Heinrich Kruse
Seegeschichten. Zweite Sammlung
Heinrich Kruse

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Das Milchlamm.

                Heut ging fröhlich es her, beim Mittagsmahl der Kadetten,
Da weit mehr als im »Speck mit Erbsen« des Koches wir schwelgten
In der Erinnerung noch an den gestrigen herrlichen Abend.
Jahrmarkt war's in der Stadt La Guayra, und der gestrenge
Herr Kapitän zur See hatt' uns sechs ältern Kadetten
Urlaub gnädig erteilt, doch brummt' er ein wenig zum Abschied:
»Nur, das bitt' ich mir aus, kein Unsinn, Leutchen, am Lande!«
Und wir hatten den Tag in der sinnigsten Weise genossen!
Schon von der Reede zum Hafen auf unserer Jolle dermaßen,
Allen Verboten zum Trotz, uns mit lautem Gelächter geschaukelt,
Daß um ein Haar wir übergewippt, und hatten das Milchlamm
Glücklich ins Wasser gestoßen zum allgemeinen Vergnügen.
Milchlamm hieß auf dem Schiff ein hübscher und zierlicher Bursche,
Hans von Heyden, ein Junker aus pommerschem guten Geblüte,
Welcher als Muttersöhnchen beständig geneckt und gefoppt ward.
Während der sprießende Flaum, kaum sichtbar, die Lippen umkränzte,
Sah er wie Milch und Blut und piepte mit flötender Stimme; 2
Aber sie schlug oft um zum Ergötzen der lachenden Messe.
Zwischen der Lieb' und dem Spott stand uns Hans Heyden, das Milchlamm,
Auch wohl Baby genannt, auf schwer zu scheidender Grenze.
Hans war wie zum Hänseln gemacht. Stets blieb er gemütlich,
Selbst ins Wasser gestoßen, vergaß er nicht mitzulachen.
Schwamm wie ein Seehund hinter uns her mit prustenden Backen,
Gleich als wär' ihm erwünscht bei der drückenden Hitze die Kühlung.
»Nehmt mich lieber doch auf; mir deucht, ich sah einen Haifisch,«
Rief er plötzlich und schwamm ans Boot. Wir waren erschrocken,
Denn wir fühlten, wir hatten den Scherz zu weit schon getrieben;
Und so zogen wir ihn, so rasch wir konnten, ins Fahrzeug.
Ein paar Augenblicke darauf hob über die Fläche
Richtig ein Hai den geräumigen Schlund mit den spitzigen Zähnen,
Doch von der Lebensgefahr ward nicht ein Wörtchen gesprochen.
Milchlamms triefende Kleidung war längst an der Sonne getrocknet,
Als wir im besten Humor La Guayras Hafen erreichten.
Eng und hoch sind die Straßen der Stadt; die geblendeten Augen
Wurden vom Schatten erfrischt, und labende Kühlung umgab uns.
Jahrmarktslärm und Musik scholl weit uns entgegen vom Marktplatz.
Was gab's dort nicht alles zu schmausen für Augen und Ohren!
Da war ein Riesenweib zu bewundern – ich dachte an Brunhild
Oder an Clara Ziegler; doch war's nur ein langer Stettiner,
Ward nachher uns gesagt, der so sein Brot sich verdiente. 3
Ja, in Amerika kann man alles werden; ein Kölner
Ging nach Amerika hin, um dort Rheinschürger zu werden!
Und wir sah'n Papageien und Affen, und zwei Botokuden,
Ritten im Karussell und würfelten auch in den Zelten.
Dann ward Bowle gebraut in einer vorzüglichen Kneipe
Und Maibowle genannt, da im Mai wir waren. Ich dachte
Recht sehnsüchtig dabei an die liebliche Heimat, wo oft wir
Uns Waldmeister gesucht im Schatten der herrlichen Buchen
Und auf die Waldhöhn rings von der Luhdener Klippe gesehen
Und das gesegnete Thal, durch welches die Weser sich windet.
