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»Herrsche Britannia! Schwinge den Dreizack über die Wogen, Frei sind die Britten geboren und niemals werden sie Sklaven.« So scholl stolzer als je aus dem Meer das gewaltige Volkslied, Während der Knechtschaft Joch auf sämmtliche Völker des Festlands Bonaparte gelegt und ein Ziel nicht kannte der Ehrsucht. England trotzt ihm allein. Drum sperrt er die Häfen und Küsten Gegen die englischen Schiffe und Waaren. Und wenn auch ein Fahrzeug Nur vor dem Sturm sich gerettet in einen der englischen Häfen, Oder sich dort mit Wasser versorgt, so gilt es als feindlich, Und wird schonungslos vom Prisengerichte verurtheilt; Aber Britannias Flotten beherrschen die Meere und zwingen Jegliches Schiff, zu landen in englischen Häfen und dort sich Untersuchen zu lassen und Zoll für die Ladung zu zahlen. Armer Schiffer, bedroht seewärts durch die englischen Kreuzer, Und vom Lande bedroht durch die Batterien der Franzosen! Will er die Scylla vermeiden, so fällt er in die Charybdis. Auch aus Spiekeroog, Ostfrieslands freundlichstem Eiland, Das noch nie ein Soldat im Laufe der Zeiten betreten, Landeten jetzt die Franzosen und wollten die Insel beschützen. Also hatte verkündigt dem sämmtlichen Volke des Dorfes 125 Herr Capitain Legrand, der mit sechzig Sappeuren erschienen, Spiekeroog zu besetzen und Schanzen darauf zu errichten. Klein von Gestalt, obgleich sein Name es anders besagte, War er doch sehr pomphaften und martialischen Wesens. »Mein Kamerad, der Kaiser Napoleon« – pflegt' er zu sagen, Denn er hatte mit ihm bei den Pyramiden gefochten, Bei Marengo und Austerlitz, wie er häufig erzählte. »Herr Commandant,« so sollte man ihn anreden, verlangt' er, Oder auch »Herr Gouverneur«; allein man muß es bekennen, Daß er die Herrschaft der Insel begann in seltsamer Weise. Als er das Volk ansprach, so glaubte er, daß er ein wenig Deutsch verstehe, nur konnten sein Deutsch nicht die Andern verstehen. Aber der Herr Legrand sprach lauter und lauter, in Hoffnung, Daß, je lauter er spräche, je besser er würde begriffen. Greis und Kind und Mann und Weib, sie kamen gelaufen, Um die Franzosen zu sehen, die kleinen beweglichen Kerlchen, Schwarz von Haar und von Augen. Die Friesen sind stattliche Leute, Und so wunderten sie sich am meisten, daß die Franzosen Größer nicht waren, die doch so große Thaten verrichtet. Auch die Mädchen des Dorfs, neugierig wie anderswo, waren Alle herbeigeeilt von der Wiese. Die schlanken und schönen Rosigen Mädchen mit goldenem Haar, sie stachen nicht wenig Gleich dem Sieur Legrand ins Auge, doch als nun die Schönste, Marquard's Gela, die sich beim Melken verspätet, herantrat Und zu den Andern sich stellte, da ging der galante Franzose Durch mit dem Herrn Gouverneur, und höflich der Gruppe sich nähernd, Sagt' er den ländlichen Schönen die artigsten Dinge. Sie konnten Leider ihn nicht verstehn und kicherten leise und lachten; 126 Aber die leuchtenden Blicke, sie waren nicht mißzuverstehen. Zierlichst schritt er zuletzt auf Gela zu und verbeugte Tief sich vor ihr und küßt' ihr die Hand und versicherte schwörend, Daß in ganz Paris nicht schönere Damen zu finden. Als so die Mädchen des Dorfs zu Damen sich sahen erhoben, Kreischten sie auf vor Vergnügen. Die Sache war ihnen zu lustig. Minder erbaut davon war Enno Edden, der Bräutgam. »Laßt das sein. Das Mädchen ist mein. Ich bin ihr Verlobter.« Sagte er ruhig, doch ernst. Der Franzose, sich nicht daran kehrend, Hatte von Neuem ergriffen die Hand von Gela; doch eh' er War im Stande, darauf die lüsternen Lippen zu pressen, Schlug dazwischen die Faust des eifersüchtigen Enno, Er trat zwischen die Braut und den ganz verdutzten Franzosen. »Ein vorwitziger Bursche!« so brummt' er, sich drehend den Schnauzbart, »Sacré nom de Dieu,« so begann er zu schimpfen, »wie darfst Du, Solch ein Lümmel wie Du, am Gouverneur Dich vergreifen? Wart', ich werde Dich lehren!« Und er winkte den nächsten Soldaten, Abzuführen den Kerl ins Cachot. Denn er dachte, man müsse Gleich im Anfang sich in Respect zu setzen verstehen. »In das Cachot? Was ist das ›Cachot‹?« so fragte da Enno. Als man ihm sagte, das sei ein Gefängniß, sprach er verächtlich: »Herr Capitain, Ihr bringet mich nie hier in das Gefängniß.« »Und warum nicht?« so fragte, erstaunt ob der Frechheit, der Andre. Enno sagte mit Lächeln: »Wir haben hier gar kein Gefängniß.« »Wie? Ihr habt auf Spiekeroog nicht einmal ein Gefängniß? 127 Wohin bringet Ihr denn die Verbrecher und Diebe?« »Wir haben Weder Verbrecher noch Diebe. Wir haben an unserer Hausthür Nicht einmal ein Schloß, Capitain, noch Schlüssel und Riegel.« »Giebt es im Lande nicht Recht und Gesetz?« »Im Lande? Das mag sein; Aber wir wissen davon nicht viel auf der Insel. Wir leben Ruhig nach unsrer Gewohnheit dahin. Wir haben desgleichen Advokaten so wenig wie Richter oder wie Aerzte. Hauslauch über der Thür auf dem Dach, Capitain, das ist alles Was wir haben allhier von Apotheke.« »Der Tausend! Ah, Ihr lebt ja dahin wie die Säue.« »Ich bitt' um Verzeihung. Da, wo es Aerzte nicht giebt, dort sterben die wenigsten Menschen.« So blieb Enno nie ihm die Antwort schuldig. Verdrossen Sagte zuletzt der Herr Gouverneur, zur Menge gewendet: »Aber es muß doch selbst auf dieser entlegenen Insel Etwas wie Obrigkeit sein. So geht und bringt mir den Mann her.« Also ward nach dem Ortsvorsteher gerufen. Es kam auch Freundlich ein Greis und grüßte mit leisem Nicken des Kopfes; Aber es fiel ihm nicht ein, den Hut vom Haupte zu nehmen; Denn von Rang und von Stand und Höflichkeit weiß man ja hier nichts. Wir sind Friesen und frei und gleich, so denken die Leute, Und mit der Hausfrau ißt aus der nämlichen Schüssel die Dienstmagd. »Hab' ich nicht schon es gesagt? Sie leben dahin wie die Säue,« Brummte der Herr Capitain. Und barsch und sich streichend den Schnauzbart, Schrieb er sofort und gebieterisch aus, was zu liefern das Dorf hat, 128 Als: Zwei Ochsen, von Kälbern ein Dutzend, von Hämmeln desgleichen, Je zwei Centner von Butter und Mehl, drei Fässer mit Branntwein, Und was sonst ausschrieb als Lieferung noch der Gewalt'ge. Lächelnd erwiderte drauf ihm der Ortsvorsteher und sagte: »Wenn Ihr das Dorf umstülpt, so viel fällt dennoch heraus nicht.« Und so bewies er dem Herrn mit klaren und ruhigen Worten, Daß dort, wo nichts ist, auch der Kaiser verloren sein Recht hat. Und es verstärkte darauf noch der feurige Enno die Rede: »Herr, schier haben wir nichts auf der Insel als Hunger und Kummer; Kaffee, Zucker, Tabak sind gar nicht mehr zu erschwingen, Und wir haben nunmehr nur Kirschenblätter zum Rauchen; Wovon sollen wir leben? Wir sind seefahrende Leute, Handel und Schifffahrt stockt und es faulen im Hafen die Schiffe. Manch ein tücht'ger Gesell ist heimlich entflohn von der Insel, Denn hier haben wir nichts zu thun. Wir müssen verhungern.« »Ein vorwitziger Bursche,« so wiederholte im Stillen Grollend der Herr Capitain; doch sprach er bezwingend den Unmuth: »Nun, ich werd' Euch schon Beschäftigung geben und Arbeit. Wenn Ihr sonst nichts habt, so habt Ihr doch rüstige Arme, Und Ihr sollt nun im Dienste des Kaisers beschäftiget werden. Kommt denn morgen herbei mit Spaten und Schaufeln und Hacken, Und Schiebkarren, so viel Ihr nur habt: ich besorge das Andre, Und wir wollen nicht weit vom Westerlooge am Strande Eine gewaltige Schanze erbauen. So ward mir befohlen.« Arbeit, also Verdienst! Da verklärten sich alle Gesichter, Und was Hände nur hatte, erschien früh morgens zum Schanzen. 129 Als sie am Ende der Woche den Schweiß von der Stirne sich wischten, Und nun kamen geschaart, wo der Herr Capitain vor der Thür saß Hinter dem Gläschen Absinth, so fragt' er die Leute: »Was wollt Ihr?« »Ei, wir wollen Bezahlung am Ende der Woche.« »Bezahlung?« Sagte der Commandant und stand entrüstet vom Stuhl auf. »Was? Ihr habt nicht genug an der Ehre, dem Kaiser zu dienen? Hab' ich die Contribution nicht Euch großmüthig erlassen? Und nun fällt Euch Hand- und Spanndienst schon zu beschwerlich? Mir von Bezahlung zu schwatzen? Ich will Euch – Macht, daß Ihr fortkommt! Wie? Ihr murret noch gar! Wißt Ihr, was saget der Kaiser? »Alles, nur nicht räsonnirt!« so spricht der erhabene Kaiser, Und so will ich Euch denn nach seinem Muster regieren. Macht, daß Ihr fortkommt, sag' ich!« Sie standen noch immer und murrten, Und sie hatten wohl Grund, unmuthig zu werden. Sie wußten, Daß ein Beutel mit Gold, um abzulohnen die Leute, War an den Herrn Commandanten gelangt; doch er steckte das Gold ein. Krieg ist Raub, und es raubten und stahlen die Sieger in Deutschland, In dem eroberten Land, nicht blöde, sie Alle, vom Marschall, Welcher das Silbergeschirr in dem Haus, das ihn gastlich bewirthet, Einpackt, bis herab zum Intendanten und Troßknecht; Doch die Erbitterung wuchs auf der Insel zu heller Verzweiflung, 130 Und sie beschlossen zuletzt, sich aus eigene Hand zu befreien. Unabhängige Geister in allen Nationen versuchten Aufzurufen zum muthigen Kampf mit dem großen Bedrücker, Der sie zu Sklaven gemacht, doch zähneknirschenden Sklaven, Nicht abwägend die Kräfte und nur der Begeisterung folgend; Aber so hoffnungslos wie auf dem entlegenen Eiland Wurde noch niemals versucht, an den Ketten des Corsen zu rütteln. Heimlich kamen des Abends die jungen Gesellen zusammen, Um ihr Leid sich zu klagen. Sie müßten sich schinden und placken. »Stets anmaßlicher werden und anspruchsvoller die Fremden, Als wenn sie die geborenen Herrn, wir ihre Bedienten. Lieber todt als Sklaven! so hieß es vordem bei den Friesen, Und so müssen wir auch uns würdig beweisen der Väter!