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Wie lasse ich meine Helden reden, wenn ich, hochdeutsch schreibend, aus einer Welt erzähle, in der man plattdeutsch spricht, zumal die eingeführten Personen plattdeutsch sprechen?
Der Wunsch und die Aufgabe treuer Wirklichkeitswiedergabe drängt darauf hin, die Leute im Buch so reden zu lassen, wie sie im Leben tun, also – plattdeutsch.
Plattdeutsch reden zu lassen. Meinetwegen auch schlesisch und schwäbisch, wenn das Stück in Schlesien oder in Schwaben spielt. Das Plattdeutsche nenne ich, weil die Not des Plattdeutschen mir am nächsten liegt. Mir, dem niederdeutschen Bauerngeschichtenschreiber, brennt das Plattdeutsch meiner Gestalten auf den Fingernägeln.
Wie soll ich es machen? Soll ich meine Bauern plattdeutsch reden lassen?
Wäre es des Erzählers vornehmste Aufgabe, mit allen Mitteln der literarischen Photographie und Phonetik möglichst getreue Bilder eines innerlich gesehenen Vorgangs zu schaffen, dann wäre die Sache nicht fraglich. Dann müßten Erzählungen wie die, die ich im Auge habe, in zwei Sprachen geschrieben werden: der Dialog plattdeutsch, die Umrahmung, das Verbindende hochdeutsch.
Das ist auch die Weise vieler, vielleicht der meisten Erzähler. Daß der einheitliche Eindruck ihrer Schöpfungen dadurch beeinträchtigt wird, daß diese bunt und gesprenkelt erscheinen, übersehen sie ja sicherlich nicht, setzen sich aber darüber hinweg. Das Gebot des Realismus steht ihnen höher als das Gesetz der Einheitlichkeit. Auch das können sie nicht verkennen, daß ein Teil der Leser, an die sie sich wenden, sprachliche Schwierigkeiten zu überwinden hat, sich den in der Mundart geschriebenen Teil anzueignen, und daß die Feinheiten des Plattdeutschen von vielen nicht verstanden werden. Auch der Schaden muß durch die überzeugendere Realistik, die man vermeintlich erreicht, gedeckt werden.
Hie Realismus, hie Einheitlichkeit: restlos geht die Gleichung nicht auf – ein Abfinden bleibt. Und dabei handelt es sich um Gründe und Gegengründe, die im Boden des Geschmacks wurzeln, mithin dem Unwägbaren und Unmeßbaren angehören. Ich habe also, wie jeder, das Recht der eigenen Meinung. Und meine Meinung hat sich nach langem Schwanken dahin befestigt, daß ich die im Leben plattdeutsch sprechenden Bauern im Buch hochdeutsch reden lasse.
Zunächst stelle ich mich auf den Standpunkt des Lesers und frage ihn: Was ist dein Recht, was möchtest du am liebsten?
Und da finde ich: Der Leser hat das Recht, Genuß zu verlangen, selbstverständlich einen künstlerischen Genuß, aber doch immerhin eine Freude und zwar, soweit es möglich ist, eine durch keine Mühe beeinträchtigte. In gewissem Sinne hat das Aufschreiben einer erdichteten Geschichte doch nur den Zweck und keinen anderen als den, dem Leser diesen Genuß zu verschaffen. Versteht man die Mundart leicht, dann bleibt immer noch das Bedenken, daß man im Gehirn Umschaltungen vornehmen muß, um bald Hochdeutsches, bald Plattdeutsches entgegenzunehmen. Selten ist aber alles so gut bestellt, selten hat ein Leser beim Plattdeutschen einen verhältnismäßig mühelosen, also ebenso selten einen ganz reinen Genuß. Und das Gesprenkelte der Darstellung ist unter allen Umständen in Abzug zu bringen.
Man schelte diese Betrachtung nicht kleinlich. Der Leser soll die Ruhe und das Behagen haben, das ein wirkliches Kunstwerk gibt und nur dies geben kann. Ein wirkliches Kunstwerk hat aber etwas von Schmetterlingsflügeln an sich, denen der Duft abstäubt, wenn man sie greift. In diesem Fall: wenn der Leser sich an eine Wendung, an eine dem Verständnis und dem Gefallen nicht ganz eingehende Stelle stößt, dann ist die Blüte des Gefallens zerstoben.
