Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Multum ille et terris jactatus et alto.
Ist das ein großes Gebirg in weiter Entfernung und ragt dort Unter den Kuppen die höchste mit ewigem Schnee in den Himmel? Nein, mit wenigen Schritten erreicht man die Kette der Dünen, Welche das freundliche Dörfchen beschützt vor der tobenden Nordsee, Und auf der höchsten, die weiße genannt, liegt stiebender Sand nur, Den es bisher nicht gelang mit dem Netz zu fesseln von Helmgras. Von dort oben zu schaun, wie die Sonne versinkt in das Weltmeer, Zogen am Abend wir aus in froher Gesellschaft, die bald sich Findet zusammen am Strand, wo man, frei von den täglichen Sorgen Und vom Gesellschaftszwang, sich näher und menschlicher fühlet. Seelenvergnügt, wie man ist nach dem ersten erfrischenden Bade, Plauderten wir noch viel von dem gestrigen Leuchten des Meeres, Als hochrädrige Wagen uns holten zur Insel vom Fährschiff, Und bei jeder Bewegung der langsam watenden Pferde, Jeglicher Drehung des Rads aufleuchteten feurige Wogen, Funken in Unzahl sprühten und Wasser mit Feuer gemischt schien; 49 Also zogen wir hin auf dem Pfade der blumigen Wiese, Die mir besser gefällt als des Gärtners geschorener Teppich, Und in die heitern Gespräche vertieft, vergaßen die Damen Sich vor dem Bullen zu fürchten, dem glotzenden Führer der Herde, Die man am Abende treibt in die Nähe des Dorfes. Die Kühe Brüllten, mit strotzendem Euter und harrten der melkenden Mägde. Und schon schlugen wir uns in die Dünen. Im vordersten Thale War es noch freundlich und grün, denn es hat ein eifriger Forstmann Dort viel Erlen und Birken und Tannen gepflanzt, und die nackte Düne, des Schattens sich freuend, bekleidete rasch sich mit Rasen. Langsam stiegen wir dann durch gleitenden Sand auf die Höhe, Wo man den Leuchtturm sieht von Wangeroog und den Kirchturm Jenes verlassenen Dorfes, zerstört durch furchtbare Fluten. Als wir wieder hinab nun schritten ins andere Querthal, Wo nichts Grünes zu sehn als leise knirrendes Helmgras, Da, bei der Wendung des Pfades, was müssen wir plötzlich erblicken? Darf ich den Augen traun? Seit lange ja kenn' ich die Dünen, Weiß, daß hier in der Wüste man sonst nichts Lebendes spürte, Als Seevögelgeschwirr und etwa nach Sturm und Gewitter Ein Kaninchen, das scheu aus dem Gang rotäugig hervorguckt. Doch nun steht da ein hölzernes Haus mit mächtigem Zeltdach, Und ein Schuppen dabei, auch Sägen und allerlei Werkzeug, 50 Neben dem Drehschleifstein, es zu schärfen, und zeigt sich ein Brunnen, Zierlich mit Welle, mit Eimer und Seil. Was mag das bedeuten? Und dort brodelt sogar ein Kessel auf flackerndem Feuer, Durch die Vertiefung geschützt, und wirbelt den Rauch in den Himmel. »Hat hier,« sprach ich, »sich ein nach Gold zu graben gewohnter Kalifornier niedergelassen?« »»Ihr habt es getroffen!«« Rief mit fröhlichem Lachen, vom Strand herkommend, ein Mann aus, Der ein blitzendes Beil quer über die Schulter gelegt trug, Hoch und kräftig gebaut, nicht mehr in der Blüte der Jugend, Denn in das lockige Haar, das braun und voll ihn umspielte, Stahl sich schon hier und dort an den Schläfen ein silbernes Fädchen. Braun war auch sein Auge, von innerster Heiterkeit leuchtend – Stattlich schritt er daher wie ein Liktor, der in dem alten Rom vor dem Konsul ging. Er grüßte mit Höflichkeit alle, Und dann warf er das Beil mit Lachen zu Boden und sagte: »»Ladies und Gentlemen, da kein Zeremonienmeister Hier ist, stellet sich selbst als Ihren ergebensten Diener Anton Wohlgemut vor und begrüßt Sie in seiner Behausung. Wohlgemut heiß ich und wohlgemut bin ich, doch nennt man mich meistens ›Kalifornier‹ nur.«« »Ihr seid dort drüben gewesen? 51 Habt nach Golde gegraben?« »»So ist's.«« »Was führt Euch denn aber Hier in die Dünen, mein lustiger Freund? Gold findet sich hier nicht.« »»Aber doch Silber vielleicht.«« »So sagt uns, Bester, weshalb denn Wohnung und Zelt Ihr hier aufschlugt in der sandigen Öde?« »»Seht da die Schlucht nur hinab, durch die Senkung der Dünen, so findet Ihr schon selber den Grund.«« Kaum tausend Schritte vom Ufer Lag ein gewaltiges Wrack auf der Seehundsplatte gestrandet, Ohne die Masten, jedoch mit den riesigen Rippen allein schon Himmelanragend; die Menschen bewegten darauf sich wie Punkte. »»Ja,«« so bemerkt' er bedauernd», »es war ein stolzes Fregattschiff, Amerikaner.«« »Es ward wohl durch entsetzliche Stürme Auf Untiefen geschleudert?« »»O nein, bei ruhigem Wetter, Still wie heut, ist das Schiff mit der Flut auf die Platte gelaufen.«« »Hat der Fregatte gefehlt ein kundiger Lotse?« »»Sie hatte Selbst zwei Lotsen an Bord. Doch seh' ich, ich muß die Geschichte, Die Ihr mir Stück vor Stück abzieht, wie dem Hasen die Felle, Euch wohl berichten von vorn.«« »Das thut! Wir werden Euch danken.« 52 »»Drüben in Boston lebt,«« so begann die Erzählung der muntre Kalifornier jetzt, »»ein großer, vermögender Kaufmann, Der viel Geld als Reeder verdient. Ein einziges Kind nur Hat er von seiner verstorbenen Frau, ein blühendes Mädchen, Das Cornelia heißt, sein Liebling, kann man sich denken. Ihr zu Ehren beschloß er ein prächtiges Schiff zu erbauen, Gleichsam die Krone der Flotte von Briggs und Barken und Klippern, Welche dem Reeder gehörten, die größte und schönste Fregatte. Und so ward denn gestreckt ein mächtiger Kiel auf die Helling, Und die Fregatte gebaut vom besten kanadischen Kernholz. ›Alles vom Besten!‹ so hieß für den Schiffsbaumeister die Weisung. Zwei Jahr' wurde geklopft und gehämmert am mächtigen Schiffe, Welches, ein Wunder der Werft, dastand auf dem Stapel, bis daß es Endlich die Taufe bekam von der bräutlichen Tochter des Reeders, Die ›Cornelia!‹ rief, am Buge die Flasche zerschlagend. Und so lief majestätisch der Rumpf in die schäumenden Wogen, Bald auch waren die Masten gesetzt, und man schmückte das Schiff aus So sorgfältig, als ob die Cornelia selber die Braut sei. Hättet Ihr doch es gesehn, noch eh' es die Wogen zerschellten! Eine Kajüte, so groß, wie bei Wilms im Dorfe der Tanzsaal, Strahlend von Marmor und Spiegeln und Gold. Und nicht von der ersten 53 Reise zurückgekehrt! Cornelia, Kapitän Bancroft, Segelte nach Ostindien aus mit völliger Ladung (Zwanzig Fuß Tiefgang!) und bewährte sich auch als ein Segler, Lief in den Ganges und löscht' und nahm in Kalkutta zur Rückfracht Reis ein, köstlichen Reis, ›nach der Weser‹, so hieß es im Frachtbrief. Glücklich war um das Kap und durch das atlantische Weltmeer Schon die Fregatte geschwommen, durch widrigen Wind im Kanale Aufgehalten, zuletzt doch glücklich gelangt aus den Dünen Und am Texel vorbei an die hiesige Küste gekommen, Nahe der Weser bereits. ›Um Uhr fünf laufen wir binnen!‹ Hatte der Lotse von Emden gesagt. Auch der englische Lotse War noch an Bord, doch um nichts mehr bekümmert; er hatte die Leitung Abgegeben sofort an den deutschen. Es saßen die Leute Schon vor dem Spiegel und schoren sich glatt für die Mädchen von Bremen, Und beim Sinken der Nacht sprach so zum Kap'täne der Lotse: ›Legt Euch schlafen, Kap'tän! Auf der langen beschwerlichen Reise Habt Ihr genug nun gewacht und gesorgt. Wir schiffen im Hafen.‹ Und so hatte vergnügt der Kap'tän sich zur Ruhe begeben. Bald auch schläfert den Lotsen es selbst, und er sagt zu dem Steu'rmann: ›Ich bin müde geworden vom ewigen Kreuzen und gönne Ein Paar Augen voll Schlaf mir noch. Wir sind schon geborgen. Haltet nur immer den nämlichen Strich und peilet zuweilen, 54 Daß wir der Küste zu nah nicht unversehens geraten.‹ Damit hüllt' er sich ein in die doppelte Jacke und schnarchte. Alles war still auf dem Schiff, und der Steu'rmann selber am Rade Nickte mitunter und hatte wohl bald zu peilen vergessen, Wenn er nachher auch schwur und beteuert': ›Ich peilte und peilte!‹. Denn im Verhör, das weiß man ja längst, wird alles geleugnet. Aber ein Ruck, furchtbar! weckt plötzlich das Schiff aus dem Schlafe. Denn mit völliger Kraft und bei hochaufbrausender Springflut War die Cornelia fest auf die Seehundsplatte gefahren, Nord-Nord-Ost auf der Reede von Spiekerooge. Der Lotse, Sorglos zwar und bequem, doch ein guter und kundiger Seemann, Sah mit Schrecken die Größe des angerichteten Unheils; Tiefer und tiefer schon grub in den Sand sich der mächtige Kiel ein, Auf ihn drückte nicht nur die gewaltige Last der Fregatte, Sondern die Ladung zugleich, und das Wasser begann schon zu sinken. ›Schiff und Ladung verloren!‹ so dachte der Lotse mit Seufzen, Und schon stürmt der Kap'tän auf Deck: ›Auswerfen die Ladung!‹ Kreischt er verzweifelt. Man wirft auch Ballen auf Ballen geschäftig Über den Bord, doch ohne das riesige Schiff zu erleichtern; Denn schon kracht es und neigt sich und schwankt mit den ragenden Masten Und schlägt hin und her auf dem wohlgekupferten Kiele. 