« So rief Enno aus, der immer der Führer der Schaar war. Enno sprach so entflammt wie Hermann einst, der Cherusker, Als er flog durch die Gauen Germaniens und die getheilten Stämme beschwor, sich vereint vom römischen Joch zu befreien; Doch er verrieth gar nichts von der Eifersucht, die ihn quälte, Auf den verflixten Captain; denn das ist die Art ja der Menschen. Mancherlei sind die Gründe, die uns antreiben zum Handeln, Doch wir verrathen sie nur mit Auswahl, grade die stärksten Halten wir häufig zurück, die brauchen nicht Alle zu wissen. Enno's Vorschlag war, noch ehe die Schanze armirt sei, Plötzlich zu überrumpeln die ahnungslosen Franzosen, Sie von der Insel zu treiben, um los zu werden die Plage. Aber die älteren Leute erschraken beinah vor dem Wagniß. »Ja, das wäre recht schön. Es ginge wohl, aber es geht nicht.« »Warum sollt' es nicht gehn?« »Wir haben zu wenige Mannschaft.« 131 Enno entgegnete drauf: »Die Franzosen sind eine halbe Compagnie nur stark, und Jeder von unsern Leuten Nimmt mit drei Froschessern es auf, mit den hellichten Kerlen, Und wir können uns leicht noch verstärken. Die Häfen der Küste Wimmeln ja von Matrosen, die müßig gehen und hungern, Und sie sind zu Allem bereit in ihrer Verzweiflung.« Also beschloß man denn, Seefahrer zu werben im Siele, Wo man überfährt nach Spiekerooge. Die Inseln Hießen die Augen der See vordem bei den nordischen Völkern. Anzuwerben verwegenes Volk, das machte nicht Mühe. Und sie beschlossen, verstärkt durch den Zuzug drüben vom Festland, Und im Schutze der Nacht zu überfallen die Schanze, Alle Franzosen gefangen zu nehmen und ohne Verzug sie Einzuschiffen und dorthin zu bringen, woher sie gekommen. Alles war wohl überlegt, sie hatten vernünftig die nächsten Folgen bedacht, und doch war der Plan tollkühn und vernunftlos, Denn sie, die schlichten Bewohner des weltentlegenen Eilands, Hatten wie Kinder nicht klar sich gemacht auch die weiteren Folgen. Sie erklärten damit ja Krieg an den Kaiser von Frankreich, Dessen gesammte Armee stand hinter den wenigen Leuten, Und sie hätten ein Strafgericht auf die Insel gezogen. Hört nun, wie schlau der Captain ihr Unternehmen vereitelt. Einst, als es dämmerte schon, kam angelandet ein Fahrzeug, Ganz mit Mannschaft gefüllt, seefahrende Leute die meisten, Und sie ließen sich nicht abholen im Wagen, sie zogen Vor, zu waten ans Land, um Aufsehn nicht zu erregen. Und sie vereinigten sich mit den Kameraden der Insel, Waffen besaßen sie nicht, nur ein paar alte Pistolen. 132 Jeder bewaffnete sich so gut wie er konnte mit Knüppeln, Ruderstangen und mit Bootshaken und Rungen von Wagen. Und so zogen sie aus und hofften, den Feind zu beschleichen. Trüb war die Nacht, und es glänzten vom Himmel nur wenige Sterne, »Ja,« so flüsterten sie, in die Nähe der Schanze gekommen, »Ja, wir überrumpeln die ahnungslosen Franzosen;« Aber sie waren bemerkt. Von der Höhe der Schanze erblickte Capitain Legrand auf der Rhede der Insel ein Fahrzeug, Das er bei Tag nicht gesehn. Zwar wittert' er lange schon Unrath; Aber er ahnte doch nicht so verwegene Pläne der Friesen, Botokuden genannt von den übermüth'gen Franzosen, Und so hätt' er das Schiff auch wohl nicht weiter beachtet; Doch wie die Mannschaft watete nun durch das flache Gewässer, Blitzte und flammte es auf, denn es war Meerleuchten des Abends. »Was ist das für Besuch?« so dacht' er im Stillen und lugte Noch sorgfält'ger umher. Ihm entging nicht, daß auf die Wiese Kam ein Zug aus dem Ort. Nichts Weiteres konnt' er erkennen. Jetzt auch dachte er nur, dort kämen die Burschen des Dorfes, Deren grimmigen Haß man ablas von den Gesichtern, Um mit seinen Franzosen sich etwas zu zanken und raufen: Und als guter Soldat besann er sofort sich auf Kriegslist. »Leute,« so rief er der Schaar, als sie sich nahte, entgegen, »Freundlich von Euch, daß Ihr so spät noch am Abend beschlossen, Uns durch Euren Besuch zu erfreun. Ich heiß' Euch willkommen, Und bin Euch zu bewirthen im Stande nach Eurem Geschmacke, Denn ich hab' ein Fäßlein Genever erhalten aus Schiedam.« »O, Genever! Genever aus Schiedam.« Allen Matrosen Klang das gar zu süß, die herüber gekommen vom Festland. 133 Ihn zu verschmähen, das wär' eine Sünde gewesen, der niemals Sich schon schuldig gemacht Theerjacken. Anderen Sinns war Freilich die Dorfmannschaft aus Spiekeroog; denn die Rache Ist noch süßer als aller Wachholder. Doch hatten sie heimlich Schon vor dem Kampfe gebebt, zu welchem sie Enno begeistert, So sank ihnen der Muth noch mehr, als ihnen die Hoffnung, Zu überrumpeln den Feind, mißlang, treuherzig hervortrat Capitain Legrand und die Hand ausstreckte zum Gruße. Enno allein blieb fest und sagte: »Wir nehmen den Hundsfott Auf der Stelle gefangen!« »O, still!« so warnten die Andern. »Siehst Du nicht, wie auf dem Wall von Soldaten es krimmelt und wimmelt?« Enno knirschte vor Wuth. Was half es? Er mußte sich fügen. Seine Schaar warf schon die Knüppel und sämmtliches Rüstzeug Sacht zu Boden, um sich mit Genever bewirthen zu lassen. Lange schon war man gespannt im Dorf auf die Thaten der Helden, Welche die Insel befrein durch einen verwegenen Handstreich Wollten vom Joche der Fremden, doch harrte man lange vergebens Und man glaubte bereits, sie wären gefangen genommen. Erst nach Mitternacht kam lärmend und trunken der Haufe Wieder zurück ins Dorf. So endete friedlich als Posse, Was als Heldengedicht von der friesischen Freiheit begonnen, Und von dem Knüppelkrieg erzählt man noch heut' auf der Insel. Enno's heißes Verlangen, den frechen Captain zu vertreiben, Blieb so ungestillt. Er fühlte sich immer beruhigt, Wenn Legrand zusah beim Schanzen; war er dagegen Hinten im Dorfe geblieben, so quälten ihn tausend Gedanken. Nicht als ob er gezweifelt an Gela's Ehre und Treue, Denn nicht leicht vergißt sich die friesische Tochter, und vierzig Jahre sind her es bereits, daß ein Mädchen zu Falle gekommen. 134 Sonntags, ehe der Priester die Kanzel betreten, da klopft' es Und es erschien bei der Dirne der Ortsvorsteher und sagte, Ohne sie zu beschämen und sie mit Worten zu strafen: »Annemarie, Dich betraf ein Unglück, das für uns Alle Auch ein Unglück ist. Wenn Solches geschehen vor Zeiten, Gingen die Aeltesten fort mit dem Mädchen hinunter zum Strande.« Annemarie entgegnete drauf: »Ich weiß es ja, Schulze, Und das ist auch das Beste.« Da gab ihr der Schulze die Hand noch Und dann ging er zur Kirche. Noch ehe die Predigt beendigt, War auch Annemarie hinunter zum Strande gegangen, Und man sah sie nicht wieder. So streng sind die Sitten der Insel. Nein, was Enno empörte, das war, daß der freche Franzose Hatte berührt mit unheiliger Hand sein Liebstes auf Erden. Und er hatte die Macht, und wenn er sie gegen das Mädchen Zu mißbrauchen versuchte – Er raste bei diesem Gedanken Und: »Der Captain muß fort!« war all sein Sinnen und Trachten. Captain Legrand, er hatte so ziemlich alles erfahren, Was er zu wissen begehrte von seinen erheiterten Gästen. Auch daß Enno die Seele von dieser Verschwörung gewesen, Und gern hätt' er gerächt sich an Enno und seinen Genossen; Aber er fürchtete sich vor dem Untersuchungsgerichte Und vor dem Zeugenverhör. Da kam's vor die Ohren der Obern, Wie er verhaßt sich gemacht auf der Insel, dann kamen ans Licht ja Seine Unterschleif' und Erpressungen, Alles und Jedes; Darum zog er es vor, zu verschweigen die Sache; doch Enno 135 Durft' auf der Insel nicht länger im Wege ihm stehen, beschloß er, Zwischen den Beiden mußt' es zum Ausbruch kommen und kam es. Gleich am andern Tage berief er, der Herr Statthalter, Durch Ausrufer die Männer von Spiekeroog zur Versammlung. Finster blickt' er sie an, vor Allem Enno, und sagte: »Hört, Ihr möchtet mich gerne von hier mit Knüppeln vertreiben; Aber ich werd' Euch jetzt eintränken die schlechte Gesinnung!« »Meinet Ihr mich?« sprach Enno. »Ja wohl! Ich meine Euch Alle, Enno Edden, am meisten Dich selbst und Deine Genossen. Von dem Marineminister erhielt ich ein wichtiges Schreiben, Denn ernst wird es nunmehr mit der Landung, wißt Ihr, in England. Kaiser Napoleon hat die gewaltigste Flotte versammelt, Tausend Schiffe und mehr, sein Heer an die englische Küste Ueberzusetzen. Er will den britischen Leoparden Jagen ins Meer!« »So hat er gesagt, doch warten wir ab es,« Murmelte Enno für sich; dann fragte er laut und nicht schüchtern: »Was hab' ich denn zu thun mit Boulogne und der Landungsflotte?« »Das wirst bald Du erfahren, mein Sohn!« so erwiderte höhnisch Ihm Capitain Legrand; »Dir wird noch theuer das Lachen! Mir hat, wisset, der Herr Marineminister geschrieben, Daß es der Flott' in Boulogne an der vollen Besatzung noch fehle, Darum sei für den Dienst des Kaisers an sämmtlichen Küsten Kundige Seemannschaft noch auszuheben. Die Insel, 136 Die ich als Commandant zu befehligen habe die Ehre, Sei zwar klein, doch könne sie drei Mann stellen dem Kaiser. Also ich muß nunmehr drei Mann ausheben zur Flotte.« »Das ist gegen Gesetz und Recht!