Bald kam auch ein Trupp Franzosen herein (denn ein Kriegsschiff
Von der französischen Flotte war eben im Hafen geankert),
Setzten sich weit von uns, von dort uns Blicke des Hasses
Und des verhaltenen Grolls zuwerfend. Nicht faul, uns zu rächen,
Stimmten die Wacht am Rhein wir an, daß dröhnten die Wände.
Darauf stießen die Herren Franzosen die Gläschen zusammen,
Voll von grünem Absinth, und riefen mit drohender Stimme:
»Alsace et Lorraine!« Wir Deutschen, wir schrien noch lauter:
»Elsaß und Lothringen!« Als so die erhitzten Gemüter
Brannten vor Lust zum Streit, da bedurft' es nur wenig, nur eines
Funkens, den Kampf zu entzünden. Und einer der Unsern erzählte:
»Während des letzten Krieges mit Frankreich wurde bei Minden
Für die gefangnen Franzosen ein Lager errichtet. Sie klagten
Ueber den schwarzen Verrat, der sie zu Gefangenen machte,
Und dann lästerten sie, als wohl noch schwärzer, das Schwarzbrot, 4
Das man in Deutschland ißt; sonst übrigens waren die roten
Hosen bescheiden geworden, soweit den Franzosen das möglich.«
»Reizt die Franzosen doch nicht!« so sagte da leise das Milchlamm.
»Bist Du bange vor Schlägen?« erwiderte spottend der andre.
»Schläge sind ungewohnt dem verhätschelten Liebling gewesen,
Darum ist ihm die Angst davor bis heute geblieben.«
Milchlamm zuckte die Achsel und ließ den Erzähler gewähren.
»Ja,« so fuhr er denn fort, »die Franzosen sind muntere Leute,
Welche sich heiter die Zeit im Lager zu kürzen verstanden.
Wir, wir bewachten sie gut, sonst haben den Herrn Froschessern
Nichts wir zuleide gethan, und thunlichst Freiheit gelassen.
Als sie begehrten zu gehn in die Stadt, Einkäufe zu machen,
Ward es sofort zwar gestattet, doch ihnen zur Wach und Begleitung
Pommersche Landwehr beigesellt. Die Gefangenen durften
Sich in der Stadt nicht zerstreun und einzeln gehn in die Läden,
Sondern sie mußten dabei zusammen bleiben, die ganze
Schar auf einmal ziehn in die Handlungshäuser von Minden.
Und nun war es ein Spaß, wie die wackeren Pommern es machten.
›Halt!‹ so riefen sie vor den Kaufmannsläden. Dann wurde:
Grande nation 'rin!‹ kommandiert. So warteten draußen die Deutschen,
Ließen die Zeit den Franzosen, um einzukaufen, und schien es
Ihnen genug zu sein, so kommandierten sie wieder:
Grande nation 'rut!‹ und es war ein Vergnügen, zu sehn, wie das große 5
Eitele Volk so geduldig den wackeren Pommern gehorchte.
Ja, die große Nation war zahm und bescheiden geworden,
Folgsam wie Elefanten dem Kornak sind!« Die Franzosen
Hielten sich länger nicht mehr bei solcherlei spöttischen Reden.
Einer, der deutsch verstand, dolmetschte die kränkenden Worte,
Und er verstärkte sie noch. Aufsprangen ergrimmt die Franzosen,
Stürzten sich auf uns los mit lautem «Morbleu!« und im Nu war
Solch ein Handgemeng entstanden, daß alles in Aufruhr.
Keile setzt' es, die Jupiter selbst uns könnte beneiden.
Aber der Wirt, um die Gläser besorgt und die Flaschen und Spiegel,
Trippelte auf und ab und sagte beständig: »Ich bitte!
Bitte die Herrn recht sehr, hinaus in den Garten zu gehen.
Dort, Ihr Herren, ist Raum, um sich für die Ehre des Landes
Hals und Glieder zu brechen; drum bitt' ich, bemühn Sie sich! bitte!
Bitte, zerbrechen Sie nicht mir die Stühle! Die Stühle sind kostbar,
Und statt des Stuhlbeins finden im Garten Sie Pfähle die Menge.