55 ›Masten gekappt!‹ kommandiert der Kap'tän. Drei mächtige Föhren Waren zusammengefügt zum Bau der gigantischen Masten. Unter den Hieben der Axt kracht endlich zusammen der Großmast Und ihm folgen dann bald mit geringerer Mühe die andern. Alles versucht der Kap'tän, was nur ein erfahrener Seemann Thun kann, um sich zu retten, doch alles ist völlig vergebens. Siehe, da rennt der Kap'tän, Mitreeder des Schiffes, schon lange Sprachlos fast vor Wut und Verzweiflung, in seine Kajüte Und kommt wieder heraus wahnsinnigen Blickes. Er hatte Einen Revolver in jeglicher Hand. So sucht er den Lotsen. ›Wo, wo steckt er, der Hund? Ich schieß' ihn nieder!‹ so rief er. Und wild lief er umher, und zitternd verkroch sich der Lotse Hinter den Ballen von Reis, die grade geholt aus dem Raume; Aber man fiel zum Glück dem Kap'tän in die Arme von hinten, Und mein Lotse, von Furcht vor dem Tod und von Angst des Gewissens Leblos fast, ließ nun nicht länger sich halten im Schiffe, Sprang vom Heck und kam mit Schwimmen und Waten ans Ufer. 's war stockfinster annoch, Karfreitagmorgen in aller Herrgottsfrüh', als der Lotse dem Dorf ansagte das Unglück. Da blieb kaum ein Säugling zurück, und Männer und Frauen Liefen, und Kinder zugleich, an den Strand mit leuchtenden Fackeln, Alle begierig, die Waren des Wracks und die Menschen zu retten, Und in dem Wirrwarr ist entkommen der Lotse zum Siele; Niemand hat ihn wiedergesehn.«« »Ward vieles geborgen?« 56 Fragten wir. »»Weniges nur von der Fracht; bloß einige Ballen Indischer Reis, hochfein; doch das meiste der kostbaren Ladung, Welche von Hungersnot eine Stadt zu retten genügte, Haben die Wogen verschluckt, da der Reis im Wasser sich auflöst.«« »Aber die Schiffsmannschaft?« so fragten wir weiter. »»Gerettet! Und gastfreundlich verpflegt in den Häusern der Insel. Es waren Leute von allen Nationen, auch Mohammedaner und Heiden, Ein heilloses Gesindel! Es ward in der heiligen Woche Niemals wohl auf der Insel so greulich geflucht und gelästert. Mancherlei ward noch versucht, um das Wrack zu befrein von der Sandbank, Aber vergebens! Es war nicht flott zu machen. Was übrig Von der Cornelia blieb, ward dann meistbietend versteigert, Zwei Kaufleute von Emden erstanden das Wrack für ein Spottgeld, Und sobald es nun galt, vom Schiffe zu bergen, was etwa Wert noch hat und der Mühe verlohnt, so wandten die Herren Sich natürlich an mich.«« »Was seid Ihr denn eigentlich? sagt uns!« »»Ich,«« so sprach er mit Lachen», »bin nichts! Ihr schüttelt die Köpfe, Und das scheint Euch zu wenig zu sein? So sagen wir lieber: Alles und nichts! Ich hab' im Leben so manches erfahren, Darum bin ich denn auch für mancherlei Dinge zu brauchen.«« »Kalifornier, habt Ihr da drüben nicht Schätze gesammelt?« 57 »»Schätze gesammelt? Ja wohl! Dreimal schon! Glaubt mir, ich habe Schon drei Schätze gehabt. Zwei hab' ich dann wieder verloren, Doch mir den dritten der Schätze, den besten, gesichert für immer. Aber das stehet geschrieben auf einem besonderen Blatte. Also hab' ich für mich Arbeiter zur Bergung gemietet, Und wir haben gehaust in den Dünen auf gut kalifornisch. Morgens ziehen wir aus mit der Ebbe zum Wracke, des Abends Gehn wir zurück mit der Ebbe, wo trocken beinahe der Weg ist. Was wir fleißig am Tage mit Axt, Stemmeisen und Säge Losgebrochen, das schaffen wir abends, womöglich, nach Hause Ins kalifornische Heim; denn es ist schon manchmal geschehen, Daß in der Nacht uns der Sturm und die Flut die gesammelten Sachen Wieder zerstreut und zum Spiele der Wellen gemacht, und so schleppen Wir in Sicherheit lieber, soviel nur tragen die Schultern. So ist immer gesorgt, daß das Leben zu leicht uns nicht werde! Hier empfängt nach der Mühe des Tags die im Freien gekochte Reichliche Kost uns schon, und unter dem schützenden Zeltdach Ist so erquicklich der Schlaf in den lichten Nächten des Sommers, Während uns feucht und weich umspielet die salzige Seeluft.«« »Und in dem Schuppen sind wohl die geborgenen Sachen?« Er nickte Und holt' etwas herbei. »»Da seht zur Probe den Nagel 58 Unseres Schiffs! Fußlang. Und von solchem Gewicht, daß die Dame Kaum ihn zu tragen vermag. Und der kupferne Bolzen ist kostbar! Ja, zehntausend Guineen sind hier zu Grunde gegangen.«« »Also habt Ihr vom Schiff, Kalifornier, gründlich berichtet. Seid denn herzlich bedankt,« so sprach ich. »Doch hätten wir gern noch, Daß Ihr, Freund, uns jetzt auch vom eigenen Leben erzähltet.« »»Ja, was denn?«« – »Was Ihr wollt! Ihr gehört zu den seltenen Leuten, Die nichts können erleben, was Langeweile verursacht, So daß alles ergötzt, was sie reden mit goldenem Munde. Seht, Ihr sagtet ja selbst, daß Ihr so manches erfahren Und drei Schätze gehabt. Ich glaube für alle zu sprechen, Wenn ich bitte, von Euch, von Eurer Geburt und Erziehung Und von den Schätzen, den dreien, des näheren uns zu berichten.« »»Gern! Bis die Leute zurück vom Wrack sind,«« sprach er mit Lächeln, »»Will ich, was ich erlebt seit der Kindheit Tagen, erzählen. Wollen die Damen vielleicht sich setzen? Sie müssen nicht glauben, Daß es an Stühlen uns mangelt und Bänken.«« Schon trug er geschäftig Beide hervor. »»Und seht, dies Sonnensegel beschützt uns Hier vor den blendenden Strahlen der tiefer gesunkenen Sonne. Also will ich denn nun mit der kleinen Erzählung beginnen; 59 Aber bedenkt, daß der Held der Geschichte gering nur und klein ist. Ihr seid, Damen und Herrn, mit dem silbernen Löffel im Munde Alle geboren; doch ich, ich mußte mit hölzernem essen. Ich bin drüben geboren im Harlinger Siele. Die Eltern Hatten ein Häuschen, worin Gastwirtschaft wurde betrieben. Schiffer verkehrten darin und gewöhnliche Leute, ein Kram war Und ein Laden dabei, wo Sonntags kaufte der Landmann. Aber es war ein kärgliches Brot, und hätten wir nicht auch Gärtchen und Wiese gehabt und die weidende Kuh und die Ziege, Hätte der Mangel bei uns noch öfter geschaut in die Thüre. O, wie still ist der Ort! Seit Menschengedenken ist dort nicht Etwas gebaut, es bespiegeln dieselben zusammengesunknen Alten Gebäude sich stets in dem glatten Gewässer des Hafens, Welches ein Pfahlwerk rings einfaßt, ganz morsch und zerfallen, Müd' und matt, scheint alles bereit, in die Flut zu versinken. Oben vom Deiche da sieht man Küsten und Inseln und Schiffe, Und mich zog es zur See! ein Schreckensgedanke für Mutter, Die mir das Schiff, das ich mir ans Borke gezimmert, verbrannte Und sogar mir verbot, an Vater ein Wort zu verraten, Daß ich so gottlos sei und ein Schiffer zu werden gedächte. Als ich nun fünfzehn Jahr und ein langer Schlingel geworden, Sprach mein Vater zu mir (sonst pflegt' er nur wenig zu sagen, Hatt' auch wenig zu sagen): ›Du bist nun heute,‹ begann er, ›Anton, eingesegnet als Christ und entwachsen der Schule, Wo Du zwar Streiche verübt, doch das Deinige billig gelernt hast – 60 Übrigens nicht ein großes Verdienst, da Dir alles ja leicht wird – Darum ist es nun Zeit, mein Sohn, für Dich selber zu sorgen. Siehe, Du wächsest mit Macht, wir können das Brot und die Butter, Die Du täglich verlangst, nicht erschwingen und Geld für die Kleider, Was man heute Dir macht, das ist Dir morgen zu enge. Anton, sage mir jetzt, was willst Du werden?‹ ›Ein Seemann!‹ Platzt' ich heraus trotz Mutter. Sie schrak zusammen und klagte: ›Nur ein einziges Kind hat Gott uns gegeben und sollen Wir das auch noch verlieren?‹ und es war kein Ende des Jammers. ›Vater,‹ so sagt' ich, ›versuche doch Muttern begreiflich zu machen, Daß nicht sämtliche Schiffer ertrinken.‹ Er schüttelte leise, Aber bedächtig den Kopf, und aus vieler Erfahrung des Ehestands Sprach er zu mir: ›Mein Sohn, dies merke Dir einmal für immer: ›Frauenzimmer, sie haben Vernunft nicht vom Schöpfer erhalten; Darum ist es vergebens, mit ihnen zu streiten, sie bleiben Stets bei ihren Gedanken, und mögen sie noch so verkehrt sein; Was Du redest, es ist, als sprächest du gegen die Wand an. Willst Du das Herz ihr brechen? drum füge Dich.‹ Und wir beschlossen Endlich im Rate der drei, ein Landmann wäre das beste, Hat nicht am Ende das sicherste Brot, wer selbst es sich bauet? ›Anton,‹ sagte die Mutter zu mir mit erleichtertem Herzen, ›Siehe, Du kannst nun auch zum vermögenden Bauer gedeihen.‹ ›O, wie könnte das sein!‹ entgegnet' ich zweifelnd und kleinlaut. 61 ›Mein Antönchen, Du bist ja der schmuckeste Junge des Sieles. Manch ein Mädelchen trägt ein Bauerngehöft in der Schürze, Und wer weiß, was geschieht.