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Siebentes Kapitel

Dieser Brief war der letzte, den Moorfeld aus Ohio an Benthal schrieb. Die scheinbare Ruhe und Mäßigung, womit er die unglückliche Begebenheit erzählt, war vielleicht schon in dem Augenblicke, da er's tat, entweder nur die Ohnmacht des Betäubten oder das mühsamste Produkt der Reflexion, womit er – ein Mann vor einem Mann – sich zusammennahm. Anders sah ihn seine nächste Umgebung. Der Ausbruch der Wut, von welchem er in knappester Gemessenheit Erwähnung macht, daß er ihn unmittelbar gegen den Urheber des Unglücks gerichtet, flutete ungezähmt auch über die festeren Dämme der geselligen Ordnung und Verträglichkeit. Zunächst zerfiel er mit Doktor Althof. Was er in seinem Briefe so ruhig ausspricht: »Man will das unglückliche Kind in das Irrenhaus zu Columbus bringen«, bekämpfte er in der Wirklichkeit mit dem heftigsten Widerspruch. Er wolle sie nun und nimmermehr »unter den Fäusten der Yankees« wissen, schwor er ununterbrochen, wie er überhaupt alle Heilvorschläge des Doktors, welche die gewöhnliche Praxis in Lähmungsfällen befolgt, leidenschaftlich verwarf. Er schalt den Doktor einen »krassen Somatiker«, wollte das Kind mit Adagios auf der Violine heilen, wollte ihr frische Blumen aus Deutschland kommen lassen und malte einen »Heilplan der Liebe« aus, der vielleicht eine schönere Eingebung der Poesie als der Wissenschaft war. Ganz außer sich geriet er aber, als Vater Ermar selbst, ohne von dem ärztlichen Streite einen Begriff zu haben, nur dem natürlichen Instinkte des Verstandes folgend, die Partei des Besonnenen gegen den Exzentrischen ergriff und seine Kranke der ausschließlichen Behandlung des Doktor Althof anheimstellte. So vergingen die ersten Stunden und Tage im Hause des Doktor Althof zu Gadshill, dem unmittelbaren Schauplatze nach jener traurigen Katastrophe, unter einem fortwährenden Sturme von Aufregungen, die alles verwirrten, Meinungskämpfen, die niemanden belehrten, Sorgen, die sich selbst im Wege standen, Tätigkeiten, die ohne Frucht blieben, und Moorfeld war nahe daran, das zweite Opfer zu werden. In seinen brennendsten Energien ohne Nutzen und Einfluß, von dem eigenen Triebe der Selbsterhaltung dunkel gemahnt, daß sein erschüttertes Nervenleben die Gefahr nur teilen, nicht aufheben könne, ergab er sich zuletzt in den Gedanken, einen Menschenkreis zu verlassen, in welchem das ungestümste Herz das unfruchtbarste war. Er nahm dem Doktor Althof sein Manneswort ab, vor seiner Zurückkunft Annetten nicht nach Columbus zu schicken, dann ritt er aus, um von dem schweren Unglücksschlage zunächst sich selbst zu erholen.

An sein Haus konnte er nicht denken. Die öde Waldhütte, des Schottländers dumpfe Gesellschaft waren doppelt unheimlich in diesen Augenblicken. Ebenso war ihm die gesellige Nähe anderer Menschengruppen verleidet. Die Natur in ihrer wilden Schönheit und Unschuld, die unberührten Reize verschwiegener Einsamkeiten hatten vielleicht allein das Wort, – eines jener einfachen, ewigen Worte hier auszusprechen, an denen das Menschenherz zu allen Zeiten gesundet. Moorfeld folgte diesem Zuge.

Er dachte an die Schönheit der »Seen«. Erie – Huron – Michigan – Saginaw – Makinaw – St. Clair – St. Marie – das waren die Namen, welche damals von den Tauperlen sehnsüchtiger Einbildungskraft glänzten. Jene wunderbaren Binnenmeere, mit ihren durchsichtigen, kristallhellen Gewässern, mit ihren undurchforschten Labyrinthen friedensseliger Eilande, mit ihrem dichtbelaubten Kranze länderbedeckender Wälder, jene duftigen Grenzbezirke der Menschheit, an welchen der seltene Reisende damals ankam, wie Alexander an den Toren des Paradieses, – ihre Kunde erscholl in den Regionen der Zivilisation mit einem Zauberklange, den das Gemüt tief in sich aufnahm, in die Wünsche und Träume der inneren Welt leise mitklingen ließ, den frecheren Geräuschen der zudringlichen Gegenwart vielleicht unterordnete, aber brach der rechte Augenblick an, dann stieg das trotzverheißende Bild dieser engelreinen Erde hinreißend vor dem inneren Auge empor, und alle Stimmen des qualbeladenen Herzens riefen laut: Auf nach den Seen!

Wir vergessen nämlich nicht: Zwischen uns und unsrer Geschichte liegt eine Generation. Wenn die Phrase von dem »Belecken der Kultur« schon in den meisten Fällen eine übereilte ist, da von den ungeheuren Formen von Meer und Land die einzelnen Umformungen durch Menschenarbeit in der Regel doch infusorischer erscheinen, als der Schöpfungs-König sich schmeichelt, so lag vor dreiundzwanzig Jahren die Region der nordamerikanischen Süßwasserseen in der Tat noch in dem zauberischen Kindheitsdämmer einer halbmythischen Geographie. Zwar wehte die Rauchflagge des Steamers schon in jenen Urweltsregionen, aber diese fruchtbare Gattung von Seeungeheuern hatte ihr Geschlecht noch nicht zu der Ausbreitung von heute gebracht. Noch war die einsame Welle dieser Gewässer des indianischen Ruders gewohnter als der wühlenden Dampfmaschine, noch stand der Eichwald in ungelichteten Reihen um die heimatliche Seebucht, der heute in allen Schiffsgestalten die Meere der Welt durchfurcht, noch hielt der Bär seinen ruhigen Winterschlaf in Höhlen, wo heute Bijouterieläden strahlen und im gasflammenden Lesekabinett die Zeitungen von London und Paris aufliegen.

Dahin nun richtete Moorfeld nach der Verblutung des ersten, wildesten Schmerzes seine stillen Wege. Im Augenblicke des Abschieds blieb ihm mit Doktor Althof noch ein harter Kampf zu bestehen. Der vorsichtige Mann bestand darauf, Moorfeld sollte, wie er sich schonend ausdrückte, einen – Diener mitnehmen. Der Arzt erriet aber den Arzt und kalt-beleidigt gab Moorfeld die Antwort: Kann unbegleitet zur Hölle gehn! Auch seinen Abschied von Annetten suchte Doktor Althof um jeden Preis hintanzuhalten. Ein Schlaganfall hatte sich noch tags zuvor wiederholt und das Kind einen entsetzlichen Schritt weiter in seiner Krankheit geführt. Die Gesichtszüge waren von der Lähmung bis zur Unkenntlichkeit entstellt, die Zunge kaum noch eines tierähnlichen Stammelns fähig, die Irre des Geistes vergröberter, finstrer. Es war ein peinlicher Augenblick, als Moorfeld den letzten Kuß auf die »entgeisterte Stirne« zu drücken begehrte. Der Doktor, der Vater, die Mutter selbst stellten sich mit Bitten und Tränen davor. Je gereizter Moorfeld seinen Willen behauptete, desto gefährlicher schien es, ihn zu erfüllen. Zuletzt bewältigt aber die Menschen nichts so sehr als die Leidenschaft, wo sie in ihrem Berufe ist, und das Nachgeben mußte gewagt werden. Man führte ihn vor das Bild der Unglücklichen. Alles bangte einem entsetzlichen Ausbruche entgegen, als Moorfeld mit offenen Armen auf die gräßlich Verlorene zuschritt. Aber er blieb ruhig. Stillsinnend hielt er das Kind vor sich hin und vertiefte sich in sein Anschauen. Nach einer langen Pause rief er aus:

Warum nannt' ich dich auch Schwester! Dann legte er seine Hand auf ihren Scheitel und sprach: Sei gesegnet, mein Kind! Der Gott der Menschenopfer hat dein Schicksal erlaubt. Das reine Weib und die Schuld dieser Welt haben eine alte, mystische Gegenseitigkeit. Edle Jungfrauen seh' ich den Ungeheuern des Altertums opfern, und noch dem Kreuze bringt die Jungfrau blutigen Tribut. Es mußte so sein! Diesem Lande fängt sein zweites Zeitalter an. Als Leiber mit Leibern hier rangen, riß die Rothaut den Skalp vom Haupte der Weißen; heut' rollen Geisterschlachten über diesen Boden, und die Wilden skalpieren Geister. Zu groß ist, was hier beginnt, es muß barbarisch beginnen. Die Sieger von Teutoburg, die zweimal Rom überwunden, sollen deutsches Geistesbanner auf Washingtons Kapitol pflanzen. Die neue Welt ist ihnen gegeben, wie die alte. Voran, deutsche Jungfrau, heilige, weihe! Du leidest für dein Volk; du bist Deutschland! armes, frommes, mißhandeltes Kind. Mit deinem Unglück ist dieser Boden deutsch geworden; – könnte der Geist denn siegen, wenn er nicht zertreten wird? Wir haben, liebes Kind, eine große Schuld in dieses Land eingeführt: wir sind unschuldig! Wir sind wahrhaftig unter den Lügnern, wir sind aufopfernd unter den Selbstlingen, wir sind zart unter den Ungeschlachten, wir sind keusch unter den Frechen, wir sind tiefsinnig unter den Stumpfen, wir sind fromm unter den Heuchlern, wir haben Herzen unter Ziffern, wir sind Menschen unter Bestien! Ob wir siegen werden; – wer darf zweifeln, wenn Kolumbus nicht der Vater der Atheisten sein soll? Aber bis dahin, werden sie uns erwürgen. Viel schönes Leben wird untergehen. Sie haben scharfe Messer und volle Kanonen, die weißen Delawaren und Mohikaner. Sie haben uns das Zauberwort der Kultur nachgestammelt, aber unrein, daß sie nicht gute, nur verderbte Geister zitieren können. Und sie kommen, sie kommen die höllischen Scharen! Beelzebub-Reverend voran! Auf Teufel, auf, das Schlachtmesser bloß! Hier liegen wir; deutsche Häupter liegen da, morgen deine Könige, heute noch deine Knechte! Schnell! schnell! greif zu, innre Stirnhäute sind zu gewinnen; reiße, zerre, – sie zucken, sie bluten, – ha, da raucht ihr Gehirn! Da raucht es! es ist getan! klatschet, Teufel: der Deutsche ist wahnsinnig und Yankee ist ein kluger Mann! – Moorfeld stürzte mit gellendem Lachen hinaus, schwang sich aufs Pferd, und riß in die Straße hinein, eh' ein Arm zu seiner Rettung sich erheben konnte. Wir haben ihn zum letztenmal gesehen! sagte Doktor Althof einsilbig hinter ihm.