« Mit gerötheten Wangen Brauste so Enno auf. »Wir sind, wir Friesen der Inseln, Völlig befreit zur See und zu Lande von jeglichem Kriegsdienst, Denn wir haben genug zu thun, vor dem Meer uns zu schützen; Das ist Rechtens bei uns seit unvordenklichen Zeiten.« »Was ist Recht und Gesetz?« antwortete ihm der Franzose. »Das, was der Kaiser befiehlt, ist Gesetz. Ihr habt zu gehorchen. Nur nicht räsonnirt! Die Gelegenheit nutz' ich zugleich aus, Spiekeroog zu befrei'n von den drei nichtsnutzigsten Burschen. Also hebe ich denn für den Dienst auf der Flotte aus erstens: Enno Edden. So wenig Du taugst, so wirst Du als Seemann, Hör' ich, gerühmt.« »Ich verstehe den Dienst!« entgegnete Enno. »So bist Du der geeignete Mann. Zum zweiten und dritten Hebe ich aus Klaus Harms und Frerk Kleyhauer. Sie streichen Immer zusammen herum und es ist ein sauberes Kleeblatt.« »Frerk Kleyhauer ist mein Kamerad,« erwiderte Enno; »Wir sind viel auf dem nämlichen Schiff mit einander gefahren, Und kein besserer Mann hat Schiffszwiebacke gegessen. Auch er kennet den Dienst und Keiner vermag Euch zu tadeln, Wenn Ihr den Mann anmustert. Wie könnt Ihr aber den armen Klaus Harms, Herr, für die Flotte bestimmen? Er ist ja kein Seemann, Zweimal ging er auf See; doch er blieb stets schwächlich und seekrank!« »Admiral Nelson ward seekrank in jeglichem Frühjahr. Das thut nichts.« So sprach der Captain. »Schon morgenden Tages 137 Wird ›Jean Bart‹ ankommen, die schöne Fregatte des Kaisers, Und vor Anker gehn bei der Robbenplatte und unsre Drei Rekruten an Bord aufnehmen. Sie segeln am nächsten Morgen schon ab nach Boulogne. Drum macht Euch fertig. Es hilft hier Nicht Maulspitzen. Es muß gepfiffen sein. Glückliche Reise!« »Fünfzehn Jahre zu dienen auf einem französischen Kriegsschiff! Das ist ja so schlimm, als auf die Galeere zu kommen!« Dachte sich Frerk, ein stiller, doch höchst entschlossener Bursche; Sprach mit Niemand, doch war an dem folgenden Morgen verschwunden. »Bindet die anderen Beiden mit Stricken!« befahl der ergrimmte Gouverneur, »damit sie nicht auch bis zum Abend entlaufen.« Pünktlich traf die Fregatte am Abende ein auf der Rhede. Enno und Klaus, sie schliefen noch einmal, aber zum letzten Male vielleicht, so jammerte Klaus, auf der heimischen Insel. Enno's männlichem Geiste entschlüpften nicht weibische Klagen, Selbst zu Gela sagte er nur: »Wir sehen uns wieder; Denn mit Napoleon kann es nicht ewig dauern, Geliebte.« Morgens wurden sie früh mit dem Kutter gebracht zur Fregatte. Als sie stiegen an Bord, so wurden sie zwar von der Mannschaft Mit neugierigen Blicken gemustert, doch artig und höflich, Denn von gefälligen Sitten sind, weiß man, alle Franzosen; Hüte man nur sich, zu viel von dem Wort auf die Handlung zu schließen. Bald zum Arzte geführt, untersucht und tauglich befunden, Sollten sie Treue dem Kaiser Napoleon schwören. »Doch wenn ich 138 Nun mich weigre zu schwören?« So ließ sich Enno vernehmen, Und er erhielt den Bescheid: »Mein Herr, dann macht Ihr Bekanntschaft, Aeußerst genaue Bekanntschaft mit einer besonderen Katze, Die neun Schwänze hat. Ihr könnt Euch die Weiterung sparen, Thut, Herr, was Ihr zuletzt thun müßt, so möcht' ich Euch rathen.« Und, ob wohl, ob übel bequemte sich Enno zum Schwure, Klaus desgleichen, er that ja stets, was Enno ihm vorthat, Dem er bewunderungsvoll anhing mit rührender Treue. »Doch der erzwungene Schwur soll uns nicht binden!« so sagte Enno mit Trotz. »Das soll er auch nicht,« antwortete Klaus ihm. Niemals geht's den Franzosen so schlecht, daß ein witziger Einfall Nicht sie ergötzt und sie nicht Stoff finden zum Plaudern und Lachen. »Lachen sie wohl über uns?« sprach Klaus. »Das kümmert mich gar nicht!« Gab zurück ihm der Freund, der auf das Geschwirr der Franzosen Sah bärbeißig herab und kochte von stiller Entrüstung. Bis jetzt hatten sie nicht zu klagen an Bord der Fregatte, Denn die Verpflegung war gut und der Dienst ward lose gehandhabt; Aber den Neulingen war ungewohnt und widerlich Alles. Selber das Brod, sehr fein, aus dem besten Weizen gebacken War nicht nach ihrem Geschmack; sie zogen das heimische Schrot vor. Gießt man in ein unreines Gefäß, wird Alles zu Essig. Als ›Jean Bart‹, die Fregatte, am Texel vor Anker sich legte, 139 Baten ans Land zu gehn um Urlaub viele der Mannschaft, Darum hatten denn auch die beiden Rekruten gebeten. »Und was habt Ihr am Lande zu thun?« so fragte der Leutnant. »Herr, man ließ uns nicht Zeit, uns auszurüsten; wir wurden Eingesperrt sogar am letzten Tag und gebunden, Darum müssen wir uns mit den nöthigsten Dingen versehen.« Das klang glaublich genug, und der Urlaub wurde bewilligt, Doch mit dem strengen Befehl, vor Abend noch wieder zu kommen. Als sie im Texel gestiegen ans Land, sprach Enno zum Freunde: »Klaus, warum sind jetzt wir in Holland? Sage, was meinst Du?« »Um Einkäufe zu machen. Ich hört' es Dich selbst ja erklären.« »Klaus, man muß nicht immer das glauben, was Andere sagen, Wir sind hier, um nicht Napoleon dienen zu müssen, Denn wir desertiren.« »Wir desertiren! Was sagst Du?« Sprach Klaus freudig bewegt, doch auch mit zagendem Herzen. »Herrlich wäre das ja, doch wird uns kaum es gelingen. Fassen sie ab uns dabei, so werden wir Beide erschossen.« »Wenn sie uns fangen – ja wohl! Wir lassen uns aber nicht fangen.« »Doch wie willst Du das machen?« »Das weiß ich freilich noch selbst nicht. Wo ein Wille ist, Klaus, da findet sich immer ein Weg auch, Lieber, wir haben noch Zeit zum Ueberlegen bis Abend, Und dann weiß ich es schon.« Und als sie am Abend zum Hafen Gingen hinab, da war auch fix und fertig der Plan schon, Den sich Enno gemacht, zu entgehn dem französischen Seedienst. »Siehe,« so sprach er zu Klaus, nachdem sie die Jolle bestiegen, 140 »Dorthin liegt ›Jean Bart‹, doch der alte französische Seeheld, Mit krauslockigem Bart, der als Gallione den Bug ziert, Soll nie wieder uns sehen. Rechts von dem französischen Kriegsschiff Ankert ein Schooner, man kann an den rückwärts stehenden Masten Leicht ihn erkennen.« »Ja wohl!« Nun sind der Captain und der Steurmann Spät noch gegangen ans Land und kehren sobald auch zurück nicht, Denn ich habe genau mich im Texel nach Allem erkundigt, Und die Besatzung ist schwach und liegt wohl schon auf den Ohren. Ja, wir werden uns leicht des Schiffchens bemächtigen können. Doch wir rudern zuerst, als wollten wir nach der Fregatte.« Also fuhren sie ab auf der Jolle, und als sie den Hafen Hinter sich hatten, so bogen sie ab nach rechts, nach dem Schooner. Alles war still an Bord und es regte sich nicht eine Katze. Klaus und Enno bestiegen das Schiff und fanden die Leute Schon in den Kojen liegen und schnarchen, bis Enno sie weckte. »Laßt Euch nicht stören und schlaft nur weiter. Wenn Ihr Euch ruhig Haltet, geschieht Euch nichts. Doch versuchet Ihr, Lärm zu schlagen, Zeigt sich nur Einer auf Deck, so holt Euch Alle der Teufel; Aber das Beste wird sein, ich schließ' Euch in das Logis ein.« Damit schloß er sie ein, und sie stachen in See mit dem Schooner. Und nun galt es zunächst vorüber zu kommen am Kriegsschiff. Licht ward gar nicht gemacht auf dem Schooner; den Compaß zu sehen, Rauchte man eine Cigarre und leuchtete sich mit dem Fünkchen. 141 Ohne Geräusch ward Alles verrichtet. So glückte es ihnen, An dem Franzosen vorbei unbemerkt zu gleiten im Dunkeln. Als kaum graute der Morgen, so tauchte vor ihnen ein großes Orlogschiff aus dem Nebel hervor mit der englischen Flagge. Angerufen, erklärten sie sich; doch aus dem Berichte Wußte sich Admiral Keats (leicht möglich das!) nichts zu vernehmen. Und so ertheilt er die Order: »Captain an Bord zu erscheinen!« Enno mußte sich wohl ansehen als Führer des Schooners. Und so klomm er empor zu dem Borde des Linienschiffes, Ward auf das Achterdeck zum Admirale geleitet. Vor ihm stand frisiert und gepudert ein würdiger, alter Vornehm blickender Herr und musterte schweigend den Jüngling. Enno's hohe Gestalt und offene Miene gefiel ihm. »Ihr seid noch sehr jung, Capitain,« so begann er die Rede. »Seid Ihr denn wirklich Franzosen?« Denn Enno hatte die Kleidung Nicht zu wechseln vermocht. »Nein, nein! Ein Feind der Franzosen,« Also betheuerte Enno, sein Abenteuer erzählend, Welchem der Admiral zuhörte mit freundlichem Lächeln. »Wohin wollt Ihr denn jetzt?« »Nach Helgoland.« »Und was wollt Ihr Dort denn beginnen?« »Ich will Krieg mit Napoleon führen, Mit dem Tyrannen. Wer gab ihm das Recht, daß er Handel und Schifffahrt Uns verbietet und arm und elend machet die Küsten? Darum bin ich gewillt, Schleichhändler zu werden und Schmuggler, Oder wie sonst man es nennt, und jeglicher Waarenballen, Welchen ich nächtlicher Weile ans Land zu schaffen vermochte, Ist ein Sieg und Triumph, den ich über den Kaiser davontrug.« 142 »Recht so!« sagte der Herr Admiral. »Und könntet vielleicht Ihr Mich auf Helgoland aussetzen?« »Das geht nicht. Ich kreuze Nicht auf der Nordsee jetzt. Ich habe die Order erhalten, Nach den Bermuden zu fahren. Es wartet ein ganzes Geschwader Meiner in Plymouth schon.« Doch Enno ließ noch nicht locker: »Aber Ihr könntet mich doch nach Norddeich bringen. Das ist Euch Kaum aus dem Weg und versäumet Euch nicht.« »Nun,« lachte belustigt Ueber die Dreistigkeit jener; »als Alliirten mit England Möcht' ich für Euch ein Uebriges thun. Doch hab' ich nicht Lootsen. Hier um die Insel herum ist eine gefährliche Schifffahrt.