‹ So verließ ich in goldenen Träumen Denn mein elterlich Haus und trat bei dem Bauer den Dienst an, Dem ein großes Gehöft dicht hinter dem Deiche gehörte. Mit Ostfriesland ist es wie mit Pfannkuchen, am Rande Ist es am besten und fettsten. Der Bauer war mürrisch und geizig, Doch sehr gut in der Wehr und hatte die herrlichsten Rinder. Also stand ich in Dienst und mußt' in der Fremde gar manches, Was ich zu Hause genoß, entbehren, am meisten den süßen Schlaf am Morgen, den höchsten Genuß für die rosige Jugend, Denn kaum graute der Tag, so rief schon der Bauer im Hofe, Weckte die Knecht' und die Jungen zum Pflügen und Eggen und Mähen, Und so mußte man sich abrackern von Morgen bis Abend. Niemals hätt' ich gedacht, daß der Mensch, der die Nahrung für alle Abgewinnet der Erde, sei solch ein trauriges Lastvieh. Und was hatt' ich dafür? Auf schmutzigem irdenen Teller Kost, die gern ich verschmäht und den Hunden und Katzen gelassen. Kurz, ich wußte mich nicht in das Leben zu finden des Landmanns. Wieder nach Hause zu kommen war all mein Dichten und Trachten. Als ich nun einmal des Nachts in solchen Gedanken mich wälzte, Hört' ich da draußen das Brausen des Sturms und das Brüllen des Meeres Lauter als sonst, und es war, als schössen Kanonen dazwischen. 62 Rasch aus dem Bette gesprungen, versuch' ich die Thüre zu öffnen, Um zu sehn, was draußen es gibt. Sie scheint mir vernagelt; Aber es war nur der Sturm. Ich lauf' aus der hinteren Thüre, Welche sich leicht aufthut; da seh' ich mit Staunen und Schrecken, Daß schon die schäumende See rings über zerrissene Deiche Wütend sich stürzt, und es rauscht, wie Wasserfälle, und Häuser Schwimmen und schreiende Menschen dahin und brüllende Rinder. Ja, Herrschaften, das war im fünfundzwanzigsten Jahre, Habt Ihr davon nicht gehört?«« »Wo Petersburg überschwemmt ward, Und wo die See soviel Unheil anrichtete?« sagt' ich, »Freilich, ich hörte davon.« »»Und der einzige Mensch, der sich damals Freute, war ich. Ich lief noch hinein und zog mir den Rock an, Griff nach dem Bündel, von mir vorsichtig in Flüchtlingsgedanken Lange geschnürt, und lief, was ich laufen konnte, von dannen. Auch war Zeit nicht mehr zu verlieren, denn hinter mir schossen Tausend Gewässer daher und verfolgten den fliehenden Knaben. Und so kam ich nach Haus, zum Harlinger Siel, wo die Eltern Standen und starrten hinaus von der Höhe des Deichs auf die Sündflut. Als ich mich näherte, schrieen sie auf vor Freuden; sie hatten Mich schon verloren gegeben. So war es denn nichts mit dem Bauer, Und wie die Ente zum Teich, so blickt' ich noch immer zum Meer aus. 63 Aber es hatte das Wasser noch immer nicht Balken bekommen, Und so mußt' ich denn, Muttern zulieb, auf dem sicheren Lande Noch einmal es versuchen. Doch unterzukommen war damals Gar nicht leicht; denn es hatt' an den Küsten und Inseln die Sturmflut Weit und breit viel Schaden gethan. Es verarmte der Landmann, Dessen Gefilde noch lang voll Wasser verblieben und Kolke. Auch war über die Gegend zuletzt Viehsterben gekommen. Und so strich ich vergebens, mir Dienst zu suchen, im Lande Täglich umher; ich verweilte dabei am liebsten am Ufer, Wo ich, wie ein Liebhaber die Braut, anschaute die Schiffe. Galt es den Anker zu lichten und Ballast zu schaufeln, so war ich Munter dabei und half und wurde beliebt bei den Schiffern. Einmal kam ich nach Hause gerannt und strahlte vor Freude. ›Tönchen, was hast Du denn, sprich!‹ so rief mir die Mutter entgegen, ›Hast Du 'ne Stelle gefunden?‹ ›Die Bauern ernähren sich selbst kaum,‹ Sagt' ich, ›sie brauchen nicht jemand, der auch noch langt in die Schüssel, Und sie jagen mich fort vom Hof, als wär' ich ein Bettler. Aber mir lächelt das Glück doch endlich – wo anders!‹ ›Und wo denn?‹ ›Drüben im Benser Siel, da liegt im Hafen ein Kuffschiff, Wie Galeassen getakelt‹ – ›Ach, geh' nur, Junge, mit Deinen 64 Alten Schiffen!‹ ›Es ist noch wie neu und ein netter Kap'tän drauf; Bei dem steh' ich in Gunst, und er hat mir versprochen – doch hab' ich Dir zu erzählen vergessen vorher, daß der Junge, der Kochsmaat, Gestern zu Bett sich gelegt, denn er ist von den Masern befallen. Denke Dir, Mutter, das Glück: Der Maat hat die Masern bekommen!‹ ›Was hast Du denn, Junge, zu thun mit dem Maat und den Masern? Sage mir, willst Du vielleicht aufs Weltmeer gehen?‹ ›Bewahre! Aber, so hab' ich gedacht, da sind so Schlupen und Kuffe, Welche von Siel zu Siel an der Küste nur krebsen im stillen, Ruhigen Wattenmeer. Da kann man ja gar nicht ersaufen! Selbst wenn man strandet, was thut's? Man zieht sich nur Stiefel und Strümpf' aus, Und dann watet man bald ans Ufer.‹ So sprach ich noch manches, Um ihr die Küstenfahrt im günstigsten Lichte zu zeigen. ›Darum versuch' ich es mal als Küstenfahrer, so dächt' ich, Siehe, der Dienst ist leichter und, Mütterchen, besser die Löhnung Als bei den Bauern; sie sind Mistfinken, Du wirst nicht noch einmal Wollen verstoßen Dein sauberes Kind zu den Rüpeln, den Bauern.‹ ›Wenn es nur nicht aufs Weltmeer geht,‹ antwortete Mutter, ›Läßt von der Sache sich reden!‹ und war schon zur Hälfte gewonnen. 65 ›Siehe, da liegt nun das Kuff, von dem ich gesprochen; es gehet Aber nicht weiter hinaus, als höchstens bis Bremen und Emden; Drei Mann sind nur an Bord, Kap'tän, ein Jung' und der Steu'rmann, Doch nun fehlet der Maat, der natürlich am Lande zurückbleibt, Darum, als der Kap'tän – ›Was hat der Kap'tän Dir versprochen?‹ ›Kannst Du kochen?‹ so frug er. ›Ja wohl,‹ so sagt' ich, ›ein wenig.‹ ›Was Du nicht kannst, das läßt sich Dir bald einbleuen,‹ so sprach er. ›Hast Du wohl Lust, mein Sohn, mit uns zu fahren als Kochsmaat?‹ Ich ward rot im Gesicht vor Freuden. Er kniff mir die Wange. ›Du bist,‹ sagt' er, ›ein handlicher Jung', und wenn Du bereit bist, Anzutreten den Dienst auf der Stelle, so kann es sich machen. Geh denn, Erlaubnis zu holen.‹ ›Du wirst sie nicht mir versagen, Denn auf dem Land' ist gar nicht anzukommen, das weißt Du.‹ ›Aber ich möchte den Schiffer vorher noch sehen und sprechen, Was für ein Mann er wohl ist!‹ so versetzte die sorgende Mutter. ›O, ein höflicher, freundlicher Mann. Ich bestell' ihn Dir!‹ sagt' ich. Und so kam er denn bald, im Sonntagsstaate getakelt, Ein gar zierlicher Mann mit großen Berlocken, die rasselnd Baumelten über dem Spitzbäuchlein, mit Ringen die Menge, Selbst in den Ohren, wenn auch schon schmierig der Kragen des Fracks war. Also trat er zur Mutter ins Zimmer und dienerte mächtig, Und dann küßt' er sogar zum Erschrecken der Guten die Hand ihr. 66 Niemals war noch dergleichen von Höflichkeit Muttern begegnet, Und sie wischte sogleich sorgfältig die Hand an der Schürz' ab. Daß sie für fromm galt, hatte der Schiffer erfahren und führte Salbungsvoll sich ein mit viel gottseligen Reden: ›Wer auf das Meer geht, Frau, steht schon in den Psalmen zu lesen, Lernet die Größe des Herrn mehr kennen als andere Menschen; Darum gebt Euch darein, daß Anton will auf die See gehn, Und seid froh, daß der einzige Sohn in die richtigen Hände, Nämlich die meinigen, fällt. Ich sollte mich selbst zwar nicht rühmen, Doch mein Herz ist voll von Menschenlieb' und von Güte, Und ich meine, man sollte die Gottesgabe, die Kinder, Nur aufziehen mit Lieb' und Geduld.‹ ›Mit Lieb' und mit Güte Hab' ich es lange versucht; doch es schlägt nicht an bei dem Bengel,‹ Sprach die bekümmerte Frau, ein Seufzerchen leise verschluckend, ›Väterchen hilft mir nicht viel, und ich weiß ihn nicht mehr zu regieren, Darum wär' es wohl gut, wenn Ihr mit der Liebe die Strenge Etwas vereinigtet, Herr!‹ ›O, daran soll es nicht fehlen! Wenn er nicht gut thun will, so weist mich die heilige Schrift an: Wen Gott liebt, den züchtiget er. Obgleich es mir schwer wird, Werd' ich doch Anton lehren, das Joch in der Jugend zu tragen.‹ Also ging auf jedes, was Mutter sich wünschte, der Schiffer 67 Willig und schmiegsam ein, gleich einem geschmeidigen Ohrwurm. Und vor allem beschwor er, es gäb' kein sichrer Gewerbe, Als ein Küstenfahrer zu sein. Er bekräftigte Muttern, Niemals ging' er hinaus mit dem Kuff auf das schreckliche Weltmeer. Mütterchen war wie gebadet in Honigseim von des Schiffers Süßen, gefälligen Worten und schenkt' ihm vom besten Likör ein. Und ein so heiterer Mann! Er erzählte die köstlichsten Späße; Noch beim Abschied zupft' er am Ohr mich und sagte vergnüglich: ›Anton, nimm Dich in acht; Du kommst bei mir in des Teufels Garküch! Zweimal Essen und dreimal Prügel! so lautet Bei uns Schiffern der Spruch!