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In unseren Tagen, wo so viele Gestalten aus dem Dunkel des Dreißigjährigen Krieges auftauchen, darf sich vielleicht auch eine Landsmännin hervorwagen, die wohl für Tausende Schicksalsgenossinnen das Wort führt: die Libuschka von Prachatitz, bekannter unter dem Namen Courasche.
Diese Lubuschka ist die Heldin der Simplicianischen Schrift: Trutz Simplex oder ausführliche und wunderseltsame Lebensbeschreibung der Erzbetrügerin und Landstürzerin Courage, erschienen 1670.
Derb und unverhüllt erzählt sie darin dem Simplicissimus zu Trotz ihr abenteuerliches Leben in der sittenlosen Kriegszeit.
Ihre Laufbahn beginnt im südböhmischen Prachatitz, wo sie bei einer tschechischen Ziehmutter aufwächst. »Dieses weiß ich wohl«, berichtet sie, »dass ich zu Bragoditz zärtlich genug auferzogen, zur Schulen gehalten, und mehr als eine geringe Tochter zum Nähen, Stricken, Sticken und anderer dergleichen Frauenzimmer-Arbeit angeführt worden bin.« In späteren Jahren erfährt sie ihre vornehme Abkunft: der böhmische Graf Heinrich Matthias Thurn soll ihr natürlicher Vater, die Kammerjungfer der Gräfin ihre Mutter gewesen sein.
Als vor der Weißenberger Schlacht unter Buquoy die Kaiserlichen vor Prachatitz erschienen, glaubt die Pflegemutter die 13-jährige Libuschka nicht anders retten zu können, als dass sie ihr Soldatenkleider anzieht; ein deutscher Reiter nimmt sie auf; Libuschka bekennt sich stolz als Tschechin, ein Beweis, dass auch in der Zeit des tiefsten Verfalles das gemeine Volk die Muttersprache dem Deutschen vorgezogen: »Ich nennete mich Janko und konnte ziemlich Teutsch lallen, aber ich ließe michs, aller Böhmen Brauch nach, drumb nicht merken.« Der Reiter übergibt sie seinem Rittmeister; lange bewahrt die tapere Prachatitzerin ihr Geheimnis; ihr heißes Blut aber ist stärker als ihr Wille und der Rittmeister heiratet sie bald.
Nach dessen Tode will das liebestolle Weib das Leben genießen, da es ja heißt:
»Ein jeder Tag bricht dir was ab,
von deiner Schönheit bis ins Grab.«
Sie macht jetzt fast den ganzen Krieg mit, taucht an allen Ecken und Enden mit der kaiserlichen Soldateska auf, heiratet immer wieder und wird immer wieder Witwe, im Ganzen sieben Mal; mit anderen lebt sie bloß zusammen, wie mit dem Springinsfeld, dem Helden einer anderen Simplicianischen Schrift. Allen ihren Männern setzt sie Hörner auf, denn überall schwärmen um sie »die Importune-Hummeln wie umb einen fetten Honighafen, der keinen Deckel hat.«
Da ihr Liebesgeschäft blüht, kann sie Reichtümer anhäufen, die in Prag angelegt werden; etliche Male lernt sie aber auch die Unstetigkeit des Kriegsglücks kennen.
Schließlich gibt sie den Beruf eines Offiziersweibes auf und wird Marketenderin, wozu sie aus ihrer böhmischen Heimat manche Eigenschaften mitbringt.
Schon in vorgerückten Jahren aber immer noch ein bezauberndes Weibsbild, lernt sie im Bade, das sie wegen ihres Lasterlebens aufsuche muss, den berühmten Simplicissimus kennen. Dieser gedenkt ihrer nicht gar freundlich in seiner Lebensbeschreibung. Sie glaubt sich von ihm betrogen und so rächt sie sich – dies der feine Witz, der sich durch die ganze Geschichte zieht –, indem sie ihr Lotterleben offen aufdeckt und ihrem großen Liebhaber immer wieder vorhält, mit was für einer Person er sich abgegeben: »Der Troff Simplex nennet mich in seiner Lebensbeschreibung leichtfertig, item, sagt er, ich sey mehr mobilis als nobilis gewesen. Ich gebe beydes zu. Wann er selbst aber nobel oder sonst ein gutes Haar an ihm gewesen wäre, so hätte er sich an so keine leichtfertige und unverschämte Dirne, wie er mich vor eine gehalten, nicht gehänckt, viel weniger seine eigene Unehr und meine Schand also vor der gantzen Welt ausgebreitet und ausgeschrien.«
Zuletzt, schon aller Reize bar, wird das heruntergekommene und abgefeimte Weibsbild die Gattin eines Zigeunerführers und durchstreift als Herrin diebischer Zigeuner »alle Winkel Europae«.
Welches sind die Quellen dieser merkwürdigen Lebensbeschreibung? Manches mag wohl auf erlesene Einflüsse zurückgehen; sicher aber haben wirkliche Erzählungen oder Erlebnisse den Simplicissimus-Dichter Christoph Grimmelshausen, der ja unter Verhältnissen ähnlich denen seines Haupthelden den Krieg und die Kriegszeit erlebte, veranlasst, diese Geschichte niederzuschreiben, die seinen Zeitgenossen ein Spiegel sein sollte, heute aber nur fischartschen Naturen empfohlen werden kann.
Wie mag der Dichter auf unser böhmerwäldisches Städtlein Prachatitz verfallen sein? Die Form Bragoditz, heut mundartlich Brahaditz, scheint auf Berührung mit deutschböhmischen Landsleuten hinzudeuten. Böhmisches kommt auch sonst bei Grimmelshausen nicht selten vor. Sicher ist der Dichter öfter mit böhmischen Kriegsleuten zusammen gekommen und hat so mancherlei von unserer Heimat erfahren. Warum sollte er nicht auch das Urbild seiner Courage selber kennengelernt haben?
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