Die gewöhnliche Prophezeiung des Verstandesmenschen gegenüber dem Gefühlsmenschen. Leider, er versteht das Fatum schlecht genug! Denn längst würde ihn die Erfahrung gelehrt haben, daß eben er selbst es ist, der Verstandesmensch, der regelrechte, geordnete Geist, der vollwangige, behagliche Lebekünstler, der von jeher die raschesten Blitze des Verhängnisses angezogen hat. Auf lustiger Hochzeitsreise, beim schmackhaften Lieblingsgericht, über wohlabgezählten Summen und schön ausgerundeten Kodizillen packt ihn die Raubtatze des Todes und brüllt ihm ins Ohr: ein Ungeheures ist in der Welt, ein Racheschrei gegen alles Leben, dein Dasein nur der sekundenlange Fall eines Fallbeils! Menschen wie Moorfeld dagegen sind vorherbestimmt, nur in langen, langsamen Zügen den tragischen Schicksalsbecher zu trinken. Von der Lebendigkeit ihres Gefühls, von der Reizbarkeit ihrer Phantasie, von der Bahnlosigkeit ihres Geistes, von der raschen Verbrauchskraft all ihrer menschlichen Mittel erwartet die Welt fortwährend irgendein direktes, wundergleiches Verderben, das neu und plötzlich mit ihnen ende. Mitnichten; sie wandeln sicher, wie Somnambulen, ihre gefährliche Bahn. Die Poesie des Schicksals geht den Poeten aus dem Wege. Ja; die dämonische Nachtluft dieser Welt dringt ihnen zu allen Poren ans Herz, ihr Horizont ist voll den Schattenbildern der Furien, welche die Schaubühne der Erde umkreisen; sie wittern den Hauch des Todes, dem alles Leben geweiht ist, mit einer verhängnisvollen Nervenschärfe: ihre Poesie selbst ist nichts als das Schnauben, Sträuben, Bäumen und Fliehen des edlen Rosses, das den sprungfertigen Tiger in seinem Bereiche spürt: aber wie lange zaudert der Sprung! wie lange ist der Weg, den die Sensitiven der Lebens-Tragik auf der entsetzlichen Kante ihrer stets geschärften Selbstqual zurücklegen, bis dann der Tod, der endliche, persönliche Tod, irgendeinmal ein vergessenes, blödsinniges Greisesauge bricht und die Welt wieder erinnert wird, das war einer jener Kometen, dessen erstes Erscheinen schon ihm und ihr den vernichtenden Zusammenstoß zu bedeuten schien! –

Nein! nicht hier und nicht heute endet die Bahn unsers Helden; seine Uhr hatte noch länger zu laufen. –

Moorfeld ritt bis zur Erschöpfung. Wohl nannte er das Reiten einst die schönste Ehe zwischen dem Menschen und der Naturkraft. Pferd und Reiter wirken aufeinander sympathetisch zurück. Moorfelds Raserei war mit Blitzesverständnis in das Tier gefahren, die Ohnmacht des Tieres gab ihm hierauf Ruhe und Sanftmut. Sein verstörtes Auge gewann wieder Blicke für die Außenwelt.

Die Gegend, die Moorfeld durchritt, zeigte größtenteils einen öden, unbestimmten Charakter. In den früheren Grenzkriegen mit den Indianern waren zwischen dem Erie und Ohio große Waldstrecken niedergebrannt worden, um den Eingebornen das Jagdgebiet zu verderben. Der jüngere Waldanflug hatte nirgend noch die Kraft und Fülle des alten, geschlossenen Urwalds erreicht; hätte die Sonne nicht so erstickend heiß gebrannt, so konnte der Wanderer häufig glauben, durch die Regionen des Buschholzes im hohen Norden zu reisen. Die verwüsteten Bodenblößen, einer langen Austrocknung preisgegeben, fingen nur langsam an, unter dem Schutz des Nachwuchses Feuchtigkeit und Humus wieder zu sammeln. Oft lagen sie als nackte Wüstenstriche da, nicht Wald, nicht Prärie, ja nicht einmal Heide mit dem ästhetischen Charakter der Heide-Tinten und -Linien. Hin und wieder stand eine flache, formlos begrenzte Sumpflache auf diesen Steppen, wahrscheinlich die entartete Nachkommenschaft früherer Quellen und Bäche, welche des Waldschattens, ihrer natürlichen Leiter, beraubt, das ursprüngliche Rinnsal verloren. Jetzt irrten sie heimatlos über die veränderte Erde, verschwanden auf sandigem Boden, standen auf fettem und tonigem als Moräste. In diesen Einöden scheuchte Moorfelds Ritt nur selten ein wildes Truthuhn oder ein verwirrtes virginisches Rebhuhn auf; aber Schwärme von Raben befleckten den klarblauen Herbsthimmel, oder ein Aasgeier kreischte hoch über Schußweite. In Busch und Gestrüpp raschelte zuweilen eine Ratte – Weidwild, überall seltener als man den Europäer glauben macht, war hier gänzlich ausgerottet. So ließ sich auch von den Waldsängern einzig die Spottdrossel hören, welche das Ohr unsers Wanderers bald mit dem kräftigen Zungenschlag des Finken, bald mit den weichen Kehllauten eines zärtlichen Sprossers äffte, in den Sprachen aller Vögel redete und das Gemüt keines einzigen ausdrückte, bis sie zuletzt als stillose Manieristin gründlich ärgerte.

Von Menschenwohnungen fand Moorfeld nur den spärlichen Anflug dessen, was sich heute – hall oder – city in dieser Gegend nennt. Es waren rohe, eintönige Blockhütten von stets wiederholter Form, die so ermüdend durch jede Einzelheit lief, daß sich Moorfeld mit grauester Überzeugtheit eines Glasers erinnerte, welcher ihm einst gerühmt, »jedes Fensterglas passe in jeden Fensterrahmen der Union«. Ein paarmal überraschten ihn auch Gruppen von eleganten Frame- oder Bretterhäusern, welche mit hellgelbem Anstrich, roten Dächern und grünen Jalousien keck an ein sumpfiges Fuhrwerksgeleise wie an die schönste Poststraße sich hinstellten, und irgendeinen Balkon, Portikus, oder eine kaktusgeschmückte Veranda mit der Koketterie eines nur zu naheliegenden Bildes ausluden. Das waren Häuser von Humbugern, welche als Lockvögel der Landspekulationen vor den unerfahrenen Augen der Einwanderer »Farmerglück« zu spielen hatten. Ihre »lovely spots« standen entweder selbst zum Kaufe, oder das käufliche Land war so geschickt zwischen sie einparzelliert, daß der Käufer nicht umhin konnte, künstliche geschraubte Preise dafür zu zahlen. In einer dieser bemalten Ostereischalen hielt Moorfeld seine Mittagseinkehr. Der Wirt, der ihn für eine Beute halten mochte, belagerte ihn mit lauernden Gesprächen. Unwillig blickte ihm Moorfeld auf den Grund und legte in raschen, kurzen Antworten seine Sacheinsichten zutage. Da sprang der Yankee ab und gefiel sich hierauf, den Frommen zu spielen. Er erkundigte sich eifrig nach dem Campmeeting. Moorfeld ließ sein Pferd abfüttern und ritt ungesättigt von dannen.

Er überließ sich planlos der Irre. Die besuchtere Straße nach Erie, der Stadt, hatte er absichtlich vermieden, sein Weg ging in die einsamsten Richtungen.

Erst als der Abend niedersank, am Horizont dichtere Waldmassen in finsterer Geschlossenheit zusammenrückten und die Riesenschatten der Weymouthtanne wie Landzungen der Nacht tief in das sonnige Mattgold des wiesenflachen Vordergrundes einschnitten, dachte Moorfeld zum zweiten Male an seine Einkehr. Indem er den Zirkel der Gegend nach Spuren menschlicher Nähe durchflog, tönten ihm aus dem nahen Waldgrund Axtschläge entgegen. Moorfeld folgte ihnen. Er fand einen Mann im Schurzfell und baumwollenen Hemde, welches bis an den Gürtel eingestreift war, beim Holzfällen. Sein Körper leuchtete kupferrot vom Widerschein der untergehenden Sonne. Doch nein; Moorfeld erkannte diese Röte bald als die natürliche Hautfarbe des Mannes. Der Holzschläger war ein Indianer.

Zum erstenmal seit er Amerikas Boden betreten, hatte Moorfeld den Anblick der roten Rasse. Der Indianer gehörte offenbar der Zivilisation an. Sein Wesen unterschied sich in nichts von dem arbeitgewohnten Proletarier. Spuren kriegerischer Wildheit leuchteten nicht daraus vor. Seine Züge waren die eines alternden, sorgenvollen Menschen, seine schwarzen Augen lagen hohl, und wenn sie nicht eben mit »der Gedankensblässe« blickten, so war es doch ein – christlicher Leidensblick.

