl, Musa! Wo steckt ihr, ihr Tagediebe! Her mit euch!«
Said Effendi sah in seinem Zorn so furchtbar aus, daß der Koch nicht wagte, ihm Trotz zu bieten. Er stürzte auf die Straße hinaus und lief noch lange immer weiter und weiter, aus Furcht, daß der Herr seine Diener auf ihn hetzte. Als er endlich wagte, stehenzubleiben und sich darüber klar zu werden, was ihm geschehen war, ergriff ihn die düsterste Hoffnungslosigkeit.
»O Herrscher und Lenker aller Welten,« rief er und wandte die Blicke himmelwärts, »warum peinigst du deinen Diener mit so viel Unglück? Du weißt, daß ich immer nach bester Einsicht handle. Ich suche stets ehrlich und uneigennützig meinen Herren zu dienen. Warum werde ich dann von einem nach dem andern auf solche Weise fortgejagt?«
* * *
Er erinnerte sich der reichen Kaufmannswitwe Fatima, die ihn ganze drei Monate in ihrem Dienst behalten hatte. Sie war eine freigebige und kluge Herrin gewesen; und er hatte gehofft, sein ganzes Leben lang bei ihr bleiben zu dürfen. Aber einmal hatte er zufällig entdeckt, daß ihr kleines Söhnchen sich in seine Speisekammer schlich und seine Honigkuchen und verzuckerten Früchte stahl. Er hatte es bedauerlich gefunden, daß der Sohn einer so vortrefflichen Mutter sich Unarten angewöhnte, die für seine Zukunft gefährlich sein konnten, und eines Tages erteilte er ihm eine recht ernstliche Züchtigung. Aber da war die Witwe so zornig geworden wie vorhin Said Effendi. Sie hatte seine Erklärung gar nicht anhören wollen, sondern ihn sofort weggejagt.
Er dachte ferner an Selim-Bei, seinen ersten Herrn, der ihn aus seinem Hause getrieben hatte, weil er ihn an das Verbot des Propheten, Wein zu trinken, erinnert hatte. Er dachte an all die andern, die ihm wegen Dingen gezürnt hatten, die er aus reinem Wohlwollen unternommen hatte.
»Allbarmherziger,« rief er aus, »warum verfolgst du mich in dieser Weise? Du verfolgst mich härter, als wenn ich gestohlen oder gemordet hätte. Laß dieses Staubkorn, das nun zu dir ruft, doch wenigstens wissen, was es verbrochen hat.«
Während der arme Mann sich so in Betrachtungen und Gebete vertiefte, war er, ohne daß er es selbst wußte, in eine Straße eingebogen, die zum östlichen Stadttor führte. Plötzlich blieb er stehen.
»Wo denke ich hin?« sagte er zu sich selbst. »Ich bin in die falsche Richtung gegangen. Ich bin von dem Unglück so wirr im Kopfe, daß ich nicht mehr heimfinde.«
Er wollte sofort umkehren; aber als er bedachte, daß er bei seiner Heimkehr seiner Mutter und seiner Frau erzählen mußte, daß er nun wieder ohne Stelle dastand, daß er den ganzen Abend ihre Vorwürfe und ihren Jammer anhören mußte, um dann am nächsten Tag in der ganzen Stadt herumzulaufen und eine Stelle zu suchen, die er vermutlich in ein paar Wochen wieder verlieren würde, empfand er unerträgliche Müdigkeit und Überdruß.
»Hat es wirklich irgendeinen Zweck, heimzukehren, nur um all dies Quälende von neuem durchzumachen?« fragte er sich. »Warum nicht lieber von all dem fortwandern?«
Und er ging wirklich gerade weiter. Er ließ das Stadttor hinter sich, und nachdem er durch einige Friedhöfe gewandert war, kam er in die weite Sandwüste, die sich auf dieser Seite bis zur Stadt erstreckte. Bald stand er auf der großen Karawanenstraße zum Roten Meer, die sich hier zwischen niedrigen, mit Flugsand bedeckten Hügeln dahinschlängelte.
