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Kristian Syvertsen Kalland war ein mutiger Mann, der weder Luzifer und seine Engel, noch anderes Teufelszeug fürchtete; aber es ist nicht zu leugnen, daß er in der Zeit, die er bei Gräff zubrachte, etwas schweigsam wurde.
Es war auch so 'ne eigene Sache, mit diesem Gräff zusammen zu sein, der weder sprach, noch lachte.
In der ersten Zeit, nachdem sie abends ihr Lager aufgesucht, hatte Kristian immer Land- und Seegeschichten zur Erheiterung erzählt. An Stoff fehlte es ihm ja nicht, da er vierzehn Jahre lang zur See gefahren war; aber mochten seine Erzählungen auch noch so lustig sein, er war trotzdem selbst der einzige, der darüber lachte, denn Iwer schnarchte, sowie er sich aufs Ohr gelegt hatte, und Gräff hörte wohl gar nicht zu – jedenfalls konnte man ihm äußerlich nichts anmerken.
Kalland war ein aufgeweckter, tapferer Seemann, der sich auf seinen Reisen mit offenen Augen umgesehen hatte. Er kannte das Meer, wenn es aufgeregt war, und auch wenn es klar und glatt dalag; er war immer mit guten Kameraden zusammen gewesen, und das Meer hatte ihn nicht eingeschüchtert, sondern ihn stark und fest gemacht. War das Wetter stürmisch, dann hatte man alle Hände voll zu tun, um das Schiff zu bergen, und trat Windstille ein, ja, dann saßen die munteren Matrosen im Kreis beisammen und erzählten sich Geschichten, oder sie sangen:
Ach, gedenkst du noch Cordovas schönen Mädchens
Mit dem Lächeln um den holden Rosenmund?
oder:
Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn …
Und das klang so schön, daß einem das Herz recht dabei aufging.
Hier aber war es anders. Wenn ein Unwetter kam und längere Zeit anhielt, dann wurde einem ganz schwer zumute dabei; da galt es nicht, sich recht ins Zeug zu legen, um das Schiff zu bergen, sondern man mußte hübsch da bleiben, wo man einmal war, auf der dunklen Klippe umherklettern und im Verein mit Gräff und dem zähen Iwer auf Bretter und Planken loshämmern. Nicht einmal Karten konnte man spielen, denn Iwer war so schrecklich »heilig«. Er glaubte schier, »daß es Sünde sei, laut zu lachen«, und wenn man Karten spiele, sagte er, stehe der Böse vor der Tür und grinse, und jedesmal, wenn einer eine Treffkarte ausspiele, wetze er seine Kralle.
Eines stand fest. Kristian wollte hier nicht länger als nötig bleiben. Bekam er vorm Frühjahr keine Heuer, wollte er jede andere Arbeit lieber nehmen als diese.
Eigentlich tat Gräff ihm leid. Er meinte zu verstehen, daß er in seinem tiefsten Innern ein guter Kerl sei, und oft, wenn er den untersetzten, starken Mann so getreulich dastehen und hämmern und visieren sah, konnte etwas wie Kummer in Kristian aufsteigen, wenn er bedachte, daß der ein besseres Los verdient habe.
Er war ja gar kein Bösewicht, dieser Gräff. Wenn er etwas fragte oder einen ansah, hatte er etwas geradezu Kindliches an sich.
Kalland würde nicht das Geringste dagegen haben, für immer mit ihm zusammen zu sein – aber nicht hier. Denn hier konnte es keiner auf die Dauer aushalten. Es gab ja Menschen, die allein lebten; aber solche Leute waren nicht wie andere. Er dachte an Anders, der in dem Fährschiff vor Ludefisk gehaust hatte – – – der wurde schließlich wie ein Tier.
Auch Gräff konnte man anmerken, daß etwas mit ihm nicht ganz richtig sei. Er war nicht verlottert und unflätig; er war von Grund aus gut – aber etwas bedrückte ihn, etwas hatte sich bei ihm festgesetzt und war wohl nicht so leicht aus ihm herauszutreiben, besonders da er es allein mit sich herumtrug und niemand anvertraute. Vielleicht hatte er Furcht vor irgend etwas bekommen, während er hier so allein umherging. Manches deutete darauf hin. Er lag oft unruhig im Bett und wälzte sich im Schlaf, und eines Nachts gar fing er an ganz laut von einem Brief mit einem roten Siegel zu reden – – – von einem schwedischen Schiffer hatte er ihn bekommen – – – folgende Worte standen darin zu lesen: ich leide Qualen des Durstes in Ewigkeit! – In einer anderen Nacht aber erwachte er und sagte, daß er auf hoher See gewesen, daß die Wogen ihn herumgewirbelt hätten und daß das Meer ganz grün gewesen sei, mit weißen Schaumköpfen. Dort schien er auch mit dem schwedischen Schiffer zusammengetroffen zu sein; denn er sei noch am Leben, sagte er, ha, ha! er sei zäh! Er hätte sich mit einem Messer durchs Eis gebohrt – – – früher wäre er weit fort gewesen; aber nun käme er näher und näher …
Des Morgens hatte er meist alles vergessen; wenn man ihm aber erzählte, was er gesagt hatte, mochte ihm wohl mancherlei durch den Kopf gehen, denn er wurde noch stiller als sonst.
Iwer sagte zu Kristian, daß er glaube, des Herrn Strafe sei über Gräff gekommen, weil er in seiner Jugend ein großer Sünder gewesen sei, und mit seiner Reue war' es wohl nicht weit her. Darum meinte er, das Beste wäre, Gräff klar zu machen, daß der Herr ihm zürne, damit er für seine Seligkeit bangen und sich bekehren könne.
Kristian aber war anderer Meinung; übrigens wußte er selbst nicht recht, was er davon denken sollte. Als aber Iwer kurze Zeit darauf wieder mit seiner Bekehrung anfing, sagte Kalland: »Nein, die Sache hat einen anderen Grund. Ich wollt', ich könnt' ihn mal dazu bringen, sich ordentlich auszusprechen.«
Hin und wieder versuchte Kristian, aus Gräff herauszulocken, wie es ihm während der langen Zeit, die er auf der schwarzen Insel verlebt hatte, ergangen sei; aber es glückte ihm nicht.
»Er sitzt wie 'n Kern in einer Schale!« sagte Kristian Syvertsen Kalland.
Iwer blieb bei seiner Meinung, und Madam Bukholm, bei der er wohnte, wenn er in der Stadt war, und der er davon erzählt hatte, stimmte ihm bei. Madam Bukholm war wie Iwer »heilig«, nur noch schlimmer, da sie ein Frauenzimmer war. Sie hatte ein gottgefälliges und andauerndes Mundwerk – man hörte förmlich, daß sie leise lächelte, wenn sie sprach. Ihr Höchstes war es, in Andacht zu verfallen! Auf ihrem Stuhl zu sitzen, hin und her zu wackeln und schlecht von den Leuten zu reden »zur Warnung«.
Diesmal war es Bootsbauer Gräff, der als »Warnung« herhalten mußte, und aus ihrem Geschwätz konnte man entnehmen, daß sich seltsame Dinge dort draußen auf dem Berge abspielten.
Dieses Gerücht verbreitete sich allmählich in der Stadt und wuchs.