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Wenn sich die Ebbe verläuft, so ragt aus den Watten ein Hügel Nahe dem Ufer hervor, der höher vordem und ein Werft war; Darauf stand ein Haus, wie eine zerbröckelte Mauer Heute noch zeigt, nicht groß, doch wohnlich, geräumig genug auch, Um ein Sitz zu sein für zufriedene glückliche Menschen. Claus Harms hieß der Besitzer; die Frau war leider gestorben, Aber sie hatt' ihr Jüngstes, ein Töchterchen, trefflich erzogen, Daß, zwölf Jahr alt kaum, sie das Haus zu beschicken vermochte, Und für den Vater und für drei ältere Brüder zu sorgen. Ein paar Diemath Land war auch zu dem Hause gehörig, Aber es war nicht genug, sie Alle zusammen zu nähren. Claus Harms fuhr auf der See als Steurmann, und es gerieth ihm, Daß ihm als Capitain ein Walfischjäger vertraut ward, Welcher für Holland fuhr, ein plumpes, doch tüchtiges Fahrzeug. Hart und rauh ist die Arbeit im Norden und riecht nicht nach Ambra, Aber ein muthiger Mann kann dort sein Glück sich erjagen. Claus Harms sprach zum Rheder: »Ich will nicht fahren nach Grönland, 106 Dort sind selten geworden die Wale, ich segle nach Westen Durch die Barrowstraße nach neu entdeckten Gewässern, Denn dort schwimmet der Wal uns noch heerdenweise entgegen.« Und so geschah es denn auch. Claus kam mit reichlichem Fange Glücklich zurück und brachte am Ende des Jahres zur Hallig Ein paar Rollen zurück holländischer, blanker Ducaten, Nebst zehn Fäßchen mit Thran. »Ei,« sagte mit Lachen die Tochter, »Das heißt, Väterchen, ja auf Lebenszeit sich versorgen.« Doch Claus sprach: »Bei uns sind lang und dunkel die Nächte, Da ist Hausvorrath von Thran gar nicht zu verachten. Sieh, und das Fett von dem Thier, auf das ich selbst die Harpune Habe geworfen mit Glück, das scheint mir heller zu leuchten.« Ebenso fuhr er mit Glück im anderen Jahr in das Eismeer. Auch zwei tüchtige Söhne verdienten zur See sich 'nen Stüver Geld; der ältste ein voller Matrose, der jüngste ein leichter, Und sie kehrten zurück, am Ende des Jahres ein frohes Weihnachtsfest auf der Hallig mit ihren Geschwistern zu feiern. Und sie brachten der Schwester gar seltene Dinge nach Hause, Bald chinesische Tassen und bald Corallen der Südsee, Und Kehrbesen, aus Federn von indischen Vögeln gefertigt. Damit wurde geschmückt dann das beste Zimmer, der Pesel. Auch mit Sprüchen geziert war das Haus; so stand an der Thüre: »Wenn Du die Thüre betrachtest, so denk' an die Thüre des Himmels, Denn zu Gott führt nur sein Wort, durch Jesus verkündet.« Müssen die armen Bewohner der Halligen Manches entbehren, 107 Haben sie doch auf der einsamen Insel das Eine, was Noth thut. Da mit Glück auch fuhren die rüstigen Söhne des Schiffers, Kehrte der Wohlstand ein in das Haus und stilles Behagen. Und so saßen sie froh um die dampfende Bowle vereinigt In der Sylvesternacht, anstoßend auf glückliches Neujahr. Glück und Glas, wie leicht bricht das! In dem Jahre, dem dritten, Wo Claus fuhr als Schiffer, erreicht' ihn die schreckliche Kunde, Daß auf den Godwin Sands die Bremische Barke »Neptunus« Aufgelaufen im Sturm und gesunken mit Mann und mit Maus sei. Röben und Ulrich waren darauf, die ältesten Söhne. Gut war durch den Canal trotz Nebel und Sturm es gekommen, Als das Schiff in stürmischer Nacht die Feuer verwechselt, Deren so viele es giebt an jener gefährlichen Küste. Claus Harms jammerte nicht, doch wurde er stiller als früher, Und saß stumm und starr oft da, in Gedanken verloren, Und ihm war zu Muth, so sagte er selber, als hätte Jemand ihm mit der Axt vor den Kopf ganz plötzlich geschlagen. Einmal fuhr er noch aus nach dem Norden, doch kehrt' er nicht wieder, Denn sein Schiff, so stark es gebaut, ward doch von des Eises Schwimmenden Bergen erdrückt. Zwar die Mannschaft rettete noch sich, Nur Claus Harms kam nicht davon mit dem Leben. Die Mannschaft Sagte, daß ihr Kapitän gleichgültig für Alles gewesen, Und so hätt' er sich nicht zur Rettung die Mühe gegeben. 