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Der Passauer Tölpel

Glücklich der Ort, der nicht vom Volksmund mit einem Spottnamen bedacht wird! Der Spott, der sich überall eine Ursache sucht, knüpft nicht selten auch an einen Gegenstand an. So ist das neckende Wahrzeichen der Stadt Passau der Passauer Tölpel.

Der Name Tölpel haftet zunächst an einem ungeschlachten steinernen Kopf, der sich heute im Waldvereinsmuseum auf der alten Festung Oberhaus befindet.

Die ältere Auffassung sieht in ihm den Rest einer großen Statue, des Dompatrons, die beim großen Stadtbrande 1662 von der Höhe des Domes herabgestürzt und zerschmettert worden sei. Es lässt sich noch feststellen, dass der Kopf früher in einer Nische der Umfassungsmauer eines Domherrenhofes am Steinweg – heute Bezirksamt – aufgestellt war. Als er in das Waldvereinsmuseum gebracht wurde, bewidmete ihn Oberamtsrichter Niederleuthner mit dem Reim, den er noch an seinem Sockel trägt:

»Von Passaus Dom fiel ich herunter,
wobei mein schöner Leib zerbrach.
Bin trotzdem kreuzwohlauf und munter
und nur im Kopf noch etwas schwach!«

Nach neuerer Auffassung ist der Kopf nicht der Rest einer Statue, sondern eines Kragsteines aus dem frühen 15. Jahrhundert. Zu der Auffassung als Stephanuskopf dürfte wohl sein früherer Standort beim Dom und die Form des Haares Anlass gegeben haben. Der Ausdruck des Tölpels ist aber nichts weniger als der eines Heiligen: er zeigt nicht das gotische heilige Lächeln, sondern das täppische einer Fratze; auch die Bartlosigkeit stimmt hierzu. Der geistliche Haarkranz ist nur eine Täuschung, entstanden dadurch, dass das Gesicht zu Boden gerichtet war; bei einem Kragstein braucht nur das Stirnhaar durchgebildet zu werden, das Hinterhaupt diente vermutlich als Träger. Der Tölpel-Kragstein kann ebenso wie die noch erhaltene Kragsteinfratze beim Scheiblingsturm am Inn aus der Ecke eines gewöhnlichen Baues hervorgelugt haben.

Das Spottwort vom Passauer Tölpel hat aber einen weiteren Sinn. Das Wort Tölpel, bekanntlich ein niederdeutscher Eindringling aus der Ritterzeit, bedeutet ursprünglich den Dorfbewohner, den Bauern, den nicht höfisch Gebildeten; weiter dann den plumpen, rohen, namentlich dummen Menschen überhaupt. Man könnte denken, dass die Beziehung des Wortes Tölpel auf Passau in ältere Zeit zurückreicht und erst später mit dem Steinkopf in Zusammenhang gebracht wurde. Vor dem großen Brande hören wir nichts vom Tölpel.

Die erste Erwähnung des Passauer Tölpels findet sich beim Augsburger Pater Gansler um das Jahr 1696: »Die Dölpel von Passau, welche zwar hoch daran seyn, doch an den Thürn (Türmen) kein Spitz abgeben.« Vermutlich liegt in dem Wort von den Türmen eine Anspielung auf den Umstand, dass beim Wiederaufbau der Stadt die Kirchtürme stumpf mit Pultdächern abgeschlossen wurden, weil die eigenartige gotische Vierungskuppel des Domes allein das Stadtbild wie eine Krone beherrschen sollte. Der kurze Schluss der Türme wird den Passauern als Dummheit und Unvermögen ausgelegt. Eine Augsburger Schrift aus dem Jahre 1755 mit dem Titel »Augsburger Dult« empfiehlt dem Passauer Tölpel, dem Abbild der Grobheit, ein Büchlein »Schola urbanitatis oder Schul der Höflichkeit, in Duodez und Form eines Prämii.« Von der Höflichkeit der Passauer kann man sich eine Vorstellung machen, wenn man aus der Zimmerschen Chronik erfährt, dass die Passauer Domherren die gröbsten unter der ganzen deutschen Geistlichkeit seien: »dombherren: Passow die gröbsten.«

Die Passauer begannen den Spottruf bald abzuwehren und gaben ihn den Spöttern zurück. Man fragte nach dem Tölpel, die Passauer aber gaben ihnen das Bild des Tölpels als Andenken mit.

