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15

Wenn ich mich recht entsinne, so war Jon Gräff im nördlichsten Norwegen zur Welt gekommen. Seine Eltern waren frühzeitig gestorben, und das war wohl sein Unglück, denn der Onkel, zu dem er in Kost kam, verstand ihn nicht auf die richtige Weise zu nehmen.

Der Oheim war kein eigentlich harter Mann; aber er war der Ansicht, daß man Strenge anwenden müsse, wenn man Kinder erzog, weil auf diese Weise die besten Menschen aus ihnen würden …

»Seht nur Luther! der hatte es wahrhaftig nicht gut gehabt bei seinen Eltern … bekam Prügel, wenn er auch nur eine Nuß genommen … aber aus ihm wurde ein ganzer Mann! … ja, ja!«

Und deshalb wurde er in Wirklichkeit hart gegen Jon. Immer und immer hatte er etwas an ihm auszusetzen und mit ihm zu schelten – das war so sicher wie das Amen in der Kirche.

Der Oheim hieß Halvor Simonsen. Er wohnte in einer kleinen Stadt an der Westküste und betrieb ein Ladengeschäft – so für kleine Leute. Er handelte mit Brot und Butter, grüner Seife, Bindfaden, Brennöl und solchen Sachen mehr, die man sicher sein kann, los zu werden, weil Leute, wenn sie es auch noch so knapp haben, dergleichen nicht entbehren können. Und Halvors Geschäfte gingen auch nicht zum schlechtesten. Er war einer von denen, die dafür Sorge tragen, jeden Tag eine halbe Mark zurückzulegen. Geschah es aber, daß er eines Tages die ganze halbe Mark nicht übrig hatte, dann mußte Jon es entgelten:

Er ginge umher und spare und spare jeden Pfennig, um auszukommen, hieß es dann, was aber könne es nützen, wenn er solchen Tunichtgut im Hause habe, der wohl essen, aber nicht arbeiten wolle.

Brachte Jon dann leise hervor, daß er nicht wüßte, was er tun solle, denn zur See gehen dürfe er nicht und im Geschäft wolle der Oheim ihn auch nicht haben, dann schrie Halvor:

»Was? Hast du was zu sagen? Hab' ich dir nicht befohlen, Sand von der Klippe zu holen? Hast du etwa für drei Tage geholt? – Verdammter Vielfraß! Ja, essen und dich vollstopfen, das kannst du; aber selbst den Unterhalt verdienen? Hast du darauf was zu erwidern, he? Nein, 's ist wohl das Gescheiteste, das Maul zu halten … pah, so 'n … so 'n Grünschnabel!«

Eines Morgens war Jon nirgends zu finden. Sein Bett stand unberührt; nur in der Mitte war eine eingedrückte Stelle, als hätte er dort eine Weile gesessen. Er hatte von seinem Eigentum mit sich genommen: einen Winterüberzieher, aus dem er herausgewachsen war, ein Paar blaue Hosen, die er Sonntags zu tragen pflegte, und ein Paar neuer Schuhe – sonst war alles, wie es gewesen. Auf dem Bort beim Fenster hatte Halvor einen silberbeschlagenen Pfeifenkopf liegen, den er nicht mehr gebrauchte – der Pfeifenkopf war wohl seine dreißig Groschen wert, und Jon hätte ihn gut und gern in die Tasche stecken können. Halvor sah nach. Nein, meiner Treu, da lag er noch.

Vielleicht machte Simonsen sich seine eigenen Gedanken über diese Sache, denn er wurde gar nicht so schrecklich zornig. Er hatte den Laden offen wie alle Tage und erzählte seelenruhig, daß Jon Gräff ihm davongelaufen sei. Und den ganzen Tag über blieb er im Laden stehen, ohne sich die Mühe zu machen, nach Jon zu forschen, wohin er gereist sei. Das Geschäft ging flott an diesem Tage, besonders mit Groschen, denn die Leute wollten gern etwas von Halvor über Jons Verschwinden hören, und viele sprachen einen kleinen Augenblick vor und kauften Seife oder Zwirn, ohne daß sie es just nötig hatten. Es standen gewöhnlich vier, fünf Stück auf einmal im Laden, und Halvor selbst stand hinterm Ladentisch und lehnte sich mit der einen Schulter gegen die Wand. Er sagte nicht viel und nahm die Sache sehr ruhig … lächelte nur hin und wieder und ließ die anderen reden. Es waren meistenteils Frauenzimmer, und sie bedauerten Halvor in allen Tönen: das sei nun der Dank für all das Gute, das er an dem Jungen getan habe! Und sie stachelten Halvor auf, so daß er sich selbst zum Schluß leid tat und fuchsteufelswild auf Jon wurde.