‹ Da lachten wir alle zusammen, Vater und Mutter und ich, bis uns vom Gelächter die Thränen Liefen die Backen herab; wir lobten den Mann um die Wette. Und so brach ich denn auf in der goldenen Frühe des Morgens. Was ich an Wäsche bedurft' und Kleidern, das hatte mir Mutter Sauber zusammengepackt in dem Seehundskoffer, dem Erbstück. Aber die Sachen zu karren, das ließ mein gütiger Alter Sich nicht nehmen, und Mutter, sie langte zuletzt aus dem Wiemen Eine gediegene Wurst noch herunter, die längste und zähste, Denn steinhart, so müssen sie sein nach der Sitte des Landes; Mit ostfriesischen Würsten sind Menschen bequem zu erschlagen. Und sie packte die Wurst noch auf, als Geschenk für den Schiffer. Also ging es denn fort zum Benser Siel, und ich hatte Nur die Besorgnis, ob nicht schon weggesegelt das Kuff sei. 68 Aber da lag es ja noch, kein Segel am Mast, an dem Bollwerk. Als ich mit klopfendem Herzen an Bord kam, grüßte der Schiffer Kaum mich mit Nicken. Es schien, als ob er mich gar nicht beachte, Um mich fühlen zu lassen, wie ganz unwichtig ein Maat sei. Endlich sprach er zu mir nach vierzig langen Minuten: ›Anton, laufe noch mal ans Land, um Eier zu kaufen. Hier ist der Beutel dazu, doch spute Dich, wieder zu kommen.‹ Und ich lief, als brennten die Sohlen mir, kaufte die Eier, Und zum Fahrzeug flog ich zurück. ›Wo bleibst Du so lange?‹ Rief mir der Schiffer entgegen. ›Wir brauchten Dich schon bei den Segeln. Lege die Eier nur rasch ab in der Kajüte; doch hurtig, Oder ich mache Dir Beine!‹ Ich that schnell, wie mir geheißen, Und half eifrig im Dienst beim Hissen der Segel, so gut ich's Eben vermochte bei meiner noch schiffsunkundigen Sprache. Als aus dem Siel wir gelaufen und kaum zwölf Schritte vom Land sind, Wendet der Schiffer an mich sich mit rauhem, verändertem Tone: ›Zweimal Essen und dreimal Prügel! Ich hab' es voraus Dir, Junge, gesagt; Du bist ein verzogenes Muttersöhnchen. Wart', ich werde Dich kriegen.‹ Ich hörte das völlig verdutzt an. Wie man ein Kind erst sanft mit der Hand von oben herabstreicht, Und dann rauh von unten hinauf: so macht' es der Mann ja, Welcher mich sonst nur gelobt und mir freundlich die Wangen gekniffen. 69 Als wir ins Freie gelangt halbwegs von Baltrum und Juist, sprang Auf ein frischerer Wind, eine Brise, man konnte sie steife Kühlte schon nennen; es tanzte das Schiff und stampfte und rollte, Und uns standen die Segel wie Holz. In die kleine Kajüte Stieg der Kap'tän hinab; doch er kam nach wenig Minuten Wieder wie wütend herauf: ›Was hast Du, Junge, Du Schafskopf, Mir mit den Eiern gemacht?‹ ›Nichts!‹ sprach ich verwundert. ›Ich habe Alles gethan, Kapitän, was Ihr mir befohlen. Ich habe Schnell nur den Sack mit den Eiern gelegt auf die Bank der Kajüte Und bin wieder gekommen.‹ ›Der Sack mit den Eiern, Du Heuochs, Ist beim Schaukeln des Schiffes natürlich zu Boden gefallen, Sämtliche Eier zerschlagen zu Brei, Du mußtest sie stückweis, Einfaltspinsel, im Bord aufstellen, so wie's sich gehörte.‹ ›Aber ich wußte ja nichts, Kapitän, von dem Borde für Eier Oder den Bräuchen des Schiffs!‹ Ich rief es mit kläglicher Stimme; Denn schon holte der Schiffer mit ledergeflochtenem Prügel Aus und schlug auf mich los, als wollt' er in Stücke mich hauen. Das war des Unholds Dank für die eben erhaltene Mettwurst! Und so macht' er es stets. Mich anzuweisen, wie richtig Etwas zu thun, das schien ihm zu lästig, er wartete lieber Bis ich verkehrt es gemacht, und prügelte dann mich nach Noten. ›Prügel prägen am besten sich ein!‹ so pflegt' er zu sagen, 70 Und bald dacht' ich an nichts, als mich zu befrein vom Tyrannen. Als wir vor Norddeich lagen, begab sich der Schiffer ans Ufer, Um im Norden sich Fracht bei dem reichsten der Brenner zu suchen. ›Wird Dir die Zeit zu lang, dann nimm sie doppelt,‹ so rief er Spöttisch zum Abschied noch und ruderte fort mit dem Steu'rmann, Wie er ihn nannt', und es war ja doch nur ein gemeiner Matrose. Und so saß ich allein auf dem einsamen Schiffe. Die Dämm'rung Dunkelte tiefer, das Wasser verlief sich bei rieselnder Ebbe Und ward seichter und seichter. Ich prüfte beständig die Tiefe! Rastlos stieß ich die Stange hinab, um das Wasser zu messen. Endlich schien es zu stehn. Ich sagte mir: Jetzt! Wenn Du länger Wartest noch, wird es zu spät. Da liegt es, das rettende Ufer, Und ich denke, Du kannst nunmehr es mit Waten erreichen. Doch dann fiel es mir wieder aufs Herz: Du kennst ja das Wasser Hier vor Norddeich nicht, und es können sich Rillen und Löcher Zwischen der Reede, wer weiß, hinziehn und dem lockenden Ufer.«« »Aber Ihr konntet im Falle der Not Euch helfen mit Schwimmen,« Warfen wir ein. Doch der Kalifornier sagte: »»Mit Schwimmen? Ei, da müßt' ich vorher doch zu schwimmen verstehen!«« »Ein Seemann Sollte nicht schwimmen?« »»So fraget Euch doch nur um auf der Insel Und auf den Küsten; da gibt's nur wenig Schwimmer. Ein Anker Schwimmt so gut wie ich selbst, und ich hatte wohl Grund, mich zu fürchten. 71 Aber: ›In Gottes Namen!‹ so rief ich und sprang in die Nordsee, Nackt bis zum Knie, auf der Schulter ein mächtiges Bündel von Kleidern, Langsam watet' ich erst, dann rascher und rascher ans Ufer, Bis ich es glücklich erreicht, und ging schon froh auf dem Deichpfad, Da kommt torkelnd mir jemand entgegen und trällert ein Liedchen, Und, o Schrecken! er ist's! Mein eigener Schiffer! Erkennt mich, Knufft mich kräftig von rechts – was er freilich nur Kitzeln benannte! Worte, die Hauen bedeuten, besaß er wohl fünfzig bis sechzig – Knuffte mich kräftig von links und schleppte mich wieder ans Ufer. Übrigens ließ er sich, höchst weinselig, die Laune nicht trüben: ›Ei, Du Galgenstrick! Fortlaufen, das könnte Dir passen!‹ Sagt' er vergnügt und sang ›Braun Suschen‹ begeistert zu Ende, Stieß mich zur Jolle hinein und wrickte zurück nach dem Schiffe. Und ich dachte bei mir: ›Was wird es wohl heute noch geben?‹ Aber er war zu vergnügt, um sich anzustrengen mit Prügeln. ›Krieche mal unter den Tisch!‹ so befahl er; ich mußte gehorchen. ›Lege Dich mal auf den Bauch, mit dem Allerwertsten nach oben; Denn mir ist es zu thun um eine gepolsterte Fußbank.‹ Und so setzt' er auf mir als Schemel zurecht sich die Beine. Weiter geschah mir nichts. Er erging sich in fröhlichen Reden: ›Fracht nach Amsterdam!‹ so rief er, ›ein herrlicher Weinkauf!‹ ›Ja, Kaplaken und Fracht sind nicht zu verachten.‹ ›Ihr wolltet 72 Wirklich nach Holland fahren?‹ so fragt' ich ihn unter dem Tische; Denn da er angeheitert, so durft' ich ein Wort mir erlauben. ›Ja, das will ich! Du wirst, mein Söhnchen, es nicht mir verbieten.‹ ›Aber Ihr habt ja doch Muttern gelobt und ihr heilig versichert, Daß Ihr nie mit dem Schiff Euch weiter als Emden hinauswagt!‹ ›Ei, was scher' ich mich drum, was ich albernen Weibern versprochen! Halte gefälligst das Maul, sonst tret' ich Pedal wie der Küster. Ja, nach Amsterdam, und dort Stückgüter als Rückfracht! Und dort bei den Mynheers wird Dir das Entlaufen vergehen. Niemand kennt Dich ja dort, und niemand nimmt Dich zum Dienst an, Als auf ein Zeugnis von mir, und auf mein Zeugnis, Du dummer Junge, begreifst Du doch wohl, nimmt Dich kein Schiffer umsonst an!‹ Also verriet er, benebelt vom Wein, mir des Herzens Gedanken, Sichtlich erfreut' es ihn sehr, mich als Maus in der Falle zu haben. ›Sieh, hier sitz' ich behaglich und trampel' auf Dir und auf Deinen Menschenrechten, wie Du, hochtrabender Schlingel, Dich ausdrückst. Darf ein Kajütsmaat wagen von Menschenrechten zu reden? Wer hat die höchste Gewalt auf Erden? Nicht Papst und nicht Kaiser, Sondern der Schiffer im Schiff, ihm muß man blindlings gehorchen. Ja, Du bist mein Sklav' und ich Dein Herr und Gebieter!‹ 73 Und zur Bekräftigung trommelt' er mir auf dem Rücken mit beiden Beinen den Dessauer Marsch. Bald trat er auf mich mit dem rechten, Bald mit dem andern Fuß und dann, Finale, mit beiden, Und gern hätt' er noch weiter geprahlt, doch beschlich ihn Ermüdung, Und bald lag auf dem Rücken das Ungeheuer und schnarchte, Während ich unter dem Tisch mit Wut im Herzen hervorkroch. Aber es kam ganz anders in Amsterdam, als er dachte. Ausgestiegen am Y, wer kommt zum Glück mir entgegen? Ubbo Harms, mein Spielkamerad vom Harlinger Siele, Etwas älter, als ich, und bereits ein leichter Matrose Auf der Fortuna, von Memel, nach Baltimore eben befrachtet, Einer gar stattlichen Brigg, die mit Stolz er mir wies, doch auf meinen Alten Kasten von Kuff sah Ubbo mit Lächeln und Mitleid. Als er noch hörte, was für ein Heuchler und Schurke der Schiffer, Sprach er: ›Lasse Dich doch nicht so tyrannisch behandeln! Komm, ich kann Dir bei uns wohl Dienst noch verschaffen.‹ ›In Deinem Eigenen Schiffe?‹ ›Ja wohl! Ein Kochsmaat fehlte noch gestern, Und wir stechen schon morgen in See.‹ ›Nach Amerika?‹ ›Freilich.‹ ›Über das Weltmeer? Nein! Ich habe ja Muttern versprochen, Küstenfahrer zu bleiben.