Und noch ein Grundbedenken gegen die unverbrüchliche Treue der Wirklichkeitswiedergabe:
Ich bin Realist oder bemühe mich doch, es zu sein, ein Fanatiker dieser Richtung bin ich aber nicht. Muß denn alles durch Platte und Phonograph festgehalten werden? Gewinnt nicht manche Äußerung in einem zwar unwirklicheren, aber dafür dem Leser vertrauteren Gewand? Wenn ich literarische Kunst genieße, so soll meine Illusion kein Vergessen sein. Im Gegenteil, ich will mir bewußt bleiben, daß ich nicht die Dinge selbst sehe, sondern ihre Abbilder erblicke, wie sie sich in der Vision des Dichters darstellen. Was mir erzählt wird, will ich durch den wellentreibenden Duft, der an hellen Sommertagen über die Felder zieht, wahrnehmen. Ein zartes Blau der Ferne soll für und für Dinge und Personen umweben.
Wo der Dichter Tatsachen erzählt, hat er manche Mittel, diese Wirkung hervorzubringen, wo er Gespräche mitteilt, fördert die Übertragung ins Hochdeutsche sie in vielen Fällen. Vor allen Dingen das »Wie« der hochdeutschen Wiedergabe. Ich bin der Ansicht, plattdeutsche Helden sollen zwar hochdeutsch sprechen, sie sollen es aber in einer Weise tun, daß der Leser den plattdeutschen Grundton heraushört. Die Worte müssen danach gewählt sein, der Aufbau der Sätze muß plattdeutsch sein, die Gedanken und ihre Verbindungen auch. Ein Leser, der plattdeutsch versteht, muß sich in den Irrtum einlullen können, daß er Plattdeutsches höre oder lese. Und je vollständiger dies dem Dichter gelingt, desto mehr wird er auch der Kunst gerecht, den poetischen Sommerduft um seine Gestalten zu spinnen.
Bekanntlich sind die von den Evangelisten mitgeteilten Reden unsers Religionsstifters nicht in der uns überlieferten griechischen Sprachform, sondern, soweit sie überhaupt echt sind, in aramäischer Mundart gesprochen worden. Der Theologe Harnack braucht einmal das Bild, die griechische Sprache ruhe wie ein Schleier darüber, das Aramäische schimmere überall durch. Und das ist das, was ich für die hochdeutschen Äußerungen der plattdeutschen Bauern erreicht sehen möchte.
Wie soll der Dichter das machen?
Selbstverständlich muß er sich erst in plattdeutscher Sprache von seinen Figuren das sagen lassen, was sie vorzutragen haben. Das muß er festhalten und dann Wort für Wort recht getreu mit plattdeutschen Wendungen (sind sie im Hochdeutschen mit dem Anhauch von Unschuld ungebräuchlich und fehlerhaft: um so besser!) übertragen. Bei längeren Auseinandersetzungen leistet die indirekte Redeweise vortreffliche Dienste. Da läßt sich noch mehr als bei direkter Wiedergabe der Unterton schaffen, aus dem man den Plattdeutschen heraushört.
Der Leser soll herausfühlen, daß er Plattdeutsche vor sich hat. Zweckmäßig ist es, ihn hieran dann und wann durch kurzen Trommelschlag zu erinnern.
Meine Trommelschläge sind – plattdeutsch wiedergegebene Bemerkungen der Bauern, grob und kahl, ohne ersichtlichen Grund, in den hochdeutschen Text hineingestellt ... und zwar auf Kosten des für ein paar Sekunden in die Brüche gehenden Gesetzes der Einheit. ... Wenn der Verfasser Takt hat, dann wird er wissen, wann und wie oft er es tun darf.
Zu lang dürfen die Einschiebsel nicht sein. Der Leser soll darüber hinwegkommen wie ein Waghals, der über Eisschollen springt. Eigentlich ist sein Gewicht zu schwer für die Scholle, aber bevor diese dazu kommt zu zerbrechen, schwingt er sich schon über andere. Bevor dem Leser recht zum Bewußtsein kommt, daß der Dichter an dem Gesetz der Einheitlichkeit frevelt, hat er den Fuß schon wieder auf festem, schriftdeutschem Boden.
Zum Schluß ein Vorbehalt, der vielleicht ungesagt bleiben könnte:
Was ich ausgeführt habe, kann sich nur auf Erzählungen beziehen, die nicht wesentlich humoristisch wirken wollen und ein Hauptmittel ihres Humors gerade in der Aufzeichnung der in der Mundart enthaltenen oder doch durch sie schärfer beleuchteten Komik erblicken. Selbstverständlich wird der Verfasser solcher Erzählungen auf die unverfälschte und unübertragene Wiedergabe der Reden nicht verzichten können, und ebensowenig wird der Leser darauf verzichten wollen. In einigen Fällen dieser Art wird es sich freilich empfehlen, die ganze Geschichte in plattdeutscher Sprache vorzutragen.