de Laclos, Choderlos
Gefährliche Liebschaften
de Laclos, Choderlos

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Hundertundsechster Brief

Die Marquise von Merteuil an Cécile Volanges.

Nun also, liebe Kleine, sind Sie wohl arg böse und recht beschämt! Und dieser Herr von Valmont ist ein schlimmer Mann, nicht wahr? Er wagt es, Sie zu behandeln wie die Frau, die er am meisten liebte! Er lehrt Sie, was Sie fürs Leben gern lernen wollten! Ein solches Vorgehen ist wirklich unverzeihlich. Und Sie Ihrerseits wollen Ihre Keuschheit für Ihren Geliebten – der sie nicht mißbrauchte – aufheben; Sie lieben nur die Leiden der Liebe und nicht ihre Freuden. Sehr schön, und Sie gäben eine prachtvolle Romanfigur ab. Leidenschaft, Mißgeschick und Tugend überdies – was für schöne Dinge! Inmitten all dieses Glanzes langweilt man sich zwar oft, aber man gibt es den andern schon wieder zurück.

Das arme Kind, wie ist es doch zu beklagen! Hatte am nächsten Tag umränderte Augen! Und was werden Sie erst sagen, wenn die Ihres Geliebten so sind? Geben Sie acht, mein schöner Engel, das wird Ihnen nicht immer passieren, nicht jeder Mann ist ein Valmont. Und dann, daß Sie diese Augen nicht mehr aufzuschlagen wagen! Aber da haben Sie recht getan, denn jeder Mensch hätte Ihr Abenteuer darin gelesen. Doch glauben Sie mir: wenn dem so wäre, hätten unsere Frauen und selbst unsere Fräuleins bescheidenere Augen.

Trotz dem Lob, das ich Ihnen, wie Sie sehen, schenken muß, bin ich aber doch genötigt, zuzugeben, daß Sie Ihren Meisterstreich versäumt haben, und der war, alles Ihrer Mama zu gestehen. Sie hatten schon so gut angefangen! Schon hatten Sie sich in ihre Arme geworfen, schluchzten, und Mama weinte auch: welch rührende Szene! Und wie schade, daß Sie sie nicht zu Ende spielten! Ihre zärtliche Mama, ganz entzückt, hätte, um Ihrer Tugend zu helfen, Sie Ihr Leben lang ins Kloster gesperrt; und da hätten Sie Danceny geliebt, soviel Sie gewollt hätten, ohne Rivalen und ohne Sünde. Sie hätten sich ganz nach Herzenslust ausweinen können, und Valmont hätte Sie in Ihrem Schmerz sicher nicht gestört durch abscheuliche Vergnügungen.

Aber im Ernst: kann man mit mehr als fünfzehn Jahren noch so ein Kind sein? Sie sagen sehr mit Recht, daß Sie meine Güte nicht verdienen. Ich wollte doch Ihre Freundin sein, und Sie bedürfen es einigermaßen mit der Mutter und dem Gatten, den sie Ihnen geben will! Wenn Sie aber nicht bildungsfähiger sind, was soll man dann mit Ihnen anfangen? Was kann man hoffen, wenn das, was den Mädchen den Verstand gibt, Ihnen den Ihrigen zu rauben scheint?

Vermöchten Sie es doch, einen Augenblick vernünftig zu überlegen, so würden Sie bald finden, daß Sie sich Glück wünschen sollten, anstatt sich zu beklagen. Aber Sie schämen sich, und das ist Ihnen lästig! Ach was! Beruhigen Sie sich; die Scham, die einem die Liebe macht, ist wie der Schmerz, den sie verursacht: man spürt ihn nur einmal. Nachher kann man sie wohl noch heucheln, aber man fühlt sie nicht mehr. Aber das Vergnügen bleibt, und das ist auch was. Ich glaube, aus Ihrem Geschwätz sogar herauszuhören, daß Sie dieses Vergnügen sehr hoch schätzen dürfen. Seien Sie doch ein bißchen ehrlich. Die Verwirrung, die Sie hinderte, »so zu handeln wie Sie redeten«, und die es »Ihnen so schwer machte, sich zu verteidigen«, die war Ursache, daß es Ihnen »gewissermaßen leid« tat, als Valmont sich entfernte. Kam das von der Scham oder vom Vergnügen? Und »die Art, wie er spricht, worauf man nicht zu antworten weiß«, sollte das nicht von »der Art, wie er es macht«, kommen? Oh, Sie kleines Mädchen, Sie lügen, und Sie lügen Ihre beste Freundin an! Das ist nicht recht. Aber hören wir davon auf.