« »Einen erfahrneren Lootsen wie mich, Herr, könnt' Ihr nicht finden.« »Nun so sei es darum.« »Doch wie ist es denn, Herr, mit dem Schooner?« »Noch nicht zufrieden? Er ist dem Prisengerichte verfallen.« »Herr Admiral, es ist ein alter Kasten und hat nichts Weiter als Ballast geladen. Der Adler, so heißt es im Sprichwort, Fängt nicht Fliegen. Ich dächte darum, Ihr ließet ihn laufen.« Admiral Keats erwiderte nichts und sagte zum Abschied: »Also, ich setz' Euch ab auf Norddeich. Wie Ihr dann weiter Kommt nach Helgoland, ist Eure Sache. Ich wünsch' Euch, Daß Ihr Bony besiegt in jedem Gefechte.« Worauf er Warm ihm noch drückte die Hand, und Enno sah sich entlassen. Als er zum Schooner zurückgerudert, befreit' er die armen Schelme, die Schiffsmannschaft, aus ihrem verschlossenen Raume. »Höret,« so sprach er, »das Schiff ist vom Engelsmanne gekapert, 143 Und Ihr habet Euch dicht am Linienschiffe zu halten. Ich und Klaus, mein Freund, wir verlassen den Schooner, wir gehen Ueber zum Admiral. Lebt wohl, und ich will Euch noch einen Rath mitgeben. Es ist zwar befohlen, Ihr hättet Euch immer Dicht am Linienschiff und im Kielwasser zu halten. Aber ich rath' Euch, bleibt ein wenig zurück mit dem Schooner Und paßt auf, was drüben geschieht auf dem Admiralsschiff, Thut man, als merke man nichts, so entfernt Euch weiter und weiter, Denn dann will man sich nicht mit Euch aufhalten und giebt Euch Frei das gekaperte Schiff.« Der Rath war gut, und die Mannschaft Kehrte zum Texel zurück, indeß als kundiger Lootse Enno führte das englische Schiff in die Nähe von Norddeich. Als sie der Küste so nahe gekommen, daß schon sie den Leuchtthurm Norderneys konnten erspähn, lag friedlich vor Anker ein Torfschiff, Das bis oben hinauf mit gestapeltem Torfe gefüllt war. »Setzet uns hier nur aus!« so sagten sie, dankten und stiegen Ueber ins Küstenschiff zum Schrecken der Schiffer. Denn beide Flüchtlinge waren ein paar nordländische Recken. Der Schiffer Und sein junger Sohn, die ganze Besatzung des Fahrzeugs, Waren in ihrer Gewalt. »Was wollt Ihr?« fragten sie ängstlich. »Wir sind desertirt von einem französischen Kriegsschiff; Landsmann, helft uns zur Flucht! Nach Helgoland zu entkommen, Das ist unser Begehr. Ihr könnt es ja, Freunde, erfüllen. Euer Schade soll es nicht sein. So besinnt Euch nicht lange.« 144 »Ich nach Helgoland?« so fragte der Schiffer beklommen. »Ja, das ginge vielleicht bei ruhigem Wetter, indessen, Nicht mit der Ladung da!« Drauf Enno: »So werft doch den ganzen Plunder ins Meer!« Und der Fischer erschrak darüber und sagte: »Was? Ihr meinet den Torf? An Waldungen fehlt es der Küste, Und wie das liebe Brod, so könnte man sagen der liebe Torf. Den soll ich werfen, die Gottesgabe, ins Wasser? Nein, das könnt Ihr nicht meinen im Ernst!« Nun hätten die Beiden Zwingen wohl können den Schiffer, nach ihrem Begehren zu handeln, Aber ein armer Schelm hat mehr Mitleid mit dem andern Als habsüchtige Reiche, und da sich der Schiffer nach Norddeich Sie zu bringen erbot, so ließen sie dran sich genügen. Als sie nach Norddeich kamen, war dunkel bereits es geworden, Und sie begaben sich gleich auf die Wanderung, immer nach Osten, Stets an der Küste entlang, vorüber den sämmtlichen Inseln, Norderney, Baltrum und Langeoog, bis die Sonne heraufstieg. Während des Tages verbargen sie sich in Gebüschen und Gräben, Oder entlegenen Dünen, wohin nicht kommen die Menschen; Doch wenn die Nacht anbrach, so begannen sie weiter zu wandern. Als sie kamen zum Siel, wo man übersetzt nach der Insel Spiekeroog, da ruhten die Flüchtlinge lang an dem Strand aus. Mehr als je zog Enno das Herz nach der Heimath, der lieben, Die, von der Dämmerung Schleier verhüllt, so lockend ihm winkte. Und er glaubte das Haus zu erkennen, das Jemand bewohnte. »So weit wären wir denn« sprach Klaus, »doch sage: Wohin jetzt?« 145 »Nun, nach Helgoland, so haben wir längst ja beschlossen, Doch wir spähten umsonst auf unsre verödeten Ufer Aus nach dem Schiff, das uns hinüber zu führen bereit sei. Aber wer nicht ausharrt, kommt nicht an, pflegt man zu sagen. Helgoland ist so nah, und es soll und muß uns gelingen, Aber wir dürfen uns nicht von der Nordseeküste entfernen. Wenn ich es recht mir bedenke, so wär' es das Nächste und Beste, Daß wir wieder zurück nach Spiekeroog uns begeben.« Klaus Harms war sonst immer bereit, nach dem Freund sich zu richten, Enno war ihm voraus in der Schule gewesen. Das Lernen Ward Klaus sauer. Er sah in Enno den klügsten der Menschen; Aber zurück nach der Insel zu gehn, wo die schlimmen Franzosen Hausten und Jeder sie kannte, das schien ihm allzu verwegen. »Dort sind wir ja vom Tode bedroht!« so rief er erschrocken. »Komme nur mit,« sprach Enno. »Dort sind wir am besten geborgen, Denn dort sind wir geboren, dort haben wir Hausung und Freundschaft, Und sie werden uns dort forthelfen, sobald es nur angeht. Nie und nimmer verräth ein Spiekerooger den andern. Und so sind wir zuletzt am sichersten auch in der Heimath. Willst Du aber nicht mit, Klaus Harms, so geh' ich allein hin.« »Das ist schlecht von Dir, daß Du so redest!« versetzte Tief im Herzen verwundet der redliche Klaus; denn an Enno Hing er getreu, und er wäre für ihn durch's Feuer gegangen. »Nun, so können wir gleich auf kürzestem Wege dahinziehn, Noch ist's Ebbe, da kann man zu Fuß ja die Insel erreichen.« 146 Also sie überschritten den Deich und gingen ins Wasser, Zwar ist beschwerlich der Weg und gar nicht ohne Gefahren, Und es gelingt nur, sobald man bei niedrigster Ebbe sich aufmacht. Vor sich die dämmernde Insel, beeilten sie möglichst die Schritte, Denn schon kehret die Fluth zurück und rauschet von Weitem, Zwischen die Inseln herein und steiget und steiget. Sie waren Weit noch vom Ziel, doch wurde zu tief schon das Wasser. Sie müssen Wieder zur Küste zurück. Da leuchtet im Osten die Sonne Ueber das Meer schon auf, und man sieht auf dem Deiche die Wächter, Welche bei Tag und bei Nacht wohl aufzupassen bestimmt sind, Aber sie lieben den Schlaf so gut wie andere Menschen. Und sie rufen: Qui vive? und lärmen bereits in der Ferne. Doch sie wundern sich sehr, als näher gekommen die Männer, Die durchs Wasser sich nahn, französische Uniform tragen. »Ja, wir sind Marinesoldaten,« so sagten die Beiden, »Und wir wollen auf's Schiff, das noch vor Abend die Insel Anläuft.« »Aber so konntet Ihr doch abwarten das Fahrschiff,« Meinten die Douaniers, die den Zoll und die Grenze bewachen. »Ei, das kostet ja Geld!« So sprach zur Erläuterung Enno, Indeß wollten so leicht sich die Wächter zufrieden nicht geben, Und es erhob sich ein Zank. Da begann auch Enno zu fluchen, Und er bedrohte sie hart, er werd' es gehörigen Ortes Gleich anzeigen, als über den Deich vor dem Siel sie gestiegen, Vor zwei Stunden, da wär' kein Mensch auf dem Posten gewesen, Denn sie hätten geschlafen. Die Wächter erschraken und sagten Kleinlaut: »Gehet mit Gott!« Sie fanden bei einem Bekannten Unterschlupf für den Tag. Er erstaunte, von ihnen zu hören, Daß sie nach Spiekeroog zurückzukehren gedachten. »Seid Ihr toll?« so sprach er, »Ihr rennt in Euer Verderben, 147 Denn dort hausen ja noch wie sonst die Franzosen. Sie haben Vier Kanonen gepflanzt auf die Schanze und Schuppen für Pulver Auch sich erbaut. Ihr werdet sie nicht mit Knüppeln vertreiben, Ihr seid fahnenflüchtige Leut' indessen geworden. Und sie werden nicht säumen, den Lohn Euch, den Ihr verdient habt, Auszuzahlen mit Pulver und Blei.« »Oho!« so versetzte Enno darauf, »ich kenne die Insel so gut, wie die Kornmaus, Weiß auf eigenem Boden Bescheid, und laß mich nicht fangen!« »Thut, wie Ihr wollt!« so versetzte mit Achselzucken der Gastfreund, »Aber ich bitt' und ersuch' Euch dringlichst, macht, daß Ihr fortkommt, Denn sonst werd' ich um Euch in die Küche des Teufels gerathen.« Kaum, daß die Nacht anbrach, so machten die Flüchtlinge wieder Sich auf den Weg und stiegen, die Zollaufseher nicht achtend, Furchtlos über den Deich. Die Wächter bemerkten sie gar nicht, Oder sie thaten doch so, und die Flüchtlinge traten den nassen Weg jetzt an in der richtigen Zeit, wo die Ebbe am tiefsten. Und so kamen sie glücklich und unbemerkt auf die Insel. Noch im Dunkeln begaben sie sich auf die östlichen Dünen, Die ganz unfruchtbar dastehn und öd' und verlassen. Menschliche Stimmen erschallen da nie, nur unendliches, lautes Vogelgeschwirr. Sie brüten im Sand, wo die kleinste Vertiefung Ihnen als Nest schon genügt, das mit fleckigen Eiern gefüllt ist. Andere fischen im Meer mit schrillem Geschreie, die Regen- Pfeifer und Austernfischer, die muntersten, lustigsten Vögel, Welche beleben den Strand, und flatternde silberne Möven, Die dicht über der Fluth mit den Wellen sich heben und senken. Auch Brandenten und Kobben erscheinen dem Wandrer. In Menge 148 Fliegen sie auf und schwärmen umher mit Krächzen und Pfeifen Und mit spöttischem Lachen, so scheint es, die Ohren betäubend. Also begrüßt nun kamen die Flüchtlinge an und sie suchten Aus sich das innerste Thal, dort wollten sie bauen die Wohnung. Höhlungen findet man dort und Gänge von wilden Kaninchen, Diese erweiterten sie, so daß sie als Kammer genügten. Und mit der ausgeworfenen Erde versteckend den Eingang, Welcher durch Helmgras schon und blaue Disteln verdeckt war, Konnten sie nun, von Niemand bemerkt, ausschaun in die Weite. Als mit goldigem Glanz und Purpur sich färbte der Osten, Sahn sie die Hirten das brüllende Vieh austreiben zur Weide. Und sie winkten von fern, bis jene sie endlich bemerkten, Und sie liefen herbei und fanden mit Staunen die Ihren, Die sie bereits in Boulogne geglaubt, wo der Kaiser, der neue, Saß auf Dagobert's Stuhl in Mitten des mächtigen Heeres, Und in Bayard's Helm und Duguesclin's ließ sich die Kreuze Bringen und Sterne herbei, um die tapfersten Krieger zu schmücken. Und ein Feuerwerk ward abgebrannt an dem Abend, Wie noch nie es gesehen. Man glaubt' an der englischen Küste, Daß die französische Flotte in Brand gerathen. »Das habt Ihr« Sagten die Hirten, »nun Alles versäumt. Wo kommt Ihr denn her? sagt! Und was wollt Ihr denn hier um Gottes willen beginnen?