Moorfeld hielt sein Tier an und fragte nach der Lage der nächsten Farm. Der Indianer maß ihn mit argwöhnischen Blicken, indem er für alle Fälle seine Axt an sich faßte. Moorfeld durchschaute die Lage des Mannes. Aus der kurzen Erfahrung seines Grundbesitzes wußte er, daß der Besitz ausgedehnter Waldstrecken von den Nichtbesitzenden kaum als ein Recht, ja fast wie eine Versündigung an dem Naturrechte betrachtet und Jagd und Holzschlag auf sogenanntem fremden Boden dieser Anschauung gemäß überall ausgeübt wurde. Moorfeld war kein Gegner dieser Rechtsbegriffe. In Amerika, wo das Holz mehr Last als Revenue ist, wo durch die Landspekulation aufgekaufte Waldmassen überall herrenlos liegen und sogar oft nicht anders als mit den Noten einer Schwindelbank bezahlt sind: kann der größere Waldfrevel leicht beim Monopol des Besitzers selbst zu sein scheinen. Desungeachtet handhabten viele Besitzer den Schutz ihrer Wälder unerbittlich, mehr mit dem Instinkte der Grausamkeit als der Gerechtigkeit, und der Indianer fürchtete seinem ganzen Benehmen nach Verrat.

Moorfeld sah daher ein, daß er zuerst um das Vertrauen des roten Mannes werben müsse. Er bot dem Arbeitsmüden seine Feldflasche an, überzeugt, den kürzesten Weg zu seinem Zweck damit einzuschlagen. Aber der Indianer stieß die Flasche mit Abscheu zurück. Moorfeld staunte. Seid Ihr Temperanceman? fragte er verwundert. Der Indianer griff fester an seine Axt, gleichsam als sei es gut, das, was er sage, in wehrhafter Verfassung zu sagen, dann stieß er mit Ingrimm die Worte aus: Wollte Gott, nur der rote Mann wäre es und der weißen Männer kein einziger. Was habt ihr Mäßigkeitsvereine und führt dem roten Mann das Evangelium nie anders als in Begleitung des Whisky-Barrels zu? Moorfeld wurde aufmerksam. Er antwortete vor allem, daß er nicht dem Volke der Amerikaner angehöre. Die Züge des Indianers milderten sich. Moorfeld fuhr fort und lobte das tiefe Gefühl des Indianers für das Nationalunglück der roten Rasse. Der Indianer, auf sein Beil gelehnt, hörte mit einer traurigen Resignation zu. Es ist nicht das, sagte er kopfschüttelnd. Es ist nicht das. Der rote Mann muß untergehen. Ich sehe den Beschluß des Himmels ein, und ob dieser Beschluß mit Pulver oder mit Branntwein vollzogen wird, kann mir gleichgültig sein. Ich habe es öfter als einmal gesehen, Sir, wie der weiße Mann im Nanking schmunzelnd dabeistand, wenn ein Haufe halbnackter Indianer nach der Wirkung seines Branntweinfasses sich mordgierig in die Schlachtmesser rannte; ich habe es gesehen, wie der feine Staatsmann aus Washington lächelte, wenn betrunkene Häuptlinge ihren Pfeil, ihren Waschbär, ihre Schildkröte, oder was sonst ihren Namenszug bedeutete, besinnungslos unter einen Staatvertrag malten, der Tausende von heldenmütigen Kriegern und Jägern in die Verbannung trieb; ich habe es gesehen, wie der Indian Trader sich die Hände rieb, wenn er die Jahresrente eines ausgekauften Indianerstamms, wie sie blank von Washington kam, im Branntweinhandel an sich riß und habe es gesehen, wie für den Genuß des Augenblicks Hunderte von armen Rothäuten den Winter darauf verhungerten. Ich habe den Branntweinkrieg in allen Gestalten gesehen, Sir, und habe es fühllos gesehen, wie man das Unvermeidliche sieht. Aber eins habe ich nicht fühllos gesehen. Von diesem Tage an trank ich kein gebranntes Wasser mehr. Es war vor zwei Jahren. Der Kongreß schickte eine Kommission zur Schlichtung von Grenzstreitigkeiten an die obern Seen; ich ging im Solde einer Bibelgesellschaft mit. Der Ort der Staatsverhandlung war in der Nähe von Fort Howard zwischen Greenbay und dem Winnebagosee. Dort wurde das Beratungsfeuer angezündet. Die Ufer des Foxflusses wimmelten von Indianern. An dreitausend waren gekommen im Gefolge ihrer Häuptlinge. Die Menomenies, die Winnebagoes, die Stockbridges, die Oneidas, die Chippeways, die Brothertons und noch viele andere, bekehrte und wilde, Ost- und Westvölker sah man vertreten. Vor allen herrlich schritten die Männer und Frauen der stolzen Winnebagoes. Sie trugen die schönsten Waffen, den schönsten Schmuck, hatten die besten Kanoes, die stattlichsten Zelte. An einem strahlenreichen Morgen, als über der stillen Fläche des Foxflusses die Nebel zu wallen und sich zu brechen anfingen, betrat ich zuerst ihr weitverstreutes Zeltlager. Hier erblickt' ich die Tochter eines Häuptlings, ein junges, schönes, reichgekleidetes Mädchen. Sie schritt einher mit dem ganzen Stolze jungfräulicher Reinheit und Anmut. Eine natürliche Heiterkeit strahlte aus ihrem Auge, jede ihrer Bewegungen war reizend und würdevoll. Sie glich einer Blume im Glänze des ersten Morgentaus. Nach drei Tagen führte mich mein Dienst wieder zu den Winnebagoes. Ich begegnete demselben Mädchen. Sie saß in einsamer Entfernung von dem väterlichen Zelte am Ufer des Foxflusses. Ihr Haar war los, ihr Schmuck, ihre kostbaren Kleider verschwunden, ein Tuch hing über ihre Schultern und bedeckte notdürftig ihren Körper. Ihr ganzes Äußere war ein Bild von verlorener Selbstachtung. Geist und Adel hatten ihr Antlitz verlassen, ihre Auge stierte tot in die Wellen des Flusses. Bestürzt fragte ich. Ach, sie war zu unschuldig, ihr Unglück zu verheimlichen. Ein weißer Mann hatte ihr Feuerwasser gegeben und sie entehrt. Als ich dieses hörte, warf ich meine Bibeln in den Foxfluß, kehrte zurück und gewinne mein armes Leben mit dieser Axt.

So sprach der Indianer. Moorfeld aber fragte nicht mehr nach der nächsten Farm; er übernachtete in dem Reisigzelte des roten Mannes.

Wie erwachte er morgens! Verdrossen, nicht leidenschaftlich schleppte er diesen Tag sich weiter. Sein Reisetrieb war gedämpft, der Schmelz jener duftigen Waldregionen dahin. Hätte er nicht Anhorst in Detroit zu finden oder zu erwarten gehofft, so stand er ganz ziellos jetzt auf seinen wilden Irrwegen. Dieser eine Zug bewegte ihn noch vorwärts.

Die Landschaft war heute angenehmer, die Luft dagegen gänzlich verstimmt.

Gegen Mittag verfinsterte sich der Horizont. Vom Norden brach ein heftiger Sturm ins Land, überflügelte den Himmel im Nu mit einer Beduinenarmee von kaltgrauen Haufwolken. Wildbrüllend wälzte der gigantische Schwarm sich übers Firmament, und auf der Erde verrannte sich Schatten in Schatten. Die Temperatur sank empfindlich; schneller wechselt auf einer Schaubühne die Szene nicht, als an diesem Tage der Personenwechsel von Sommer und Herbst vorzugehen schien. Moorfeld suchte jetzt notgedrungen den Schutz der Wälder, deren Einsamkeit und dunkleres Kolorit er sonst nur gesucht. Sie standen streckenweise wieder so urwüchsig heute, daß unter ihren Gewölben, wie in Kasematten einer natürlichen Festung, dem stärksten Bombardement eines Wetters zu trotzen möglich war.

Ein solches erwartete Moorfeld. Aber der Ausbruch war kein Sommergewitter mit Blitz und Donner und dem raschen Abprasseln eines Stromregens. Moorfeld ritt manche Stunde zu, bis er erkannte, daß nicht die letzte Wut des Sirius, sondern die erste der Aequinoktialstürme über ihn ausgebrochen. Der Regen begann zwar, aber in unruhigen, zerflatterten Zwischenpausen; das wüste Getriebe der Haufwolken ballte sich regellos in verschiedener Dichtigkeit, Temperatur und Lufthöhe, eine Wolke regnete in die andere, und die frostschauernden Windstöße rissen sie ebensooft auseinander, als sie im nächsten Nu, wie mit Keulen der Treibjagd, den nassen Pferch zusammenhetzten.

Die Nacht fiel an diesem Abend früher herein, als es Gesetz der Jahreszeit. Moorfeld erkannte an der Harzluft und an den verworrenen Figuren der Bäume, daß es ein Wald von Nadelholz war, in welchem sie mit plötzlich verzehrendem Dunkel ihn überraschte. Er stieg vom Pferde, schlug Feuer, hieb sich einen Fichtenzweig ab und leuchtete seinen unergründlichen Wegen. Sein Tier war vor Angst und Anstrengung gebadet in Schweiß, von seinen Weichen wirbelte Dampf auf. Moorfeld führte es am Zaume neben sich her. Aber seltsamerweise zeigte es einen begierigen Trieb nach vorwärts, es warf den Kopf hoch an den Hals zurück, schnob mit weiten Nüstern sehnsüchtig in die Luft und setzte sich wiederholt in einen Trab, dem Moorfeld zu Fuße nicht folgen konnte. Er schloß, daß das Tier irgendeine Wasserstelle wittere. So bestieg er es wieder und überließ es seinem Instinkte. Das Pferd griff sogleich mit munterem Gewieher aus. Der Wald war so frei, wie rasiert, von Unterholz; das Tier trabte lebhafter, als seit Stunden. Rasch flogen die Stämme der Bäume an Moorfelds Fackel vorüber, die Beleuchtung schnitt ein Bild um das andere aus der allgemeinen Finsternis heraus, um es ebenso schnell wieder verschwinden zu machen. Droben aber verschränkte sich alles zu einer dichten undurchdringlichen Schattenmasse, durch welche Sturm und Regen dumpfbrausend heulten; zuweilen fand ein gebrochener Ast im Herabfallen bis auf den Boden des Waldes seinen Weg und verriet den Wurzeln und Stämmen der Bäume, in welchem Schlachtgewühl ihre Spitzen trieben.