Also muß ich als Wirt zum ›Goldenen Kreuz‹ von La Guayra,
Weit und breit bekannt als honettes und ruhiges Wirtshaus,
Alle verehrlichen Gäste gehorsamst ersuchen – Was kracht da?
Jes. Mar. Jos.! Da ward schon ein Spiegel zerschlagen! Ich bitte,
Bitt' inständigst, Ihr Herren, verfügen Sie sich in den Garten!«
Und so verpflanzte sich jetzt das Gewoge des Kampfes nach draußen.
Während wir untereinander erprobten die Stärke der Fäuste,
War auf unserer Seite der Sieg; denn gegen die Riesen 6
Pommerns und Mecklenburgs, was besagten die kleinen Franzosen?
Aber sie waren vor Zorn fast rasend und zogen die Messer.
Und wir trauten uns nicht, die Seitengewehre zu lüpfen,
Denn vor der Abfahrt war es uns noch ausdrücklich verboten.
Nun, wir Seekadetten, verstärkt mit deutschen Matrosen,
Hatten die Hälfte des Gartens besetzt; in der anderen Hälfte
Lagerten sich die Franzosen, vermehrt durch Amerikaner,
Spanier und Portugiesen. Ein Weg war mitten im Garten,
Gleichsam Brücke des Kampfs, der nun heißblütig entbrannte.
Drüben erhob sich ein großer Sergeant, ein Bretagner, so hieß es,
Welcher den Degen zog und mitten im Weg auf uns losging.
Ja, da flogen auch uns die Seitengewehr' aus den Scheiden,
Und, wie Vater Homer zu sagen pflegte, es wären
Nun entsetzliche Thaten geschehn, wenn nicht einer der Unsern
Einen gewichtigen Stuhl im Augenblicke, als jener
Stürmt' mit der Klinge heran, von oben ihm schlug auf die Platte
(Nämlich das Haupt des Bretagners war kahl wie Salaz y Gomez)
Und mit solchem Erfolg, daß der Stuhl zerbrach und der Kampfhahn
Niedergestreckt dalag, quer über dem Wege, wie weiland
Goliath, vorn auf der Stirne von Davids Kiesel getroffen.
Dumpf hinkracht' er im Fall und zerbrach im Falle die Klinge;
Aber die feindliche Macht wuchs immer noch an, und wir nahmen
Drum die Gelegenheit wahr, als Sieger den Platz zu verlassen.
Hinter uns wälzten die Feinde sich nach und schrieen gewaltig; 7
Doch da zogen wir unsre Revolver, und zweimal und dreimal
Knallten wir los, und erschreckt ließ ab der verfolgende Haufe,
Daß wir glücklich zum Hafen und unserer Jolle gelangten.
Und wir jubelten laut, auf »siegrückkehrendem« Schiffe,
Denn wir hatten die Rache für Sedan glücklich vereitelt.
Freilich, am anderen Morgen, da kam als hinkender Bote,
Vom Alkalden gesandt, ein Beamter der Stadt, mit Beschwerde
Ueber die Schiffsmannschaft und die Störung der nächtlichen Ruhe.
Unser Kap'tän, den stets in die Luft zu sprengen, ein dünner
Schwefelfaden genügt, fuhr auf: »Herr, meinen Kadetten
Hab' ich ja strengstens verboten, sogar nur die Plempe zu ziehen,
Und wie sollten sie denn mit Revolvern – Habt Ihr Revolver
Mitgenommen ans Land? Was? Habt Ihr geschossen, Kadetten?«
Also schnauzt' er uns an, zornfunkelnd. Wir mußten denn leider
Uns zu Revolvern bekennen und Schüssen; doch mit der Beteurung,
Blind nur wären die Schüsse gewesen, wir hätten aus Not nur,
Um die verfolgende Meute zurückzuschrecken, gefeuert.
Und weil niemand durch Kugeln verletzt war, wurde für diesmal
Keinerlei Strafe verhängt, doch strenge befohlen für künftig,
Daß kein Seekadett an das Land mitnähme Revolver.
»Tödliche Waffen sind kein Spielzeug!« so rief der Kap'tän aus.
