de Laclos, Choderlos
Gefährliche Liebschaften
de Laclos, Choderlos

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Hundertundachtundfünfzigster Brief

Der Chevalier Danceny an den Vicomte von Valmont.

Zweifeln Sie, mein lieber Vicomte, weder an meinem Herzen, noch an meinem Entschlusse. Wie könnte ich einem Wunsche meiner Cécile widerstehen? Ach, nur sie, nur sie allein liebe ich, und werde ich immer lieben! Ihre Hingabe, ihre Zärtlichkeit haben einen Zauber für mich, von dem mich für einen Augenblick ablenken zu lassen ich die Schwäche haben konnte, den aber nichts jemals auslöschen wird. Seit ich sozusagen, ohne es zu merken, in ein anderes Abenteuer verstrickt bin, hat die Erinnerung an Cécile mich bis in die zärtlichsten Freuden hinein verfolgt. Und vielleicht hat ihr mein Herz niemals so viel Huldigung dargebracht, als in eben dem Augenblick, in dem ich ihr untreu war. Indes, mein Freund, schonen wir ihr Zartgefühl, und verbergen wir ihr mein Unrecht – nicht um sie zu hintergehen, sondern um sie nicht zu betrüben. Céciles Glück ist mein höchster Wunsch; niemals würde ich mir ein Vergehen verzeihen, das sie auch nur eine Träne gekostet hätte.

Ich habe, ich weiß es, den Spott verdient, den Sie mit dem treiben, was Sie meine neuen Grundsätze nennen. Aber Sie können es mir glauben, nicht nach ihnen richtet sich im Augenblick mein Verhalten; und ich werde es Ihnen gleich morgen beweisen. Ich werde gehen und mich bei jener anklagen, die meine Verirrung verursacht und sie geteilt hat. Ich werde ihr sagen: »Lesen Sie in meinem Herzen; es hegt für Sie die zärtlichste Freundschaft; und die Freundschaft, die sich mit der Begierde verbindet, sieht der Liebe so ähnlich ... Beide haben wir uns geirrt; bin ich aber auch dem Irrtum unterlegen, so bin ich doch einer schlechten Handlung nicht fähig.« Ich kenne meine Freundin; sie ist ebenso ehrlich wie nachsichtig; sie wird mehr tun als mir nur verzeihen, sie wird mir beipflichten. Sie selbst warf sich oft vor, daß sie die Freundschaft verraten habe; oft erschreckte ihr Zartgefühl ihre Liebe. Verständiger als ich wird sie in meiner Seele diese nötigen Besorgnisse bestärken, die ich in ihr verwegen zu ersticken suchte. Ich werde es ihr schulden, wenn ich besser, wenn ich glücklicher werde. O, meine Freunde, teilen Sie sich in meinen Dank. Der Gedanke, daß ich euch mein Glück schulde, vermehrt seinen Wert.

Adieu, mein lieber Vicomte. Das Übermaß meiner Freude hindert mich nicht, Ihres Schmerzes zu gedenken und daran teilzunehmen. Warum kann ich Ihnen auch nicht helfen! So bleibt also Frau von Tourvel unerbittlich? Man sagt auch, daß sie sehr schwer krank ist. Mein Gott, wie bedaure ich sie! Möchte sie doch Gesundheit und zugleich Nachsicht wiedererlangen, und Sie für ewig glücklich machen! Das sind die Wünsche der Freundschaft, und ich wage zu hoffen, daß sie die Liebe erhört.

Ich möchte noch länger mit Ihnen plaudern, aber die Stunde drängt, und Cécile erwartet mich vielleicht schon.

Paris, den 5. Dezember 17..


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