Nach einem Ritt von ungefähr einer englischen Meile glaubte Moorfeld eine veränderte Luft zu atmen. Auf einmal sah er durch die Bäume des Waldes seinen Boden wanken und schwanken, ein flüssig gewordener Horizont rannte auf und ab vor seinen Augen, auf eine tiefgraue Ferne hinaus erblickte er nichts als einen Taumel zerbrochener Linien, die in blitzschnellen Veränderungen übereinander herstürzten und mit Wind und Wolken vermischt in rhythmuslosen Zischlauten siedeten und surrten, daß Aug' und Ohr vor dem sinnlosen Wunder erstarrten. Moorfeld hielt die Fackel hoch, blickte, staunte, kombinierte wie im Traume und erkannte endlich das Bild einer großen sturmbewegten Flut. Er stand am Eriesee.

Es war ein Bild wie zur Verzweiflung gemacht. Oben eine Decke grauer und formlos zerfließender, unten ein Chaos schwarzer und starrer Schatten, dort die Wolken-, hier die Waldlandschaft einrätselnd; dazwischen eine wilde Jagd von Wellen und Wogen, in raumloser Finsternis unendlich für die Sinne wie für die Ahnung, und darüberher ein reißender Sturm, der über den See mit einem hohen und zischenden, über den Wald mit einem tiefen und brüllenden Ton fuhr und so die ungefähre Grenze von Wasser und Erde aus dem gröbsten Naturlaut heraus verkündete. Moorfeld stand und erlabte sich in einem langen bewundernden Blicke an dieser Unterwelts-Szene.

Er hörte sein Pferd unter sich in tiefen Zügen schlürfen, leuchtete hinab und sah eine Wasserlache, welche die Brandung des Sees landeinwärts ausgegossen. Es war gewiß, daß das Ufer in mehr oder minderer Tiefe ringsher eine gefährliche, wenn nicht unmögliche Passage bot.

Moorfeld stieg zum zweiten Male vom Pferde und dachte an einen Rückzug in das Waldinnere. Es galt, das Standquartier dieser Nacht auszuwählen.

Da geschah ihm, als trüg' ihm der Sturm Gesangstöne zu.

Moorfeld horchte hoch auf. Die Entdeckung war zu ansprechend, wenn sie sich bestätigen sollte. Eine neue Windeswelle leitete den Schall deutlicher. Es war ohne Zweifel, es sang jemand in der Nähe.

Moorfeld ließ einen hellen Jagdruf erschallen, aber er hatte den Wind gegen sich. Er kehrte sein Auge mit Anstrengung in die Finsternis, ob er nicht die Begleiterin menschlicher Kultur, eine Lichtflamme, entdecken könne, aber gleichfalls vergebens. Er mußte sich darauf beschränken, sein Pferd vorsichtig der Richtung der Töne entgegenzuführen, dem Zufall anheimgestellt, daß sie vielleicht wieder aufhörten und ihre Spur ihm entzogen.

Glücklicherweise geschah dies nicht. Der Gesang erhob sich vielmehr immer vernehmlicher. Es war ein marschartiger Rhythmus und eine leichte, leichtsinnige Vaudeville-Melodie nach altem Zuschnitt. Moorfeld konnte sich bald darauf verlegen, die Textworte selbst herauszuhören. Buvons – buvons – klang es einige Male, – dann brüllte ein breiter Sturmdonner dazwischen, daß der Wald krachte, Cäsars erhitzte Haut schaudernd zusammenfuhr und Moorfeld aus dem See heraus den spritzenden Gischt im Gesichte spürte. Das schien aber den nächtlichen Sänger wenig zu genieren. Denn bald darauf hatte sein fröhliches Herz mit le vin bon zu tun und der nächste Windstoß war noch galanter, er kam avec ma Lison.

Als Moorfeld erst die Sprache herausgehört, war es ihm um so leichter zu folgen. Ein gut gelaunter Franzose, wahrscheinlich ein »heureux Canadien«, vom nördlichen Erieufer herübergekommen, trieb sich in der Nähe. Wahrlich, der Sänger konnte auch nur Franzose oder Irländer sein. Ein Amerikaner hätte nicht gesungen. In dieser einsamen, melancholischen Lage vielleicht kaum ein Deutscher.

Moorfeld tappte sich am Leitseile dieser Vokal-Produktion Schritt für Schritt näher. Der syllabisch-rezitierende Stil des französischen Gesanges ließ ihn bald jedes einzelne Wort vernehmen, wozu noch beitrug, daß die akzentuierten Silben durch ihren regelmäßigen Fall auf die guten Taktteile ungemein markiert hervortraten, was auch dem Chanson, trotz seiner Schäferlichkeit, seinen gallischen, sturmschrittartigen Geist verlieh.

Der Sänger nahm zu einer neuen Strophe seinen Aufschwung.

Belle Iris, de tous vos amants
Faites une différence –

forderte er pathetisch,

Je ne suis pas le plus charmant

gab er aufrichtig zu;

Mais je suis le plus tendre

behauptete er.

Si j 'étais seul auprès de vous –

ein witziger Windstoß machte hier wieder eine Pause, worauf Moorfeld nur noch

– les moments les plus doux

hörte, welche der arme Schelm sich davon versprach.

Moorfeld fürchtete mit poetischer Kennerschaft, daß diese schönsten Momente auch billig die letzten und das Lied damit an seiner Pointe angelangt sei. Er erhob von neuem seine Stimme, in der Voraussicht, den Leitton jetzt einzubüßen. Aber sein kritischer Blick hatte ihn diesmal getäuscht. Der unverwüstliche Chansonnier fuhr fort:

Allons donc nous y promener.
Sous ces sombres feuillages –

eine direkte Satire zu der Promenade unsers Wanderers –

Nous entendrons le rossignol chanter –

diesmal mußte selbst Moorfeld lächeln. Rossignol und diese Szene!

In demselben Augenblicke verschränkte sich der Wald so dicht vor seinem Fuße, daß er sich genötigt sah, auf einem ziemlichen Umweg auszubeugen. Bevor er es tat, rief er zum drittenmal die singende Stimme an, und Cäsar begleitete ihn mit einem kräftigen Gewieher.

Dieses Doppelsignal weckte den Sänger endlich aus seinen Träumen. Q'est-ce que cela? un chevalier avec son cheval? Soyez les bien-venus mes bons camerades!

Je vous rends bonne grace, Monsieur! mais dites-moi s'il vous plait ...

Je comprend, je comprend! Je serai votre guide. Le passage est horrible. Restez, s'il vous plait. Je serai directement à votre Service. Tenez place, Monsieur. C'est votre flambeau, qui me dirige.

»Ah! rendez-moi mon cour,
Maman me le demande.«
»II est à vous, si vous pouvez le reprendre.
II est confondu dans le mien
Je ne saurais lequel est le tien.«

Der Sturm pfiff, der See brandete, die Waldwipfel brausten, die Nacht lag undurchdringlich auf jeder Fußbreite Weges, und durch diesen Tartarus sang sich dieser Amor, als wäre Cerberus nur ein Wachtelhündchen seiner Iris!

Werden wir heute unseren armen Irrenden bei diesem Franzosen besser betten als gestern bei dem Indianer!

Moorfeld hörte Baumäste knattern, Büsche rauschen, Fußschritte schreiten, springen, im Sumpfwasser quietschen und mit einem bon soir, Monsieur! traten die Umrisse eines Menschen aus der Waldfinsternis.

Die Kienfackel beleuchtete den beiden Begegnenden ihr tête-à-tête.

Was für ein anderes Bild hatte sich Moorfeld von dem Schäfer der schönen Iris gemacht!

Es war ein Mann von mittlerem, ja späterem Lebensalter, seine Stirne gefurcht, wir möchten schon sagen gekerbt, sein Teint tief dunkelbraun, sei's von der Sonne und Luft oder von einem starken Zusatz indianischen Blutes, – kurz der ganze Kopf hart und erzfarbig wie eine Büste aus Bronze. Sein Auge, klein und schwarz, blickte fast hohl und nichts weniger als sorglos; seine stark hervortretenden Backenknochen, gleichfalls der indianischen Abstammung verdächtig, verliehen ihm sogar etwas Abschreckendes; nur um Kinn und Mund spielte ein Abglanz des feinen, sinnlichen Frankreichs. Seine Tracht war äußerst roh und wild; er trug ein Hemd von Hirschleder mit ebensolchen Beinkleidern, beide Stücke durch lange Abnutzung fast unkenntlich, die Füße standen in indianischen Mokassins, um die Schultern hing ein gräulicher Mantel von Büffelhaut. Als er Moorfelden die Hand zum Gruß reichte, glaubte dieser, er habe ihm einen Kieselstein in die seinige gelegt.

Nun will ich Sie in meinen Pavillon führen, sagte der Halbwilde, und Moorfeld empfand erst jetzt die ganze Heiterkeit des Kontrastes der belle France mit dem sauvage du Canada.

Was der Franzose seinen Pavillon nannte, war eine Erderhebung, die sich wie eine natürliche Terrasse in den See auslud, gekrönt mit einem Hain von prachtvollen Ulmen.

Die Stelle bildete eine kleine Landzunge, aber die Erosion des Sees hatte beide Seiten derselben in tiefen Einschnitten versumpft, den Sumpf jedoch mit einer trügerischen Vegetation von Erlen-, Weiden-, Berberitzen- und Thuja-Gestrüpp so reichlich überwuchert, daß der Reisende, der etwa einen festen Weg durch diese Au-Striche suchte, unfehlbar darin zugrunde ging. Der Franzose führte Roß und Reiter den einzig praktikablen Zugang, einen kiesigen Pfad, der sanft aufwärts führte und nach einer kurzen Strecke die Spitze der Landzunge erreichte. Diese Spitze war fast ein Vorgebirge.