« Als sie das Schicksal darauf der Flüchtlinge hatten vernommen, Sprachen sie: »Laßt Euch vor allem nicht sehn!« Es erwiderte Enno: »Da hast, Roebe, Du Recht. Das ist das Wichtigste, Vetter.« »Hungert Euch nicht?« »Ja wohl, bringt uns zwei Brote von schönem 149 Roggenschrot. Das fehlte uns sehr im französischen Kriegsschiff, Holet uns Wasser vor allem.« »Es soll an nichts Euch gebrechen.« Und so gingen die Hirten zurück, um Alles zu holen. »Bringet uns auch Stroh mit, zwei Schütten, darauf uns zu betten,« Rief noch Enno. »Indeß, das hat noch Zeit bis zum Abend.« Und noch einmal rief er sie an und fragte erröthend: »Was macht Gela? Und wird sie noch stets vom Captaine belästigt?« »Mag wohl sein, daß noch der Captain am Mädchen herumschleckt, Doch für gewiß wird erzählt, daß er zwei Ohrfeigen davontrug, Daß man sie klatschen gehört. Sie ist ein entschlossenes Mädchen.« Enno war wie erlöst. Wie es stand mit dem frechen Captaine Und mit seiner geliebtesten Braut, das wußt' er nun klärlich, Denn sein innerster Vorsatz war, als er ging auf die Insel, Niederzustechen den Kerl, wenn er sich an dem Mädchen vergriffe. Jetzt war er stolz darauf, daß sie selbst sich vertheidigen konnte. Claus Harms rief denn auch noch ein Wort zu den scheidenden Hirten: »Aber verrathet uns nicht!« »Das fehlte noch! Rede nicht Unsinn.« Ehe die Hirten zurück mit Trank und Speise gekommen, Flog ein Mädchen dahin auf dem Fußpfad über die Wiese Und in die Dünen hinein, ein schlankes friesisches Mädchen. Enno sah sich plötzlich von kräftigen Armen umschlungen. Grausam wurde das liebende Paar auseinander gerissen, Und sie fürchteten schon, sich niemals wieder zu sehen. War ein Wunder geschehen? Sie sahn sich schon wieder vereinigt! Neben einander stand so das stattliche Paar, das zur Decke Ragte der Höhle empor, sprachlos vor Freude und Wonne. 150 »Enno«, so sagte das Mädchen zuletzt, »ich vernahm von den Hirten, Daß es gelungen Euch sei, von dem Orlogschiff zu entkommen, Und ich freue mich mehr, als Worte verrathen es können, Daß Du wieder zurück auf die Heimathinsel gelangt bist; Aber ich bange zugleich. Als fahnenflüchtige Leute Seid Ihr dem Tode geweiht, wenn Euch die Franzosen entdecken. Weshalb kamst Du zurück nach Spiekerooge?« »Geliebte,« Sprach ihr Verlobter darauf, »um Deinetwillen. Das Schwerste War mir der Kriegsdienst nicht und die Sklaverei des Despoten, Sondern, daß ich Dich hier zurückzulassen gezwungen, Unbeschützt, in steter Gefahr vor dem frechen Franzosen, Und mir war, als ob ich Dich, Theure, vertheidigen müsse.« »Liebster Enno, ich habe die Kraft, mich selbst zu beschützen.« Sagte da Gela mit Lächeln und zeigte die nervige Hand auf, Welche die Sense zu führen gewohnt beim Heu'n auf der Wiese. »Ja, ich habe gehört, wie Du Dir den Unverschämten Hast vom Halse geschafft.« »Ich habe davon nicht gesprochen, Aber es konnte geheim nicht bleiben; die Hausgenossen Hatten das Klatschen gehört. Doch will ich noch mehr erzählen. Aber Enno, nur Dir. Er girrte um mich, wie ein Tauber. Doch ich beachtete nicht sein Geschwätz und verstand es auch meist nicht; Aber sobald er die Hand um die Hüfte mir legte, und wollte Mich abküssen, bekam er es schwapp! und schwapp um die Ohren. Da nun gerieth der Captain in Wuth und schnaubend nach Rache Wußte er nicht, was er that, und zog den Degen. Er wollte Nieder mich stechen. Allein ich griff so fest nach dem Arme, Welcher den Degen schwang, daß er nicht ihn zu regen vermochte, 151 Doch die Gefahr blieb groß. Da entwand ich ihm schweigend die Waffe, Stemmte sie gegen den Boden und brach in Stücke die Klinge. Wenn er mich niedergestoßen, nachdem ich ihn thätlich beleidigt, Würde man wohl ihm verzeihn; doch nun gar entwaffnet geworden Durch ein Mädchen, dafür war keine Verzeihung zu hoffen. Er war starr vor Schrecken und sah sein Schicksal vor Augen, Ausgestoßen zu werden vom Dienste. Mich jammerte seiner, Und ich sagte zu ihm: »Ihr empfangt nur, was Ihr verdient habt, Capitain Legrand; doch was soeben geschehn ist, Niemand soll es erfahren.« Da leuchtete ihm aus den schwarzen Augen ein Hoffnungsstrahl. »Ihr versprecht mir das?« fragt' er noch zweifelnd. »Niemand soll es erfahren durch mich, sobald Ihr Euch künftig Schicklich betragt.« »Ihr wollt mir das Ehrenwort darauf geben?« Fragt' er mit bittendem Blick. Ich entgegnete: »Das ist nicht nöthig, Was ich verspreche, das halt' ich. Das kennt man nicht anders in Friesland.« Dankend küßt' er die Hand und verbarg den zerbrochenen Degen. Und ich wette darauf, er macht nicht wieder sich unnütz.« »Gela, Du herrliches Mädchen!« vor Rührung versagte die Stimme Ihrem Verlobten; er schloß sie ans Herz und schaut' ihr ins Auge. »O, ich machte um Dich mir tausend vergebliche Sorgen!« »Konntest Du glauben, daß ich von dem Menschen verführen mich lasse?« Sagte sie vorwurfsvoll und suchte sich ihm zu entwinden. 152 »Niemals hab' ich gezweifelt an Deiner Treue, Geliebte, Doch hier herrscht mit Gewalt nun der übermüthige Fremde, Lüstern und frech als Tyrann. Wie, wenn er es wagte, Gewalt Dir Anzuthun? Es machte mich rasend, daran nur zu denken.« »O, den hab' ich ja jetzt in Händen!« erwiderte Gela. »Warum reden wir noch von diesem französischen Unhold? Haben wir denn nichts Beßres zu thun?« Und sie küßte ihn zärtlich. »Du hast Recht,« sprach Enno. »Ich fühle so leicht mich und glücklich, Aller Sorgen um Dich und der eifersüchtigen Qualen Jetzt enthoben zu sein.« Aufspringen wollt' er vor Freude, Aber er stieß sich den Kopf an der niedrigen Decke der Höhle. Was für Stunden des Glückes verlebte das liebende Paar jetzt! Dort in dem Bau, wo sonst nur hausten die wilden Kaninchen, Kamen sie Tag für Tag zusammen, doch richtiger sagt' ich Nacht für Nacht. Sie trug, um jeden Verdacht zu vermeiden, Speis' und Trank und alles was sonst für die Flüchtlinge nöthig, Nur mit der sinkenden Nacht in die äußersten, östlichen Dünen. Aber die irdische Lust ist vergänglich, und mitten im Jubel Steigt ein bittres Gefühl in uns auf, das heimlich uns ängstigt. Kam beim funkelnden Lichte der Sterne Gela geschritten, Erst auf dem Pfad durch die Wiese und dann durch die Ketten der Dünen, War ihr schlagendes Herz von Liebe geschwellt und von Sehnsucht, Aber sie hatte zuletzt doch schwer zu schleppen am Tragkorb, Und dann ward ihr auch schwer ums Herz, wenn sie dachte der Zukunft. Was soll werden daraus? Wie lange noch kann er so leben, Hier im Kaninchengeheg und umgeben von Todesgefahren? 153 Er muß fort und darf auf der Insel nicht wieder erscheinen. Wenn sie in trübe Gedanken versank, so schreckte sie plötzlich Ein mit großem Geräusch auffliegendes Volk Seevögel, Deren Lagerstätt', kaum »Nest« zu nennen, im Sande Unversehns sie betrat. Sie kam mit klopfenden Pulsen An bei den harrenden Freunden und setzte den Korb auf die Erde, Tief aufathmend. »Was ist Dir?« so fragte besorgt ihr Verlobter. Und sie vertraute ihm dann still weinend die schweren Gedanken. Und sie sagte zuletzt mit stürzenden Thränen zu Enno: »Gestern haben im Siel die Franzosen –« Sie konnte vor Schluchzen Weiter nicht sprechen. »Was ist denn geschehn? So rede doch, Gela!« »Dich an den Galgen geschlagen!« »Nur meinen ehrlichen Namen. Daraus mach' ich mir nichts. 's wird besser gehen, die Welt ist Rund und muß sich drehn!« So sucht' er sie scherzend zu trösten; Aber dann sprach er zu ihr mit tapferen männlichen Worten: »Gott regieret die Welt, und nicht Bonaparte, der Erzschelm, Der nichts ist als die Geißel, die Gott schwingt über die Völker, Denn wir haben gesündigt und müssen nun leiden die Strafe, Aber ein Reich, das nicht auf Gerechtigkeit ruhet, besteht nicht. Nur durch List und Gewalt und endlose blutige Kriege Hat er, der Corse, die Länder besiegt vom Tajo zur Newa, Und sie geknechtet, beraubt und ausgesogen, vampyrgleich. Nicht mehr können die Mütter so viele Söhne gebären, 154 Als zu Soldaten er braucht. Ihn hassen, ihm fluchen sie Alle.« Ihm antwortete drauf, kaum hörbar, seufzend, das Mädchen: »Ja, das sagest Du wohl. So wird schon lange gesprochen, Aber wir waten noch immer in Blut« Ihr entgegnete Enno: »Gott hat Israel einst geführt in das Land der Verheißung, Durch das rothe Meer, trotz Pharao's Wagen und Reitern. So wird auch durch das Meer von Blut der Erbarmer uns führen, Daß wir ihn preisen und wieder des Glücks und des Friedens uns freuen. Glaube mir, Gela, Napoleon wird's nicht lange mehr treiben. Alle Länder will er erobern und streckt nun die Hand aus Selbst nach den britischen Inseln. Er wird sie so wenig erreichen, Als wie den Mond, und er wird an den Felsen Britanniens scheitern. Alle Völker vereinigen sich zum Sturz des Tyrannen, Und sie feiern mit Jubel das Fest der großen Befreiung. Siehe, dann öffnet auch mir sich wieder die Heimath; ich kehre Reich mit Schätzen beladen zurück, wir bauen ein Haus uns. Und,« so fügt er hinzu, ihr liebreich streichelnd die Wange, »Dann, mein Kind, dann feiern wir flugs und fröhlich die Hochzeit.