»Freilich, freilich! Das sei ein wahres Wort! Hatte Jon nicht sein gutes Heim hier gehabt, mit Essen und Trinken und allem, was er nötig hatte? Sei er zu streng gegen ihn gewesen? Wollte jemand ihm vielleicht vorwerfen, daß er Jon hin und wieder eine wohlverdiente Ermahnung gegeben hatte? Nein, er hätte im Grunde tun und lassen können, was er wollte … viel zu viel? … Ha, ha, ja! das sei schon möglich – er sei wahrscheinlich zu gut gegen ihn gewesen. Aber jetzt könnte Jon selbst sehen, wie er weiterkäme. Würde schon merken, was es hieße, Haus und Heim und alles, was gut war, im Stich zu lassen. Kam er aber zurück, dann würde, Kreuzbombenelement, der Wind aus einem andern Loch pfeifen! … Ob er wüßte, wo er sei? Keine Ahnung! hätte sich wohl irgendwo in einer der Nachbarstädte verdingt. War Jon vielleicht sein Sohn, wenn er fragen dürfte? Oder war er vielleicht sein Vater, so daß er sich die Hacken nach ihm wundlaufen mußte? Das fehlte gerade. Nein, bitte sehr! bitte sehr! wenn er nicht bei ihm bleiben wollte, er würde ihn sicher nicht dazu zwingen.«


Einige Jahre vergingen, und niemand hörte etwas von Jon Gräff. Halvor Simonsen hatte übrigens so viel zu wissen bekommen, daß er als sicher annehmen zu können meinte, daß sein Neffe Heuer auf einer amerikanischen Barke genommen hatte. Ein Kamerad von Jon, Kristen Olsen, Lehrling bei Krämer Karlsen, hatte es ihm erzählt. Jon hatte mehrfach zu seinem Kameraden gesagt, das Beste, was er tun könne, sei, zur See zu gehen. Daheim sei er zur Last, und er könne nichts werden, denn sein Oheim wolle das Geschäft selbst versorgen. Die letzten Tage, als er mit Jon zusammen gewesen sei, habe dieser gefragt, wie weit es bis zum Fläkkefjord sei, denn dort lag der Amerikaner zur Ausbesserung.


Ganze sieben Jahre aber nach seiner Flucht bekam Halvor eines Tages einen Brief, und plötzlich begriff er, daß er von Jon sei. Er war alt und gelb und sah aus, als käme er von weit her, denn solche Freimarken hatte Simonsen noch nie gesehen. Als er aber mit dem Brief in der Hand stand und die Aufschrift betrachtete, legte er ihn plötzlich wieder auf den Ladentisch, hob die Klappe hoch, ging hin und verschloß die Ladentür und zog die Gardine vor, als ob Sonntag sei. Dann ging er in seine Kammer hinter dem Laden und las den Brief von Jon Gräff, der schon vor zwei Jahren geschrieben war.

 

Lieber Oheim Halvor!