Der Platz war ungemein wirtlich. Der Wald hatte hier, wo er unmittelbar in den See abstürzte, gleichsam seine trotzigste Kraft zusammengerafft und auf die Landzungenterrasse eine Fülle seines stolzesten Holzes geworfen. Man stand wie in einer Kammer. Der Franzose hatte den Ausdruck Pavillon kaum scherzweise gebraucht. Er führte seinen Gast, man konnte sagen, in ein geheiztes Kabinett; denn in einem Winkel von drei dicht nebeneinanderstehenden Ulmen sah Moorfeld ein Feuer lodern, welches eine behagliche Wärme verbreitete. Die Zwischenräume der drei Bäume waren mit Reisig vollgeschichtet, und auf diese Weise eine vollkommen windfeste Wand hergestellt. Auf der andern Seite des Feuers dagegen schloß ein um die Baumstämme gepflöcktes Segeltuch den Raum ein, in dem am Boden ein Teppich aus Büffelhaut ausgespannt lag, hinter welchem ein Erdaufwurf dem darauf Sitzenden sybaritisch zur Rücklehne diente. Das Dach bildeten die zusammengedrängten Ulmenkronen fest und dicht wie ein Gewölbe. In ihren obersten Spitzen hörte man den Sturm rauschen, im See drunten klatschten die brandenden Wellen –, in der Mitte von beiden dieser Raum voll Sicherheit war wie ein Ding des Zaubers.

Für die Höhe der Zivilisation hat der Rückblick auf ihre Anfänge unter allen Umständen etwas wohltuend Ergreifendes. Dieser Sänger in diesem Foyer war ein Rendezvous, das unserm Repräsentanten der europäischen Kultur mächtig und freundlich in die Seele griff. Er fühlte es zum ersten Male seit seinem zweitätigen Ritt wie einen Moment des Friedens in sich.

In dieser Stimmung ließ sich Moorfeld an die gastliche Herdstelle nieder. Monsieur, wir werden soupieren wilden Reis in Wasser gekocht, ein paar Wasserschnepfen und eine Ente. Brot wollen wir für schädlich erklären. Zider-Bordeaux von Charlotteville in Ober-Kanada wird uns diese Kürbisbouteille liefern. Charlotteville ist meine Heimat, Monsieur. Dort drüben liegt es. Wagh! eine Lokation mitten unter Engländern, die Gott verdammen möge. Hätt' ich nicht ein paar gute Freunde in New Orleans, die ich winters über besuche pour avoir quelque conversation, ich möchte mehr Waschbär sein als Mensch. Wagh!

Der Kanadier hing einen kleinen Kessel mit Reis über sein Feuer, steckte sein genanntes Geflügel an ein paar Bratspieße und reichte Moorfelden die Kürbisflasche.

Die ganze Szene war unserm Helden so neu, so sehr im Geiste dessen, was sich wohl sonst die europäische Poesie unter dem »romantischen Wesen« denkt, daß Moorfeld aus seinem dumpfen, selbstertötenden Brüten mehr und mehr zu erwachen anfing. Und konnte er gleich sein krampfhaft zusammengeschnürtes Herz nicht frei und fröhlich als Gastgeschenk bieten, so erinnerte er sich doch, daß zur Unterhaltung auffordern auch unterhalten heiße. Wie schwer aber hätte ihm diese Aufgabe werden sollen bei einem Manne, der von Kanada nach New Orleans reist pour avoir quelque conversation?

Er begann sich's an der Feuerstelle bequem zu machen. Bitte, stellt mich auch Frau und Kind vor! scherzte er dazu. Der Franzose aber schien dieses Kompliment über seine glückliche Nachahmung von Häuslichkeit zu verkennen, denn er schlug ein Schnippchen und antwortete fast mürrisch: Wagh! Familienleben, schönes Leben! Ich bin Amateur von dem Familienleben – anderer Leute! Ich hebe es außerordentlich. Aber zu Hause will ich frei sein. Wagh! Familie ist Silber, Freiheit ist Gold!

Und plaudernd fuhr er fort: Als ich vor mehreren Jahren für die Nordwest Biberjagd trieb, da besaß ich zwei Weiber, wie es im Westen der Trapper Brauch. Ah, Monsieur, Schöneres hat die Welt nicht gesehen! Die eine, Juanita, hatte ich aus einer Mission in Kalifornien entführt; aus ihren schwarzen Augen brannte es wie der Blitz einer Doppelflinte, aber das dunkle spanische Feuerblut ihrer Wangen verriet, daß sie ebenso berufen, Wunden zu heilen als zu schlagen. Ihr weißes Chemisettchen war im Besitz von Geheimnissen, die einen König glücklich gemacht hätten, ihr kurzes rotes Sergeröckchen schloß sich an einen bunten mit Glasperlen verzierten Gürtel um Hüften – das war ein wonnevoller Anblick. Als ich sie von ihrer verdammten Stampfmühle auf meinen Sattel hob und rief – ah, Juanita, du bist zu bessern Dingen geboren, als ewig Korn zu stampfen und Tortillas zu backen – parbleu! da wüßt' ich, was ich in Armen hielt. Wenn mir die Engländer und die Yankees – Gott verdamme sie! – in Bentsfort nicht um die Wette zehn der schönsten Pferde und Maultiere für sie geboten, so will ich ein toter Biber sein; die mexikanischen Fettlappen aber klimperten mir mit Dublonen und Dolchen vor die Ohren, daß ich mehr als einem mein Messer bis zum Greenriver in den Leib jagen mußte, um mir Ruhe zu schaffen. Die zweite war eine Yuta-Indianerin, hieß Chil-cho-the, das schwankende Rohr. Ihre Schilfsrohrtaille bildete zu der Fülle der Spanierin den reizendsten Gegensatz, sie war noch ein ganz junger Schößling. Ich hatte sie nach Kriegsrecht im Kampf mit den Indianern erbeutet, und brauchte ihr nur die verdammten Ockerfarben, das abscheuliche fanfaron der Wilden, aus dem Gesichte zu reiben, um zu sehen, was für eine Perle ich gefischt. Sie war gehorsam wie ein zahmes Kaninchen und in Künsten geschickt wie eine Spinne. Sie verstand die zierlichsten Mokassins, die dauerndsten Teppiche zu flechten, sie machte aus Glasperlen und den gefärbten Nadeln des Stachelschweins fanfaron, das uns im Handel mit Indianerstämmen allerorts zustatten kam, und niemand wußte zähes Büffelfleisch so weich zu klopfen wie sie; Sie mögen das glauben wie Geschriebenes, Monsieur! Enfin, von einer Nacht auf die andere fort waren meine Squaws beide. Als wir über das Gebirge durch das Bayou Solade nach dem Platte gingen, verlor ich bei einem nächtlichen Überfall der verdammten Schlangenindianer meine Pferde, meine Maultiere, meine Biberpelze, meine Weiber, alles. Nichts behielt ich als meine doppelläufige Flinte. Bon! Ein Schuft, der sich nicht seine Ehre gibt. Und wenn ich gestehen müßte, daß ich aus dieser Flinte an diesem Tage einen schlechtem Schuß getan als an jedem andern, daß mir das Auge trüber ins Visierglas guckte oder die Hand nur ein Zehntels Haar zitterte, so wollt' ich vor die Hunde kommen. Wagh! Was ein rechter Philosoph ist, der sieht die Dinge, die er hat, von ihrer guten, und Dinge, die er verliert, von ihrer schlimmen Seite. Und meine Juanita war doch ein verdammt übermütiges Ding und meine Chil-cho-the nur ein willenloses Schaf. Wagh! Weiber sind gut, aber die Freiheit ist besser!

Das klingt wild, mein Freund, antwortete Moorfeld, und experimentierend, wie weit der Leichtsinn oder das Selbstvertrauen dieser Natursöhne gehe, fügte er hinzu: Fürchtet Ihr nicht die Tage des Alters? wenn eine liebevolle Hand nicht mehr Luxus, sondern Bedürfnis ist?

Wagh! sagte der Kanadier sich schüttelnd, haben Sie schon einen alten Franzosen gesehen? So wenig als einen jungen Engländer! Alt? qu'est-ce que cela? Ein Franzose wird nicht alt!

Eine charakteristische Antwort! Ein Sittenforscher könnte sich wohl an ihr genügen lassen.