108 Nun saß Ayme allein auf der Hallig mit Edda, der Schwester, Und sie sprachen noch täglich vom Vater und auch von den frischen, Lebenslustigen Brüdern und konnten sich an den Gedanken, Nie sie wiederzusehn, in langer Zeit nicht gewöhnen. Ayme und Edda lebten einträchtiglich nun mit einander. Während im Hause sie schaffet, besorgt ihr Bruder die Wiese, Mähet das Gras und wendet das Heu und bringet es trocken Unter dem Dach auf den Boden vom hochbeladenen Wagen; Hält in Ordnung den Stall mit den drei buntfleckigen Kühen, Die von Edda gemolken, das Beste thun in der Wirthschaft; Wäscht und scheeret die Schafe, und Edda spinnet die Wolle: Also wirket zusammen die fleißige Hand der Geschwister. Ein Tag ging wie der andere hin; doch den Wechsel der Dinge Müssen die Menschen erfahren auch auf der einsamsten Insel. Niedrig lag und nahe dem Ufer das Land der Geschwister. Und in jeglichem Jahr nahm ab es am Rande der Wiese, Nur um ein Wagengeleise, doch geht unaufhaltsam das Eiland Langsam dem Ende entgegen, wenn nicht vorher es die Sturmfluth Plötzlich begräbt, daß nichts nachbleibt als schäumende Wogen. Einst nahm Ayme das Wort und sprach nach langem Besinnen: »Schwester, so geht es nicht mehr, wir müssen im Hause verhungern; Gar zu klein ist die Wiese geworden und nährt uns nicht länger. Eine der Kühe verkauften wir längst, wir behielten nur zwei noch, Heute hab' ich die Liese, die weiße, mit zierlichen braunen Flecken gezeichnete Kuh, nach Husum gebracht auf den Viehmarkt.« Edda entgegnete nichts und trocknete nur sich die Augen. 109 »Ja, ich wußt' es ja wohl, daß nah es Dir gehe, drum bin ich Heimlich vor Thau und Tag zu Schiff mit dem Rinde gegangen. Da viel Futter gewachsen, verkauft man selten ein Rind nur Und hoch steht es im Preis. Ich bekam noch mehr als ich hoffte. Da nimm, Edda! So nimm doch das Geld und bewahr's in der Truhe Als Nothpfennig. Wer weiß –« Ihm fiel in die Rede die Schwester: »Hättest Du lieber doch mir es gesagt, was im Sinne Du hattest, Denn dann hätt' ich ihr noch ein zierliches Kränzchen gewunden Aus Strandnelken und Blumen, die zahlreich stehn auf der Wiese, Und es dem lieben Geschöpf in die Hörner geflochten zum Abschied.« Ayme versetzte darauf: »Auch Liese verließ uns so ungern. Als ich den Hals ihr geklopft noch einmal und dann von dem Markt ging, Muhte sie traurig mir nach. Ja, Scheiden, das ist nun die Losung. Hier ist nicht mehr Arbeit für mich, ich gehe fast müßig. Wenn ich ein wenig auch fisch' in den Wasserläufen und krebse, Ist's unsicheres Brod und reicht nicht aus für den Haushalt. Darum muß ich denn gehn, um anderswo zu verdienen.« »Anderswo?« fragte die Schwester bestürzt, »Du willst mich verlassen?« »Muß Dich verlassen, Du siehst es ja selbst.« »Wo willst Du denn hingehn?« 110 »Wer nicht Acker zu pflügen besitzt, muß furchen die Meere.« »Seemann willst Du werden?« »Jawohl, ich fuhr schon mit Vatern Zweimal aus auf die See und habe ja kräftige Glieder.« »Wenn es anders nicht ist, so hilft es nicht, weiß ich ja selber,« Sagte die Schwester bekümmert, doch sich zu fassen versuchend. »Und wann willst Du denn gehn?« »Heut' lieber als morgen,« versetzt' er, »Denn hier zehr' ich ja nur von der Schnur.