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Ja, wem das Glück wohl will, dem kalbet der Ochse! so sagt man. Solch ein Günstling des Glücks war Hinnerk Janssen, der Fischer Im Neuharlinger Siel. Einst fuhr er mit andren Schaluppen Aus auf den Schellfischfang. Sie hielten sich nah an der Küste, Obgleich dort es dem Fisch nicht anzubeißen beliebte. Hinnerk sprach unmuthig zuletzt zu seinen Genossen: »Wer nicht wagt, nicht gewinnt!« und fuhr hinaus auf die Hochsee. Und dort wimmelt es also von Fischen, daß man mit Eimern Wohl sie schöpfen gekonnt aus dem Meer, und die Angel verschmähend, Warf er das Fangnetz aus, und es riß von der Menge der Fische. Aber das Wetter war heiß, und eh' man nach Bremen und Hamburg Konnte versenden den Fisch, war unterwegs er verdorben. »Hinnerk, Dir bleibt nichts übrig, als daß Du die Fische zum Düngen Ausverkaufst.« »Oho,« sprach Hinnerk, »das wollen wir sehen!« Und so fuhr er nach Norderney, wo, gelockt von der Wärme, 94 Zahlreich, früher als sonst, schon die badenden Gäste erschienen. Also hatt' er die Ladung verkauft in wenigen Stunden Und ein Geld gelöst, daß das Herz ihm lachte im Leibe. Darauf ging er vergnüglich am Strand und sagte im Stillen: Einer rieth mir, ich sollte die Fische zum Düngen verkaufen, Und ein Anderer rieth, sie wieder ins Meer zu werfen. Zeig' ich im Siele das Geld (und er ließ in der Tasche es klimpern), Reden sie wieder gewiß von Hinnerks rasendem Glücke, »Aber das Glück ist da« – für Jeden, man muß es nur greifen. Wollt' er noch sagen, doch endete nicht den Gedanken. Er hörte Plötzlich Geschrei in der Ferne und Rufen. »Was mag das bedeuten?« Doch er erspähte sofort mit dem scharfen Gesichte die Lage. 's war ein badender Knabe zu weit ins Wasser gegangen Und von der Strömung erfaßt. Denn es läuft ein Strom um die Insel, Immer am Ufer entlang und mündet zuletzt in die See aus. Wenn man geräth in den Strom, so bedarf es gewaltiger Kräfte Und Anstrengung, um wieder zurück zu gelangen ans Ufer, Und schon führte der reißende Strom ins Weite den Knaben. Rathlos liefen die Wärter und Diener am Strand durcheinander. War doch das Rettungsboot nicht zur Stelle, und ehe das flott ward Und herausgerudert, war lange der Knabe verloren. Hinnerk hatte sofort sich des Wamms und der Stiefel entledigt, Und so lief und sprang er hinein in das glitzernde Wasser. Schon war das Schreien des Knaben verstummt, und er stöhnte nur matt noch: »Helft mir! Ich kann nicht mehr.« Da rief ihm Hinnerk von fern zu: 95 »Tritt doch Wasser, mein Sohn!« D'ran hatte der schwimmende Knabe Gar nicht gedacht in der Angst. So kam denn Hinnerk ihm näher, Bis er den Knaben erreicht' und mit mächtigem Schlage die Strömung Tapfer durchbrach. Bald hatten sie Grund: »So! Kannst Du noch gehen?« »O, ja wohl!« sprach fröhlichen Muths der gerettete Knabe. Als sie zum Karren gelangt, rieth Hinnerk ihm: »Reibe Dich tüchtig, Mach' auch nicht viel Wesens davon, sonst ängst'gen die Eltern Sich nachträglich um Dich.