Und damit war zugleich auch das Thema für eine ausreichende Abendunterhaltung gefunden. Der Kanadier hatte an eine Zeit seines Lebens erinnert, wo er »Trapper« gewesen. Moorfeld brauchte ihn nur zu Erzählungen aus dieser bewegten Sphäre zu ermuntern, und er unterhielt seinen freundlichen Wirt ganz auf seine eigenen Kosten, während er selbst die passive Rolle, die so sehr zu seinem Gemüte stimmte, ohne Zwang innehaben konnte. Der Kanadier ließ sich nicht nötigen. Im dämmerungsvollen Schein seines Herdfeuers und bei einer ziemlich unverkürzten Mitgift französischer Selbsteingenommenheit hatte er wenig Blick für den Seelenzustand seines Gastes. Auch fragte er nicht: woher? und wohin? Eine Reiseerscheinung wie Moorfeld bot einem Manne wie ihm nichts Merkwürdiges. So überließ er sich ganz seinen eigenen Merkwürdigkeiten. Wahrlich, er war ein unerschöpflicher Erzähler! Nach Stoff und Neigung. Der Himmel stürmte, der See zischte, die Schnepfen brieten, der Reis kochte, der Kanadier sah fleißig zur Küche, man speiste, trank dazu und hatte abgespeist, und der Fluß seiner Rede schwebte wie ein ewiges Element über all diesen endlichen Dingen. Leider können wir uns nicht darauf einlassen, unsern Anteil an dieser Konversation zu fordern. Welche Episode dürften wir herausheben, ohne Parteilichkeit gegen die übrigen? Und welcher Raum dieser Blätter wäre geräumig genug, das Ganze zu geben? Wo begänne und wo endete der groß und wild gezeichnete Karton eines amerikanischen Trapperlebens? Jede Stunde darin ist ein Bild für einen Michelangelo, jeder Tag ein Epos von Abenteuern, Kämpfen, Gefahren, Heldentaten, Untaten. Wenn der Trapper von St. Louis oder Independence aufbricht mit seinen Pferden und Maultieren, seinen Zeltwagen, seiner ungeheuren »Rifle« samt seinen Vorräten an Pulver und Blei, – so hat er das Uhrblatt der Zivilisation hinter sich zertrümmert, sein Tag ist nicht mehr Sonnen-, sondern Kometenbahn. Übersprungen ist der schützende, nivellierende Damm des Gesetzes, er wirft sich in den Ozean der ewig originellen, ewig erfinderischen, ewig vernichtenden und im Guten und Schlimmen ewig sich selbst gehorchenden Not. Aus diesem Ozean tauchen dann alle jene Schwärme von Ungeheuern wieder auf, die der Mensch seit Theseus und Herkules, seit Thyest und Atreus von der Erde gebannt glaubte. Frische Schrecken und frische Freuden schöpft er aus einer jugendlichen Urweltsnatur, – die Freuden kurz und ausschweifend, wie eine Hochzeit der Lapithen und Zentauren, die Schrecken anhaltend, mit einem festen, mannherzigen, unter uns nicht mehr leserlichen Mute. Sein ostensibles Ziel ist: Biber zu fangen, im Grunde geht er aber, ohne es selbst zu wissen, nur jenem Urruf nach Freiheit nach, welcher in keiner menschlichen Brust je verstummt, und wenn er sich den Grenzen eines Landes nähert, worin auf einer Quadratmeile sechs Ackerbauer sitzen, so klagt er über den »verengten« Raum.

Diesen Freiheitstrieb faßte Moorfeld auch als den eigentlichen Kern all jener überwuchernden Begebenheitspoesie. Psychologisch merkwürdiger als die ganze Romantik des Trapperlebens wurde ihm daher bald die Frage: wie ein Trapper aufhören könne, ein Trapper zu sein? Seine äußere Aufmerksamkeit war lang schon gesättigt, vielleicht übersättigt, als er sich's nicht versagen mochte, noch diese Frage zu tun.

Es fehlte wenig, daß sie der Kanadier fast übel nahm. Parbleu! antwortete er, ich war kein vite-poche-Mann, das mögen Sie glauben. Auch mein Kamerad stand seinen Mann, der gute Au Reste, das hat er hundertmal bewiesen. Der arme Teufel kam freilich mit einem verflucht gebrochenen Herzen, wie sie's nennen, in unsere Gesellschaft; die Bourgeois in Cincinnati hatten ihn abscheulich ausgerieben und Weib und Kind war ihm darüber untergegangen, – er hatte Unglück haufenweis! Sein Anschluß an die Trapper war eine Sache mehr der Desperation als der Erholung, er wollte unter ein indianisch' Messer, das war klar wie eine Biberfährte. Enfin, solche Dünste verdunsten nach dem ersten Schluck Büffelblut in der Prärie, und Au Reste war bald ein Kerl, dem zwischen Platte und Arkansas keiner das Visierglas von der Flinte schlug – ich fresse mich selbst, wenn ich lüge! Ich muß plädieren für den armen Gaul, denn ich hatte mich so attachiert an ihn, daß ich mit ihm zugleich das Trapperleben ließ, und soll mir niemand sagen, er war ein Bleichgesicht wie die andern Kornknacker; ich mache Fleisch aus dem Kerl, der das behauptet. Urteilen Sie selbst, mein Herr. Im Sommer war er zu uns gekommen, und gleich im Spätherbst passierte folgendes Abenteuer.

Wir kaschten, von einer größern Schar abgeschnitten, zu fünf Mann vor einem Haufen Sioux-Indianer, welche in übermächtiger Anzahl uns auf den Fersen waren. Wir entrannen glücklich und erreichten an einem stürmischen Abend in der Nähe des Hochgebirgtales, welches man den stillen Park nennt, eine wilde Schlucht. – Es war das felsige Bett eines ausgetrockneten Bergstroms. Schroff und steil stiegen die Uferwände von allen Seiten aus dem Creek auf und gewährten selbst dem flüchtigen Dickhorn, welches zuweilen hoch über uns in die gräuliche Steinspalte niederlugte, kaum einen Platz zum Fußen. Dazu verrammelten Fichtenstämme, die der Sturm oben abgerissen und in die Tiefe gestürzt, beständig den Weg, und Felsblöcke, welche das Flußbett beinahe ausfüllten, hinderten noch mehr am Vordringen. So krochen wir unter unsäglichen Beschwerden in das Berginnere, und Mann und Pferd waren öfter als einmal in Gefahr unterzugehen. – Gegen Abend gelangten wir endlich an einen Punkt, wo die Schlucht sich zu einer kleinen abschüssigen Prärie von einigen hundert Schritten erweiterte, deren Zugang ein Dickicht von Zwergfichten und Zedern wie ein Vorhang verbarg. Hier beschlossen wir das Nachtlager aufzuschlagen. Nie waren Trapper vor Indianern besser gekascht: wir hielten uns alle überzeugt, kein menschlicher Fuß habe je vor uns diese Stelle betreten oder nur je zu betreten versucht. – Wie groß war daher unser Erstaunen, als wir hinter dem Dickicht ein Pferd stehen sahen! Einsam und unbeweglich stand es in der Mitte der Prärie – wie das Bruchstück einer Reiterstatue! Es war ein alter ergrauter Mustang oder indianischer Pony, mit gestutzten Ohren, von der Kälte zusammengekrümmt, vom hohen Alter aufs Äußerste herabgebracht, und hungrige Maultiere hatten weiland seinen Schweif ausgerauft. Parbleu, es war ein pitoyabler Anblick! Die Knochen drangen dem Tiere durch die steife Haut, es hatte seine Beine unter sich eingezogen, sein müder Kopf und ausgestreckter Hals hingen gleichgültig herab und schienen ein Übergewicht zu bilden, das der schwankende Körper kaum mehr zu tragen vermochte! Das verglaste und eingesunkene Auge, die heraushängende, schaumbedeckte Zunge, die keuchende Flanke und der zuckende Schweif – alles verriet, daß die Laufbahn dieses Tieres zu Ende, und Schnee- und Hagelgestöber und der durchdringende Herbststurm machten kaum noch einen Eindruck auf seinen unempfindlichen Körper. Ah, ein erbärmlicher Anblick! – Wir hatten aber einen von uns, der das Tier in all seiner Dekadenz auf den ersten Blick erkannte. Hört ihr's, rief er, das ist das berühmte nez-percé-Pferd des berühmten Bill Williams, des ältesten, tapfersten und schlauesten Gebirgsjägers, der Krone aller Trappers! Man hat lange nichts gehört von dem alten Gaul, gebt acht, er muß in der Nähe sein. Und so war es! Als wir das Fichten- und Zederngebüsch sorgfältig zu durchsuchen anfingen, stießen wir auf ein altes Lager, von welchem die geschwärzten Überreste einer Feuerstelle aus dem frühen Herbstschnee hervorragten. Hier saß die Leiche des alten Williams. Sie saß mit untergeschlagenen Beinen, den Rücken an einen Fichtenstamm gelehnt, den Kopf tief auf die Brust hängend und mit Schnee bedeckt. Sein bekannter Jagdrock von Elenleder hing steif um seine Glieder, welche der Nachtfrost steif wie Glas gemacht hatte, seine Büchse, seine Munition, seine Biberfelle und Fallen lagen unverletzt um ihn her, sein Körper zeigte neben den vernarbten, keine frische blutgeronnene Wunde. Er hatte die Laufbahn eines Trappers unbesiegt zu Ende gemessen, er war eines natürlichen Todes – verhungert! – Ah, dacht' ich, das ist kein Anblick für einen Anfänger. Au Reste wird zurückschrecken. Aber Au Reste erschrak nicht. Wir gaben dem Pferd einen mitleidigen Schuß, machten ein großes Grab, wozu der aufgehende Mond uns leuchtete, legten Roß und Reiter hinein, und Au Reste half so unverzagt, wie jeder andere, und nach getaner Arbeit sagte er: wagh! – Ha, Monsieur! ob mein braver Kamerad ein festes Herz hatte! Denselben Winter, fuhr der Kanadier fort, wär' es uns auf ein Haar selbst so passiert wie dem alten Bill Williams. Ich spreche von Au Reste und mir. Denn wir zwei waren von den Fünfen allein übrig geblieben. Einer hatte sich verirrt, zwei waren am nächtlichen Wachtfeuer hungernd und frierend eingeschlafen, und ein Indianerknabe, der sie beschlich, hatte sie mit Pfeilen getötet wie Sperlinge. Wir beide also, Au Reste und ich –

Moorfeld sah wohl, daß dieser Geist voll Erinnerungen eine einfache Frage nicht anders als durch eine Reihe von Abenteuern zu beantworten imstande war. Sein gespannter Geist und sein erschöpfter Körper lagen bereits in einem bedenklichen Konflikt, den die ruhende Lage und die behagliche Feuerwärme mit jeder Minute mehr zugunsten des letztern entschied. Unumwunden: es fielen ihm die Augen zu. Indes rezitierte der Improvisator im schlimmsten Falle noch, während Moorfeld schon schlief, und er hatte dann doch die Genugtuung, daß sich sein Wirt gut unterhalte, wenngleich die einzige Frage, die er selbst mit wirklichem Interesse gestellt, leer ausging. So streckte er sich auf sein Büffellager hin und überließ sich zwischen den Forderungen der Natur und der Kunst, ihn wach zu erhalten, ganz der Neutralität.