»Also Revolver an Bord! Das schreibt euch hinter die Ohren.
Wer am Lande betreffen sich läßt mit einem Revolver,
Hat dreitägigen Mittelarrest als mindeste Strafe,
Die nach des Falles Gelegenheit noch nachdrücklich verschärft wird.« 8
Und der Kap'tän war einer wie Wallenstein, der erklärte:
»Zweimal etwas zu sagen, das raucht mir, Mann, in die Nase.«
Aber der Auftritt war gar bald von der Jugend vergessen,
Die nach der Messe noch saß auf den Bänken in munterm Geplauder
Und im Nachgenusse des gestrigen Tages von ihren
Heldenthaten erzählte, die jeder im Kampfe verrichtet.
Da kam plötzlich Befehl an den Seekadetten von Heyden,
Besser bekannt im Schiff als Milchlamm, nach der Kajüte
Sich zum Herrn Kommodore sofort zu verfügen. Wir waren
Mit zwei anderen Schiffen zu einem Geschwader vereinigt,
Welches das Karaibische Meer sorgfältig durchkreuzte;
So war unser Kap'tän zum stolzeren Titel gekommen.
»Zum Kommodore?« so fragte man rings. »Was soll das bedeuten?«
Milchlamm dachte wie alle sogleich an die gestrige Schwimmfahrt;
War sie verraten, so waren die Schuldigen sicher der Strafe;
Und gutherzig besorgt für die Kameraden und deren
Höchst leichtsinnigen Streich, versucht' er vor Seiner Gestrengen,
Ihre Schuld zu vertuschen und sagte mit stotterndem Munde:
»Ich bin gestern«, begann er, »ins Wasser gefallen –« – »Was soll das?«
Sprach der Kap'tän. »Man ist ja, Gott sei Dank, nicht ertrunken,
Und man darf nicht winseln um Kleinigkeiten als Milchlamm.«
Nämlich er pflegte mit »man« die künftigen Helden der Flotte 9
Anzureden und wechselte dann zuweilen mit »Ihr« ab,
Während der jüngste Kadett sonst stets mit »Sie« sich beehrt sieht.
Das war hart für Hans, daß sein Spitzname schon amtlich
Wurde rekognosziert; doch mußt' er den Aerger verschlucken.
»Hört, ich habe für Euch ein Geschäft. Hier unser Gelehrter,
Welcher die Fahrt mitmacht auf Kosten des Staates, der Doktor,
Hat zwei Meilen von hier Inschriften gefunden, 'nen Denkstein,
›Sehr merkwürdig,‹ so sagen sie stets, die Herren Gelehrten,
Und sie brächten am liebsten die ausgegrabnen Kolosse,
Felsen und Berge sogar, die mit Inschriften versehn sind,
Uns an Bord, wo der Raum uns ohnehin schon so knapp ist.
›Wie viel Leute sind nötig, den Stein zu heben?‹ so fragt' ich.
Sechs Mann schienen dem Doktor genug; allein für die Jolle
Ist doch der Stein wohl zu schwer und gefährlich, drum nehmt die Pinasse –
Nein, ein Kutter genügt. Ja, nehmet den Kutter und wählt Euch
Selbst sechs Ruderer aus, von den stärksten, und holet den Stein uns;
Denn Ihr seid ja selber ein halber Gelehrter, so sagt man.«
Milchlamm fühlte sich durch die gelehrte Verwendung geschmeichelt,
Nur war's mißlich für ihn, die Bemannung selbst sich zu wählen;
Denn so weit zu rudern, ist immer den Leuten verdrießlich.
Deshalb war es ihm lieb, daß sich sechs starke Matrosen
Ihm freiwillig zur Fahrt anboten. Im rüstigen Takte
Flog sein Kutter dahin mit langausstreichenden Riemen; 10
Hinter dem waldigen Kap war bald er den Blicken entschwunden.
Bald war auch, auf dem Wege nach Porto Cabello, das Dörfchen
Glücklich erreicht, wo die Steininschrift vom Gelehrten entdeckt war.