« Doch ließ ihn so rasch nicht Edda ziehn in die Welt, sie mußte mit Kleidern und Wäsche Ihn noch versorgen vorher und die Seemannskiste ihm packen. Als er nun länger sich halten nicht ließ, so fragte die Schwester: »Wann, wann kommst Du zurück?« Er sagte, das könnt' er nicht wissen, Denn ein Schiff muß nehmen die Fracht, die grade sich bietet Nah und fern. »Ich komme vielleicht schon in wenigen Wochen Wieder zurück, doch, Edda, es kann auch Jahre noch dauern.« »Nein! o wie hielt ich das aus. Nein, Ayme, Du mußt mir versprechen, Einmal kehrst Du zurück in jeglichem Jahre wie Vater. Wenn ein Jahr um ist und Du bist nicht wieder gekommen, Werd' ich Dich jegliche Stunde erwarten bei Nacht und bei Tage. Abends stell' ich ans Fenster die Lampe und lasse sie brennen, Daß ihr Schein schon von ferne Dir zeigt, Dein warte die Schwester, Und willkommen Dich heiße, geliebtester Bruder.« So sagend 111 Streichelte sie ihm die Wange und streichelte immer von Neuem. Innerlich that es ihm wohl, doch er machte sich stark und er wehrte Ihre Zärtlichkeit ab, und gleich einem Scheltenden sprach er: »Tausende gehen zur See, so mache davon doch nicht Wesens.« Ohne Abschied war er am anderen Morgen verschwunden. Aber er ließ ihr sagen durch einen befreundeten Schiffer, Daß er verheuert sich habe in Altona gleich und er wäre Gut angekommen bei einem Captain, der mit Vatern bekannt war, Und sie brauche um ihn sich keinerlei Sorge zu machen. Edda ertrug, wie sie konnte, der Einsamkeit schleichende Stunden, Sonntags ging sie zur Kirche und hatt' ein Gespräch mit den Nachbarn, Die oft fragten: »Wie geht es dem Bruder?« Sie konnt' es nicht sagen. Aber den Werktag hielt sie das Haus noch saubrer als früher, Scheuerte, fegte und putzte, und wenn sie die einzige Kuh dann Hatt' und die wenigen Schafe besorgt, so nahm sie das Spinnrad, Und so spann sie so glatt und so gleich wie den Faden den Tag ab; Schärfte die Sense und mähte das wenige Gras auf der Wiese. Galt es zu werben das Heu, so holt' aus dem Haus sie ein Laken, Darin packt' sie das Heu, nicht bedurft' es mehr Wagen und Karren; Kurz, sie besorgte die Wirthschaft allein, das tapfere Mädchen. Abends setzte sie sich an das Spinnrad, und wenn der Nebel Sich auf das Meer gelegt und von fern es brauste und heulte, 112 Horchte sie bang auf den Sturm und die traurige Harfe der Meerfluth, Und es erklinget ihr Lied, als kämen die Töne vom Jenseits. Sinnend träumt sie ein Weilchen, dann schnurret von Neuem das Spinnrad. Als nun wieder erschienen der Tag, wo Ayme davonzog, Und sie die Hoffnung getäuscht, er trete hinein in die Stube Grade den Tag, so nahm sie am Abend die eiserne Lampe, Füllte sie auf und als sie sodann mit weißem und frischem Dochte die Dille versehn und entzündet ihn hatte, so stellte Sie vor das Fenster die Leuchte, um still zu brennen die Nacht durch. Wie man im Leuchtthurm stets, wenn es dunkelt, das Feuer entzündet, Daß es die Nacht durch brennt, so sah man an jeglichem Abend Auch sich erleuchten das Fenster im Hause der einsamen Schwester. Einmal nur blieb dunkel das Haus. Da sagten die Nachbarn: »Kehrte nun endlich ihr Bruder zurück, der so lang' schon ersehnte?« Und sie kamen schon früh am folgenden Morgen gegangen, Zu glückwünschen dem Paare der wiedervereinten Geschwister. Aber sie fanden die Schwester noch einsam sitzen am Spinnrad, Niedergesunkenen Haupts: ihr entglitten der Flachs und der Faden; Zwar noch ruhte ihr fleißiger Fuß auf dem Tritte des Spinnrads, Aber das Rad stand still und die Spindel bewegte sich nie mehr. Das sind menschliche Hoffnungen! Ach! Fast möchte man weinen. |