Aber beim Anblick dieser Hügelkette erwachte eine Kindheitserinnerung in dem verzweifelten Flüchtling. Es kam ihm in den Sinn, wie er und sein Vater eines schönen Morgens zwischen diesen Hügeln gewandert waren, um Mustafa Halils Jahrestag zu feiern. Auf dem Wege hatte der Vater ihm von dem alten Mustafa erzählt, der einmal ein sehr heiliger Mann gewesen war, viele Wunder gewirkt und eine große Schar von Derwischen um sich versammelt hatte. Das Grab des Heiligen, ein kleiner weißer, kuppelbedeckter Bau, hatte so versteckt zwischen den Flugsandhügelchen gelegen, daß sie es kaum finden konnten; aber als sie glücklich hingekommen waren, hatten sie gesehen, daß eine große Menschenschar sich schon da versammelt hatte, und das Fest war in vollem Gange gewesen. Er erinnerte sich, wie Mustafa Halils Derwische, in einem weiten Kreise auf der Erde sitzend, sich den heiligen Übungen hingegeben hatten, und mit großer Verwunderung hatte er die Scharen von Wüstenvolk gesehen, die von den umliegenden Höhen noch immer zu dem einsamen Grabe hinströmten. Kamele, Pferde, Menschen, alle hoben sich mit einer seltsamen Klarheit von dem gelben Boden ab, der in der Sonne funkelte.
Jetzt, wo er sich traurig und erbittert über die tiefen Furchen der Karawanenstraße schleppte, sagte er plötzlich zu sich selbst:
»Es ist wahr, daß Mustafa Halils Derwische tot sind, und ich glaube kaum, daß nunmehr jemand daran denkt, seinen Jahrestag zu feiern, aber das hindert nicht, daß er noch heute im Besitz seiner Macht ist, und vielleicht könnte er mir die Aufschlüsse geben, die ich brauche, er erinnert sich vielleicht noch, daß mein Vater einer seiner getreuesten Anhänger war.«
* * *
Ohne Zögern verließ er die Karawanenstraße und schlug den Weg durch die Hügel ein. Das Glück war ihm hold, so daß er nach kurzem Suchen das kleine Heiligengrab erreichte.
Es sah wirklich aus, als sei Mustafa Halil vollkommen vergessen. Der Flugsand hatte sich unbehindert vor den Wänden aufgehäuft, der Gehpfad war ganz verschüttet, und die beiden Treppenstufen, die zu der Grabkammer hinaufführten, kaum mehr sichtbar.
Als Assad dieser Vernachlässigung gewahr wurde, geriet er so außer sich, daß er ganz vergaß, an seine eigene Not zu denken. Augenblicklich machte er sich daran, mit den Händen den Sand vom Gehpfad zu entfernen. »Wenn dies so weitergeht,« dachte er, »ist ja bald das ganze Grab versandet, und man wird es nicht von einem gewöhnlichen Flugsandhügel unterscheiden können.«
Es war eine schwere, langwierige Arbeit, die der Koch begonnen hatte; und er war kaum zu den beiden Treppenstufen vorgedrungen, als die Sonne ganz plötzlich im Westen versank und die Dunkelheit sich beinahe unmittelbar darauf auf die Erde herabsenkte. Den Koch, der nach einem so anstrengenden Tage recht müde war, wandelte sofort heftige Schlaflust an.
Kaum war er auf dem warmen Sandbett eingeschlummert, als er im Traum sah, wie die Tür der Grabkammer sich öffnete und ein kleiner buckliger Alter auf der Schwelle erschien. Seine Gedanken waren so klar, als wenn er wach wäre; er entsann sich sofort, daß der fromme Mustafa Halil bei Lebzeiten bucklig gewesen war. Er zweifelte also keinen Augenblick, daß es der Heilige selbst war, der sich ihm jetzt zeigte.
Seltsamerweise schien Mustafa Halil im höchsten Grade gereizt zu sein. Er schwang einen langen Wanderstab durch die Luft, sein alter Kopf wackelte vor Erregung, und aus seiner Kehle drang ein Heulen, das nicht drohender hätte klingen können, wenn ein Löwe oder eine Hyäne es ausgestoßen hätte.