Ich wollte jetzt in einer stillen Stunde die Feder ergreifen und Dir einige Zeilen senden, und sagen, daß ich es bereue und bitterlich darüber weine, daß ich Dich verlassen habe, denn es geht mir schlecht, und ich glaube nicht, daß ich es überstehe, wenn es noch lange dauert, und mein einziger Trost ist, daß ich selbst keine Schuld habe, denn ich gehe nie auf den Bummel; aber ich bin schief angekommen, denn der Kapitän auf dem Amerikaner, auf dem ich Heuer nahm, war nicht böse, aber die Mannschaft und der Steuermann waren Ausländer, so daß ich Schelte und Prügel um nichts bekam, und oft war der Steuermann betrunken, und meistens schimpfte er und der Speichel rann ihm aus dem Maul. Ich habe mir oft gewünscht, nicht mehr in diesem Jammertal, das sich Erde nennt, zu leben, und wollte mich ins Meer stürzen, denn ich schufte, was ich kann, und ich hungere und friere, daß ich mit den Zähnen klappere, so daß ich mir die Zunge abbeißen könnte, aber ich schreibe Dir, Oheim Halvor, und ich bitte Dich demütiglich, daß Du mir nicht länger zürnst und mir einige Worte nach Cardif schreibst, denn ich komme in vier Monaten dorthin, und wir sollen lange da liegen bleiben, und wenn Du gleich schreibst, wenn Du diese Zeilen bekommst, kann ich es als etwas Gutes betrachten, daß ich den Brief bekomm', wenn ich in Cardif bin, und Du kannst sagen, was Du willst, was ich für Dich tun soll, und ich will jeden Tag Sand von der Klippe holen, denn es geht mir schlecht in der Fremde, denn es ist nicht leicht, sich durchzuschlagen, wenn einer keine Seele kennt in der weiten Welt, und ich bin Brauknecht gewesen, aber die andern fingen Streit mit mir an, und ich wagte nicht länger dazubleiben und ich habe Straßen gefegt, und ich hab' so viel Schlimmes erlebt und tu es noch, so daß ich es gar nicht alles schreiben kann. Aber ich hab' oft des Nachts in New York im Logierhaus gelegen und geweint, denn ich fand es so traurig, und ich sagte zu mir selbst, daß Oheim Halvor der einzige sei, den ich auf der Welt hätte, und ich hab' Dich mehr geliebt, als ich tat, wie ich noch zu Hause war. Ich hab' etwas von meiner Heuer zusammengespart und bleibe so lange wie möglich in Cardif, um einen Brief von dir abzuwarten; aber wenn er nicht in zehn Monaten kommt oder in elf, dann willst Du nichts mehr mit mir zu schaffen haben, und ich muß mich weiterschinden, aber ich glaube nicht, daß Du mir so übel willst, denn ich war erst in meinem siebzehnten Jahr und ein Kind, als ich Dir davonlief, und ich will mich wohl nützlich machen zu Hause, denn ich kann nicht mit fremden Leuten auskommen, denn ich bin nicht so einer, der sich vordrängt und den Mund auf dem rechten Fleck hat, und ich sende Dir viele Grüße.

Immer und ewig Dein
Jon.

 

Zuerst, während Simonsen las, höhnte er. »Pah, ja, ja. Da konnte man sehen! – hatte er das nicht immer gesagt? Wie einer sich bettet, so liegt er! – – – er hatte ja mit aller Macht in den Dreck gewollt – – – war wohl bei allerhand Schweinerei dabei gewesen …«

Aber weiterhin war er nicht mehr so bei der Hand mit dem Hohn, und schließlich las er, ohne ein Wort zu sagen. Und als er den Brief zum zweitenmal gelesen hatte, war es ihm, als steige ihm etwas in den Hals hinauf. Simonsen mußte schlucken, um es wieder hinunterzubringen. Als er zum Schluß kam, wo Jon schrieb, daß er keiner von denen sei, die sich vordrängen können, da mußte Halvor plötzlich an Jons Mutter, an seine stille Schwester Marie denken, und auf einmal fiel es ihm. ein, daß Jon seiner Mutter sehr ähnlich sei und daß es wohl wahr sei, daß er es nicht verstehe, sich zwischen fremden Leuten durchzuschlagen, die er nicht einmal verstehen könne. Halvor Simonsen machte den Laden an diesem Tage nicht wieder auf, und bis zum Abend saß er und schrieb einen Brief an Jon, was ihm sehr sauer wurde, da er, solange er denken konnte, keinen Brief geschrieben hatte. Und sobald er fertig war, ging er damit zur Post und schrieb die Adresse so, wie der Postbeamte es für richtig hielt. Es war ja das Fatale dabei, daß der Brief ihm so spät zu Händen gekommen war. Denn Jon hatte Cardif wohl schon lange verlassen und man konnte nicht gut wissen, wo er sich jetzt herumtrieb.

Ungefähr ein Jahr später bekam Halvor einen Brief von Jon folgenden Inhalts:

 

»Du willst also nichts mehr von mir wissen, Halvor Simonsen, denn während der anderthalb Jahre, die ich in Cardif wartete, hast Du mir kein trostreiches Wort gegönnt. Du hättest mich nicht so zu quälen brauchen, sondern hättest mir schreiben können, daß Du mich zum Teufel wünschest, denn das Warten machte mich rein verrückt; aber das hast Du wohl gewollt, denn Du hast ein schlechtes Herz, und wenn ich bei der Wahrheit bleiben soll, so hast Du mir mit Deinem Schimpfen von morgens bis abends eine schwere Kindheit bereitet, und wenn ich zur Hölle fahre, so ist es Deine Schuld und keines anderen, und ich sage, mich kriegst Du nie mehr zu sehen, aber mein letztes Wort an Dich ist god dam.«