Was für alle Welt ein Vergnügen wäre und nichts sonst sein könnte, das wird in Ihrer Situation zu einem wirklichen Glück. Denn in Ihrer Lage, zwischen einer Mutter, an deren Liebe Ihnen gelegen ist, und einem Liebhaber, dem Sie immer angehören möchten, wie können Sie denn da nicht sehen, daß das einzige Mittel, diese entgegengesetzten Erfolge zu erreichen, ist: sich mit einem Dritten zu beschäftigen? Zerstreut durch dieses neue Abenteuer, wird es Ihrer Mama so vorkommen, als opferten Sie, um ihr zu gehorchen, eine Neigung, die ihr mißfällt, und verschaffen sich gleichzeitig Ihrem Geliebten gegenüber die Ehre einer machtvollen Verteidigung. Sie werden ihn immerfort Ihrer Liebe versichern und ihm nie die letzten Beweise dafür gewähren. Diese Verweigerung, so sehr wenig schwierig in Ihrem Fall, wird er nicht verfehlen, auf Rechnung Ihrer Tugend zu setzen, wird sich vielleicht darüber beklagen, Sie aber darum nur noch mehr lieben; und dieses doppelte Verdienst in den Augen der einen, Ihre Liebe zu opfern, in denen des andern, ihrem letzten zu widerstehen, es wird Sie nicht mehr kosten, als daß Sie Ihr Vergnügen genießen. Ach, wie viele Frauen haben ihren Ruf verloren, die ihn sorgsam gehütet hätten, wenn sie ihn mit so einfachen Mitteln hätten aufrechterhalten können! Scheint Ihnen dieser mein Vorschlag nicht der vernünftigste, wie auch der angenehmste zu sein? Wissen Sie, was Sie bei dem gewannen, den Sie befolgten? Ihre Mama hat Ihre erneute Traurigkeit einer erneuten Erwachung Ihrer Liebe zugeschrieben und ist darüber außer sich und wartet, um Sie zu bestrafen, nur noch darauf, bis sie ihrer Sache ganz sicher ist. Sie schrieb mir darüber; sie wird alles versuchen, diese Gewißheit von Ihnen selber zu erlangen. Sie wird vielleicht, sagt sie mir, so weit gehen, Ihnen Danceny als Gatten vorzuschlagen, und das nur, um Sie zum Sprechen zu bringen. Und wenn Sie, durch diese falsche Zärtlichkeit verleitet, nach Ihrem Herzen antworten, dann würden Sie bald, für lange eingesperrt, vielleicht für immer, nach Herzenslust Ihre blinde Leichtgläubigkeit beweinen können.

Dieser List, die sie gegen Sie anwenden will, müssen Sie mit einer andern begegnen. Fangen Sie doch damit an, ihr weniger Traurigkeit zu zeigen und sie so glauben zu machen, Sie dächten weniger mehr an Danceny. Sie wird um so leichter daran glauben, als das der gewöhnliche Erfolg der Abwesenheit ist; und sie wird Ihnen dafür desto mehr Dank wissen, als sie daraus Anlaß nehmen wird, sich auf ihre Klugheit, die ihr dieses Mittel eingab, was einzubilden. Sollte sie aber noch einige Zweifel bewahren, etwa dabei beharren, Sie auf die Probe zu stellen und Ihnen von der Heirat sprechen, so seien Sie nichts als wohlerzogenes Mädchen, das heißt vollkommen gehorsam. Was riskieren Sie dabei? Was man schließlich von einem Gatten hat – es ist einer so viel wert wie der andere, und der unbequemste ist immer noch weniger störend als eine Mutter.

Wenn Ihre Mama erst einmal zufriedener mit Ihnen ist, wird sie Sie verheiraten; und dann haben Sie größere Freiheit in Ihrem Tun und können nach Belieben Valmont verlassen, um Danceny zu nehmen, oder sogar beide behalten. Denn, hören Sie zu: Ihr Danceny ist ja ganz nett, aber er ist einer von den Männern, die man hat wann man und wie lange man sie will; man kann sich's also mit ihnen bequem machen. So steht es aber nicht mit Valmont; ihn behält man schwer, es ist gefährlich, ihn zu verlassen. Bei ihm braucht man sehr große Geschicklichkeit oder, wenn man die nicht hat, sehr viel geduldigen Gehorsam. Andrerseits, wenn es Ihnen gelänge, ihn sich zum Freund zu machen, so wäre das ein Glück; er brächte Sie sofort in den vordersten Rang unserer Modedamen. Auf solche Weise erlangt man eine feste Position in der Gesellschaft, und nicht mit Erröten und Weinen, wie damals, als Ihre Klosterfrauen Sie auf den Knien zu Mittag essen ließen.

Wenn Sie also gescheut sind, werden Sie sich mit Valmont wieder vertragen, der sehr auf Sie böse sein muß; und da man wissen muß, wie seine Dummheiten wieder gut zu machen, so schrecken Sie davor nicht zurück, ihm ein bißchen entgegen zu kommen. Bald werden Sie ja lernen, daß, wenn die Männer uns zum ersten Schritt zwangen, wir beinahe immer genötigt sind, den zweiten zu tun. Sie haben für den hier in Frage kommenden sogar einen Vorwand; denn Sie dürfen diesen Brief nicht behalten; ich verlange von Ihnen, daß Sie ihn, sobald Sie ihn gelesen haben, Valmont übergeben. Vergessen Sie aber nicht, ihn vorher wieder zu siegeln. Erstens müssen Sie das Verdienst des Entgegenkommens haben, das Sie ihm zeigen werden – und daß es nicht aussieht, als ob man Ihnen dazu geraten hätte –, und dann bin ich nur mit Ihnen so befreundet, um so mit Ihnen zu sprechen.

Adieu, schöner Engel, befolgen Sie meine Ratschläge, und dann werden Sie mir sagen, ob Sie sich dabei wohl befinden.

Nachschriftl. Mir fällt ein, ich vergaß etwas... noch ein Wort. Verwenden Sie doch auf Ihren Stil etwas mehr Sorgfalt. Sie schreiben immer noch wie ein Kind. Ich sehe wohl, woher das kommt. Sie sagen noch immer alles was Sie denken, und nichts, was Sie nicht denken. Das kann ja zwischen uns beiden so sein, die wir beide nichts voreinander zu verbergen haben, – aber gegen jedermann! Besonders Ihrem Geliebten gegenüber würden Sie immer wie ein kleines dummes Mädel aussehen. Sie müssen einsehen: wenn Sie einem schreiben, so ist es für den und nicht für Sie. Also müssen Sie weniger das zu sagen suchen, was Sie denken, und mehr das, was ihm besser gefällt.

Adieu, mein Herz, ich küsse Sie statt Sie auszuzanken, in der Hoffnung, daß Sie vernünftiger werden.

Paris, den 4. September 17..


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