« Also sprach er beherzt und voll des schönsten Vertrauens, Und an der Zuversicht von Enno stärkte sich Gela, Daß sie zu sehn, wie ein Baum, auf dessen Blättern des Regens Tropfen noch stehn; doch glänzen und funkeln sie schon in der Sonne, Die mit leuchtendem Strahl aus den düsteren Wolken hervorbricht. Seht, so verschönert das Leid die unterbrochene Freude! 155 Gela war neu wieder belebt von den kräftigen Worten. Als nach Hause sie ging und des Himmels unzählige Sterne Strahlten in schweigender Pracht auf die einsame Wandlerin nieder, Schien von Hoffnungssternen besäet das Himmelsgewölbe. Doch schon wurde die Witterung rauh und es ward in der Höhle Bald zu kalt und zu feucht für die Flüchtlinge. Immer noch fand sich Schiffsgelegenheit nicht, um fortzukommen ins Ausland, Darum mußten sie wagen, im Dorf selbst sich zu verstecken, In zwei Häusern, den fernsten vom Wirthshaus und den Franzosen, Enno wurde versteckt im Kämmerchen, und für den Andern Wurde Quartier gemacht auf dem Boden, er schlief in dem Heue. Gela war zwar beglückt, den Bräutigam bei sich zu haben, Aber sie zitterte stets, daß ihn die Franzosen entdeckten, Denn dann mußte er knie'n auf dem Sand und die knatternden Schüsse, Die ihm gaben den Tod, mit verbundenen Augen erwarten. Ach, das wußte sie wohl und widersprach ihm nicht länger, Wenn er sagte: »Ich darf nicht mehr hier weilen. Wir müssen Fliehen von hier und uns retten.« »Ich sehe das ein ja,« so sprach sie, »Doch hier einsam zu sein und nie Dich wieder zu sehen« – »O, ich komme ja wieder,« so rief er mit Lächeln und küßte Seiner herrlichen Braut von der Wange die rinnenden Thränen. »Wenn es vorbei mit Napoleon ist!« »Und sollst Du nun irren Heimathlos in der Welt?« »Ich bin,« sprach Enno, »ein Seemann. 156 Und so hab' ich das Meer als Heimath, geliebteste Gela, Darum sind wir entschlossen, nach Helgoland uns zu flüchten, Denn dort bin ich am nächsten bei Deutschland und bei dem Bräutchen.« Nun lief um ein Gerücht, man weiß nicht, wie es entstanden, Daß die gepreßten Matrosen zurück nach der Insel gekommen. Und die Franzosen durchsuchten ein Haus, jedoch ein verkehrtes. Gela, in tödtlicher Angst, drang selber auf schleuniges Fortgehn. Ein anschlägiger Kopf, wie Enno war, sann sich den Plan aus. Neulich war ein Kutter gestellt in den Dienst für die Insel. Und da ein Tanz für den Abend war angekündigt im Wirthshaus, Ging die Besatzung ans Land und der Kutter lag auf der Rhede, Leer vor Anker. »Darauf hab' ich schon lange gewartet,« Rief nun Enno erfreut und er rüstete gleich sich zum Abschied. Nachts als die Tanzmusik von fern her scholl aus dem Wirthshaus, Schritten zum südlichen Strand drei hohe Gestalten; denn beide Flüchtlinge waren von Niemand begleitet als Enno's Verlobten. »Also nach Helgoland! Was wollt Ihr da, sagt mir, beginnen?« Enno hatte vermieden, darüber sich näher zu äußern, Denn er scheute sich wohl zu bekennen vor seiner Verlobten, Daß er das Schmuggelgeschäft dort auszuüben gedachte. So von Gela befragt, antwortete Enno und sagte: »Stände die Wahl mir frei, so ging ich am liebsten nach Holland, Dort ist ein Stüver Geld beim Wallfischfang zu verdienen, Doch auch Holland ist ja verschlungen vom riesigen Reiche. Wo sich ein Holländer nur zeigt, da stürzen die Kaper Englands auf ihn herab, gleich wie Seeraben auf Fische. Da ich ein Seemann bin, so bleibt nichts Andres mir übrig, Als mich unter den Schutz der englischen Flagge zu stellen. 157 Eine Nation von Krämern benennt Bonaparte die Britten. Wenn man ihnen die Kundschaft raubt, so verhungern sie, denkt er; Darum hat er den ganzen Verkehr mit den englischen Waaren, Handel und Schifffahrt rings an sämmtlichen Küsten verboten. Aber es kann nicht die Welt entbehren die köstlichen Güter Aller Zonen, und nicht was Englands hoher Gewerbfleiß Uns in Eisen und Stahl und Wolle und Seide hervorbringt. Alle die Waaren schafft man nach Helgoland, um von dort sie Ueberzuschiffen ans Land. Es florirt dort Handel und Schifffahrt. Und so vermag ich das Brot nicht besser als dort zu verdienen!« Gela sagte darauf: »Mit verbotenen Waaren zu handeln, Heißt das nicht schmuggeln?« »Ja wohl! Wenn eine gerechte Regierung Etwas verbietet, so muß man gehorchen. Wer aber, so frag' ich, Gab dem Tyrannen das Recht, Schifffahrt zu vernichten und Handel, Und zu verbieten das Meer, das für uns Haken und Pflug ist? Gegen Gesetz und Recht ließ Jener in Fesseln mich schlagen, Und zum Sklaven machen, um ihm auf der Flotte zu dienen. Hab' ich nicht Recht gehabt, mich frei von der Knechtschaft zu machen? Recht und Gesetz tritt stets der Tyrann mit Füßen; es sollte Unrecht sein, mit den eigenen Waffen ihn selbst zu bekämpfen?« »Jegliche Obrigkeit stammt von Gott, so steht in der Bibel.« »Nein, Napoleon stammt nicht von Gott, stammt eher vom Teufel. Ist nicht Obrigkeit von Gott auch der König von England? Nun, der erkennet nicht an, was der freche Erobrer gebietet. Seine Flotte beschützt den von Jenem verbotenen Handel. Und als englischer Unterthan bin ich völlig im Rechte.« 158 »Theuerster Enno, mir ist das zu hoch,« entgegnete Gela, »Aber Du bist ein redlicher Mensch, das weiß ich, und was Du Nicht für Unrecht hältst, das wird, so glaub' ich, erlaubt sein.« Als sie unter dergleichen Gesprächen zum Ufer gekommen, Warfen sie all ihr Gepäck in den Kahn, um zum Kutter zu rudern, Dann umfaßte die Braut noch einmal Enno und drückte Schweigend sie fest an das Herz und sprach noch die wenigen Worte: »Bleibe mir treu, so brauch' ich Dir nicht zu sagen, das weiß ich. Bleibe gesund, so bitt' ich Dich nur, und fröhlich in Hoffnung.« »Sei nicht wieder zu kühn und schone Dich!« flehte sie leise. »Sorge Dich nicht um mich,« so rief er ihr noch aus dem Boot zu. »Ich bin schon an den Galgen geschlagen und gleiche dem Müller: Ich bin eingestäubt und an mir ist nichts zu verderben.« Also sucht' er mit Scherzen den Abschied ihr zu erleichtern. Und schon glitten die Flüchtlinge hin auf der Jolle zum Kutter, Hoben das Anker empor und hißten die Segel und fuhren, Ihrer Befreiung sich freuend, mit frisch aufspringender Brise. Manchmal trug noch der Wind die Tanzmusik in die Ohren; Aber wie werden am folgenden Morgen die Tänzer sich wundern! Ja, sie guckten sich aus dem Kopfe die Augen. Da war ja Nirgends ein Kutter zu sehn. Wie ist es nur möglich? Das neue Stattliche Schiffchen verschwunden? Je nun, so meinten die Friesen, Nachts hat wohl der Sturm vom Anker den Kutter gerissen. 159 »Unsinn!« sprach der Captain und drehte mit Macht an dem Schnauzbart. »Nachts hat kaum es geweht. Wie meint Ihr denn, daß es geschehn sei?« Doch die Franzosen besaßen nicht einmal eine Vermuthung. »Nun, wir Insulaner,« so sagte der Ortsvorsteher, »Sind unschuldig daran, denn es fehlt kein Mann auf der Insel.« Leichthin fuhren indeß auf dem spitzen und zierlichen Fahrzeug Ueber die tanzenden Wellen die Flüchtlinge heiteren Muthes. Unterwegs sprach Enno: »Wie schneidet das Schiff durch die Wellen! Und dann geht es nicht tief. Ja, dieser französische Kutter Ist, als wär' er gebaut für den Küstenhandel.«»So willst Du Wirklich –« »Ja wohl, ich will auf das Schmuggelgeschäft mich verlegen. Und was willst Du, Klaus, auf Helgoland denn beginnen?« »Ich? Ich will Dir helfen, mir deucht, das versteht sich von selbst ja.« »Nein,« sprach Enno, »Du bist kein rechter und richtiger Seemann, Bist nicht so fix und so schlau, wie man sein muß mit den Franzosen. Drum rath' ich Dir, Freund, zu betreiben das ehrliche Handwerk, Wo man vorwärts kommt, wenn man rückwärts gehet.« »Ein Seiler Soll ich werden?« »Ja wohl; als Lehrling und als Geselle Hast Du in Emden gelernt, als Reifenschläger. Betreibe Darum, was Du verstehst, Handwerk hat goldenen Boden, 160 Und wo Schifffahrt blühet, gedeiht auch das Seilergewerbe. Halbpart bleibt Dir am Schiff.« Klaus folgte wie immer dem Freunde Und sprach ohne Besinnen: »Nun gut, so werd' ich ein Seiler.« Kaum war die Sonne dem Meer entstiegen, so sahn sie von Weitem Helgoland entsteigen den Wellen, das felsige Eiland, Sahen zugleich ein Gewirr von Schiffen und Flaggen und Masten, Wie's auf der Themse zu sehn und auf der Düna im Frühling. Und wie über die Häuser der Stadt aufragen die Kirchen, Hoben sich über die Flotte empor fünf Linienschiffe. Jene Kolosse, wovon zweihundert schwammen im Weltmeer Und im jauchzenden Chor ein Rule Britannia sangen. Siehe, da tauchte ja auf ein kleines französisches Fahrzeug, Und ihm fuhren sogleich drei englische Caper entgegen, Leichte Beute zu machen. Sie riefen das Schiff schon von fern an. »Ho! Wer seid Ihr? Wo kommt Ihr denn her?« Es rief mit dem Sprachrohr, – Denn auch mit diesem war wie mit Allem versehen der Kutter, – Enno, der übermüthig vor Lust die französische Flagge Ließ von der Gaffel wehen. »Wir kommen von Teneriffa!