 

An jenem Tage kam Halvor Simonsen ganz bleich auf die Post, schlug mit der geballten Faust auf die Schalterbank, daß es krachte, und schrie, daß der Brief, den er seinem Neffen geschrieben habe, nicht abgeschickt worden sei! Das sähe er aus dem Brief, den er heute bekommen habe. Er hätte selbigen Tages geschrieben und jetzt habe sein Schwestersohn ihm Fluch und Verbannung geschickt, als hätte er nie geschrieben. Wie ging das zu? Hatten sie seinen Brief in ihre eigene Tasche gesteckt, he? Vielleicht geglaubt, daß es ein Geldbrief sei, den man verschlucken könne? Ja, denn wenn die Post den Brief bekommen habe und er nicht besser in die Wege gekommen sei, dann wolle er ihnen offen ins Gesicht sagen, daß das ganze Postwesen eine Lumpeneinrichtung sei; denn der vorige Brief sei über zwei Jahre zurückgehalten worden; jetzt aber wolle er, Halvor, zum König gehen! ja, das wolle er! und dann sollten sie sich allesamt verantworten, sowohl der Konsul wie der Postmeister und der Briefträger, die ganze faule Bande. Kein Wort! –

Es war gut, daß niemand anders als der Schalterbeamte und zwei Bedienstete zugegen waren – keine fremden Leute. Als Halvor Simonsen herausstürzte und die Tür hinter sich zuknallte, sprang der Schalterbeamte auf und rief hitzig: »Wollen wir ihn verklagen?« Die andern aber antworteten, daß er betrunken sei, und darum wurde nichts aus der Sache gemacht. Kurz darauf begann einer der Beamten, der am Schalter stand, zu lachen: »Weiß der Kuckuck, hier sah man ordentlich Spuren von seiner Faust!« Die beiden andern kamen herzu und sahen wirklich Spuren von Halvors Knochen. Und dann äfften sie ihm nach: »Kein Wort!« – das war noch das Beste von der ganzen Geschichte – – –

Kaufmann Simonsen ging übrigens doch nicht zum König. Er hielt seinen Laden noch fünf Jahre offen. Dann begann er eines Frühjahrs nach einer Erkältung zu kränkeln und bald war er nicht mehr imstande, sein Geschäft zu versorgen. Er hielt sich meistens zu Hause; nur an warmen Sommertagen sah man ihn auf der Straße. Halvor Simonsen sah dann recht heruntergekommen aus. Sein Haar war langgewachsen und die Kleider schlotterten um ihn herum, denn seine Schultern waren schmal geworden und seine Beine dünn und wacklig. Schließlich mußte er sich zu Bett legen, und die Kräfte nahmen von Tag zu Tag ab; aber es dauerte noch fast ein Jahr, bevor er erlosch. Von Jon hatte er seit jenem Brief kein Wort mehr gehört. Leute, die Simonsen kannten, sagten, daß der letzte Brief nicht gut auf ihn gewirkt habe, und sein Gemüt verdüsterte sich oft, wenn er den Namen des Schwestersohnes nannte. Das von dem Fluch hatte sich in der Stadt verbreitet, und die Leute fürchteten Jon Gräff und meinten, daß er, der seinem Oheim »god dam« schreiben konnte, mit dem Bösen im Bunde sein müsse.

Die Zeit verging und immer weniger Leute entsannen sich Jon Gräffs. Hin und wieder wurde die Erinnerung an ihn aufgefrischt, wenn der eine oder der andere Seemann, der von weit her kam, erzählte, daß er ihn gesehen habe – bald war es in Japan gewesen, bald auf Neu-Seeland – immer in weltentlegenen Gegenden. Schließlich kam der Matrose Simen Mortensen heim – ein Kind der Stadt, der Jon von der Schule her kannte – und erzählte, »jetzt sei Gräff in Melbourne gehängt worden, weil er die Königin zuschanden geschlagen habe!«

Und es gab auch wirklich welche, die es glaubten.