Au Reste und ich, erzählte also der Trapper, hatten uns vergebens bemüht, einen Paß über das Gebirge auszukundschaften und in eine Region mit Wild und Weide zu gelangen. Der Winter war ungewöhnlich früh und rauh angebrochen; Frost, Hunger und Erschöpfung überraschten uns, eh' wir's dachten. Von unsern Pferden war eins gefallen, das andere schlachteten wir selbst und verzehrten es: ein weiteres Vordringen war damit aufgegeben. Überdies wurde Au Reste krank um diese Zeit, eine Kugel hatte ihn kürzlich an der Ferse verwundet und war noch nicht ausgezogen. Durch das Gehen und die übermäßige Kälte verschlimmerte sich die Wunde, nahm ein häßliches Aussehen an und machte ihn bald unfähig zu jeder anhaltenden Bewegung. So sahen wir uns genötigt, in die Tiefschlucht des Creeks wieder zurückzukehren, auf die kleine versteckte Prärie, wo wir den alten Bill Williams begraben. Hier mußten wir uns entschließen zu überwintern. Wir bauten uns eine kleine Hütte, Au Reste wurde auf ein Lager von Fichtenzweigen gebettet, mein Geschäft sollte es sein, auf Jagd auszugehen und für Fleisch zu sorgen. Mon Dieu, eine Büffelfährte, die vielleicht mehrere Monate alt war, war alles, was ich von Wildspuren in vielen Tagen entdeckte! Der Hunger setzte uns gräßlich zu. Es kam eine Zeit, da wir in drei Tagen nichts zu essen hatten, als ein Stück Parflêche, welches die Rückseite von Au Restes Kugeltasche bildete: das weichten wir im Wasser des Creeks ein und verzehrten es gierig. Am vierten Tag kroch ich wieder zur Jagd aus, aber ich konnte mich kaum schleppen, konnte kaum die Büchse heben, und aufrichtig, ich machte mich fort, um draußen vor der Hütte zu verhungern und nicht vor den Augen meines Kameraden. – Da rief mich Au Reste an. Er hatte meinen Zustand wohl gemerkt. Mit sterbender Stimme hieß er mich setzen und redete mich also an: Höre, Junge, sagte er, es ist diesem alten Gaul, als ob er untergehen müßte und zwar in kurzem. Ihr aber seid mir in Kräften um eine Kopflänge noch voraus, und wenn Ihr Fleisch fändet, so würdet Ihr bald wieder herumkommen. Nun, Junge, ich werde, wie gesagt, ehe viele Stunden vergehen, fort sein, und wenn Ihr kein Fleisch findet, wird es Euch nicht besser werden. Ich selbst esse nie Aasfleisch und würde von keinem verlangen, daß er's tun soll, aber gehörig geschlachtetes Fleisch ist immer eßbar. Stecht mir also Euer Messer in den Leib, solange dieser Leichnam noch Puls macht. Ihr werdet mich freilich dürr und zäh genug finden, aber vielleicht sitzt um die Nieren noch etwas und – ein Schelm gibt mehr, als er hat! – Langt zu. – Oho, sagt' ich, Ihr seid ein guter Kamerad, aber ich bin noch kein Nigger. Und damit macht' ich, daß ich aus der Hütte kam, denn ich fing an weich zu werden, wie eine Squaw. Eh bien, was erblickt' ich, als ich vor die Hütte trat? Ich dachte, es müßte eine Mirage sein! Ein Büffel lag mitten auf der Prärie im Schnee! das Tier war freilich unser eigenes Konterfei. Es lag in den letzten Zügen des Hungertodes. Es wiegte seinen schweren Kopf ohnmächtig von einer Seite auf die andere, während große mit Blut vermischte Schaumflocken aus seinem Maule auf den langen zottigen Bart herabhingen und seine stieren, blutunterlaufenen Augen wütend auf zwei Wölfe schielten, welche auf ihren Hintervierteln in der Nähe saßen und mit lechzendem Rachen das Ausatmen des alten Patriarchen erwarteten. Bei diesem Anblick stand ich wie versteinert. Mein erster Gedanke war die Furcht, daß sich der Büffel doch noch aufraffen und weitermarschieren möchte: – so langsam es geschehen wäre, ich hätte ihm nicht zu folgen vermocht. Dann war es wirklich – eine Mirage! Ah, wie nahm ich mich zusammen! Wie klopfte mir das Herz, als ich heranschlich, als ich den Hahn aufzog, als ich anlegte! Von diesem Schusse hing, mein und meines Bruders Leben ab. Endlich fühlte ich meine Hand fest, der Schuß krachte, – ich sah hin. Der Büffel schüttelte sein struppig verworrenes Kopfhaar, warf den Schädel wild hin und her, dann streckte er konvulsivisch seine Glieder, legte sich auf die Seite und war tot. Grâce â Dieu! Ich atmete auf. Au Reste, der in der Hütte den Schuß gehört hatte, kam jetzt auf allen Vieren heraus. Hurrah, Fleisch! rief er mit matter Stimme und sank vor Freuden in Ohnmacht. Ich ließ ihn liegen und machte mich hurtig an die Arznei, die allein hier helfen konnte. Erst wies ich den Wölfen noch meine Flinte, die ohne Verzug Reißaus nahmen, dann ging ich dran, den Büffel auszuweiden. Ein schweres Stück Arbeit! Ich schnitt vor allem einen Teil der Leber aus, tauchte sie in die Gallenblase, und schlug es meinem Patienten ums Gesicht. Wußt' ich's doch! das wirkte, trotz Riechsalz und Vinaigrette. Au Reste schlug die Augen auf und fing zu essen an. Von dem Tage an erholten wir uns Schritt für Schritt, es besuchten den Winter noch mehrere Büffel die Talschlucht, früher als sonst brach auch diesmal der Frühling an, – wir waren gerettet. Aber, dacht' ich, Au Reste wird sich diese Passsage gemerkt haben. Die erste Pflanzung, die wir zu Gesichte bekommen, werd' ich's zu hören haben: Junge, wir wollen wieder Kornknacker werden! Pardon, mon brave! Es kam ihm nicht in den Sinn. Au Reste trappte fort mit mir und trappte in seinem ersten Jahr wie ein anderer in seinem dreißigsten. Ah, Monsieur, sagen Sie, ob mein Kamerad ein homme du coeur war!

Nun sollen Sie hören, was dieses Herz wendete, fuhr der Kanadier fort, und wir dürfen vielleicht das Konzept des wilden Erzählers anerkennen, der den begonnenen Faden doch nicht verloren. Wir wollten den hierauf folgenden Sommer nach Kalifornien aufbrechen, um uns Pferde und Maultiere aus der Mission San Fernando zu holen, derselben, woher ich früher meine Gattin Juanita geholt. Wir hatten uns einer größeren Trappergesellschaft angeschlossen, und alles ging gut. Die Prärien waren dunkel von Büffelherden, die Creeks wimmelten von Bibern, täglich wurden siegreiche Gefechte mit den Indianern bestanden, wir behingen uns um und um mit Skalps, erbeuteten Weiber und lebten en Seigneur. Da geschah's mit dem Teufel, daß wir eines Tags gegen den Führer des Zugs uns einbildeten, eine kürzere Route, als die er selbst vorschlug, einschlagen zu können; Kürze aber war nötig, denn wir betraten eben das Land der Gräber-Indianer, was ein heilloses Gesindel ist und in seiner feigen, tückischen Kriegsweise viel gefährlicher als die mutigsten Stämme. Wir konnten uns nicht einigen und trennten uns zu Vieren von der größeren Kompagnie, der wir nach längstens drei Tagen, wie wir behaupteten, an einer Station unter befreundeten Stämmen vorausgekommen sein wollten. Das war mein letzter Zug. Wir waren wie gesagt zu Vieren: Au Reste und ich, ein Kanadier namens Sublette und ein mexikanischer Spanier, der aber kein Fettlappen war wie die übrigen Männer seiner Nation. Außerdem führten wir drei gefangene Squaws mit uns. Wir nahmen unsern Weg, welchen wir abzuschneiden gedachten, durch eine Wüste, die von Wild und Wasser völlig entblößt war und nichts als den Anblick einer öden, sandigen Fläche mit einer dünnen Bedeckung von Zwergfichten und Zedergestrüpp bot. Indes erwarteten wir schon am Abend desselben Tags einen kleinen Creek unter Kirsch- und Kottonbäumen, und morgen meinten wir wieder in die Region des fetten Büffelgrases zu kommen. Der Tag ging zu Ende, aber weit und breit zeigte sich von einer Wasserstelle keine Spur. Wir mußten unser Lager aufschlagen, ohne die Pferde tränken zu können, indes wir selbst vor Trocknis fast verschmachteten und in jeder Stunde der Nacht aus dem erbärmlichen Schlafe fuhren. Nur die Überzeugung, den Creek desto gewisser morgen zu erreichen, hielt uns bei Mute. Indes stürzten schon tags darauf drei von unsern Tieren, und eins schleppte sich so erschöpft, daß wir es töteten und sein Blut tranken. Den Creek aber erreichten wir auch heute nicht. Beim Anbruch des dritten Tages lagen abermals drei von unsern Tieren an den Pfählen, woran sie angepflöckt, tot. Wir besaßen jetzt nur noch eines, und zwar in einem marschunfähigen Zustande. Wir schlachteten es, tranken sein Blut und machten es zu Fleisch, denn zu der gräßlichen Trocknis hatte sich nunmehr auch wütender Hunger eingestellt, und die Wüste war ebenso leer von Wild als von Wasser. Das Tier verschwand unter uns sieben fast auf eine Mahlzeit, den Rest aber verloren wir nachts bei einer Überrumplung oder vielmehr bei Beschleichung der elenden Gräberindianer, welche uns das Fleisch mit wölfischer Gier stahlen, da das miserable Volk keine andere Nahrung als getrocknete Ameisen gewohnt ist. Leider ging uns bei dieser Attacke auch unser Gefährte Sublette unter. Wir sechs schleppten uns nun gänzlich unberitten weiter. Es half uns nichts, daß wir längst unseres Irrtums inne wurden, wir hatten bei einem Rückzug bereits ebenso viel zu verlieren, und vorwärts leuchtete uns doch die Hoffnung. So krochen wir von neuem zwei lange, ewige Tage durch. Der Hunger packte uns wieder so wütend an als zuvor, der Durst aber war martervoll über allen Ausdruck. Die Lippen wurden uns glühend und aufgeschwollen, unsre Augen unterliefen mit Blut, ein schwindelndes Unwohlsein befiel uns in gewissen, von Zeit zu Zeit wiederkehrenden Pausen. Mit dem Ausdrucke der Verzweiflung stierten wir alle nach Rettung in die Wüste hinaus. Da ließ der Spanier das Wort hören: Fleisch und Blut ist uns vielleicht näher, als wir denken; – es klang aber nicht nach Trost, sondern nach Entsetzen in seiner Stimme. Wir verstanden ihn wohl. Wir ließen das Wort fallen und schleppten uns schweigend weiter. Die drei Indianerinnen aber folgten uns in ergebenem Stumpfsinn. Von Zeit zu Zeit bückten sie sich, um einen Käfer am Wege zu fangen, welchen sie gierig verschluckten. – Am vierten Tage teilten wir einander mit, daß wir wölfisch sahen. Unsere Gesichter waren verdummt und verquollen, und keiner sah mehr sich selbst ähnlich. Wir schlugen Rat. Der Untergang lag uns dicht zu Füßen, es galt, etwas zu tun, solange noch die letzten Funken unserer Kräfte flimmerten. Wir beschlossen also, uns zu trennen und anstatt in einer einzigen in drei verschiedenen Richtungen nach Wild- oder Wasserspuren auszugehen. Die Indianerinnen sollten zurückbleiben und eine große Rauchsäule anzünden, die uns den Punkt der Wiedervereinigung bezeichnete. Das geschah. Au Reste und ich, wir jagten vergebens. Als wir aber beim letzten Tageslicht nach dem Rauchzeichen zurückkrochen, duftete uns schon von ferne Bratengeruch entgegen. Wir fanden den Spanier an einer Herdstelle, er war glücklicher gewesen als wir, und hatte, wie er sagte, eine Antilope geschossen. Wie fielen wir her über das Fleisch! So haben Menschen, seit die Welt steht, nicht geschmaust. Erst als die wütendste Gier gestillt war, fiel es uns auf, daß eine unsrer Gefangenen fehlte. Sie habe sich verlaufen, sagte der Spanier. Wir sahen ihn an, und indem ich gleichzeitig einen Streifen Fleisch in den Kürbis voll Blut tauchte, warf ich die Bemerkung hin, daß der Geschmack der Antilope eigentlich wenig zu spüren, wenn man bedächtiger esse. Da wurde der Spanier wild, riß seinen Mantel von einem Dinge weg, das seitwärts hinter einem magern Dornbusch lag und schrie: Valga me Dios! Fleisch ist Fleisch; seid ihr satt oder nicht? Unter dem Mantel lag der Kopf und der blutende Körperrest des fehlenden Indianermädchens. – Da war es, mein Herr, aber auch nicht früher als da, wo Au Reste ausrief: Auf der nächsten Straße kehr' ich zu den Kornknackern zurück. Er hat Wort gehalten. So, mein Herr, hörten wir auf, Trapper zu sein.

