de Laclos, Choderlos
Gefährliche Liebschaften
de Laclos, Choderlos

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Hundertundvierzigster Brief

Frau von Tourvel an Frau von Rosemonde.

Was für Vorwürfe ich mir doch mache, meine mitempfindende Freundin, daß ich Ihnen zu früh und zu viel von meinen vorübergehenden Schmerzen gesprochen habe! Ich bin schuld, daß Sie sich jetzt betrüben; dieser Kummer, der Ihnen von mir kommt, hält noch an, und ich selbst bin glücklich. Ja, alles ist vergessen und vergeben; sagen wir besser, alles ist wieder gut gemacht. Auf diesen Zustand von Schmerz und Angst ist Friede gefolgt und Wonne. O Freude meines Herzens, wie soll ich sie ausdrücken! Valmont ist unschuldig. Man ist bei so viel Liebe nicht schuldig. Dieses große und beleidigende Unrecht, das ich ihm so bitter vorwarf, er hatte es nicht begangen; und wenn ich in einem einzigen Punkt Nachsicht üben muß – hatte ich nicht auch meine Ungerechtigkeiten wieder gutzumachen?

Ich werde Ihnen keine Einzelheiten über die Tatsachen oder die Gründe wiedergeben, die ihn rechtfertigen; vielleicht würde sie der Verstand nicht einmal würdigen; das Herz allein kann sie fühlen. Sollten Sie mich aber im Verdacht der Schwäche haben, so würde ich Ihr Urteil zur Unterstützung des meinen anrufen. Für die Männer, sagen Sie selbst, ist Untreue nicht Unbeständigkeit.

Ich fühle wohl, daß diese Unterscheidung, die die öffentliche Meinung umsonst billigt, nichtsdestoweniger das Zartgefühl verletzt. Worüber aber dürfte sich das meinige beklagen, wenn das Valmonts noch leidet? Dieses selbe Unrecht, das ich vergesse, glauben Sie nicht, daß er es sich verzeiht oder sich darüber tröstet. Und doch, wie hat er diesen geringen Fehler wieder gut gemacht durch das Übermaß seiner Liebe und meines Glückes!

Entweder ist meine Seligkeit größer, oder ich fühle ihren Wert stärker, seitdem ich fürchtete, ich hätte sie verloren: aber das kann ich Ihnen sagen, sollte ich noch einmal Kraft genug haben, diesen grausamen Kummer, den ich soeben durchmachte, zu ertragen, so würde ich, glaube ich, das Mehr an Glück, das ich seitdem empfunden habe, nicht zu teuer erkauft haben! O meine zärtliche Mutter, schelten Sie Ihre unbedachte Tochter, weil sie Sie durch zu große Voreiligkeit betrübt hat; schelten Sie sie, weil sie den vermessen beurteilt und verleumdet hat, den sie anzubeten nicht aufhören durfte. Halten Sie sie für töricht, sehen Sie sie aber zugleich glücklich und vermehren Sie ihre Freude dadurch, daß Sie sie teilen.

Paris, den 16. November 17.., abends.


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