‹ Doch Ubbo lachte und meinte, Endlich wär' es doch Zeit, vom Schürzenbande der Mutter 74 Loszukommen. Ich konnte jedoch mich so rasch nicht entschließen. Nun, wir trieben uns um in Amsterdam und besahen, Was es zu sehn dort gibt, Tiergarten und alles. Wir gingen Abends an einen besonderen Ort. Neun Häuser der Straße Waren erleuchtet und voller Musik, und die sämtlichen Thüren Ausgehoben, ein Vorhang nur schied Häuser und Straße; Schlug man zurück ihn, so trat man in einen geräumigen Tanzsaal: Hinten, da wurde getanzt, und es saßen entlang an den Wänden Schöne Damen, geputzt, mit vollen und üppigen Formen, Wie Holländer sie lieben.«« Als einige Damen begannen Hier unruhig zu werden, so wußte der kluge Erzähler Einzulenken geschickt und beschwichtigte so die Gemüter: »»O, Sie werden nicht glauben, daß ich für weibliche Ohren Irgend Verletzendes hier vorbrächte! Bewahre der Himmel! Was gehn sämtliche Damen, die tanzenden und an den Wänden Schimmelnden, uns denn an? Garnichts! Doch muß ich berichten, Wie's mir selber den Abend erging im erleuchteten Tanzsaal. Vornan, rings um die Schenke herum, da saßen die Männer, Die zum Tanze zu alt, sahn zu und rauchten und spielten, Huldigend alle dabei gar fleißig dem Geist des Wachholders. Ich war jung und blöd', und mich mit den Nymphen zu drehen, Hatt' ich wohl Lust, doch getraut' es mir nicht. So hielt ich mich altklug Vorn zu den älteren Männern und setzte mit glühender Kohle Mir mein thönernes Pfeifchen in Brand und trank um die Wette. 75 Waren die Gläschen auch klein mit dem süßen und feurigen Tranke, Wurden sie nur um so schneller geleert. Nicht lange, so schwamm es Mir vor den Augen bereits, und es schien sich alles zu drehen. Nur, daß Ubbos Kap'tän auch kam, des erinner' ich mich noch, Daß er mir schlug in die Hand und freundlich die Schulter mir klopfte. Aber mir schwanden die Sinne nun schon; ich vermag nicht zu sagen, Wie mich die andern nach Hause gebracht. Ich wachte mit wüstem Kopf am anderen Morgen im Bett auf, völlig entkleidet. Während ich nun des Geschehenen mich zu entsinnen versuche Und anziehe die Hose, da fallen zu meinem Erstaunen Drei Dukaten heraus. – Wie kam ich dazu? Denn ich hatte Gold noch nie in der Tasche gehabt. Da steckte mit Lachen Aus der benachbarten Koje den Kopf mein Ubbo (wir schliefen All' in der Wand) und rief: ›Du bist Kochmaat der Fortuna! Bist von unserm Kap'täne geheuert!‹ ›Das weiß ich ja gar nicht!‹ ›Glaub's wohl; aber Du hast Dich mit Handschlag, Anton, verpflichtet Und als Handgeld auch die Dukaten genommen. So komm denn, Daß wir die Sachen Dir holen an Bord. In wenigen Stunden Geht's nach Amerika fort!‹ ›Nach Amerika? Über das Weltmeer? Aber ich habe ja Muttern versprochen‹ – ›So höre doch endlich Auf, Dich festzuhalten am Schürzenbande der Mutter! Du bist richtig vermietet und darfst als ehrlicher Mensch nicht 76 Brechen das einmal gegebene Wort!‹ ›Wenn ich nur nicht getrunken!‹ ›Sei Du doch froh vielmehr, daß so Dir das Wählen erspart ist! Komm! Wir holen die Sachen!‹ Wir trafen auch glücklich den Schiffer Seelenallein, still pichelnd auf seinem erbärmlichen Kuffe. ›Ich und mein Fläschchen sind immer zusammen!‹ so sang er gerade, Aber verstummte, sobald wir beide betraten das Fahrzeug. Als wir schweigend die Sachen vom Bord wegtrugen, so staunt' er, Schimpft' und drohte zuerst mit Polizei und Gerichten, Aber als Ubbo Harms mit der Enaksgestalt vor ihn hintrat Und ihn frug: ›Ihr sagtet doch nichts?‹ so verging ihm das Schimpfen, Daß er nur murmelte: ›Nichts!‹ Da versetzte der riesige Ubbo: ›Ihr habt neulich dem Jungen im Schiff den Schädel zerbrochen, Und dann habt Ihr behauptet, es liege die Schuld an dem Jungen, Weil sein Schädel zu weich. Wenn Ihr ein einziges Wort sagt, Prüf' ich die Härte des Schädels an Eurem lausigen Kopfe! Aber Ihr sagt ja nichts!‹ So zogen wir lachend von dannen, Und nicht lange, so schwamm mit uns die Fortuna im Weltmeer.«« »Nun, und was bracht' Euch denn nach Kalifornien?« »»Hört nur: Als wir nach Baltimore kamen, da wütete drüben ein Fieber, Zwar nicht das gelbe, das gold'ne jedoch. Denn es waren die Zeiten, 77 Wo man das Gold unlängst in Kalifornien auffand, Und man stellte sich vor, man grübe die goldenen Klumpen Dort aus dem Boden heraus wie bei uns zu Land die Kartoffeln. Niemals wurde die Jagd nach dem Glück so hitzig betrieben; Alles begehrte zu ziehen nach Eldorado im Westen, Jeder befürchtete nur, daß zuvor ihm kämen die andern. Reihnweis lagen im Hafen bereits die verlassenen Schiffe, Welchen entlaufen das Volk, um nach Gold zu graben. Am leicht'sten Fanden Matrosen den Weg: denn sie konnten die Schiffe bedienen, Die Kap Horn herum auszogen zum goldenen Vließe. Und so segelt' auch ich an Bord eines Klippers nach Goldland.«« »Aber wie durftet Ihr, Freund, fortlaufen von Eurer Fortuna? Und was sagte dazu der Kap'tän?« »»Was konnt' ich ihm nützen? Waren die anderen alle doch auf und davon schon. Was konnt' ich Helfen allein dem Kap'tän?«« »Ihr konntet das Schiff doch bewachen.« »»Dazu genügt' ihm ein hungernder Hund. Man muß das Gewissen Freilich so weit nicht haben wie Wiesen und Weiden, doch auch nicht Gar zu enge, so eng wie ein Eichelnäpfchen. Ich fuhr bald Unter Donner und Blitz um Amerikas südliche Spitze, Und obschon uns der Weg noch fast eine Ewigkeit deuchte, Kamen wir glücklich doch an im Land der Verheißung.«« »Und hat sich 78 Euch die Verheißung erfüllt? Sagt, habt Ihr Euch Schätze gesammelt?« »»Ei, das sagt' ich ja schon, ich habe mir Schätze gesammelt, Aber mit sauerster Müh'; und habe sie wieder verloren. Heute, da sprengt man den Quarz mit den goldenen Adern, zerstampft ihn, Und dann läutert das Gold man heraus durch mancherlei Künste. Wir, wir begnügten uns noch, Goldsand zu graben im Flußbett, Ihn in die ›Wiege‹ zu thun und etwas zu waschen und sieben, Höchstens nahmen wir noch ein Widderfell uns zu Hilfe, Wo sich die goldenen Körnchen zuletzt in den Zotten verfingen. Floß auch vieles vorbei, so füllten wir doch uns den Beutel. Lang, lang schweift' ich umher und versucht' ein jegliches Goldfeld, Das ein Gerücht anpries als das reichlichste Lager. Ich hab' oft Unter dem offenen Himmel gelebt, oft unter dem Obdach, Wie ich mir hier es erbaut, mich gewöhnt an Wildnis und Wüste; Zwischen den Wilden gelebt und bin auch selber verwildert, Denn dort tanzt' um das goldene Kalb ein verwegnes Gesindel, Ohne Gesetz, nur beherrscht von den eigenen rohen Begierden. Was Goldgräber gewinnen im Jahr, das verspielt in den Höllen San Franciscos gar mancher in zwei, drei Nächten. Ich habe Auch wohl lustig gelebt, doch weder gespielt noch getrunken. Nüchtern hielt ich mir stets, was dort ich bezweckte, vor Augen: Soviel Gold zu erwerben, um hier in der friesischen Heimat Mir ein Gütchen zu kaufen, ein Bauerngehöft, nur das kleinste. 79 Aber je schwerer der Goldstaub ward im Beutel, je größer Wurde das Bauerngehöft; ich wollte wohl gehn, doch ich ging nicht, Immer verlängernd die Frist. Sechs Jahre waren verflossen, Seit ich Europa verließ, und immer noch grub ich und siebte. Bis zu der Unglücksnacht«« – Es verdüsterte sich des Erzählers Stirn, und wir fragten besorgt: »Was hat Euch Arges betroffen?« »»Indianer – o diese vermaledeiete Rothaut! – Krochen wie Schlangen heran und überfielen des Nachts uns. Bald war alles im Lager Verwirrung und Lärm. Nach den Waffen Griff ein jeder und war entschlossen zur mutigen Abwehr. Aber wie sollten wir finden den Feind beim völligen Dunkel? Schuß auf Schuß zwar gaben wir ab; doch trafen wir manchmal Einen der unsrigen selbst. Wir verließen das Zelt, um im Freien Uns zusammenzuscharen und gleich, wenn es tagte, vereinigt Anzugreifen den Feind. Doch waren die Wilden im hohen Grase schon wieder entschlüpft. O die kupferfarbigen Schlangen! Also gingen verstimmt wir am Morgen zurück in die Zelte, Nachzuholen den Schlaf; und ich wollte nach meiner Gewohnheit, Eh' ich mich legte, mich noch an dem Schatz, an dem Beutel mit Goldstaub, Den ich sicher verwahrt in der eisenbeschlagenen Kiste, Etwas erfreuen und weiden. Ich ging an die Kiste. Was ist das? Wehe, zerbrochen das Schloß! Und es lagen die übrigen Sachen Über den Boden zerstreut; doch das Gold und der Beutel – verschwunden! 80 Eiskalt trat mir der Schweiß auf die Stirn, und ich war wie vernichtet. ›Wo ist das Gold?‹ so rief ich entsetzt und suchte vergebens. Und dann lief ich hinaus und schrie nach dem Beutel mit Goldstaub; Ob denn niemand den Beutel gesehen, und wer ihn genommen? ›Indianer vermutlich!‹ so sprach gleichmütig ein Nachbar, Dem sein Gold nicht geraubt. Ich glaubte nicht an Indianer, Jeder der Leute, der eignen Gefährten, erschien mir verdächtig, Daß er benutzt die Verwirrung der Nacht, um das Gold mir zu stehlen; Auszusprechen jedoch den Verdacht, war gefährlich; mir wäre Sicher ein Bowiemesser sogleich in die Rippen gefahren; Bald auch ward es entdeckt, daß viele Gezelte geplündert, Und daß der Überfall von den Wilden geplant war als Raubzug. O, Gift sollte man streun, Fangeisen und Gruben bereiten, Wie für den Wolf und den Fuchs, für die tückische schändliche Rothaut!