« Doch unermeßlicher Jubel Scholl vom Strand, als Hinnerk erschien mit dem prächtigen Knaben. Nämlich es war ein Prinz und des Königes einziger Sprößling, Ein merkwürdiges Glück! so mußt' er nun selbst sich gestehen, Da er gefeiert sich sah als Lebensretter des Prinzen. Und schon kam ein Hoflakai zu Hinnerk gelaufen: Allergnädigst der König begehre sofort ihn zu sehen, Um für die Rettung des Prinzen gerührtesten Dank ihm zu sagen. Hinnerk erwog sich den Fall und sagte nach kurzem Bedenken: »Nein, das geht nicht an, ich kann zum König nicht kommen, Denn ich kann doch vor ihm nicht erscheinen mit triefenden Kleidern Und Klumpstiefeln.« »Ihr könnt ja wechseln die Kleider.« »Unmöglich, Lieber, ich hab' hier nichts, als was ich trag' auf dem Leibe, Denn mein Gottstischrock liegt drüben im Harlinger Siele. Also entschuldiget mich, Herr Hofrath!« Wegen der schönen Rothen und goldnen Livree hielt Hinnerk Johann für ein großes Thier bei Hof. Der Lakai kam eilig schon wieder gelaufen. 96 Hinnerk solle nur kommen so, wie er gehe und stehe. Hinnerk scheute gar sehr, an den Hof zu gehen. »Ich weiß ja, Daß bei Hofe ich bin wie ein Fisch auf trockenem Sande Und mich tüchtig blamire.« »Doch da es der König befohlen, Müßt Ihr gehorchen. Und seid kein Narr! Der König wird huldreich Euch belohnen mit Gold.« »Wie wär' es – ich mache den Vorschlag – Wenn ich bleiben darf, wo ich bin, und mir schickte der König Einen Luggedor in Papier gewickelt.« »Das ist doch,« Sagte der Hoflakai, »für unseren König zu wenig.« »Nun, meintwegen auch zwei.« »Macht doch nicht Fisimatenten! Lasset die Majestät nicht warten!« Er mußte sich fügen. »Das wird all mein Tag' nicht gut gehn!« sprach er mit Seufzen. Und so ging er zu Hof wie ein armer Sünder zum Galgen. »Sagt, vor dem Könige muß man sich bücken?« so fragt' er beklommen Seinen Begleiter. »Natürlich. So tief zur Erde wie möglich,« Spricht der Lakai und öffnet die Thür und läßt ihn hineingehn, Wo schon wartet der König, der glückliche, dankbare Vater. Hinnerk, als er betrat den getäfelten Boden, der glatt war Ganz wie des Winters 'ne Glitsche, er stand unsicher auf seinen Plumpen Stiefeln und wäre beinahe von selber gefallen. Aber sobald er versuchte, sich möglichst tief zu verneigen, Schlug er der Länge nach hin, und mühsam sich wieder erhebend, Dacht' er im Stillen bei sich: »Wär' ich nur lebendig von hier fort!« »Hab' ich es Euch nicht gesagt, so wandt' er sich um zum Lakaien, Daß am Hof ich pass' wie die Sau im Hause des Juden? Nein, Ihr könnet mit mir nicht Ehr' einlegen bei Hofe.« 97 Hinnerk wurde getröstet vom König mit freundlichen Worten: »Lieber, beruhiget Euch! Die gewandtesten Herren und Damen Gleiten beim Hofball aus und liegen zusammen am Boden; Für sie selbst ein Verdruß, doch die Anderen lächeln darüber. Hinnerk, Du hast um mich, um das Welfenhaus und das Reich selbst, – Denn ein Mittelreich, so darf man Hannover wohl nennen – Ein unsterbliches Lob Dir verdient.« »Herr König,« versetzte Hinnerk bescheiden darauf, »Ihr macht zu viel aus der Sache. Denn ich wußte ja nicht, noch ahnt' ich, der stattliche Junge Sei ein Prinz und Erbe des Thrones. Ich hätte dasselbe Einem Schusterjungen gethan. Es verstand sich von selber. Was mich aber verdrießt und jeden vernünftigen Menschen, Ist, daß das Boot zur Stelle nicht war. Ihr kleidet und nähret Eure Bedienten so gut, sie lungern herum wie die Herren, Diese Müßiggänger und Tagediebe, und wollen Nicht einmal die Schuldigkeit thun? Das ist doch abscheulich! Majestät, Ihr solltet dazwischen fahren, so dünkt mich.