Als noch kaum auf den Strand anschrammte der Kutter, so sprangen
Seine Matrosen ans Land, und Milchlamm fragte verwundert:
»Was, zum Teufel, bedeutet denn das? Wer führt das Kommando?
Dürft Ihr es wagen, zuerst vom Boote zu springen, Ihr Lümmel,
Ohne Befehl von mir?« Da lachten die starken Matrosen,
Welche das Milchlamm auch als Kind ansahen, und sagten:
»»Mit dem Befehlen, mein Sohn, ist's aus; wir haben beschlossen,
Uns von dem Hund von Kap'tän nicht mehr schuhriegeln zu lassen,
Haben uns auch schon verheuert auf einem brasilischen Barkschiff.
Lebe denn wohl, mein Sohn! Wir desertieren! Nun weißt Du's!
Unsere Sachen sind schon aus dem Schiffe geschmuggelt, die Barke
Ankert da, sieh! und ist schon klar, nach Livorno zu segeln.
Wenn Du versprichst, ein Stündchen dahier ganz ruhig zu warten,
Bis wir in Sicherheit sind, und dafür dein Wort uns verpfändest –
Sonst – sonst müssen wir Dich, Milchlamm, festbinden am Baume,
Und da kannst Du Dir nicht abwehren Mosquitos und Mücken,
Die Dir das hübsche Gesichtchen zerstechen. Es wäre doch schade,
Da Du so schmuck und wie ein verkleidetes Mädchen Dich ausnimmst.««
Also sagten die wilden Gesellen mit wieherndem Lachen, 11
Gingen bereits auf ihn los, als wollten sie Hand an ihn legen.
Milchlamm sprach kein Wort auf die höhnischen Reden. Er sprang bloß
Schweigend ans Land und donnerte dann laut ihnen ein Halt! zu;
Wenigstens wollt' er es thun, doch die kindliche Stimme versagt' ihm
Und schlug um in der Kehle zum lauten Gekicher der Kerle;
Aber es weckte der Hohn nur um so mehr ihm die Thatkraft.
Milchlamm griff in die Tasche, worin der Revolver noch steckte;
Denn den Befehl, an Bord zurückzulassen die Waffe,
Hatt' er vergessen, erregt von dem plötzlich erhaltenen Auftrag.
Blitzschnell zog er hervor den Revolver und rief zu den Leuten
Sein Kommando: »Zurück an Bord!« Doch der Stärkste, ein langer
Bootsmannsmaat, ein Kerl wie ein Strandträger in Stralsund,
Der sechs Scheffel vermag wie nichts auf den Buckel zu schwingen,
Springt auf ihn zu. Da zielt er sogleich und trifft ihn auch richtig,
Wo er es wollte, am Bein, und hilflos lag er im Sande.
»Tragt den verwundeten Maat in das Boot!« so herrschte nun Milchlamm.
Jene bedachten sich noch. Da erhob er nochmal den Revolver.
»Seht, ich zähle mit eins! zwei! drei! und schieß Euch, Ihr Hunde,
Nieder, wenn nicht Ihr gehorcht! Fünf Schüsse noch hab' ich im Laufe!
Grade genug für Euch!« Da zitterten sie und gehorchten.
Als der Verwundete niedergelegt auf den Boden, befahl er: 12
»Setzt Euch verkehrt auf die Bank, mit dem Rücken nach hinten; die Augen
Habt Ihr zu richten nach vorn.« Da brummt' ein alter Matrose:
»»Aber so rudert's sich schlecht, man vermag ja nicht mit den Riemen
Auszuholen, man muß sie stoßen nach vorn, das ist lästig.««
»Schnrken, es handelt sich auch um Eure Bequemlichkeit!« fiel ihm
Hans von Heyden ins Wort. »Ich sage Euch, freche Gesellen,
Während am Steuer ich sitze und unseren Kutter regiere,
Will ich stets Euch sehen und Euch im Auge behalten,
Unsichtbar für Euch, Ihr wendet nach mir nicht den Hals um;
Weh dem, welcher es wagt, sich umzublicken nach hinten.