«« »Nun, und die Weißhaut wird von den Ureinwohnern am Ende Auch als Räuber verflucht und Eroberer!« warf ich dazwischen. Aber er war zu erbost, um auf Einreden zu achten, Und fuhr fort, vom vergangenen Gram noch leise beschattet: »»Manch ein Tag ging hin, wo ich kaum zu essen vermochte; Ich saß stumm und starr und grübelte über die Frage: Was ist besser? Erhängen, ersaufen oder erschießen? 81 Doch dann regte sich plötzlich die Lebenslust und die alte Fröhlich gute Natur in mir, und ich fragte mich also: ›Anton, kannst Du noch pfeifen?‹ Und munter begann ich das Liedchen: ›Augustin, alles ist weg!‹ und richtig, es ging noch, das Pfeifen. Und ich lachte zuletzt, daß Rock und Stock doch noch da sei. Kann ich noch pfeifen und lachen, so will ich mich ferner nicht härmen, Nicht wie die Köchin es machen, die, wenn sie die Schüssel zerbrochen, Immer die Stücke zusammen noch hält und mit kläglichem Tone Seufzt: ›So hat es gesessen!‹ Mir war der Versuch nicht gelungen, Melancholisch zu sein. Ich beschloß, von neuem zu leben. Erstlich ging ich auf Jagd und Fischfang, mich zu zerstreuen, Und dann grub ich von neuem und grub und siebte und siebte. Freilich, je größer die Zahl goldsuchender Leute geworden, Je durchforschter das Land und abgesuchter die Gründe, War es denn schwieriger schon als zuerst, sich Schätze zu sammeln; Aber ich hielt doch aus bei dem Waschrahm, und in dem zehnten Jahr war ich wieder so weit, um ein Bauerngehöft mir zu kaufen. Vierzigtausend Dollars, ich hatt' als Ziel mir die Summe Vorgesetzt, und als es erreicht, da säumt' ich nicht länger. Klüger, als früher, verließ ich die kalifornische Küste; Über den Isthmus ging es nach Haus in dem nächsten Paketboot, Und wir kamen mit glücklicher Fahrt bis zur Küste von Irland, 82 Die, von der Sonne beglänzt, dalag mit Felsen und Klippen. Doch bald waren die Strahlen erblichen, es stieg ein Gewölke Höher und höher den Himmel herauf, rotbräunlicher Färbung, Daß ich erinnert ward an die kupferfarbigen Schlangen. Bald war alles gehüllt in finstere Nacht und in Schweigen. Siehe, da zuckt ein greller und zackiger Blitz und – zum Zählen War es nicht Zeit – ein Knall, als sollte der Himmel zerbersten, Dann ein Sturm, ein Orkan! Wir flüchteten uns in die Kojen, Da vor der Windsbraut wir uns auf Deck nicht zu halten vermochten. Kompaß, Karten und Steuer und Segel – das waren nun sämtlich Dinge, die nutzlos geworden. Wie gradwegs sausend die Kugel Fliegt aus dem Lauf, so wurde das Schiff auf die Felsen geschleudert. Erst ein Krach, daß jedem das Herz im Busen erstarrte, Und dann rauschen die Wasser herab schon in die Kajüte, Daß wir erschreckt zum Verdecke hinauf nun wieder uns flüchten. Zwei, drei Menschen sofort warf über die Rehling die Sturzsee, Und wir sahen sie schon als Ertrinkende ringen die Hände Und lautlos, wie es schien, in die wirbelnde Tiefe versinken, Denn ihr Angstruf ward vom Gebrause des Meeres verschlungen. Unter den Passagieren des Schiffs, aus Hameln gebürtig, War ein Mann, den wir Herrn Rattenfänger benannten Oder den Pfeifer von Hameln. Er pfiff gern fröhliche Lieder. Dieser, wie ich, rückkehrend aus Kalifornien, hatte 83 Eine noch größere Menge des glänzenden Staubes erbeutet, Sprach unaufhörlich davon, wie er künftig das Leben genießen Wollt' auf der Heimat Flur, und schien ein vom Glücke Berauschter. Als er nun kam auf das Deck und sah, daß das Schiff schon geborsten, Sah, wie drohend die Todesgefahr, entfuhr dem Entsetzten Solch ein gellender Schrei, daß er alles, das Brüllen der Wogen Und das Geheul des Orkans und das Krachen des Schiffs übertönte Samt dem Donnergeklatsch der die Masten peitschenden Segel. Und dann stürzt' er die Treppe hinab, um die Schätze zu holen. Rasch kam wieder der Mann aus Hameln herauf zum Verdecke, Hielt in der Rechten den schwereren Sack, in der Linken den leichtern, Straff und bis zum Rande gefüllt mit dem kostbaren Goldstaub. Krampfhaft hielt er die Beutel gepackt, er konnte darum sich Nicht festhalten im Sturm und ward in die Wellen geschleudert, Immer noch hielt er die Beutel gefaßt und – sollte man's glauben? – Jetzt auch konnt' er sich nicht entschließen, sie fahren zu lassen, Während der Tod ihn hinab schon zog an den Zehen zur Tiefe. Und so schoß er hinab wie ein Taucher. Ich konnte nicht anders, Laut auf lacht' ich dabei, daß so sinnlos handeln die Menschen. ›Welch ein Thor!‹ so rief ich und that mir das feste Gelübde: 84 ›Bringst Du das Leben davon nur, den ersten der Schätze, so willst Du Dich um die andern nicht kümmern und lustiglich leben von vorne.‹ Aber mich faßte sofort auch eine gewaltige Sturzsee, Und, ich wußte nicht wie, da lag ich schon unten im Meere. Ich auch hatte den Beutel mit Gold in den Armen; doch ließ ich Fahren die goldene Last, so konnt' ich mich mit den befreiten Armen behaupten im Kampf mit den tobenden Wellen des Meeres. Manchmal ward ich gestoßen durch Tonnen und Balken, doch öfters Half mir ein Schiffsgerät, mich über dem Wasser zu halten, Und schon floß mein Blut aus mancher Verwundung, da kamen Irische Fischer zur Hilfe herbei. Sie zogen die meisten Übriggebliebnen ins Boot und retteten uns aus dem Schiffbruch. Und so brachten sie uns nach Cork im traurigsten Aufzug, Wo sich denn unser der Konsul erbarmte, mit Kleidern zur Notdurft Uns schiffbrüchige Leut' ausstattete, bis wir in Bremen Glücklich die Heimat erreichten. Ich brachte statt gold'ner Millionen Nichts aus Kalifornien heim als einige kleine Silberne Münzen, mir als Almosen gereicht in der Fremde. Anfangs hielten mich alle für reich; doch als von dem Reichtum Nichts zum Vorschein kam, und als ich suchte nach Arbeit, Sank ich so rasch, wie gestiegen ich war, in der Meinung der Menschen. Arbeit gibt's an der Küste genug, und sollt' es nur Schill sein, 85 Den in den Watten man wirbt, die Muscheln, woraus man den Kalk brennt, Stets ist hier im Siele zu thun und am Deiche; des Sommers Hat man guten Verdienst an den Badegästen der Inseln Oder den Seehundsjägern, die kundiger Führer bedürfen. Neulich geh' ich am Strande bei völliger Ebbe; da seh' ich Etwas liegen im Sande, wie eine gewaltige Schlange, Und was ist es zuletzt? Das Ankertau eines großen Orlogschiffs, viel dicker, als heut' es in sämtlichen Flotten Noch im Gebrauch sein wird. Ein Linienschiff der Armada König Philipps ist hier an der nämlichen Platte gestrandet, Wo die Cornelia ging in der Osterwoche zu Grunde. Nach Jahrhunderten wühlte das Tau sich wieder zum Licht auf; Und wir gruben davon ein tüchtiges End' aus dem Strande, Das uns der Krämer im Siel abkaufte. So ist von des reichsten Königs Schätzen ein Teilchen zuletzt auf mich noch gekommen. Seht, ich bin nicht der Mann, um ins Joch mich zu spannen, wie Ochsen, Doch wo ein Nahrungsfang auftauchet, da bin ich zu finden. Freilich, der Bauer verachtet mich nur. So ein Kerl, der den spitzen Turm von Esens noch nie aus seinem Gesichte verloren, Meinet, auf mich herunter zu sehn. Ich habe die Bauern Satt in der Jugend bekommen, und kann ich sie ärgern, so thu' ich's. 86 Nun saß einst in dem Krug ein protziger Bauer und prahlte Viel von seinem Gehöft, von Äckern und Weiden und Viehstand. Kurz, da war kein Platz zu vergleichen mit seinem. Darüber Kam ich hinzu und warf einen blinzelnden Blick auf die andern, Und dann setzt' ich zum Bauer mich hin und strich nun den Hof noch Mehr als er selber heraus, war entzückt von den Pferden, den Kühen Bis zu den Häckselladen hinab und dem butternden Rappen, Daß sein grobes Herz im Busen ihm höchlich erfreut ward. ›Bauer,‹ so sagt' ich zuletzt – sie nennen sich lieber ja Landwirt, Gutsbesitzer, Colon – drum nenn' ich sie immer nur Bauer – ›Sagt, was nähmet Ihr wohl für Eure vorzügliche Stätte?‹ ›O,‹ so sprach er mit Stolz, ›ich will sie gar nicht verkaufen!‹ ›Gleichviel, Bauer, wie hoch schlagt Ihr im Preise das Gut an?‹ ›Nun,‹ sprach jener, ›ich dächt', ein Thälerchen vierzigmal tausend, Damit würde man sich an dem prächtigen Gut nicht verkaufen!‹ ›Vierzigtausend – das ist in Dollars gerechnet nur dreißig ›Tausend – hm! hm!‹ ›Was meint Ihr damit?‹ so fragte der Bauer. ›Nun, ich hatte mir drüben an Goldstaub vierzigtausend Dollars zusammengebracht – sie gingen verloren im Schiffbruch; Aber sie waren bestimmt, ein Gut zu kaufen in Friesland, Und da wäre das Eure mir doch zu geringe gewesen!