Das älteste solche Passauer Andenken befindet sich im oberösterreichischen Landesmuseum in Linz. Auf dem reich geätzten Heft eines großen Passauer Klapp-Jagdmessers befindet sich das Bild des Tölpels und dabei stehen die Verse:

»Ich bin der töbl hipsch Und fein,
Ich glaub du wirst Mein bruder sein.
Ich bin der töbl Und ganz bekand,
Verhoff du bist mein Pfandt.
Ich woldt lieber Sauschneider Sein gern,
Wanst vor Mich willst Töbel wern.
lieber bruder geh mit mir
Ein guedten brandtwein zall ich dir
nit weit Von tumb (Dom) Kern mir ein,
Da wirdt ain Töbel bay den andtern Sein.«

Auf der Rückseite des Heftes, das dem ausgehenden 17. Jahrhundert angehört, ist die Darstellung eines Jagdhundes eingeschnitten, der eine Wildsau und zwei Hasen verfolgt.

Ein Stich von dem Augsburger Jeremias Wolf um 1700 zeigt unter dem Titel »Rudera antiqua Passavii« den Tölpel unter Ruinen. Kleine Stiche scheinen im 18. Jahrhundert als Andenken sehr im Umlauf gewesen zu sein. Ein solcher aus der Zeit um 1750 trägt unter dem Bilde die Verse:

»Wann ich in alle Stött dueh gehen,
iberall dueh ich brieder sehen!«

Oder ein anderer mit dem Reim:

»Der Dölbl von Passau wird ich genandt,
desentwegen wird ich in der welt bekanndt,
maniche dhun mich hoch Venerieren,
desentwegen ich dhur Estamieren.«

Viele solche Bilder brachte der geschäftstüchtige Wirt des Gasthauses gegenüber der Nische mit dem Tölpel – heute Zu den drei Linden – unter die Leute.

Man hat auch einen Neckreim, an dem in tölpelhafter Sprache der »s«-Laut durch »t« ersetzt ist, in Zusammenhang mit dem Ruf der Passauer als Tölpel gebracht; der Reim, der als Spott des Bauernheeres bei der Belagerung von Linz durch Fadinger im Jahre 1626 gegenüber den bayerisch-passauischen Verteidigern der Stadt erklärt wird, lautet:

»Bit denn du a a Batauer,
bit denn du a a Doldat,
traut dir nit auter für d' Mauer,
traut dir nit auter für d' Dtadt.«

Heinrich Lautensack, ein geborener Vilshofener, hat wohl daran in seinem Schauspiel »Das Gelübde« angeknüpft, wenn er den Ort der Handlung »Batau« nennt.

Das Denkmal im schöngeistigen Schrifttum hat dem Passauer Tölpel der schwäbische Dichter Ludwig Aurbacher gesetzt, der ihn zu den Sehenswürdigkeiten Bayerns zählt. In den »Abenteuern des Spiegelschwaben«, enthalten im berühmten »Volksbüchlein«, erklärt der Spiegelschwab, er wolle ins Bayerland, eigentlich um erstens ein Weilheimer Stückle zu erfahren, zweitens den Passauer Tölpel zu sehen und drittens einen Münchener Bock zu trinken. In einem bayerischen Wirtshaus findet er auch eine Abbildung des leibhaftigen Passauer Tölpels mit der Unterschrift:

»Ich bin der Tölpel hübsch und fein,
in Passau bin ich nicht allein,
werd ausgeschickt in alle Land,
drum bin ich so wohl bekannt.«

Im Volk ist der Passauer Tölpel weit und breit diesseits und jenseits der böhmisch-bayerischen Grenze tatsächlich gut bekannt: wer nach Passau geht, dem gibt man einen Gruß an den Tölpel mit; zu Dummen sagt man, sie seien Firmlinge des Passauer Tölpels oder sie studieren auf einen Passauer Tölpel; auch recht derbe Ulkgeschichten werden vom Tölpel im Volk erzählt.

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