Heinrich Kruse
Seegeschichten. Neue Folge
Heinrich Kruse

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Ein Stück Holz.

              Einmal stand ich im Hafen von Hamburg. Riesige Schiffe
Lagen in drei Reih'n da und bildeten Straßen im Wasser.
Das sind die Schiffe bestimmt die Europamüden zur neuen
Welt zu befördern, der bessern Welt nach dem Glauben der Menge,
Welche die Heimat verläßt, an Amerikas fernen Gestaden
Sich ein erträgliches Loos und Glück und Freiheit zu suchen.
O mühselige Menschen, auch drüben erwartet Euch, glaubt mir,
Müh' und Arbeit genug, und ließt Ihr im Lande der Väter
Euch so sauer es werden, wie drüben Ihr müßt in der Fremde,
Fändet Ihr auch wohl hier, was Ihr sucht. Auswandernde Schaaren
Zogen an mir vorbei, um sich einzuschiffen in Booten.
Einige schritten mit Schweigen fürbaß und in jeglicher Mundart
Schwatzten die Anderen laut, wie in Deutschlands weiten Gebieten
Wird von dem Volke gesprochen, das glücklich nun wieder vereint ist.
Einige hatten sich schwer mit vielem Gepäcke beladen,
Und sie keuchten beinah von den Kisten gedrückt und den Kasten.
Andere trugen ihr Hab und Gut, das sie übrig behalten
Leicht im Bündel davon. Ich dachte bei mir so im Stillen: 119
Was Euch ferner bevorstehn mag, das kann ich nicht wissen,
Aber ich weiß, was zunächst Euch bevorsteht, arme Gesellen!
Im Auswandererschiffe besah ich mir gestern die Räume,
Und ich schaudere noch vor dem Zwischendecke. Zusammen
Sind dort die Menschen gepfercht, daß beklommen mir ward schon vom Ansehn.
Siehe, da kam ein Trupp langhaariger, lustiger Burschen
Wie Drahtbinder zu sehn und Mausfallmänner. Sie waren
Schwarz von Augen und Haar und sprachen ein Schwalbengezwitscher,
Welches wohl Deutsch sein sollte, man konnte zur Noth sie verstehen.
Einer, ein langer und hagerer Mensch, treuherzigen Aussehns,
Ging ganz schweigend daher und schien gleichgültig und traurig.
Dieser war nicht mit Bündel und Packen beladen, er trug nur
Ein Stück Holz auf dem Arm, ganz glatt, das am Ende verkohlt war.
»Was hat das zu bedeuten?« so fragt' ich mich voller Verwundrung.
Holz wächst auch in Amerika ja, und mehr als bei uns noch.
Unwillkürlich schritt ich entlang mit dem Zuge und fragte
Endlich den langen Gesellen: »Was wollt Ihr, Mann, mit dem Holze?«
Aber er wich mir aus, nicht bloß mit Worten, er ging auch
Etwas murmelnd davon auf die andere Seite des Zuges,
Mir neugierigem Menschen mit meinem Gefrag zu entgehen.
»Hätte der Herr wohl ein Cigarrchen?«, so fragte der Mann mich,
Der als nächster Genoß an der Seite des Schweigers gegangen.
Und ich merkte sogleich, daß er Auskunft geben mir wollte
Gegen ein kleines Geschenk. Ich reicht' ihm sofort das Verlangte,
Zwei Cigarren; er nickte mir Dank und begann zu erzählen. 120
»Slibonitz Joseph war ein Landmann unseres Dorfes,
Das an der Donau, die man blau zu nennen gewohnt ist,
Doch ist öfter sie grün und am häufigsten sieht man sie graugelb,
Slibonitz hatte ein freundliches Haus, sehr sauber gehalten,
Garten und Acker und Wiesen, auch einen ergiebigen Weinberg,
Doch sein köstlichster Schatz war sein blühendes Weib und ein junger,
Schöner und feuriger Knabe, die Lust und die Wonne der Eltern.
Glück und Glas, wie leicht bricht das! Er hat es erfahren.
Plötzlich kam in dem Dorf die entsetzliche Krankheit zum Ausbruch,
Häutige Bräune genannt und wüthete unter den Kindern
Grausam wie Herodes in Bethlehem. Franzerl, der Liebling
Kam aus der Schule zurück mit Schmerzen im Halse, so klagt' er,
Und ihm wären die Glieder gerad wie zerschlagen. Die Eltern
Wachten in schrecklicher Angst drei Nächte am Bette des Sohnes,
Weinten und beteten viel und liefen beständig zum Arzte:
Doch umsonst war die menschliche Kunst. Am Morgen des vierten
Tags, als der Osten sich röthete, lag leblos auf dem Lager
Weiß, wie die eben gefallene Blüthe, der liebliche Knabe.
Herzzerreißend vernahm man den Jammer des trostlosen Vaters.
Und er lief in den Wald um auszuschreien sein Elend.
Aber die Mutter indeß saß neben dem Söhnchen zu Hause,