‹ Sehr unwillig vernahm das der Bauer und paffte vor Ärger; Aber er wußte darauf auch nicht ein Wort zu erwidern, 87 Und so ging er denn bald aus dem Krug, und ich sprach zu den andern: ›Seht, ich kenne den Bauer und weiß, daß er neunundzwanzig Häupter von Rindvieh hat im Stalle; doch zählt er sich selbst mit, Sind zusammen es dreißig!‹ Da lachten und jubelten alle. ›Ihr seid Guts- und ich bin Hirnbesitzer, Ihr Bauern! Und so verdien' ich, gesund und fröhlich, soviel ich gebrauche. Wohlgemut heiß ich und wohlgemut bleib' ich in Ewigkeit! Amen!‹«« »Bravo!« riefen wir laut. »Ihr habt uns die Lebensgeschichte Herrlich erzählt und auch sie gekrönt mit dem heitersten Spruche. Ihr habt recht, daß den fröhlichen Sinn als den dritten und besten Schatz Ihr betrachtet, den Ihr entschlossen seid, Euch zu bewahren.« »»Ja, mein Frohsinn ist nicht feil mir um tausend Dukaten, Aber besser ist besser!«« Er lächelte schlau und besonders. »Ei, was meint Ihr damit, Kalifornier? Sagt es uns, bitte!« »»Daß Ihr mich mißversteht! Ich sprach von dem wirklichen Schatze, Den ich in Friesland fand und mir zu bewahren gedenke. Seht, an mir ist alles noch jung, und vorzüglich die Beine. Nichts, das mehr mich ergötzt, als die Mädchen im Tanze zu schwenken, Dieser sag' ich ein Späßchen ins Ohr und jener 'ne Bosheit; Einer ein schmeichelndes Wort und der andern die kräftigste Schnurre. 88 Laut aufkreischen sie oft vor Vergnügen und lachen und scherzen, Wenn von Verlobung ich red' und von Heirat. Ob es mir Ernst sei, Wissen sie nicht; doch ich bin der beliebteste Tänzer der Gegend. Eine nur war dabei, Margareta, die schmuckste von allen, Die kalt gegen mich blieb, so sehr ich um sie mich bemühte. Sagten doch alle, sie wär' ein kluges, gebildetes Mädchen, Und doch vermocht' ich sie nicht zu fließender Rede zu bringen; Ja! und Nein! mehr sagte sie kaum, und selbst mit mir tanzend, Sah sie mir nicht ins Gesicht, nein, seitwärts oder zu Boden. Und ich täuschte mich nicht, sie mied mich, soviel sie nur konnte. Doch ›Was uns nicht kann werden, das ist uns das Liebste auf Erden!‹ Ja, so ging es auch mir. Nur sie, nur das saubere Gretchen (Denn so nannte man sie, weil sie stets wie geschält aus dem Ei ging), Das mich verschmähte, sie war mein Traum bei Nacht und bei Tage. Manchmal sagt' ich zu mir: ›O das ernste, das sinnige Mädchen Hat mich gewogen und mich zu leicht befunden! Sie glaubt wohl, Daß ich aus Flandern sei und geh' von der einen zur andern. Längst schon wär' es für mich an der Zeit, gesetzter zu werden, Dennoch tändel' ich fort mit den Mädchen, den jüngsten am liebsten, Muß ich nicht wankelmütig und flattersinnig erscheinen? Ach, sie kennt das Beste an mir, mein treues Gemüt, nicht, Ahnt nicht, daß man zuweilen in Lustigkeit schwärmet aus Tiefsinn, 89 Und mir so ernst nichts ist in der Welt, wie die Liebe zu Gretchen. Also sprach ich zu mir; doch es siegte dann wieder der Ärger Und mein männlicher Trotz, so spröde behandelt zu werden. Endlich beschloß ich, mich nicht mehr zu ärgern am sauberen Gretchen, Sondern sie aufzugeben. Ich tanzte nicht mehr mit dem Mädchen, Sprach nicht mit ihr und grüßte sie kaum, so war ich erbittert. Aber des Nachts, insgeheim, da ging ich den Weg durch die Hecken, Welcher vorüberführt an dem Predigerwitwenhause. Denn dort lebt Margareta; die Mutter ist Witwe des Küsters, Und so gönnte man ihr in dem Hause zu wohnen, das leer steht. Wenn ich das Licht nur sah aus dem Fensterchen schimmern, so ging mir Auf ein Stern, und erblickt' ich die holde Gestalt an dem Spinnrad Oder den lärmenden Webstuhl ziehend und werfend das Schiffchen, Ach, da ward mir so wohl und so weh, daß die Thränen mir quollen. Einmal zog ich des Wegs, da hört' ich ein lautes Geplauder, Oft mit Gelächter vermischt, und es schienen die Mädchen des Dorfes Fast vollzählig versammelt zu sein bei dem sauberen Gretchen, Und schon war ich am Hause vorbei, da scholl aus der Stube, Horch! mein Name heraus und dann ein helles Gekicher; Und voll Neugier schlich ich zurück an das offene Fenster. Denn vor der Hausthür stand ein mächtiger duftender Flieder, 90 An dem kaum noch Blätter zu sehn vor der Nägelchen Fülle. Durch den ward ich verdeckt und horchte. Mir ging es denn freilich, Wie es im Sprichwort heißt: ich hörte die eigene Schande. Wenn ich die Mädchen nicht sah, so erkannt' ich sie schon an der Stimme, Jemine, wie ward Wohlgemut hier durch die Hechel gezogen! ›Nein, so dumm bin ich nicht!‹ rief Käthe, das schnippische Käthchen, ›Um das, was er erzählt von verlorenen Schätzen, zu glauben, Wenn ein Mensch nichts hat, so prahlt er mit dem, was er hatte. Sicher ist nur, er hat gar nichts! Und was ist er am Ende? Ein 'rumtreiber und ein VagelbundePlattdeutsch für Vagabunde (Vagel=Vogel). E. M. Arndt hatte seine Lust an diesem Worte, welches zeige, wie das Volk sich Fremdwörter auf seine Weise zurecht machte.!‹ so sprach sie verächtlich. ›Jeder ist sonst doch etwas,‹ so meinte bestätigend Edda, ›Sei es ein Krämer, ein Schmied, ein Schneider, ein Schäfer, und wenn es Noch so wenig auch sei, doch der Kalifornier gar nichts!‹ Lisbeth sprach: ›Er verdient nicht soviel, eine Frau zu ernähren, Und doch redet der Mensch von Hochzeithalten und Heirat, Gleich, als braucht' er die Hand nur auszustrecken, so blieben Ihm zehn Mädchen sofort an den Fingern kleben, der Prahlhans!‹ Daß dem, welcher soviel nicht besitzt, um die Frau zu ernähren, Nicht zu gestatten es sei, auch nur zu denken an Heirat, Über den Punkt, da waren die Mädchen entschieden und einig. 91 ›Und dann ist er zum Freien zu alt schon geworden,‹ versetzte Anna Marie. Und Theda bemerkte verstärkend: ›Er hat schon Weiße Haare, der Kerl!‹ Und Hannchen und Fiekchen und Erna Riefen zugleich: ›Wer nähm' ihn denn noch?‹ Und das schnippische Käthchen Setzt' antwortend hinzu: ›O niemand! niemand! Ein jedes Mädchen, das etwas noch hält auf sich selbst, das verschmähet den Menschen, Wenn um anderes nicht, schon seiner Vergangenheit halber; Denn in Amerika hat er zu arg es getrieben! Es mag ja Alles verbürgt nicht sein, was hier von dem Menschen erzählt wird, Aber das sagen sie alle, und ist nicht der leiseste Zweifel, Daß er ertappen sich ließ als ein Pferdedieb!‹ Und ein Pfui rief Erst ein Mädchen, dann zwei, dann alle vereinigt im Chore, Wie in der Frühlingsnacht einträchtiglich quaken die Frösche. ›Ja, als Pferdedieb!‹ so wiederholte noch Käthchen, ›Und sie wollten ihn teeren und federn, doch bat er so kläglich, Daß zur Strafe sie nur ihm schnitten die Ohren vom Kopfe.‹ Während die Mädchen noch schaudernd sich schüttelten, stand vor Erregung Gretchen vom hölzernen Stuhl, in der Lehne geschmückt mit dem Herzlein, Auf und stieß ihn zurück, daß er taumelte, nahe dem Falle. Und dann rief sie mit fliegender Röte ein zorniges ›Schämt Euch! Könnt Ihr so thöricht sein? Ihr habt doch Augen im Kopfe, 92 Seht doch, wie glatt und wie zierlich gedrechselt die Ohren des Manns sind, Seht, daß er nicht Schnittwunden, noch Narben noch Makel am Ohr hat, Und glaubt mehr da dem dummen Geschwätz als den eigenen Sinnen! Was geht mich Herr Wohlgemut an? Er macht sich aus mir nichts; Und hat lange bereits mit mir kein Wörtchen gewechselt. Aber das muß ich gestehn: als säß' er uns auf dem Mokierstuhl, Habt Ihr den Mann um die Wette verleumdet!‹ ›O, nein!‹ und ›O, nicht doch!‹ Riefen die Mädchen, doch ließ sich Gretchen im Flusse der Rede Gar nicht hemmen und stören, es floß vielmehr wie ein Mühlbach, Der, seit lange gestaut, sich ergießt auf die rauschenden Räder, Rasch ihr die Rede vom Mund aus dem überströmenden Herzen: ›Da er doch sonst nicht lügt, so scheint unglaublich auch das nicht, Was er erzählt vom Verluste der mühsam erworbenen Schätze. Und 'rumtreiber? Er wohnt schon lang in dem nämlichen Hause. Freilich, er wurde gewöhnt an ein freieres Leben und pfercht sich Als Handwerker nicht ein im Hinterzimmer des Hauses, Hat er doch manches gelernt und braucht sich nicht zu beschränken Auf ein enges Gewerk. Wo Gelegenheit ist zum Verdienste, Steht er bereit und genießt bei allen das größte Vertrauen Als anschlägiger Kopf von vieler Erfahrung und Einsicht. Ja, und er ist, wie mich dünket, der nützlichste Mann in der Gegend, 93 Dennoch sagt Ihr, er sei nicht im stand', ein Weib zu ernähren, Aber er hat doch die Mutter, die neulich verstorbene, treulich Bis ans Ende gepflegt und auf eigene Kosten erhalten. Zahlt stets bar, wenn er kauft, geht fein, herrschaftlich gekleidet, Und hat oft Euch bewirtet, Ihr aber belohnt ihn mit Undank, Und Ihr rächt Euch dafür, daß er heimliche Hoffnungen täuschte. Ferner zu sagen, er wäre zu alt, um ans Freien zu denken! Stehet der kräftige Mann doch noch im rüstigsten Alter, Und ein erbleichendes Härchen besagt doch wirklich nur wenig, Mancher ergraut mit dreißig bereits, und manche von Euch hat Schon vor dem Spiegel ein silbernes Haar sich entfernt in der Stille. Ja soviel Ihr auch lästert, Ihr sagtet doch sämtlich – ich nehme Käthchen allein nur aus, die geschworene Feindin des Mannes, Weil er ihr oft Pechpflaster gelegt auf das plappernde Mäulchen – Alle die andern, sie sagten nicht nein, wenn er nur sich entschlösse Ernst zu machen und aufzutreten als stattlicher Freier. Und wer weiß, ob Käthe nicht auch sich am Ende besänne!