Heinrich Kruse
Seegeschichten. Zweite Sammlung
Heinrich Kruse

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Die Wallonen.

        Petrus trat zu dem Herrn, um Urlaub sich zu erbitten,
Da er erkältet sich hätte des Nachts. Noch starrte vom Rauhfrost
Ihm am Morgen der Bart, und er bat mit heiserer Stimme,
Daß ein anderer heute die Pforte des Himmels bewache.
»Ja,« so sagte der Herr, »wer soll statt Deiner den Dienst thun?
Denn kein Heiliger weiß wie Du mit jedem zu reden.«
»»Ist es nur das?«« sprach Petrus. »»Da haben wir Jürgen, den Ritter,
Der sich besser als ich auf sämtliche Sprachen verstehet.Die schon öfters behandelte Sage wird verschieden erzählt. Die Rolle, welche hier der heilige Georg spielt, wird anderweitig Karl dem Großen zuerteilt, der über viele Völker herrschte.
Englisch spricht er so gut, daß die Engel nicht besser es singen;
Denn wie sollt' er auch nicht? Da er Schutzpatron ist von England;
Aber er spricht auch zierlich französisch und spanisch und syrisch, 131
Schwatzte mit Heiden und Türken sogar, und daß ich es kurz mach',
Selber der heilige Geist weiß nicht mehr Sprachen zu reden.
Drum laßt Jürgen für mich heut' hüten die himmlische Pforte.««
»Hab' ich den ehrlichen Jürgen doch nie so gelehrig gehalten,«
Sagte der Herr; »so ruf' ihn denn her!« Und der wackere Streiter
Kam, wie immer, gerüstet mit völligem Panzer und Helmschmuck,
Aber zu Fuß, was sehr ihn verdroß; denn er hätte das weiße
Rößlein gar zu gern mit sich in den Himmel genommen.
»Petrus ist heute nicht wohl,« sprach Gott, »und er hat sich erkältet,
Darum sollst Du inzwischen den Dienst an der Pforte versehen;
Denn Du kennst ja die Sprachen und weißt mit jedem zu reden.«
Drauf antwortete Jürgen und sprach: »»Wohl hab' ich auf Erden,
Da ich den Lindwurm schlug und irrender Ritterschaft pflegte,
Allerhand Länder gesehn und die Sprachen der Völker begriffen.
Doch ist eine davon mir zu schwer; ich verstehe nicht Rotwelsch.««
»Rotwelsch?« sagte der Herr; »das kenn' ich ja gar nicht! Was ist das?
Welch eine Sprach' ist das? Die hab' ich ja gar nicht geschaffen.«
»»Freilich, die habt Ihr, Herr, nicht geschaffen, die haben die Menschen
Selbst sich zusammengebraut aus allen den anderen Sprachen.««
»Und wo spricht man sie denn?« »»Man spricht sie im Land der Wallonen;
Das sind rußige Kerle, nur Köhler und Schmiedegesellen, 132
Erzarbeiter und Leute, die Klingen fegen und Messer.
Drunten um Lüttich herum, im Rauche der Essen, da wohnen
Diese Wallonen und plappern ihr Rotwelsch; auch in Namur wohl
Schwatzt man, glaub' ich, das Zeug, und in Limburg, wo man den fetten
Käse bereitet. Ich gab mir Mühe, studierte das Rotwelsch,
Daß mir rauchte der Kopf; doch versteh' ich bis heut' nicht den Mischmasch.
Käm' ein Wallone nun her, Einlaß in den Himmel begehrend,
Könnt' ich nicht reden mit ihm, und ließe die sündigste Seele
Grade so gut zur Thüre herein, wie die beste und frömmste.
Und was würde daraus? Entschuldigt mich also des Dienstes.««
»O,« sprach Petrus, »da hat es nicht Not. Solang' ich im Dienst bin,
Ist noch nie ein Wallone zum Himmel gekommen. Sie wissen
Besser, wohin sie gehören, und laufen von selber zum Teufel.«

 


 


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