Mit Recht! rief Moorfeld aus, der schreckensstarr nur die einfachste Antwort für soviel Entsetzen hatte.

Es folgte eine längere Pause zwischen unsern Gastfreunden. Moorfelds Lebensgeister waren gewaltsam wieder ermuntert. Vor allem rege war sein Interesse für Au Reste. Der Mann, der sich bei lebendigem Leibe seinem Freunde zur Nahrung geboten und doch vor der gleichen Nahrung mit unbefleckter Menschlichkeit zurückgeschreckt, – er war in einem Petrefakt von Barbarei ein so unschätzbarer, tiefliegender Juwel des Menschengemütes, daß ihn Moorfeld lebhafter ergriff als die Schattengestalt einer flüchtigen Abendunterhaltung.

Und was ist aus Au Reste geworden? war daher seine erste Frage, als er von dem Eindruck des gehörten Greuels sich erholt.

Ah, le pauvre diable! seufzte der Kanadier, mehr für sich als zur Antwort.

Erreichte er noch die Bezirke der Zivilisation? ging er zugrunde? starb er? wie?

Monsieur, ce sont des choses bien – bien – ah, fort damit! Was wäre das Leben ohne Wein und Gesang!

Rien jamais si jolie qu' Adèle
Qui, grâce à Lucas –

Trinken wir aus! Primasorte, mein Zider; spüren ihn bis in die Fußspitze! Wir müssen lustig sein, quand même!

Wie, mein Herr, ehrt man so das Andenken der Braven? Was ist aus Au Reste geworden?

Mon Dieu – wenn es sein soll – Sie schlafen auf seinem Grabhügel.

Moorfeld sprang auf.

Auf seinem Grabhügel?

Ja, hier unten liegt er und kommt nicht wieder herauf. Freut es mich doch, daß ihn die Yankees – Gott verdamme sie! – nicht eingescharrt haben. Sie haben ihm das Leben leid genug gemacht. Ruhe seiner Seele! Ich danke Gott, daß ich wenigstens berufen war, ihm den letzten Dienst zu erweisen. Mann? Was ging hier vor? Auf welchem Boden steh' ich? Bei Gott, sprechen Sie!

Nun ja doch – ja! Ich will Ihre curiosité pour des événements funestes befriedigen. Aber behalten Sie Platz, Monsieur. Glauben Sie, man schläft auf einem Grabhügel wie in jedem andern Fauteuil. Wenn wir im Westen einen Trapper begruben, – und keine Woche verging ohne das –

Auf einem frischen Grabe! Sie litten Schiffbruch auf dem stürmischen See, und er blieb das Opfer?

Pardon, der Sturm war sehr gut; – steifer Strich aus Nord, mein Kanoe flog wie eine Schwalbe! Ja, freilich litt er Schiffbruch; aber nicht mit mir – ah, je comprends; Sie denken, wir fuhren ensemble von Kanada herüber? Keineswegs, mein Herr, zwei Trapper bleiben unter den Bourgeois nie beisammen, die besten Freunde nicht. Mon Dieu, was sind Trapper in den Städten? Wachsstumpen in des Küsters Lade. Meidet einer den andern. Nein, ich wußte in Wahrheit nicht, was aus Au Reste geworden. Wir hatten uns getrennt als gute Freunde und Brüder, aber wir hatten uns getrennt. Erst heute, erst hier sah ich ihn nach fünf Jahren zum ersten- und letztenmal wieder. Hier landete ich, dort zog ich mein Kanoe ins Dickicht, wo ich es, von New-Orleans retour, regelmäßig wiederzufinden pflege, und so war alles gut für diesmal, dacht' ich. Stehendes Fußes sollte es nun weiter gehen nach dem Ohio. Ein paar hundert Schritte von hier kenn' ich eine der besten Waldpassagen, dahinab marschierte ich längs dem Seeufer. Nun, was soll ich finden unterwegs dieser détour? Eine Leiche am Strande. Und wer soll diese Leiche sein? Mein alter Gaul, Au Reste, der arme brave Narr! Zwar Leiche war er noch nicht. Der See hatte ihn besinnungslos ans Ufer geworfen, und was solch eine blinde, dumme Welle vermag, das war hier geschehen. Sie hatte ihn anstatt ins weiche Gras gegen einen verdammten alten Eichknorren geschnellt, der in der heben weiten Welt just auch dort seinen einfältigen Stamm vorhangen ließ. Das Gehirn war erschüttert, wie es ein Büffelschädel vielleicht eben noch verknust hätte, aber hier war's genug zum letzten Datum. Wagh! Sturzwellen und Eichkloben verstehen sich schlecht auf gute Manieren; hätt' ich nur den verdammten Yankee vor meiner Rifle, den Hund von einem Kapitän! Das Schiff konnte sich noch ganz gut retten. Es war von Detroit nach Stadt Erie in Ladung und hatte das Unglück, heut' nacht im Nebel gegen einen Propellor zu stoßen, welcher in der entgegengesetzten Richtung kam. Die zwei Waschbären von Kapitäns fuhren beide mit ihrer vollen Maschinenkraft trotz Nacht und Nebel; Au Restes seiner hatte überdies noch versäumt, die Warnungsglocke anschlagen zu lassen. Sind Niggers, diese Yankees, schwören Sie drauf, Monsieur. Eh bien, sie stießen zusammen. Beide im vollen Gange, wie ich sage. Der Chok kann nicht sanft gewesen sein. Nun sollen Sie sagen, ob die Yankees verdammte Seehunde sind. Unmittelbar nach dem Zusammenstoß setzte der Propellor seinen Weg fort, ohne sich um den Zustand des andern Dampfers nur im mindesten zu kümmern. Dieser aber bekümmert sich auch um sich selbst nicht. Der Kapitän läßt dem Leck kaum nachsehen, schlägt ihn gering an und will, so wie er ist, Stadt Erie noch erreichen. Go ahead! sagen diese Niggers, und der Mensch gilt nichts, die Ware alles unter der verdammten Devise. Enfin, das Schiff sinkt, als es beizulegen schon zu spät war, im Nu sind die Lichter aus, Maschinen-Heizung gelöscht, und – ein Schelm will ich sein, wenn ich ein Wort nur verstanden, was Au Reste noch weiter röchelte. Nehmt diese Brieftasche, alter Gaul, schrie er mit seinem letzten Funken und merkt auf den Namen, Freund Leichtfuß: sie soll für Doktor Moorfeld bei New-Lisbon sein, der hat ein Recht daran.

Moorfeld sah das Gesicht einer Meduse.

Anhorst! schrie er außer sich.

C'est juste! Das war sein Name. Mon Dieu, un nome très difficile; die Yankees verhunzten ihn, Gott verdamme sie; und ich prononcierte Anorest – Orest und zuletzt Au Reste, denn wahrlich er war arrivé au reste, als er zu den Trappers kam. Aber kannten Sie ihn, Monsieur?


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