»Was soll das heißen, Wanderer, daß du den schützenden Sand von meiner Wohnstätte entfernst?« rief er und stieß zugleich den Träumer recht unsanft mit seinem Stock an.
Der arme Koch wollte sich in seiner gewohnten Weise verteidigen, sagen, er habe gedacht, er habe geglaubt, alles sei in bester Absicht geschehen; aber wie es ja so oft im Traume geht, fühlte er sich irgendwie gelähmt und ganz unfähig, ein Wort der Erklärung hervorzubringen.
Doch es sah so aus, als ob der Heilige seine Gedanken zu lesen vermochte.
»O du Quälgeist,« rief er. »Mit deinem Denken und deiner guten Absicht richtest du mehr Unglück an als ein Wüstensturm.«
Wieder versuchte der Koch sich zu verteidigen, aber zu seinem grenzenlosen Entsetzen merke er, daß seine Lippen versiegelt waren und kein Laut aus seiner Kehle zu dringen vermochte. »Damals, als der Weg zu meinem Grabe noch offen und leicht zu befahren war,« fuhr der Heilige fort, »war es ein Zufluchtsort für eine Schar roher Räuber. Diese Gottlosen machten mein Haus zum Schauplatz ihrer Trinkgelage und Ausschweifungen. Nun, seit der barmherzige Sand den Weg hierher schwer zugänglich gemacht hat, kann ich in Ruhe schlummern. Glaubst du, ich wünsche mir, daß der frühere Zustand wieder eintrete? Glaubst du, es wäre mir nicht am liebsten, wenn der ganze Bau von Sand bedeckt wäre? O du Missetäter: ich sehe kein andres Mittel, dich zu hindern, deinen bösen Vorsatz auszuführen, als dich unter dem Sande zu begraben, so daß du nie mehr das Licht des Himmels schauen kannst.«
* * *
Kaum war dies gesagt, als der entsetzliche Alte sich über den Träumenden beugte und Sand über ihn zu schütten begann, ohne daß dieser imstande war, ein Glied zu rühren, um dem sicheren Tod zu entgehen.
»Was um Himmels willen soll ich tun?« dachte der Koch. »Wie wird es mir ergehen? Mustafa Halil wird sicherlich seinen Vorsatz ausführen und mich lebendig begraben.« Wie um die Gefahr noch furchtbarer zu machen, erschienen in diesem Augenblick drei neue Personen, zwei Männer und eine Frau, auf dem Platze vor dem Grab, alle drei mit riesengroßen Schaufeln bewaffnet. Mit flatternden Gewändern eilten sie zu Assad heran, kreischend vor Freude über das Unglück, das ihm zugestoßen war.
»Erkennst du mich, du Ungetüm von einem Koch?« rief die Frau. »Ich bin jene Fatima, die einst das Unglück hatte, dich im Hause zu haben. Mein Sohn hatte eine schwere Ohrenerkrankung gehabt, doch sie war schon fast ausgeheilt, als du dir herausnahmst, ihm eine furchtbare Ohrfeige zu versetzen. Da kam das Übel wieder, und jetzt ist er für sein ganzes Leben taub. Ich will nur zu gern behilflich sein, dich zu begraben.«
Und sie begann den auf dem Boden ausgestreckten Träumer mit rasender Eile mit Sand zu überschütten. Der arme Assad, der ein guter, mitleidiger Mensch war, konnte nicht umhin, Schmerz über das Unglück zu fühlen, das er angestiftet hatte. Er wurde von solcher Reue befallen, daß er beinahe den Tod zu verdienen glaubte, der ihm drohte.