« Und da merkte man wohl, daß nicht Franzosen an Bord sei'n. Enno erzählte darauf die wunderbare Geschichte. Klaus, der nicht so gewandt in der Rede war, nickte dazu nur. Und viel lachte man dann, daß also die schlauen Franzosen Wurden geprellt, sie wußten nicht wie und glaubten an Wunder. 161 Darauf meldeten sich auf dem Rathhaus Enno und Klaus an. Schweigend hörten die Aeltesten zu, weil jene erzählten. »Doch wo wollt Ihr nun hin?« »Wohin? Mit Eurer Erlaubniß Wünsche ich hier zu bleiben. Ich denk', Ihr könntet mich brauchen. Niemand kennt, so wie ich, vom Dollart bis zu der Elbe Sämmtliche Küsten und Inseln und Rillen und Bänke und Ströme, Welche sich immer verändern, und bei dem gewaltigen Handel, Den Ihr von hier aus führt mit den Küsten –« »Das läßt sich ja hören,« Sagten die Helgoländer, die stumm geworden, sobald er Sprach vom Bleiben daselbst. »Allein – Indessen.« »Was habt Ihr Gegen mich einzuwenden?« so fragt' er. »Ich will Dir was sagen, Nahm ein Aeltster bedächtig das Wort. »Ihr seid ja sehr rüstig, Kommt auch nicht als Bettler, und bringt ein eigenes Schiff mit, Gut und tüchtig gebaut, so brauchen wir nicht zu besorgen, Daß der Gemeinde zur Last Ihr fallet. Indessen wir bleiben Gern unter uns allhier. So ein frischer und schmucker Geselle Schmeichelt auch leicht sich ein bei unseren Dirnen. Das junge Blut will dann zusammen und Hochzeit halten. Doch paßt es Uns Insulanern nicht, daß ein Fremder sich unter uns einmischt, Und für Mädchen von Helgoland gereicht es zur Schande, Wenn sie sich mit Fremden, mit Butenmenschen vermählen.« »Habt Ihr weiter nichts,« entgegnet Enno mit Lächeln, »Könnt Ihr ruhig sein! Ich hab' ein Bräutchen zu Hause. 162 Und sobald Napoleon geht um die Ecke, und das wird Nächstens geschehn, so fahr' ich nach Hause und feiere Hochzeit. Helgoland bekommt mich gar nicht wieder zu sehen.« »Das ist was anders,« so sagte beruhigt der Aelteste. Alle Murmelten nun beifällig. »Doch rede, wer ist denn der Andre?« »Klaus ist ein stiller und fleißiger Mensch und treibet ein Handwerk. Ist ein Reifenschläger.« »Ein Seiler? Das trifft sich ja herrlich, Denn der fehlt uns schon lange.« So waren denn Alle befriedigt. Und so begannen denn nun für Enno die goldenen Zeiten. Helgoland war der Stapel für englische Waaren geworden, Unten und oben bedeckt von unendlichen hölzernen Schuppen, Die kaum aufzunehmen die Fülle der Güter vermochten. Schiffe von allen Nationen zu Hunderten kamen und gingen, Und ein Mastenwald umkränzte beständig die Insel, Aber wer sollte das Gut trotz aller Decrete des Kaisers Glücklich besorgen ans Land? Da gab es verschiedene Wege. Mancher der Schiffer verschaffte sich falsche Papiere. Sie kommen Nicht aus England an, noch aus Häfen befreundeter Völker, Sondern aus Teneriffa und unverdächtigen Orten. Traf ein Schiff nun ein bei Helgoland, so begab sich In Hamburg zu dem höchstcommandirenden Herrn Marschalle, Im Staatskleide, wo möglich geschmückt mit Orden, der Kaufmann, Ward sehr höflich empfangen und sprach von diesem und jenem, Ein paar Rollen mit Gold auf den Tisch hinlegend. Der Marschall Merkte es nicht und sie schieden darauf in verbindlichster Weise. Dafür drückte nachher bei den Schiffspapieren der Mächt'ge 163 Auch ein Auge zu. Doch war es allein nicht der Marschall, Welcher ein Ehrengeschenk für Teneriffa begehrte, Sondern der Stadtcommandant und andere Officiere, Ober- und Unterbeamten, ein jeglicher wollte geschmiert sein. Kurz, er war theuer der Weg und ließ oft wenig nur übrig. Mühsamer war's, doch weit einträglicher, wenn man die Waaren Schmuggelte heimlich ins Land im verzweifelten Kampf mit den Zöllnern. Alle Bewohner der Küsten, sie standen auf Seite der Schmuggler. Und wie in Spanien ward ein Guerillakrieg nun geführet, Worin Kühnheit und List siegreich dem Erobrer trotzten. Niemand wußte so gut in den Watten zu schiffen wie Enno. Niemand konnte mit ihm sich an Kraft und Kühnheit vergleichen. Und als Führer der Schaar, die Nachts mit Napoleon kämpfte, Ragt' er um Hauptes Länge hervor wie Saul vor dem Volke. In dem Guerillakrieg, der an sämmtlichen Küsten geführt ward, Zeichnete Enno sich aus wie ein Palafax oder Castannos, Wegen der Tapferkeit konnte man kaum ihn rühmen; denn tapfer Ist der, welcher versteht zu besiegen die Furcht und die Feigheit, Die uns Alle beschleicht, wenn Todesgefahren uns drohen. Enno schien die Gefahr gar nicht zu kennen. Die Kugel, Die mich zu treffen bestimmt, ist noch nicht gegossen, so dacht' er. Und so stürmt er getrost auf den dreifach stärkeren Feind ein, Doch an das Löwenfell wußt' Enno zu nähen die Fuchshaut. Lasset davon mich nur ein einziges Stück Euch erzählen: 's war stockfinstre Nacht und es regnete, regnete langsam, Und langweilig herab. Im Schutz des vortrefflichen Wetters War schon der Kutter von Enno vorbei am französischen Kriegsschiff, Das unweit Cuxhaven bewachte die Mündung der Elbe, Als sich plötzlich vertheilten die dunkelen Regengewölke 164 Und klar leuchtend der Mond, mit fast schon wieder gefüllter Scheibe herunter sah zu Enno's schwerem Verdrusse, Flugs auch machten sich klar die Franzosen, um ihn zu verfolgen, Hißten die Segel bereits, um Jagd auf den Kutter zu machen. Enno kannte das Schiff, das ein besserer Segler als seins war, Und schon krachte der Schuß, der ein Halt! ihm gebieterisch zurief. Ja, sie waren verloren, unrettbar, schien es, verloren. Enno aber vergaß selbst jetzt nicht auf Rettung zu denken. Leis', als könnte da drüben der Feind schon hören die Worte, Sprach er zu seinen Gefährten: »Nun fort! Hinunter vom Decke, Unser Schifflein muß von der Mannschaft verlassen erscheinen.« »Aber was wird das helfen!« so murrte ein alter Matrose, »Denn sie werden ja doch mitnehmen die kostbaren Waaren. Und uns oben darein. Wir sitzen wie Jonas im Wallfisch.« »Schweigt und gehorcht!« entgegnete nur ihm Enno. Sie krochen Alle zusammen hinunter. Es war dicht hinter dem Bugspriet Ein sehr kleines Gelaß, doch reicht' es hinab bis zum Kiele. In dem Gelaß, Vornunter geheißen, verbarg sich die Bande, Eng aneinander gepreßt im untersten Raume. Sie legten Ueber die Köpfe ein Segel, getheert und so steif wie ein Brett fast, Das nun dem Aug' als Boden erschien von dem winzigen Raume. Darauf häuften sie Säcke und anders kleines Gerümpel, Und nun horchten sie still, was draußen ereignen sich möchte. Schon kam eine Barcasse, gesandt vom französischen Kriegsschiff, Hurtig herangerudert und schrie schon und lärmte von weitem. Still blieb Alles indeß im Schmuggler. »Was soll das bedeuten?« Fragte der Leutnant, der mit zehn Mann stieg aus der Barcasse Und sich am Bord umsah. »Ganz ausgestorben! Wie seltsam! 165 Lose flattern die Segel, die Schoten liegen am Boden, Regungslos ist das Schiff und treibt für dumm auf dem Wasser. Und doch möcht' ich beschwören, ich sah bei dem Leuchten des Mondes Richtig den Kutter in Fahrt. Wie mag es denn aber nur zugehn?« »Nun sie ließen in Angst wohl Schiff und Ladung im Stiche,« Sagte der bärtige Bootsmann drauf. »So löst sich das Räthsel.« »Das braucht uns nicht zu kümmern. Wir machen die köstlichste Priese. Kaffee, Zucker und Reis und Messer und Gabeln aus Sheffield, Schaufeln und Feuerzangen, wie Silber glänzend, Gewebe, Seidene und baumwoll'ne, wie England nur sie hervorbringt. Doch wir können das Alles am Tag ja besser uns ansehn. Heut' Nacht nehmen wir nur die kostbare Beute ins Schlepptau.« »Aber das macht Umstände,« bemerkte dagegen der Bootsmann. »Wenn ich ein Wort mir darf, Herr Leutnant, erlauben, so rath' ich, Daß wir den Schmuggler bemannen und lassen am Morgen ihn bringen Auf, nach Altona oder nach Hamburg!« »Das ist das Beste,« Sprach beifällig der Leutnant, »wir untersuchen das Schiff erst, Und ist wirklich es gänzlich geräumt von den Hunden, den Schmugglern, Lassen wir hier vier Mann zurück zur Besatzung des Fahrzeugs.« Also geschah's. Sie prüften die Packen und Kisten und Kasten. Nirgend war auf dem Schiff ein menschliches Wesen zu finden. Auch ward nachgesucht im kleinen Gelaß an dem Bugspriet. »Nichts, Herr Leutnant,« so sagte nach kurzer Betrachtung der Bootsmann, Denn er sah den Presenning an für den Boden des Raumes. Vier Mann blieben zurück auf dem Schiff, doch die Uebrigen fuhren 166 Auf der Barcasse zurück, vom gekaperten Kutter zu melden. Aber die vier Mann suchten auf eigene Hand noch das Schiff ab. Was sie suchten war Rum, Rum, jeglichen richtigen Seemanns Lieblingsgetränk; sie wurden auch nicht in der Hoffnung betrogen. Zechten gar wacker und legten sich schwer beladen zur Ruhe. Während sie schnarchten, begann das Gelaß sich leise zu öffnen, Daraus kroch erst Enno hervor und dann sein Gefolge, Zwei Matrosen und ein Schiffsjunge. Sie krochen behutsam Einer heran nach dem andern, bis wo die Franzosen zusammen Waren gesunken in Schlaf, denn der Ausguck wurde vergessen. Enno schlich mit den Seinen heran. Sie waren wie eine Schwarze Schlange zu sehn und überfielen die Schläfer, Welche so tief versenkt in Rausch dalagen und Schlummer, Daß sie es gar nicht merkten, als ihnen die Arme und Beine Wurden mit Stricken gebunden von Enno und seinen Genossen. Ja, man konnte sie nicht aufrütteln aus ihrer Betäubung. Darauf fuhren die Sieger, sich freu'nd der gelungenen Kriegslist Und nicht minder des wieder von Wolken verdunkelten Mondes, Rasch an die Stelle des Ufers, wo längst schon harrten die Freunde. Als nun sämmtliche Waaren herangeschafft aus dem Fahrzeug, Trug man auch die Franzosen heraus, die endlich erwachten, Und die Augen sich reibend nicht wußten, wie ihnen geschehen. So war Napoleon wieder besiegt, und der Name von Enno Ist noch heute nicht ganz an den nordischen Küsten vergessen. Jetzt noch zeigt man am Benser Siele den Ort, wo der kühne Schmuggler dem Tod entrann mit einem gewaltigen Sprunge Ueber das Siel, den Keiner ihm nachzuspringen vermochte. Aber aus Norderney erfuhr er die ernstlichste Mahnung. Unsere Küsten sind nicht wie die Kreidefelsen von England, Voll von Klüften und Höhlen, geschmuggelte Waaren zu bergen. 