Daß Ihr mir rudert, so rasch Ihr nur könnt! Und Ihr schweiget, das merkt Euch,
Denn Ihr habt nicht zu sprechen! Wer eine verdächt'ge Bewegung
Sich zu machen erlaubt, der hat schon die Kugel im Leibe!«
Also verwarnte der Seekadett die erblaßten Matrosen,
Und so ruderten sie, Hans Heyden am Steuer, zur Flotte,
Still war alles im Boot; nur stöhnt es zuweilen am Boden,
Oder der Rudernden einem entfährt ein heimlicher Seufzer,
Während den andern vor Angst zusammenklappen die Zähne.
Einmal wagt' es ein Mann und blickte verstohlen nach hinten, ^
Aber da sah er mit Schrecken, daß grad ins Gesicht der Kadett ihm
Zielte bereits, ausstreckend den Arm, loslassend das Ruder.
»»O, ich wollte ja nichts!«« so fleht er mit bebenden Lippen.
Aber der Kommandant des Kutters entgegnete strenge: 13
»Meint Ihr, ich sollt' Euch gestatten, den Augenblick zu erspähen,
Über mich herzufallen? Wenn ich nur die Spitze der Nase
Eines Halunken erblicke, so ziel' ich nicht nach dem Beine,
Sondern nach Rücken und Kopf! Und nun kein Wort mehr geredet!«
Wie man Galeerensklaven anschmiedet mit klirrenden Ketten,
Waren die Meutrer gefesselt vom eisernen Mut des Kadetten.
Als sie kamen in Sicht, und wir den verwundeten Bootsmann
Schwimmend im Blute gewahrten, erstaunten wir alle; doch Milchlamm
Schwang sich behend an Bord, und stumm abweisend die Frager,
Schritt er zum Achterdeck gradweges auf seinen Kap'tän zu,
Und so stattet' er ihm in dienstlicher Haltung Bericht ab,
Warum nicht er den Stein, bloß einen Verwundeten bringe,
Ohne Rühmens, nur kurz und getreu, was geschehen, erzählend,
Wie uns Friedrich der Große berichtet vom Siege bei Roßbach.
Aber der Herr Kapitän zog hoch und höher die Brauen:
»Ei, Du bist nicht ein Lamm, Du bist ein Löwe!« so rief er.
»Hab' ich Dich Du genannt? So mag's denn unter uns bleiben;
Nenne mich auch Du, Hans; Dein Vater war schon mir befreundet,
Und ich liebe Dich jetzt, so wie ein Vater den Sohn liebt!«
Und so ließ er die Seesoldaten und sämtliche Mannschaft
Unter Trommelschlag antreten, erzählte mit Nachdruck,
Wie da das Bürschchen gehandelt als Mann und der Flotte die Schande 14
Dieser verwegenen Flucht von sechs Matrosen ersparte.
Da nun die Schuldigen schon durch Reden verdächtig geworden
Und das Verschwinden der Sachen vom Schiff laut gegen sie zeugte,
Wußten sie nicht ein Wort zu erwidern in ihrem Verhöre.
Trotzig schwiegen sie ganz, und mit Handschellen versehen
Wurden sie abgeführt; der Verwundete kam an den Wundarzt,
Und die Verhandlung beschloß der Kap'tän mit folgenden Worten:
»Seht, der, welchen Ihr oft als Weichling verhöhntet – ich darf mich
Nicht ausnehmen –, den wir als Muttersöhnchen verspottet,
Hat sich bewährt als Mann und als Held. Ich schreibe noch heute
An den Minister und Chef, um die rühmliche That zu berichten
Und den Kadetten von Heyden die Hoffnung der Flotte zu nennen.
Ordnung aber muß sein! Und da er verbotene Waffen,
Zwar, wie sich zeigte, zum Glück, doch gegen ausdrückliche Ordre,
Mit sich genommen ans Land, so tritt er morgen die Strafe,
Mittelarrest, dreitägigen, an! Heut bleibt er in Freiheit.
Rum, eine volle Ration, wird heut an die sämtlichen Leute
Extra verteilt; sie wünschen vielleicht Gesundheit zu trinken.«

 


 


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