« »Soll auch künftig geschehen,« entgegnete gütig der König; »Doch heut' bin ich zu froh und zu dankbar, Jemand zu strafen, Heut' will nur ich belohnen, Dich, Hinnerk Janssen, am meisten. Du sollst treten in Dienst beim Könige, wackerer Fischer. Niemand soll als Du beim Baden den Prinzen bedienen.« Hinnerk war nicht entzückt und kratzte sich hinter den Ohren. »Badewärter? Das wird doch nicht gehen. Ich hab' 'ne Schaluppe, Was soll werden damit?« »Die kannst Du so lange vermiethen. Sind acht Wochen ja nur, so lange der Hof auf der Insel Weilt zur Badezeit. Was ist das aber? Das Wasser Steht ja rings um Dich her. Dir triefen noch immer die Kleider. 98 Geh und wechsle sie gleich. Du könntest ja sonst Dich erkälten.« Hinnerk lachte. »Das sind wir gewohnt, wir Fischer. Wir werden Sechsmal naß und trocken des Tags. Das achten wir gar nicht; Doch, Herr König, Ihr seid Landratte und könnt das nicht wissen.« »Wenigstens stärke Dich dann durch Trank und Speise. Du sollst heut' Schlechter nicht essen als ich.« So ward denn Hinnerk zu einem Sauberen Tische geführt und bedient, wie der König befohlen. Hinnerk mundete herrlich die Schildkrötsuppe. Er hatte Schon drei Teller geleert und forderte noch sich den vierten, Als ihm die Diener bemerkten: »Es giebt, Herr Janssen, noch mehr heut'.« Hinnerk ergötzt' es gar sehr, daß die aufgeblas'nen Lakaien, Die er Müßiggänger und Tagediebe gescholten, Ihn als des Königes Gast als Herrn nun mußten behandeln. Neben ihn ward ein Stoß von Tellern gestellt; doch er sagte: »Hört, was sollen denn alle die Teller?« Ihm wurde die Antwort: »Nun, für jedes Gericht, und es giebt sehr viele Gerichte, Muß man serviren ja doch auf einem besonderen Teller.« »Nein, ich bin daran nicht gewöhnt,« entgegnete Hinnerk, »Ich muß Alles verzehren auf ein' und demselbigen Teller, Sintemal selbiges Essen gelangt in den nämlichen Magen.« Nun, sie mußten sich richten nach seinem Befehle. Er aß denn Tapfer drauf los, so viel er nur mochte. Beim dritten Gerichte Stöhnt' er bereits und sprach mit Seufzen: »Da sagen die Menschen: Besser, es platze der Magen, als daß man verderben die Kost läßt, Aber ich kann nicht mehr.« Herr Janssen erhob sich, die Tafel Aufzuheben; doch sprach ein Lakai: »Hier ist noch 'ne Schüssel, 99 Welche der König befahl, zum Schluß Euch anzuempfehlen.« »Und was ist's?« »Das wissen wir nicht. Ein verdecktes Gerichtchen.« Als nun Hinnerk das Tuch wegnimmt, was liegt in der Schüssel? Eine Rolle mit Gold, wohl hundert Pistolen. »Der Tausend!« Ruft mein Hinnerk erstaunt. »Das soll ich haben, für jene Paar Minuten? Wenn so mit Geld umgehet der König, Greift er gar bald auf die Naht!« Die Lakaien platzten vor Lachen. »Freilich, es herrscht bei Hof sehr große Verschwendung, das weiß ich. Will nicht brennen das Feuer, so nimmt von der herrlichsten Butter Herr Hofkoch sich ein Pfund und schmeißt es hinein in die Flammen. Hätt' ich zu sagen allhier, ich wollt' Euch anders kuranzen!