167 Was die Natur uns versagt, das müssen wir künstlich uns schaffen, Und so war von den Schmugglern auf Norderney unter der Mühle Oterendorps ein mächtiger Schacht in die Tiefe getrieben, Seitwärts hatten sie drei mit Stützen versehene Stollen Uebereinander gebaut, so hatten sie Keller und Speicher Für die verbotenen Waaren, und schwunghaft blühte der Handel, Bis die Franzosen auch dort die Insel besetzten und schanzten, Da war der Handel gestört und es gab oft nächtliche Kämpfe. In der Erbittrung schlossen die Norderneyer ein Bündniß Mit dem Engelsmann, mit zwei Fregatten, die zwischen Juist und Norderney kreuzten. Es stieg bei nächtlicher Weile Englische Mannschaft ans Land, und nach kurzem, doch blutigem Kampfe, Denn die Franzosen, sie setzten sich gleich Grasteufeln zur Wehre, Wurde die ganze französische Truppe gefangen genommen, Und auf die englischen Schiffe geführt,. und es blieben am Strande Nur die Todten zurück, die im nächtlichen Kampfe gefallen. Englischer Ueberfall! so ward von der Insel berichtet, Aber die Wahrheit kam an den Tag durch einen Soldaten, Der sehr schwer verwundet am Strand wie ein Todter gelegen; Dieser erholte sich wieder und wurde alsbald in das nächste Lazareth, nach Norden geschafft. Im Verhöre bezeugt' er, Daß von der Mühle von Oterendorp durch Stellung der Flügel Waren den englischen Schiffen Signale gegeben. Die ganze Insel sei im Complot und habe den Britten geholfen. Darauf strenges Gericht und Wiederbesetzung der Insel. 168 Fünf Mann wurden erschossen und unter ihnen der Müller Und sein Mühlenknapp. Man entdeckt' auch das Lager der Düne. Enno entsetzte sich doch, und bedachte die schrecklichen Folgen. Wenn das, was er geplant in unerfahrener Jugend, Sein Anschlag auf die Schanze geglückt und die blutige Rache, Die das französische Heer an den Spiekeroogern genommen. Wo war die Insel, die Bucht an der deutschen und dänischen Küste, An der Mündung der Ems, der Elbe, der Weser, der Jahde, Wo er die tapfere Schaar, die mit Napoleon kriegte, Nicht zum Siege geführt und Ehre verbunden mit Vortheil? Wenn ein Stück ihm gelang, so sprach er: »Ich habe schon wieder Ueber Napoleon etwas gesiegt.« Nur war es so rasch nicht, Wie er gedacht, vorbei mit Napoleon. Immer ein Jährlein Ging noch vorbei, der Kaiser Napoleon war noch nicht wieder Gleichwie der Fischer im Märchen zurückgelangt in den Nachttopf. Als nun Moskaus Brand wie die Morgenröthe den Völkern Ihrer Befreiung erschien, wer jubelte lauter als Enno? Denn sein feuriger Geist hielt schon für verloren den Kaiser, Doch als er wieder nach Frankreich kam und nur mit dem Fuße Stampfte, so sprangen von neuem Armeen hervor aus dem Boden, Und er trieb siegreich vor sich her die verbündeten Feinde. Endlich wurde die Völkerschlacht bei Leipzig geschlagen, Und auch Spiekerooge befreit mit dem übrigen Deutschland. Da ließ Enno sich nicht mehr halten entfernt von der Heimath. Selten nur hatt' er vermocht und auf Schleichwegen der Liebsten 169 Briefe zu senden, sie waren auch stets nur kurz und erbaulich, Denn ein Seemann hat zu zärtlichen Worten die Zeit nicht, Auch ging schreiben ihm nicht von der Hand und ward es ihm schwerer, Als bei wüthendem Sturm ein Reff in das Segel zu stecken, Darin that er zu wissen, daß gottlob noch er gesund sei Und ein tüchtiger Mann, der nicht zu tief in das Glas guckt, Kann ein Heidengeld auf Helgoland sich verdienen, Mit Napoleon sei es nun bald vorüber. Er kehre Dann nach Hause zurück und machten sie fröhliche Hochzeit. Das von Napoleon stand in jeglichem Briefchen an Gela, Hatt' er es einmal vergessen, so schrieb er gewiß an den Rand noch: »Mit Napoleon ist's bald aus; dann machen wir Hochzeit.« Doch jetzt traf ein Schreiben von ungewöhnlicher Länge Ein mit der wieder geordneten Post und lautete also: »Hurrah!« schrieb er darüber, dann hieß es: »Geliebteste Gela! Hab' ich nicht stets es gesagt? Napoleon ging nun zu Grunde. Merke Dir: Leipziger Schlacht und achtzehnhundert und dreizehn. Diese gesegnete Jahrszahl soll an dem stattlichen Hause, Das wir jetzt uns erbau'n, zu frohem Gedächtnisse stehen. 's wird auch das schönste im Dorf mit Platz für ein Dutzend von Kindern. Gela'chen, denn wir haben es ja, wir können's uns zähmen. Gott hat sichtbarlich mein braves Gewerbe gesegnet, Du kannst täglich mich jetzt schon erwarten. Bereite Dich vor, denn, Gela'chen, denke daran, mein Leibgericht mir zu kochen: Milchreis, weißt Du, bestreut mit dickem Caneel und mit Zucker, Ein Rippspeerchen dazu und spare daran nicht die Pflaumen. Dein Dich mehr als Reis und Rippspeer liebender Enno.« 170 Gela lachte dazu, doch ging sie sogleich zu dem Kaufmann, Um sich den Reis und die Pflaumen bei Zeiten zu kaufen im Vorrath. Aber es kam nicht so rasch, wie der eifrige Enno sich dachte, Und fast schien es, als sei nicht umzubringen der Kaiser, Denn trotz Moskau und trotz der Beresina, trotz auch der großen Völkerschlacht trat stolz er auf als Gebieter Europas. Und so herrschte er an die erbebenden Boten des Reiches: »Was ist der Thron? Nur ein Stück Holz mit Sammet bezogen. Darauf kommt es nur an, wer es ist, der sitzt auf dem Throne. Mehr als ich Frankreichs, hat Frankreich meiner von nöthen!« Enno dacht' an nichts, als zurückzukehren zur Heimath, Dort ein Haus zu erbau'n und endlich zu feiern die Hochzeit. Und um die Prahlereien Napoleon's scheert' er sich gar nicht. »Wind! Französischer Wind!« so sagte nur Enno und ließ sich Stören nicht in dem Entschlusse, nunmehr nach Hause zu gehen. Ehe Paris noch gefallen und eh' der Kaiser entthront war, Eh' er den Adler umarmt in Fontainebleau vor der Garde, Und dann schimpflich beinah war abgeführet nach Elba, Machte Enno sich auf und fuhr mit dem treuen Gefährten Fröhlich zurück in die wiedergewonnene Heimath. Er hatte All sein Hab und Gut veräußert, mit Schaden veräußert, Denn sein feuriger Geist verlangte nach nichts als nach Hause. Reichlich versehen mit Geld und dem köstlichsten englischen Hausrath, Warf er den Anker vor Spiekeroog, der geliebtesten Insel. »Sperret die Augen nur auf!« so rief er den Leuten des Dorfes Schon vom Wagen, der ihn vom Schiff abholte, entgegen. »Ja, ich bins! Ihr sehet in uns drei alte Bekannte: Mich und Klaus und auch da, den alten französischen Kutter.« 171 Doch da er Gela sah, mehr laufend als gehend, sich nahen, Sprang er vom Wagen und fing sie auf mit stürmischem Jubel. Und wie eifrig er war in jedem Beginnen, so wollt' er Bauen sogleich, um mit Gela zu wohnen am eigenen Herde. Ließ ausschachten die Erde zu einem geräumigen Keller, Rastlos trieb er den Maurer und Zimmermann zu dem Werk an, Und im Frühjahr schon war fertig das Haus, und im Giebel Prangte die Jahrszahl schon von Achtzehnhundert und dreizehn. Und schon waren die Hochzeitsgäste zum Schmause geladen, Als Napoleon doch ihm Späne machte noch einmal, Denn er kehrte zurück von Elba, es mußten die Völker, Angetreten bereits zum fröhlichen Marsch in die Heimath, Ziehen aufs neue ins Feld. Ostfriesland, unter die Herrschaft Preußens zurückgekehrt, erhob sich begeistert und strömte Unter die Fahnen, die alten; und Enno, welcher sich rühmte, Daß er schon lange gekämpft mit Napoleon, durfte nicht fehlen. Ja, nun zog er in wirklichen Krieg, und er hatte das Glück auch, Daß er bei Waterloo focht, und der mächtige Kaiser von Frankreich Mußte vom Schlachtfeld sprengen und fliehn vor dem tapferen Enno. Diesmal war es nun wirklich vorbei, und Frieden und Ruhe Lächelten sonnig ins Land nach so viel Kriegen und Stürmen. Als er, geschmückt mit dem eisernen Kreuz, nach Hause zurückkam, Feiert' er endlich die lange verschobene fröhliche Hochzeit. Darauf bezog er sein stattliches Haus und die Gattin umarmend, Sagt' er so zu ihr im Ueberschwange des Glückes: »Sind wir beide von Gott nicht gesegnet, geliebteste Gela? Siehe, Napoleon wandelt auf einsamer Insel des Weltmeers, 172 Ein unglücklicher Mann, der verlassen von Weib und von Kind ist. Und er bewohnet ein Haus, kaum besser als unseres, Gela. Denket er an sein Leben zurück, so muß ihm zu Muth sein, Als sei Alles ein Traum nur von Ruhm und Größe gewesen. Denn er kannte nicht Maaß noch Ziel, und ich sagte Dir immer, Daß ein Reich, das nicht auf Gerechtigkeit ruhet, vergehn muß. Hab' ich's nicht stets prophezeit?« »Ja,« sprach die verständige Gela, Welche mit neckendem Wort gern dämpfte den stürmischen Enno. »Ja, Du hast so lang prophezeit, bis endlich es wahr ward. Wenn Du aber nicht selbst zu den Waffen gegriffen und redlich Hättest das Deine gethan, um wahr zu machen die schöne Prophezeiung – es wäre vielleicht ganz anders gekommen!« |