Hiernach wurde Jon Gräff nur noch eine häßliche Gestalt, mit der man Knaben schreckte, wenn sie durchaus zur See wollten und mit Davonlaufen drohten. Dann sagte der Vater wohl: »Ja, lauf du nur davon! Aber hüte dich, daß es dir nicht ebenso geht, wie dem Jon Gräff, der von Haus und Hof lief; denn er wurde gehängt, jawohl! Möchtest auch wohl hängen – was?«

In einem Herbst aber, ungefähr sechzehn Jahre, nachdem Jon durchgebrannt war, lief ein großes russisches Schiff, das Havarie erlitten hatte, in den Hafen ein. Tags darauf kam eine seemännisch gekleidete Mannsperson in den Laden von Krämer Karlsen und fragte nach Kristen Olsen, der dort vor sechzehn Jahren Lehrling gewesen war. Jawohl, Olsen sei noch da, er sei jetzt erster Kommis. Wenn er einen Augenblick warten wolle, Olsen käme gleich vom obersten Speicher herunter, wo er einige Waren ordnete. Der Seemann lehnte sich an die Wand und kaute derweilen Tabak. Es war ein kräftiger Kerl, nicht sehr groß, aber stämmig gewachsen und mit einem breiten Rücken. Das Gesicht war rotbraun, der Mund fest zusammengekniffen, als habe dieser Mann häufig die Zähne aufeinandergebissen. Die Augen blinzelten und blickten nicht gemütlich, sie lagen gleichsam auf der Lauer und wachten über einen.

Als Olsen bald darauf in den Laden kam, ging der Seemann geradeswegs auf ihn. zu und sah ihm ins Gesicht. Die beiden betrachteten sich eine Weile und Olsen sah sehr erstaunt aus. Dann aber nahm der Seemann behutsam des andern Hand und sagte mit tiefer Stimme: »Guten Tag, Kristen, kennst du mich nicht mehr?«

Kristen sagte langgezogen: »Nei–ein!« und suchte und suchte in seinem Gedächtnis; aber dann hätte man sehen müssen, wie ihm plötzlich ein Licht aufging und er den Kopf zurückwarf:

»Bist du's wirklich, Jon?«

»Na, endlich erkennst du mich! Freilich bin ich's.«

»Nein, so was; nie hätt' ich dich erkannt und wenn ich über dich gestolpert wär', denn du hast dich recht sehr verändert.«

»Oh, jawohl, das ist nicht so seltsam; du aber, Kristen, warst leicht zu erkennen – ja, ja, du hast einen Bart, aber dennoch! Auch dieselbe Stimme hast du noch – nur etwas rauher.«

Die beiden Kameraden plauderten noch eine Weile, dann mußte Kristen wieder an die Arbeit; vorher aber bat er Jon so recht herzlich, abends zu ihm zu kommen, und Jon versprach es ganz sicher.

Er kam dann auch auf den Glockenschlag, und sie sprachen von allem möglichen. Jon sprach am meisten, und es war erfreulich, wie gut er seiner Muttersprache noch mächtig war, nachdem er so lange Jahre außer Landes gewesen. Als er auf seinen Oheim zu sprechen kam, bekam er jenen verbissenen Zug um den Mund. Er schüttelte den Kopf und sagte seine Meinung über Halvor Simonsen frei heraus. Da aber ergriff Kristen das Wort, und er führte Kaufmann Simonsens Sache gut. Jon wurde nach und nach ruhiger, als er hörte, wie die Sache sich verhielt, und es sei ein großes Unglück gewesen, sagte er, daß seiner und des Oheims Brief umhergeirrt seien, denn hätten sie es nicht getan, dann wäre es ihm erspart geblieben, die zwei nächsten Jahre so zu leben, wie er es getan. Wie er denn gelebt habe? Oh, wie es sich eben traf. Nachdem er 17 Monate in Cardif gewartet hatte, war er jedes Groschens bar gewesen. Ja, ja, dann nahm er Heuer nach New York, aber dort kam er schlecht an. Er war nicht dreist genug, denn der Onkel hatte ihn zu wenig Selbstvertrauen gelehrt. Jedesmal, wenn er beinahe etwas gehabt hätte, dann schnappte so ein leichtlebiger Amerikaner es ihm vor der Nase weg. Schließlich erging es ihm so, daß wenn er Arbeit bekam, war es eine richtige Schweinearbeit auf dem Dock. Und manchmal gab es auch das nicht, und dann hatte er Tage durchlebt, an die er lieber nicht zurückdenken mochte.

Jon blieb bis zum Morgendämmern bei Kristen Olsen.

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