« Hinnerk Janssen, er stand nunmehr im Dienste des Königs. Stets, wenn der Prinz sich badete, fuhr er hinaus mit dem Kahne Kaum zehn Schritte davon; denn es könne ja wollen das Unglück, Daß ein Krampf im Beine befalle den Prinzen. Der Vater Konnte nunmehr sich völlig beruhigen über den Liebling, Treulich gehütet von Hinnerk, der hoch in des Königs Gunst stand. Dieser ergötzte sich sehr an Hinnerk's Geplauder, das harmlos Immer erschien, doch hatt' er den Schalk im Nacken. Er flocht oft Mutterwitz und Erfahrung hinein, und es sagte der König: »Wenn ich Andere frage, so weiß ich schon meistens die Antwort; Wenn ich mit Hinnerk spreche, so kann ich nicht wissen im voraus, 100 Was er für drolliges Zeug vorbringt. Er geniret sich gar nicht, Nimmt kein Blatt vor den Mund und lieset mir oft die Leviten.« Immer am Tag, wo Hinnerk das Leben des Prinzen gerettet, Ward er geladen ins Schloß und ließ es vortrefflich sich schmecken. Aber beharrlich verschmäht' er am Tische des Königs die Fische, Denn sie mochten ihm wohl zu gemein und gewöhnlich bedünken. So saß Hinnerk im Schoße des Glücks. Bei guter Besoldung Legte er jährlich zurück, und sauberer wurde sein Häuschen Im Neuharlinger Siel. Auch hatt' er von Neid und von Mißgunst, Da hochmüthiges Wesen ihm fern lag, wenig zu leiden. Als nun erwachsen der Prinz, so beschäftigte Hinnerk sich wieder Nur mit Fischen allein, und als ihm seine Schaluppe Alt geworden und leck, so ließ sein gnädiger König Ihm in Emden erbauen ein hübsches und größeres Fahrzeug. Hinnerk war nicht ein Mann, der stets nur thut wie die Andern Und ausfährt zur gewöhnlichen Zeit, am gewöhnlichen Orte, Und dann wartet darauf, daß sich einstelle der Häring, Sondern er sah sich um nach den Gründen, wo stehen die Fische. Wenn auf dem Meer nichts war zu fangen, so stellt' er die Netze Auf im Watt und macht' auch dort sehr glückliche Fänge. Einmal gewann er im Watt solch' eine unglaubliche Beute, Daß sein mitgenommener Korb nicht faßte die Schollen, Und was that er? Er streifte die Oberhosen vom Beine, Nähte sie unterhalb zu und füllte sie an mit den Fischen, Und so trug er sie heim auf der Schulter, als schleppte er eine Halbe Leiche vom Strande nach Haus, und es lachten die Leute. Hinnerk Janssen weiß sich immer zu helfen! so sprach man. Ließ kein Fisch sich fangen, verschmäht' er auch nicht die Garneelen. 101 Immer sprach man von Hinnerk's Glück, doch erwähnte man selten Seine Betriebsamkeit und sein umsichtiges Wesen; Aber es wechselt das Glück und blieb ihm nicht treu bis zum Ende. Gleich nachdem er erhalten die prächtige, neue Schaluppe, Schon auf der dritten Fahrt, vor den Augen des Harlinger Sieles, Gleich vornan in der Harl ist Hinnerk zu Grunde gegangen, Denn ein dunkeler Schwalk zog bald sich am Himmel zusammen, Und schon grollte der Donner und zuckten die Blitze. Noch eh' er Hatte die Segel gerefft, kam eine gewaltige Böe, Und im Nu war gekentert das Schiff. Ein trefflicher Schwimmer, Hätt' er gerettet sich wohl, doch sah man, wie seine Genossen, Mann und Junge, an ihn sich klammerten, und in die Tiefe Zogen sie Hinnerk herab. So verlor er das Schiff und das Leben. Weder das Glück noch die Klugheit vermag uns Menschen zu schützen, Ueber uns waltet zuletzt unsträflich ein göttlicher Wille. |