Konnte nur weinen und weinte, bis blind ihr wurden die Augen,
Und ihr wohnte im Herzen nur stiller, verzweifelter Jammer. 121
So ging nun eine Weile dahin, die so fleißige Mutter
Kümmerte fast sich um nichts und vergaß das Essen zu kochen.
Als nun der Mann einmal ins Feld zur Arbeit gegangen,
Brach bei dem Weibe der Wahnsinn aus. Sie kreischte und tobte.
Und sie nahm ein großes Gefäß, das gefüllt war mit Steinöl;
Goß auf den Boden es aus, dann ging sie um Feuer zu legen,
Und sie steckte das Haus in Brand an verschiedenen Stellen.
Darauf lief sie zur Küche hinein, die sie hinter sich zuschloß,
Und sie nahm aus dem Schrank ein Messer, das größte von allen,
Mit dem für das Gesinde sie Brod zu schneiden gewohnt war.
Damit hackte sie los auf das Handgelenk des linken
Arms mit solcher Gewalt, daß das Blut sofort wie ein Springquell
Schoß aus dem Pulse hervor; doch sie, nicht achtend der Schmerzen,
Fuhr fort sich zu zerfleischen den Arm mit rasendem Eifer,
Daß in Strömen das Blut auf die Fliesen der Küche herabfloß.
Endlich ermattete sie; sie stand nicht fest mehr und glitschte
Aus in der Lache von Blut und sank entkräftet zu Boden.
Indeß schlug aus dem Hause die Flamme hervor und die Nachbarn
Eilten zur Hilfe herbei und wollten zu löschen versuchen.
Aber es brannte, genährt vom Oele, das Haus schon an allen
Ecken und Enden. Da kam von dem Felde der Vater gelaufen,
Fragte nur nach dem geliebtesten Weib. Man wies in die Küche,
Wo er die Frau nur noch kaum im Rauch zu erkennen vermochte.
Rasch entschlossen zerschlägt er das Fenster und dringt in das Innre, 122
Wo aus dem Qualm und den Flammen sein Weib ihm glückte, zu retten,
Ehe die Kleider noch Feuer gefangen. Er trägt sie in's Freie,
Aber er hält im Arm nur eine verblutete Leiche.
Helle Verzweiflung ergriff ihn. Als aus dem benachbarten Städtchen
Eben die Feuerwehr kam angerasselt, so rief er:
›Halt! Hier wird nicht gelöscht. Ich bin der Besitzer des Hauses.
Das unselige Haus soll ganz abbrennen. Ich will es.‹
Und man mußt' ihm gehorchen. So sank denn die freundliche Wohnung,
Die so glückliche Tage gesehen, in Schutt nun und Asche.
Wohl acht Tage vergingen, eh' Joseph wieder zurückkam
Zur Brandstätte, wo kaum ein Mauerrestchen noch aufstand.
Was noch etwa vom Feuer verschont, ein kupferner Kessel,
Oder was sonst, war fort inzwischen von Andern getragen,
Da der Besitzer sich nicht um das Eigenthum schien zu bekümmern.
Ein Stück Holz aus dem Pfosten der Thür fiel ihm in das Auge,
Ganz glatt, nur am Ende verkohlt, und er mußte dran denken,
Wie oft wohl sein Blick und der Blick von dem Kind und der Mutter
Hatt' auf dem Holze geruht. Er nahm in die Hand es mit Wehmuth.
Und er strich mit der Rechten daran liebkosend beinahe.
Und dann trug er das Holz in das Wirthshaus, wo er nun wohnte.
Als wir Anderen jetzt nach Amerika wollten im Frühjahr,
Litt es ihn auch nicht mehr im Dorf. Er verkaufte das Grundstück, 123
Wiesen und Äcker und auch den günstig gelegenen Weinberg,
Steckt in die Taschen den ganzen Erlös in guten Papieren
Und nahm kaum etwas mit, als das Holz das er trug auf dem Arme.
Wenn wir ihn fragten: Wozu? so sagt' er, er wollt' es verbauen
In Amerika drüben ins Farmhaus. Daß er so glücklich
Einst an der Donau gelebt, das würd' als Traum ihn bedünken,
Aber das Stücklein Holz, das bezeugt ihm die vorigen Tage.
Doch mit Fremden zu sprechen davon, das kann ihm nicht passen.
Nun, was sagt Ihr zu meiner Erzählung?« »Sie ist mir zu traurig,
Aber den Mann und sein seltsames Gebahren vermöcht' ich
Nicht zu schelten, obgleich höchst widersprechend es aussieht.
Anfangs will er das Haus von der Erde vertilgen, dann schleppt er
Ein Stück Holz aus dem Hause davon, als theure Reliquie.
Doch wer ergründet das menschliche Herz? Ein trotziges Ding ist's.
Und dann wieder verzagt und im Wechsel der Stunden sich ändernd.
Laßt drum Jeden gewähren. Er muß am besten doch wissen,
Was ihm beruhigt das Herz und was zum Frieden ihm dienet.«

 


 


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