»Laß mich auch bei diesem guten Werke mithelfen,« sagte der andre der Neuankömmlinge. »Du kennst mich doch, Freund Assad, ich bin Selim-Bei, dein erster Herr. Eines Tages war ich sehr betrübt, weil mein bester Freund mich betrogen hatte; ich gedachte mich mit Wein zu berauschen, um seine Missetat zu vergessen. Aber du hieltest mich ab. Mein Zorn wurde nicht gestillt, und als ich ihm das nächstemal begegnete, schlug ich ihm eine tödliche Wunde. Nun wage ich mich nicht mehr in Kairo zu zeigen. Ich bin ein vogelfreier Wüstenräuber geworden, und all das ist deine Schuld.«
Damit schleuderte Selim-Bei mehrere Schaufeln Sand auf den Liegenden, dessen Seele nunmehr ebenso belastet von Gewissensbissen war wie seine Glieder von Sand.
»Nein, überlasse auch mir etwas von der Arbeit,« rief Said Effendi, der der Dritte im Bunde war. »Du heuchlerischer Schurke, du hattest natürlich den Schuldschein entdeckt, der im Backofen versteckt war. Das Feuer legtest du nur an, um zu bemänteln, daß du ihn gestohlen hattest. Du Betrüger mit deinem scheinheiligen: ich dachte, ich glaubte – ich werde dir schon für das Denken geben!«
»Du sollst wenigstens nie mehr Gelegenheit haben, dich in das zu mischen, was dich nichts angeht,« zeterte die Witwe und warf gleichzeitig eine große Schaufel Sand dem Träumer auf Brust und Schultern.
Dieser, der fühlte, wie sich der Sand über ihn häufte, ohne daß er auch nur einen Finger zur Gegenwehr rühren konnte, sah ein, daß sein letztes Stündlein gekommen war. Sein Wille arbeitete, so daß der Schweiß ihm aus allen Poren drang; seine Muskeln spannten sich, aber es kam zu nichts. Er vermochte weder um Gnade zu bitten, noch zu entfliehen. Das Blut stockte ihm in den Adern, die Brust vermochte sich nicht mehr zu heben und zu atmen. Der mehlfeine Sand füllte seine Augen, seine Nasenlöcher, seine Ohren und seinen Mund. In wenigen Augenblicken mußte er erstickt sein.
In diesem Moment der Verzweiflung hörte er Mustafa Halils Stimme:
»Genug jetzt, Freunde,« sagte er. »Euer armer Diener hat jetzt seine Lektion bekommen, und ich glaube, wir können ihn laufen lassen. Sein Vater, der fromme Koch Jussuf, war einer meiner treuesten Anhänger, und ihm zuliebe habe ich versucht, seinem Sohn zu einem bißchen gesunden Menschenverstand zu verhelfen.«
Als dies gesagt war, merkte der Träumende zu seiner unsäglichen Erleichterung, wie der Sand von seinem Körper entfernt wurde. Die Brust konnte sich wieder zum Atmen heben, und die drückende Last, die auf ihm geruht hatte, hörte auf, ihn zu beschweren. Er konnte sich wieder frei umsehen. Die drei Rachsüchtigen waren verschwunden. Nur Mustafa Halil neigte sich über ihn:
»Vergiß nie die Lehre, die du heute erhalten hast,« sagte er in ernstem Ton. »Wenn du in Versuchung kommst, dich in fremde Angelegenheiten zu mischen, so wiederhole dir immer selbst diese Worte: Man soll nie denken. Aber glaube nur ja nicht, mein Sohn, daß ich dir damit alles Denken verbieten will. Merke dir nur, daß, wenn ein Unglück eintrifft, wenn ein Haus brennt, wenn eine Brücke einstürzt, wenn zwei Schiffe zusammenstoßen, dann kommt dies meistens daher, daß irgendein wohlwollender Mensch da war und gedacht hat. Dich vor derlei in acht zu nehmen, will ich dich lehren. Erfülle deine Pflicht, tue, was dir aufgetragen ist, und sei gewiß, daß sogar Mohammed, Allahs Prophet, einen Anhänger, der schlicht und fromm seinen Befehlen gehorcht, den vielen vorzieht, die klüger sein wollen als er selbst.«
Als Mustafa Halil diese Rede beendet hatte, schritt er die zwei Stufen hinan, um wieder in seine Grabkammer einzugehen. Aber bevor er die Tür zu seiner dunklen Behausung öffnete, wandte er sich noch einmal zu dem armen Assad um.
