de Laclos, Choderlos
Gefährliche Liebschaften
de Laclos, Choderlos

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Einundneunzigster Brief

Frau von Tourvel an den Vicomte von Valmont.

Ich wünsche, mein Herr, dieser Brief möge Ihnen keinen Schmerz bereiten, oder, wenn er es doch tun sollte, dieser Schmerz dann wenigstens gelindert werde durch den, den ich empfinde, während ich Ihnen schreibe. Sie werden mich jetzt zur Genüge kennen, um zu wissen, daß es nicht in meiner Absicht liegt, Sie zu kränken. Aber auch Sie möchten mich doch auch nicht in ewige Verzweiflung stürzen. Ich beschwöre Sie also, im Namen der zärtlichen Freundschaft, die ich Ihnen versprochen habe, im Namen der vielleicht stärkeren, aber sicher nicht aufrichtigeren Gefühle, die Sie für mich haben – vermeiden wir es, uns zu sehen; reisen Sie ab; und bis dahin lassen Sie uns alle diese gefährlichen Unterhaltungen unter vier Augen meiden, bei denen ich durch eine mir unbegreifliche Macht Ihnen nie sagen kann, was ich will, sondern nur die ganze Zeit darauf höre, was ich nicht hören sollte.

Gestern noch, als Sie mich im Parke einholten, hatte ich wirklich keinen anderen Zweck, als Ihnen zu sagen, was ich jetzt – schreibe, und was habe ich getan? Mich mit Ihrer Liebe beschäftigt – mit Ihrer Liebe, die ich nie erwidern darf! Barmherzigkeit! Meiden Sie mich. Glauben Sie ja nicht, daß meine Abwesenheit meine Gefühle für Sie schwächen könnte; wie sollte ich sie besiegen, wenn ich den Mut nicht mehr habe, gegen sie zu kämpfen? Sie sehen, ich sage Ihnen alles, denn ich fürchte mich weniger davor, meine Schwäche zu bekennen, als ihr zu unterliegen. Aber wenn ich auch die Herrschaft über meine Gefühle verloren habe, so werde ich sie doch über meine Handlungen behalten, ja, ich werde sie behalten und bin dazu entschlossen, und wenn es mich mein Leben kostete!

Mein Gott, die Zeit ist nicht ferne, da ich ganz fest glaubte, daß ich nie solche Kämpfe zu bestehen haben würde. Ich beglückwünschte mich dazu und war vielleicht zu stolz darauf. Der Himmel hat diesen Stolz grausam bestraft; aber voller Barmherzigkeit noch im Augenblick, da er uns züchtigt, warnt er mich noch vor dem Fall; und ich wäre doppelt schuldig, wenn ich es weiter an Vorsicht fehlen ließe, jetzt, da ich gewarnt bin, daß mir die Kraft ausgeht.

Sie haben mir hundertmal gesagt, daß Sie kein Glück möchten, das mit meinen Tränen erkauft ist. Ach, sprechen wir nicht mehr von Glück, aber lassen Sie mich meine Ruhe wiederfinden.

Wenn Sie meiner Bitte – nachgeben, was für neue,Rechte erwerben Sie sich dann nicht über mein Herz! Und die wären auf die Tugend gegründet, und ich brauchte mich nicht dagegen zu wehren. Wie würde ich mir in der Dankbarkeit nicht genug tun! Ich würde es Ihnen dann verdanken, ohne Reue ein köstliches Gefühl zu genießen. Jetzt bin ich erschrocken über meine Gefühle und Gedanken und fürchte, mich mit Ihnen wie mit mir zu beschäftigen. Schon der Gedanke an Sie entsetzt mich; wenn ich ihn nicht fliehen kann, bekämpfe ich ihn; ich kann ihn nicht bannen, aber ich stoße ihn von mir.

Wäre es nicht für uns beide besser, diesem Zustand der Angst und Verwirrung ein Ende zu machen? O Sie, dessen gefühlvolle Seele auch inmitten der Irrungen für die Tugend schlägt, Sie werden Achtung vor meinem Schmerz haben und werden meine Bitte nicht abschlagen. Ein ruhigeres, aber nicht weniger zärtliches Interesse wird diesen stürmischen Erregungen folgen; dann werde ich dank Ihrer Güte aufatmen, dann werde ich mein Dasein wieder lieben, und in meiner; Herzensfreude sagen: Die Ruhe, die ich empfinde, verdanke ich meinem Freunde.

Wenn Sie sich einigen leichten Entbehrungen unterwerfen, die ich Ihnen nicht aufdringe, aber um die ich Sie bitte – glauben Sie denn damit das Ende meiner Qual zu teuer zu erkaufen? Ach, wenn, um Sie glücklich zu machen, es nur nötig wäre, in mein eigenes Unglück zu willigen, dann, Sie können mir's glauben, würde ich keinen Augenblick zögern .. . Aber schuldig werden!. . . Nein, mein Freund, nein, lieber tausendmal sterben.

Schon niedergedrückt durch die Scham, am Vorabend meiner Reue, fürchte ich die andern und mich selbst. Ich erröte in Gesellschaft und zittere in der Einsamkeit. Ich habe nur noch ein Leben, das des Schmerzes. Ruhe kann ich nur durch Sie erlangen. Meine besten Entschlüsse genügen nicht, um mich zu beruhigen; ich habe diesen schon gestern gefaßt und habe doch diese Nacht in Tränen verbracht.

Sehen Sie Ihre Freundin, die, die Sie lieben, verwirrt und bittend, von Ihnen Ruhe und Unschuld bittend. Ach Gott, ohne Sie, wäre sie jemals zu dieser demütigenden Bitte verurteilt worden? Aber ich werfe Ihnen nichts vor. Ich fühle zu gut an mir selbst, wie schwer es ist, einem herrischen Gefühl zu widerstehen. Eine Klage ist kein Murren. Tun Sie aus Edelsinn, was ich aus Pflichtgefühl tue, und zu allen Gefühlen, die Sie mir eingeflößt haben, werde ich das einer ewigen Dankbarkeit fügen.

Adieu. Adieu.

den 27. September 17..


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