‹ Aber der Aufruhr war im Gemach aufs höchste gestiegen; Alle verschmähten beredsam den kalifornischen Freier. ›Und Du selber,‹ so riefen die Mädchen, ›Du wärest die letzte, Gretchen, um Dir von dem Manne den Ring an den Finger zu stecken.‹ Wer jedoch tapfer sich hielt, war Gretchen. Mit Ernst und mit Eifer 94 Sprach sie: ›Er denkt nicht an mich, das wisset Ihr alle; doch käm' er Und spräch' also zu mir: Mein teuerstes Gretchen, ich habe Lieber als alle nur Dich und begehre Dich, willst Du mich haben? Wahrlich, ich sagt' nicht nein; ich reichte die Hand ihm mit Freuden!‹ Aber sie hatte noch kaum zum Staunen der Mädchen geendigt, Als ich plötzlich den Kopf 'reinsteckt' in das offene Fenster Und so sagte zu ihr: ›Mein teuerstes Gretchen, ich habe Lieber als alle nur Dich und begehre Dich, willst Du mich haben?‹ O, wie flogen die Mädchen mit lautem Gekreische von dannen, Gleich den verschüchterten Tauben, wenn unter sie stößet der Habicht! Und durch die Hinterthür und den Garten verschwanden sie alle. Doch ich schwang mich zum Fenster hinein. In der Mitte der Stube Stand, von der Lampe beleuchtet und glühend vor Scham und Erschrecken, Gretchen, das schöne, das liebe, das einzige Gretchen, und weinte Still vor sich hin. Ich küßt' ihr die Thränen entzückt von den Wangen, Und sie ließ es geschehn; so waren wir beide versprochen. Manchmal scherzt sie und sagt, ich hätt' ihr Ja! nicht erhalten, Aber sie hatte das Ja mir zugesichert im voraus. Hätt' ich sie nicht schon geliebt, die den Abend gesprochenen Worte 95 Waren genug, um mich zum seligsten Manne zu machen. Denn was kann uns wohl höher erfreun, als das eigene Wesen Völlig erkannt zu wissen? Im vorgehaltenen Spiegel Unser Bild zu erblicken, sowie wir selbst in den besten Augenblicken uns sehen, zum mindesten wünschen, wir wären, Wie uns der andere zeigt, gleich einem verschönernden Spiegel? ›Gretchen, wie konntest Du mich so kalt und spröde behandeln?‹ Frug mein Bräutchen ich einst. ›Ich wußte ja, daß ich Dich liebte,‹ Sagte das holde Geschöpf, ›und fürchtete, mich zu verraten, Immer in Angst, ich möcht' aufglühen wie eine Päone Unter dem Blick und den Worten des Mannes, der ganz mich erfüllte, Und aufdecken der Welt voll Spötter mein zartes Geheimnis! Daß Du ernster mit mir als mit allen andern es meintest, Wirklich mich liebtest – das Glück schien mir zu groß, es zu glauben, Und ich hielt mein Herz doch zu gut, damit tändeln zu lassen.‹ Also sprach sie, nicht stolz, doch würdig. Das saubere Gretchen Ist mein dritter Schatz, mein letzter und liebster von allen. Denn was hilft uns das Gold? Man kann es nicht herzen und küssen, Aber der lebende Schatz, der lässet sich küssen und küsset. Seitdem bin ich der Vogel, der Moos und Halme zusammen Trägt im Schnabel, ein Nest sich zu bauen, und bald ist es fertig. Also hab' ich Euch nun mein Leben zu Ende beschrieben, 96 Und schon sieht man die Leute von fern heimkehren vom Wracke.«« Wenn ihr reizendes Liedchen die Nachtigall eben geendet, Stehn wir noch still und horchen, ob nicht sie von neuem beginne. Also konnten wir uns noch nicht entschließen zum Weggehn. Und so ergriff ich das Wort: »Man sieht schon kommen die Leute; Aber der Weg ist noch weit. Ihr könntet noch etwas erzählen, Kalifornier, seht doch, es hängen vor allem die jungen Fräulein Euch am Munde, wie saugende Bienen am Rotklee. Gebet noch etwas zu!« – »Ja erzählen! Erzählen!« so baten Zarte Stimmen im Chor. Und mit dem ihm eigenen Anstand Sprach er verbindlich: »»Die Wünsche der Damen sind stets mir Befehle! Also will ich denn noch den geehrtesten Damen und Herren Vom Seltsamsten erzählen, was je mir im Leben begegnet. Aber Sie werden es mir nicht glauben, so wahr die Geschichte. Nämlich ich war einmal schon gestorben!«« »Gestorben!« so rief da Unsere Gesellschaft zugleich. »Ihr seid ein Schalk!« Und wir lachten. »»Ja, ich war schon so gut wie tot und begraben. Denn hört nur. 's war an Bord der Fortuna von Memel, Kapitän Edden, Und es erhob sich der Wind ein wenig zu frisch. Der Kap'tän sprach: ›Harms und Wohlgemut, refft mir die Segel da! hurtig! Und haltbar. 97 Denn es wird arg mit dem Sturm.‹ Nun, Ubbo geht noch hinunter, Um sich Draht zu holen; ich mache mich gleich an das Reffen. Also steh' ich gemach am Klüverbaum, und ich schaukle Auf und ab mit dem Kiel. Ich hatte den Fuß in dem Pferde – Herr, Ihr wißt wohl Bescheid: so 'ne Öse von Tau, die dem Seemann Dient als Gerüst. So steh' ich und summ' ein Liedchen. Da plötzlich Unter mir schwindet das Tau, das mürb wie ein Faden entzweireißt. Und so stürz' ich hinab, kopfüber. Es schlagen die Wogen Über mir spritzend zusammen und reißen mich unter das Schiff hin. Und nun hatte der Boden des Schiffs sich mit Muscheln bezogen Und mit Meeresgewächsen. Ich hake mich fest an dem Anwuchs. Und beim Tanzen des Schiffs kommt etwas von mir doch zum Vorschein, Daß ein Mann mich erblickt, denn es sahen sich alle nach mir um. Und so ließen sie schnell ein Boot herunter am Fallgatt, Um mich zu retten. Allein ich habe den Halt schon verloren. Treib' im Wasser des Kiels, und kann ich nicht schwimmen, doch such' ich Über dem Wasser zu bleiben und strample mit Händen und Füßen; Und da die Salzflut trägt, so behaupt' ich mich mühsam ein Weilchen, 98 Auch von der Kleidung gehoben; allein mir erlahmte die Kraft bald, Und von den Wellen bedeckt, war schon ich den Blicken entschwunden. Kraftlos sinken die Arme herab, und ich fühle mich tauchen Unter die Flut, wie gestorben, ins Grab!«« »O, sagt doch, wie war Euch, Als Ihr glaubtet, Ihr wäret dem Tode verfallen?« »»Ich kann Euch Nicht so sanft und schön es beschreiben, wie wirklich ich fühlte. Mir war gleich, als wenn nach des Tages beschwerlicher Arbeit Weich ich sänk' in die Daunen; auf einem behaglichen Lager Ausruhn, war mein Gefühl, von den Mühen und Sorgen des Lebens, Rosige Finsternis schwamm vor meinen sich schließenden Augen, Da, da faßt mich, als längst ich im Schoße der Wellen gebettet, Ein Bootshaken von oben. Sie hatten, zur Stelle gekommen, Unter dem Wasser mich treiben gesehn, und Ubbo den Haken Gleich Aal stechenden Fischern geschwind in die Tiefe gestoßen. Und sie fassen mich gut und entreißen mich glücklich dem Tode. Regung hatt' ich bereits und Bewußtsein völlig verloren Und Seewasser geschluckt nach der Möglichkeit. Ubbo ergreift mich, Wie ein Bruder besorgt, mit dem Kopfe nach unten und rollt mich, Bis aus dem Munde das Wasser mir fließt, als wär' ich ein Brunnen; 99 Dann zu Bette gebracht und gerieben, gewärmt und ein jedes Mittel versucht und gejauchzt, als ich langsam die Augen erhebe. ›Anton!‹ riefen sie mich. Ich rüppel' und rühre mich erst nicht. ›Weißt Du wohl, wo Du bist?‹ ›Auf dem Schiff!‹ entgegnet' ich leise. Ubbo weinte vor Freuden, daß ich die Besinnung erlangte, Und so kehrte dann bald der Gestorb'ne zurück in das Leben!«« »O, Kalifornier,« sagt' ich zu ihm, »seltsamster der Menschen, Also seid Ihr denn auch, wie der vielverschlagne Odysseus, Schon in die Unterwelt hinabgestiegen? Die Schrecken Unserer Sterblichkeit habt Ihr erfahren bereits und bestanden, Wisset, was Tod ist, und lebet doch noch, und hoffet noch lange Euch zu erfreun am Schatz, den man küsset.« – Indes ich so rede, Horch, da läutet ein Glöckchen – es war vom Schiffe geborgen – Hell und lieblich. Man sah zugleich von der Düne, der letzten, Steigen die Leute, vom Wrack heimkehrend, beladen und mühsam. »»Unsere Eßglock!«« sagte der Kalifornier. »»Darum Wollet mich jetzt, Herrschaften, entschuldigen. Unseren Leuten Knurret der Magen bereits.«« »Und wir auch dürfen nicht säumen,« Sagten wir, »denn schon zittert am Rande des Wassers die Sonne Und taucht bald blutrot in das Meer, wenn kaum wir zum Gipfel Unserer Düne gelangt. Lebt wohl für heute! Und wann ist Hochzeit?« riefen wir noch ausbrechend. »»Im Herbst nach der Ernte. 100 Wenn uns die Damen und Herren««, so sprach er und sah mit den schlauen Augen im Kreise sich um, »»dann wollen erweisen die Ehre, Sind Sie freundlichst von uns als Hochzeitsgäste geladen.«« »Ja, dann sind wir schon fort, mit den Störchen nach Süden geflogen, Aber verschmähet uns nicht dies kleine Geschenk für die Hochzeit!« |