»Ich bin sicher,« sagte er, »daß, wenn du in ein paar Stunden erwachst, du dir selbst sagen wirst, daß all dies nur ein Traum war, den man in den Wind schlagen und vergessen kann, wie man es gewöhnlich mit seinen Träumen tut. Aber hüte dich vor so etwas. In diesem Falle werde ich mich schon in Erinnerung zu rufen wissen.«
Als der Koch Assad am nächsten Morgen erwachte, entsann er sich haargenau des furchtbaren Traums, der ihn in der Nacht gequält hatte. Er entsann sich Mustafa Halils Zorns, der grausigen Angst, als er ihn lebendig unter dem Sand begraben wollte, ja auch die Warnung des Heiligen, all dies nicht als einen leeren Traum zu betrachten, war seiner Erinnerung deutlich eingeprägt. Aber dies hinderte keineswegs, daß er bald über das Ganze lachte. »All das ist wirklich nicht so übel ausgedacht für einen bloßen Traum,« dachte er. »Aber natürlich ist es nichts, dem man Beachtung zu schenken braucht. Vor allem kann ich mir nicht denken, daß Mustafa Halil ungehalten wäre, wenn ich den Sand vor seiner Wohnstätte entferne. Wenn ich denke, wie große Stücke mein Vater auf ihn gehalten hat, so kann ich dieses Elend nicht länger mit ansehen.«
Und er warf sich sofort zu Boden und begann mit beiden Händen den Flugsand fortzuschaffen.
Aber kaum waren die ersten Sandkörner durch die Luft geflogen, als er über seinem Kopfe das Rauschen mächtiger Fittiche hörte. Er sah auf und erblickte einen großen Raben, der zu ihm herunterschoß. Er näherte sich ihm, als wollte er ihm die Augen aushacken, und mit seiner häßlichen krächzenden Stimme schrie er, so laut er konnte: »Man soll nie denken, man soll nie denken!«
Bei diesem Anblick bemächtigte sich des Kochs ein wahnsinniges Entsetzen. Freilich wußte er, daß Mustafa Halil bei Lebzeiten einen Raben besessen hatte, den er gelehrt hatte, einige Worte zu sprechen, und daß der Vogel auch nach seinem Tode sich in der Nähe seines geliebten Herrn aufhielt, hätte keine so sinnlose Bestürzung und Furcht in ihm hervorrufen müssen. Aber das Erscheinen des Tieres in diesem Augenblick schien ihn zu überzeugen, daß alles, was er geträumt, wirklich Wahrheit gewesen war, daß der Heilige recht hatte, daß er seinen Befehlen gehorchen mußte, daß er mit einem Worte von seiner Überhebung ablassen und ein andrer Mensch werden mußte.
Hastig sprang er auf und ergriff die Flucht, um dem rasenden Angriff des Raben zu entgehen. Aber der Vogel verfolgte ihn mit seinen scharfen Schreien bis zum Stadttor.
* * *
Und von diesem Tage an, erzählt die Geschichte, hörte der Koch Assad auf, sich ungebeten in fremde Angelegenheiten zu mischen. Er befaßte sich nur damit, was zu seinem Beruf gehörte, und er wurde ein so gesuchter Koch, daß eine Beförderung die andre ablöste und er schließlich eine Stelle als Meisterkoch in der Küche des Sultans bekam. Die Geschichte fügt auch hinzu, daß, wenn einer seiner Küchenjungen, den man auf den Markt um Äpfel geschickt hatte, mit Weintrauben zurückkam und sich damit entschuldigte, die Äpfel seien schlecht gewesen, und er habe gedacht, er habe geglaubt, Trauben seien bekömmlicher, dann konnte niemand flinker sein als der Koch Assad, dem Sünder einen Schlag mit dem Kochlöffel zu versetzen, indem er rief:
»Man soll nie denken, du Tölpel! Habe ich dir's nicht tausendmal gesagt: Man soll nie denken!«